Bürgerliche Wissenschaft und ihre Fehler (Teil 3) Armin Nassehi: Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen

Sachliteratur

Diese Rezension ist Teil der Reihe „Bürgerliche Wissenschaft und ihre Fehler“. In den Universitäten wird Wissenschaft betrieben, die sich in ihren sozial – und geisteswissenschaftlichen Abteilungen für die offene Gesellschaft und gegen ihre Feinde ausspricht. In dieser kurzen Reihe werden ausgesuchte Veröffentlichungen dieser Wissenschaften rezensiert und sich die Zeit für einen genaueren Blick auf diese Ergebnisse dieser Wissenschaften genommen.

Der Soziologe Armin Nassehi am 27.07.2015 auf einer Kundgebung am Max-Joseph-Platz in München.
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Der Soziologe Armin Nassehi am 27.07.2015 auf einer Kundgebung am Max-Joseph-Platz in München. Foto: Romanist~dewiki (CC BY-SA 4.0 cropped)

21. September 2016
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Korrektur
Das bereits 2011 in der zweiten Auflage publizierte „Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen“ von Armin Nassehi beginnt mit einer „fiktiven Vorlesung“, in welcher Soziologie wissenschaftlich vorgestellt wird. Vorweggenommen wird dabei das Verständnis von Soziologie, das so wunderbar tautologisch daherkommt, wie diese Wissenschaft ihre „Erklärungen“ liebt: „Soziologie ist das, was Leute, die sich Soziologen nennen, tun, wenn sie von sich sagen, dass sie Soziologie betreiben. Mehr nicht“ (15).

Das ist natürlich gelogen: Noch jeder Soziologe kann ganz locker einen Mathematiker entlarven, der beim Lösen einer Aufgabe von sich behauptet, Soziologie zu betreiben. Etwas geleistet hat diese Tautologie für die Soziologie trotz bzw. gerade durch ihre Inhaltsleere: Ohne auch nur einen Inhalt der ‚Wissenschaft von der Gesellschaft' benannt zu haben, umfasst diese Definition jetzt bereits alle Spielarten der Soziologie! Was macht diese zu solchen? Natürlich das sich ihre Vertreter als Soziologen bezeichnen… Wer nun aber denkt, mit der Aufdeckung dieses Zirkelschlusses ein Argument gegen diese Definition gefunden zu haben, dem wird schnell der Wind aus den Segeln genommen.

In dieser Sorte Wissenschaft ist man vielmehr selbstbewusst der Meinung, dass sich überhaupt nur so Wissenschaft betreiben lässt: „Eine Quelle der Unzufriedenheit dürfte deshalb auch die Argumentationsweise selbst hervorbringen: Sie war radikal zirkulär und selbstbezüglich. […] Auch dies hat Methode. Denn in einer Welt, in der es keine Sicherheiten [?], keine archimedischen Standpunkte und keine unveränderlichen, theoretischen a priori gesetzten Fundamente mehr [?] geben kann [!], muss jede ernst zu nehmende theoretische Arbeit selbstbezüglich und damit zirkulär werden“ (29).

Das bisschen Widerspruch, dass man sich sicher ist, dass es keine „archimedischen Standpunkte“ mehr [?] geben kann, fällt da kaum noch auf. Ausgerechnet das Postulat, es gäbe keine a priori beweisbaren Wahrheiten tritt hier auf als a priori gesetzte Wahrheit. Argumentiert wird für diesen Widerspruch so oder so nicht: „Um dies zu verstehen, muss man bereits soziologisch operieren können…“ (29). Wenn das mal keine Wahrheit ist! „Ernst zu nehmen“ ist eine wissenschaftliche Arbeit für Soziologen also nur dann, wenn sie dieses Dogma ganz argumentlos zum Ausgangspunkt ihrer ganzen Wissenschaft macht, und sich so selbst gleich relativiert: „Das ist es, was eine Einführungsveranstaltung in die Soziologie zu demonstrieren hätte: dass die Soziologie die Gesellschaft nicht von aussen zum Objekt erklären kann, sondern nur eine unter konkurrierenden Selbstbeschreibungen der Gesellschaft ist“ (29).

Da ist noch kein Wort darüber gefallen, was das eigentlich für eine Gesellschaft ist, in der man lebt, aber eines ist den Wissenschaftlern da schon klar: Das man es – was auch immer das sein mag – auch anders sehen kann. Ohne den Gegenstand ihrer Wissenschaft also eines einzigen Blickes zu würdigen, ist sich die Soziologie schon vorher sicher, dass sie eines nicht kann: Etwas über diesen Gegenstand herauszufinden!

Und damit ist tatsächlich schon viel geleistet, auch wenn noch gar nichts gelernt ist: So ist nämlich jeder bereits der Unwissenschaftlichkeit überführt, der tatsächlich keine „Sicht“ propagiert, sondern Wissen über die Gesellschaft sucht oder gar verbreiten will: Ausgerechnet wer sich also unbefangen die Gesellschaft einmal ansehen will und nicht zuvor bereits behauptet zu wissen, eh am Ende nichts wissen zu können, ist so bereits als Dogmatiker überführt. So entledigt sich diese Wissenschaft ihren marxistischen Kritikern, ohne sich überhaupt ein einziges ihrer Argumente ansehen zu müssen.

Berthold Beimler

Armin Nassehi: Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008. 207 Seiten, ca. 17.00 SFr ISBN: 978-3531154336