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Gentrifizierung: Die Politisierung des Alltags

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Gender und Häuserkampf Gentrifizierung: Die Politisierung des Alltags

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Sachliteratur

Linke Strukturen und deren Aktivitäten bieten Möglichkeiten, einer durchkapitalisierten Gesellschaft Alternativen aufzuzeigen. Dazu gehört auch die Aneignung von Häusern. Das aber auch innerhalb dieser Kämpfe Macht- und Unterdrückungsverhältnisse präsent sind, zeigt das Buch „Gender und Häuserkampf“ von amantine.

Der Handschellenmann - das sog. «Cuvry Graffiti» des Künstlers Blu in Berlin-Kreuzberg.
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Der Handschellenmann - das sog. «Cuvry Graffiti» des Künstlers Blu in Berlin-Kreuzberg. Foto: Frank M. Rafik (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 27. Juni 2016
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Der Kampf gegen Gentrifizierung beziehungsweise Umstrukturierung blickt auf eine lange Geschichte zurück. Die Auseinandersetzungen, welche „den sozialen und ökonomischen Umstrukturierungsprozess eines Stadtteils, der mit einer gezielten Aufwertung des Wohnumfeldes sowie Restaurierungs- und Modernisierungsmassnahmen zu einer entscheidenden Veränderung der Bevölkerungsstruktur führt“ (S. 49), gingen und gehen immer auch mit Aneignung von Räumen, die sich als Gegenpol dieser kapitalistischen Verwertungslogik verstehen, einher.

Diese Kämpfe und ihre Traditionen werden in dem Buch „Gender und Häuserkampf“ von amantine, im jeweiligen historischen Kontext, chronologisch dargestellt. Linke Räume sind nicht frei von Hierarchien, auch wenn dieser Anspruch häufig formuliert bzw. vorausgesetzt wird. Die umfangreiche Darstellung von Besetzungen bildet den Rahmen, um die Auseinandersetzungen um Gender, Sexismus/Homophobie und anti-patriarchale Kämpfe sowie die eigenständige Organisierung von FrauenLesben-Queer-Trans/Tunten in den Häuser/Wagenplatzbewegungen der BRD zwischen 1970 und 2010 zu beleuchten.

Dies geschieht mit Hilfe der Auswertung einer Vielzahl von Schriftstücken aus der Besetzer_innenszene sowie verschiedenen Interviewpartner_innen zum Beispiel des Frauenhauses in der Hamburger Hafenstrasse oder dem Berliner Wagenplatz Schwarzer Kanal. Auch wenn diese Auswahl kein Patentrezept zur Überwindung von Macht- und Unterdrückungsverhältnissen darstellen kann, gelingt es amantine, die theoretische Auseinandersetzung um gender nachvollziehbar einzuordnen. Hilfreich ist dabei die Erkenntnis, dass die Debatten bisher überwiegend „in einer zunehmend spezialisierten Sprache [geführt werden], die oft von vielen ausserhalb der Universitäten gar nicht verstanden wird“ und an der sich „vorwiegend weisse Deutsche [die] nicht selten einen privilegierten Familienhintergrund [haben]“ (S. 217) beteiligen.

Dieser Erkenntnis kann dazu beitragen, sich intensiver mit theoretischem Hintergrundwissen auseinanderzusetzen und es auch in die Praxis zu übertragen. Denn genau hier sieht amantine den wesentlichen Faktor. „Entscheidend ist letztendlich die Veränderung im Konkreten, in der Praxis und nicht durch das Rezipieren theoretischer Diskurse. Nicht wenige sprechen deswegen von einem patriarchalen Rollback, der sich in immer wiederkehrenden Vorfällen und Diskussionen offenbare.“ (S. 221)

Der Blick zurück...

Stadtentwicklungspolitische Entscheidungen, mit zum Teil verheerenden Folgen für Anwohner_innen, sahen und sehen sich immer auch mit dem Widerstand von Betroffenen konfrontiert. amantine zeichnet daher im ersten Teil des Buches Häuserkämpfe historisch nach. Ersichtlich wird dabei, dass sich die Beweggründe von den ersten Besetzungen beziehungsweise Aneignungen von öffentlichen Räumen nicht wesentlich von aktuellen unterscheiden. Im April 1872 wurden zwei Häuser in Berlin besetzt und es entstanden mehrere sogenannte Hüttendörfer. Die bekannteste war wohl die Republik Barackien, die in der Nähe des Cottbusser Tores bis zu 163 Familien beherbergte. Die kulturelle und politische Bedeutung Berlins führte in dieser Zeit zu einem Bauboom.

