Die Linke beschwert sich über den AfD-Erfolg Dürfen Arbeiter und Arbeitslose AfD wählen?

Politik

Bernd Riexinger stellt auf dem Parteitag der Linkspartei zu den Wahlen in drei Bundesländern fest: “Es ist ein Alarmzeichen, dass die AfD … stärkste Partei bei den Erwerbslosen und bei den Arbeiterinnen und Arbeitern geworden ist“.

Bernd Riexinger auf dem Bundesparteitag Der Linken im Mai 2014 in Berlin, Velodrom.
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Bernd Riexinger auf dem Bundesparteitag Der Linken im Mai 2014 in Berlin, Velodrom. Foto: Blömke/Kosinsky/Tschöpe (CC BY-SA 3.0 cropped)

28. Juli 2016
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Sowie: “… die Gewerkschaftsmitglieder haben überdurchschnittlich AfD gewählt – obwohl sie ein gewerkschaftsfeindliches Programm hat.“ Also ausgerechnet die, so Riexingers Diagnose, die wegen ihrer sozialen Lage eigentlich die Linke wählen müssten und bisher auch gewählt haben, die quasi deren angestammte Wählerklientel bilden, sind in erheblichem Masse zur AfD gewandert. Derart dumm gelaufen ist die Sache, so sieht es Sarah Wagenknecht, weil „diese Themen … zwischenzeitlich zu sehr von anderen überlagert“ wurden. Die Erwerbslosen haben sich demnach beim Blick auf die Parteien wegen der „Flüchtlingsthematik“ vom Thema der eigenen „sozialen Lage“ abbringen lassen. Es stellt sich die Frage, sind die Erwerbslosen blöd, weil sie sich so einfach von der eigenen Lebenslage ablenken lassen, oder sind bzw. waren deren konkrete Verbesserungen ohnehin nie der Kern und Massstab beim Wahlkreuz für Die Linke?

Aus Sicht der Linkspartei soll der Wähler idealerweise die Gleichung „soziale Frage = Linkspartei“ vollziehen, also überzeugt sein, nur bei dieser Partei sei Soziales in den besten Händen. Schliesslich opponiert diese gegen die Politik des „neoliberalen Parteienkartell(s)“, dem sie vorwirft, die Lebenslagen von Erwerbslosen und Beschäftigten zu vernachlässigen und dadurch eine „wachsende Armut“ zuzulassen, zu ignorieren bzw. sogar zu fördern.

Das geht aus Sicht der Linkspartei ganz und gar nicht in Ordnung – schliesslich muss ein Sozialstaat, wie er dieser Partei vorschwebt, sich der Notlagen, mit denen der lohnarbeitende Bevölkerungsteil ständig konfrontiert ist, in angemessener Weise annehmen. Weshalb es Die Linke unbedingt braucht, um in den Parlamenten den Standpunkt zu vertreten, dass nicht nur die Interessen „der Wirtschaft“, sondern eben auch die der Erwerbstätigen und Erwerbslosen ihre Berechtigung haben.

Ihre Adressaten hat Die Linke nie angesprochen als besitzlose und deshalb auf Lohnarbeit angewiesene Klasse, die zum Widerstand gegen die Besitzenden, für die sie arbeiten muss, allen Grund hat, sondern als Wähler, die die Entscheidung über all ihre Lebensumstände einer Regierung, also der Staatsmacht überlassen. Die Sorgen & Nöte der Bürger, gleich, worin sie bestehen, sind damit denen als „Probleme“ überantwortet, die (nicht etwa für ihre Entstehung – Studien- und Ausbildungsbedingungen, Niedriglohnsektor, sinkendes Rentenniveau … – , nein:) für ihre „Lösung“ zuständig erklärt werden und die sich während der Wahlperiode der „Erfüllung“ dieses „Auftrags“ ganz nach ihren geltenden politischen und ökonomischen Massstäben widmen.

