«Christliche Germanen und jüdische Kategorien» Zu C. G. Jungs Äusserungen während der NS-Zeit

Gesellschaft

An den in uns erzeugten Schuldgefühlen haben wir nun einmal zu tragen, mal mehr, mal weniger. Die Schuldgefühle werden da produktiv, wo willige Befehlsempfänger gefragt sind.

Der Schweizer Psychiater und analytische Psychologe Carl Gustav Jung.
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Der Schweizer Psychiater und analytische Psychologe Carl Gustav Jung. Foto: unknown (PD)

22. Juli 2016
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Vieles an Untaten ist damit realisierbar geworden. Dem müsste indessen abzuhelfen sein. Insbesondere von Psychologen müsste in dieser Hinsicht einiges erwartet werden können.

Es ist aber wenig hilfreich, wenn von solcher Seite auf all das Verheerende in den Jahren nach 1933 bezogen Bemerkungen kommen wie »Die Deutschen wiesen sich den Dämonen gegenüber als spezifisch schwach dank ihrer unglaublichen Suggestibilität«, was im Sommer 1945 in dem Schweizer Wochenblatt "Die Weltwoche" durch den als Kapazität der analytischen Psychologie gehandelten Carl Gustav Jung (1875-1961) im eklatanten Gegensatz zu seinen Äusserungen in der NS-Zeit geschehen ist.

Jung hatte 1934 in einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung geschrieben: »Meines Wissens ist es ein schwerer Fehler der bisherigen medizinischen Psychologie gewesen, dass sie jüdische Kategorien unbesehen auf den christlichen Germanen anwandte; damit hat sie nämlich das kostbarste Geheimnis der germanischen Menschen, seinen schöpferisch ahnungsvollen Seelengrund, als kindisch banalen Sumpf erklärt. Diese Verdächtigung ist von Freud ausgegangen. Er kannte die germanische Seele nicht. So wenig wie alle seine Nachfolger sie kannten. Hat sie die gewaltige Erscheinung des Nationalsozialismus, auf die die ganze Welt mit erstaunten Augen blickt, eines besseren belehrt? Wo war die unerhörte Spannung und Wucht, als es noch keinen Nationalsozialismus gab? Sie lag verborgen in der germanischen Seele, in jenem tiefen Grunde, der alles andere ist als der Kehricht unerfüllbarer Kinderwünsche […] eine Bewegung, die ein ganzes Volk ergreift, ist auch in jedem einzelnen frei geworden.«

Auf Rückfragen zu seinen so gegensätzlichen Aussagen erklärt Jung in einem Brief vom 2. November 1946 unter anderem: »Dass ich in der Neuen Zürcher Zeitung je zugunsten von Nazi-Deutschland geschrieben hätte, ist eine reine Erfindung, was man leicht feststellen kann, wenn man den Jahrgang 1934 nachsieht. Ich habe in diesem besagten Jahr, in welchem ich Präsident in einer internationalen Gesellschaft in Deutschland das Vereinsorgan herausgeben musste, in diesem den Satz geschrieben: ›Die Welt schaut mit erstaunten Augen auf das, was in Deutschland geschieht‹. Man hat das als ›Bewunderung‹ gedeutet, was ich allerdings nicht so gemeint habe. Aber ich konnte in einer Zeitschrift, die damals in Deutschland erschien, aus Gründen der Zensur keine öffentlichen Kritiken anbringen. Wenn Sie meine ›Aufsätze zur Zeitgeschichte‹ gelesen haben, so wissen Sie, was ich schon längst zuvor über Deutschland gesagt habe. Das wird aber nicht zur Kenntnis genommen. Lüge und Verdrehung beherrschen unsere Welt, und auf diesem steinigen Boden gedeiht die Wahrheit schlecht«.

Ja, Lüge und Verdrehung beherschen unsere Welt, und auf diesem steinigen Boden gedeiht auch schlecht die Wahrheit. Insbesondere wo betont wird, dass das, was man sagt immer auch anders auszulegen sei, dass alles dem Zuhörer oder dem Leser überlassen bleibe. Ein altbekanntes Verfahren, auf das man in den Jahren 1945 ff. sich nur so stürzte. Nachdem in Deutschland alles schief gegangen war, heizte C. G. Jung aus der in allem gut über die Runden gekommenen Schweiz antideutsche Ressentiments an und etablierte ein Gefühl der eigenen Überlegenheit. Ressentiments gegen Deutschland sind allemal jederzeit abrufbar, nicht nur von der Schweiz aus.

Auszug aus Horst Waldemar Nägele: Was ein Volk ausmacht, 2015