„Der grösste Teil der Baumassnahmen unterlag jedoch Kapitalmaximierungs- und Repräsentationsinteressen (…). In erster Linie wurde Raum für Gewerbe und Industrie, politische Verwaltungen und Konsumeinrichtungen geschaffen. (…) Häuser wurden abgerissen für Geschäfts- und Bürozwecke und ganze Stadtteile aufgekauft, um dort Platz für Warenhäuser oder Gebäude für Behörden zu schaffen.“ (S. 9)

Nicht nur aus diesen Gründen, kommt es auch 100 Jahre später zu einer neue Hochphase der Hausbesetzungsbewegung. amantine teilt diese Bewegung in zeitliche Phasen ein und zeichnet anhand derer die Entwicklung dieser Szene nach und die sich in ihnen ergebenden Debatten, Auseinandersetzungen, Niederlagen aber auch (Teil-)Erfolge. Dieser Einteilung nach erfolgt die Darstellung von Bewegungen um die Jahre 1970, 1980/81, 1989/90 sowie von 1990 bis 2009. Die antikapitalistischen Beweggründe beziehungsweise sich aus der Lebensrealität ergebende Motivation zur Aneignung von Häusern, Plätzen oder öffentlichem Raum wird in den neueren Bewegungen noch ergänzt, durch explizite Schaffung von Freiräumen für linke Politik und Subkultur. Auch geht es um den Anspruch, im Zusammenleben die persönliche Veränderung zu suchen und Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, die sich auch in menschlichen Beziehungen aufzeigen.

Die erste Hausbesetzung dieser Zeit findet am 10. April 1970 durch einen Verein, der antiautoritäre Jugendarbeit leistet, in Köln statt. Als weitere Zentren bilden sich Frankfurt a.M., hier insbesondere auch mit einem hohen Anteil an Mietstreiks und Besetzungen von Migrant_innen, auch wenn diese häufig nicht auf grosses Interesse der deutschen Linken stiessen, sowie Hamburg und Berlin. Auch erste Hausbesetzungen in Ost-Berlin, die es seit den 1970er Jahren gab, und die Entstehung von Wagenplätzen, von denen es laut einer Schätzung aus dem Jahre 2007 circa 160 in der gesamten BRD gibt, finden ihren Platz in der facettenreichen Auflistung von Besetzungsbewegungen. Gerade aber West-Berlin, mit dem Schwerpunkt auf Kreuzberg, gilt als Ursprung der Hausbesetzer_innenbewegung der 1980er Jahre, in der Neue Soziale Bewegungen und die sich entwickelnde Autonome Szene zusammentreffen.

Diese Einschätzung hängt des Weiteren mit dem Umstand zusammen, dass die rechtlich ungeklärte Situation nach Auflösung der DDR und der enorme hohe Leerstand in vielen Ostberliner Bezirken, vor allem aber Friedrichshain und Prenzlauer Berg, ein guter Nährboden für Besetzungen war. „Allein in Berlin gab es schätzungsweise von 1971 bis 2010 an die 400 Besetzungen. Circa 200-250 Häuser sind insgesamt legalisiert worden.“ (S. 37) Diese Welle von Legalisierung ist mit Sicherheit nur ein Faktor, der dazu führte, dass von einer Bewegung mit hohem Aktivismus, gesellschaftlicher und politischer Relevanz, in der Form nicht mehr zu sprechen ist. Dennoch, und das wird in der theoretischen Auseinandersetzung mit Gentrifizierung deutlich, haben

„die Häuserkämpfe (…) neben dem Ziel des eigenen Wohnraums, dem Aufbau politischer Strukturen und Subkulturen und letztendlich der Verwirklichung anderer kollektiver Lebensformen jenseits des Mainstreams auch die Umstrukturierungsmassnahmen und Gentrifizierungsprozesse thematisiert und bekämpft“ (S. 54).

...muss sich auch nach innen richten!