Wegen der wirtschaftlichen Gegensätze, die da aufrecht erhalten werden, und wegen der politischen Zwänge, die dafür zur Anwendung kommen und die Armen keineswegs wohlhabend machen, ist das, was für die Wähler dabei herauskommt, beständig und immer wieder Grund zur Unzufriedenheit. Dafür gibt es das Angebot, alternatives Personal an die Regierung zu wählen und dafür hat die Linkspartei ihre Wähler agitiert: Die Unzufriedenheit hat eine Regierung verdient, die ihre Sache eben besser macht. Sie ist an die Leute als Staatsbürger herangetreten, die ein Recht darauf haben, dass in ihrem Staat so regiert wird, dass alle Bürger dieses Staates als Mitglieder der (Staats-)Gemeinschaft angemessen berücksichtigt werden. Dieses Recht haben sie wegen ihrer Mitgliedschaft in der nationalen Gemeinschaft, die keine Gegensätze mehr kennen will. In der begriffslosen Form des „passt doch eigentlich alles zu mir“ heisst das dann „Heimat“.

Aufgrund historischer Umstände hat sich die Vorgängerpartei (PDS) und Die Linke selbst an ihre potentiellen Wähler nicht nur als „Werktätige“ gewandt, denen die volle und wahre staatsbürgerliche (Gleich)berechtigung nicht vorenthalten werden darf, sondern als benachteiligten Teil des deutschen Volkes. Vor allem als ostdeutsche Regionalpartei hat sie bei den Ex-DDR-Bürgern, die mit Einführung der Marktwirtschaft die Härten der Konkurrenz mit voller Wucht zu spüren bekamen, dafür geworben, dass diese es nicht verdient hätten, als „Deutsche zweiter Klasse“ ausgegrenzt und deswegen auch in ihrem sozialen Status benachteiligt zu werden.

Bestätigt und befeuert wurde so der enttäuschte Nationalismus der Ex-DDR-Bürger, die die schädlichen Wirkungen, die die Einführung der Marktwirtschaft für sie gebracht hat – so blieb z. B., staatlich gewollt, die Lohn-, Renten- und die allgemeine Einkommensentwicklung unter der der alten Bundesländer – , nicht als stinknormale Gepflogenheiten der sozialen Marktwirtschaft gedeutet haben, sondern als ungerechte Behandlung durch den Teil Deutschlands, mit dem sie sich doch als Deutsche „wiedervereinigt“ hatten. Die Partei mit der Zuständigkeit für soziale Themen machte und macht sich zum Anwalt eines Ost-Nationalismus, der auf die Berechtigung pocht, wie normale Deutsche gestellt und angesehen zu werden. So haben PDS und Linkspartei daran mitgewirkt, dass auch die Ossis „in der Heimat ankommen“ sind. Und jetzt wundern sich ihre Chefs, wie “deutsch“ auch ihre Wähler sind!

In den Flüchtlingen, die seit einiger Zeit staatlich organisiert eintreffen, entdecken (nicht nur Ost-)Deutsche nun millionenfach Unberechtigte, also Menschen, die gar nicht zur deutschen Gemeinschaft gehören, die also gar kein Recht haben, dass der deutsche Staat sich – wie schlecht auch immer – um sie kümmert, die nur dafür sorgen, dass der seiner eigentliche Aufgabe, die Deutschen „gut“ zu regieren, nicht nachkommt. Wer, so sehen sie das, nicht Politik nur für „Deutsche“ macht, macht gar keine „Sozialpolitik“ für sie!

Politik für Deutsche hat jetzt, so die weitverbreitete Auffassung guter Deutscher, die Aufgabe, die Unberechtigten wieder wegzuschicken und keine weiteren reinzulassen. Das aber wollen die etablierten Parteien nicht. Damit ist auch die Linkspartei bei vielen Wählern mit ihrer „undeutschen“ Politik ‚unten durch'; ihr Eintreten für die berechtigten „sozialen Lagen“ von Deutschen glauben sie nicht mehr. Dass Deutsche nicht vor Fremden bewahrt werden, diesen ‚Skandal' anzuprangern und breitzutreten sowie darüber ein neuartiges Profil in der Parteienkonkurrenz zu schaffen, gelingt der AfD, die dafür von den Erwerbslosen, Arbeiterinnen und Arbeitern kräftig gewählt wird.

Ihre „soziale Lage“ haben diese Wähler gar nicht zum Ausgangspunkt ihrer Wahl gemacht; und ob die Linkspartei in deren Nachbarschaft gut „sichtbar“ oder „spürbar“ war, wie Riexinger auf dem Parteitag räsoniert, ist völlig unerheblich. Flüchtlinge und andere Ausländer sind für Nationalisten nicht berechtigte Existenzen, und deren Dasein in Deutschland einfach unerträglich — „überlagert“, wie Wagenknecht (s.o.) meint, hat sich da nichts.

Berthold Beimler