Die Frauenbewegung der späten 1960er Jahre hat gesellschaftliche Strukturen wesentlich verändert. Nicht nur die Analyse der Herrschafts- und Machtverhältnisse in Beziehungen, die Ausbreitung alternativer Wohn- und Lebensformen bis hin zur tendenziellen Auflösung der patriarchalen Kleinfamilie als gesellschaftliche Normvorstellung ist dieser anzurechnen. Als wesentlichen Kristallisationspunkt dieser Debatten sieht amantine die Wohn- und Lebensstrukturen in besetzten Häusern beziehungsweise Hausprojekten. „Autonome FrauenLesben als Teil der autonomen FrauenLesben-Bewegung als auch als Teil der Autonomen und Häuserbewegung spielten in diesen Auseinandersetzungen eine entscheidende Rolle.“ (S. 67)

In der Theorie hat sich der Intersektionalitätsansatz (Begriffserklärung siehe hier) und gender als soziale und kulturelle Konstruktion weit verbreitet. amantine geht es daher massgeblich „um die Sichtbarmachung von FrauenLesben Widerstand gegen patriarchale Strukturen“ (S. 67). In vielen zum Teil drastischen Schilderungen von Auseinandersetzungen wird deutlich, dass die Kämpfe in unterschiedlicher Intensität immer weiter geführt werden müssen und von einem Standard noch lange nicht die Rede sein kann. Die radikale Kritik an männerdominierten Strukturen in politischen Gruppen führte schon in der „68er-Bewegung“ zur Notwendigkeit einer feministischen Gegenkultur, die sich unter anderem in der Besetzungsbewegung niederschlägt. Gründe finden sich auch in der frühen Kritik am Begriff der „sexuellen Revolution“, die in erster Linie für „männerzentrierte Körperlichkeit, (…) für ein patriarchales Herrschaftssystem, das durch sozialistische Umsturzvorstellungen nicht berührt worden war, für weibliche Abhängigkeit, Entmündigung und Unterwerfung“ (S. 76) stand.

Die erste ausschliesslich von Frauen erfolgte Hausbesetzung gab es 1973 in Frankfurt a.M. Neben dem Kampf gegen Leerstand ging es hier, wie auch bei späteren Besetzungen, darum, die selbstbestimmte Frauenorganisierung zu stärken und Räume von Frauen für Frauen zu schaffen. Anfang der 1980er Jahre trafen feministische Positionen mit dem Entstehen der Autonomen zusammen und die Selbstorganisierung von Frauen, die nun auch deutlicher die Auseinandersetzung mit linken Männern suchte, gewann an Bedeutung. So entstanden Anfang der 1990er Jahre in Berlin ein Frauenhaus in der Mainzer Strasse, ein FrauenLesben-Haus in der Brunnenstrasse, der queere Wagenplatz Schwarzer Kanal, das Hausprojekt Liebigstrasse 34 oder das Tuntenhaus, um nur einige Beispiel zu nennen.

„Ein Teil der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung, die sich in der Häuserbewegung verorteten, aber eigenständig organisierte und nicht mit Männern zusammenleben wollte, hat dies mit patriarchalen und dominanten Verhaltensweisen und Strukturen der männlichen Genossen in gemischten Gruppen der autonomen, anti-autoritären Linken im Allgemeinen und innerhalb der Häuserbewegung im besonderen begründet.“ (S. 116)

Daher finden genau hier auch Debatten und Auseinandersetzungen um Sexismus, sexualisierte Gewalt und Patriarchat statt, von denen im Buch einige nachgezeichnet werden. Da diese „zum Teil sehr massive Gewalt und Reaktionen darauf dar(stellen) und besser in einem sicheren Umfeld und in einer Situation der emotionalen Stabilität gelesen werden (sollten), da die Gefahr von Triggern (Auslösern) gegeben ist“ (S. 128) wird hier eher auf die theoretischen Auseinandersetzungen und deren Umgang eingegangen werden.

Deutlich herausgestellt wird allerdings, dass unabhängig vom jeweiligen Kontext – die Beispiele umfassen einen Zeitraum von 25 Jahren – Sexismus und sexualisierte Gewalt häufig unhinterfragter Bestandteil von Beziehungen und alltäglichem Verhalten in linken und subkulturellen Strukturen sind. Dieser findet sich jedoch nicht nur im eigenen Wohnumfeld wieder, sondern ebenso auch auf Demonstration, Kongressen oder anderen politischen Veranstaltungen. Wie wenig Sensibilität im Umgang vorherrscht, beschreibt amantine unter anderem am Beispiel der Auseinandersetzung um sexistische Grenzüberschreitungen der Gruppe Fuck for Forest (FFF) auf einem Anarchie-Kongress 2009 in Berlin.

"Dazu zählen das permanente Nackt-Herumlaufen der Gruppe FFF auf dem Kongress, die Weigerung sich anzuziehen und anzuerkennen, das Nacktheit eine Grenzüberschreitung darstellen kann, und das, obwohl sie von mehreren darauf hingewiesen worden waren, dass sich einige durch die Nacktheit, insbesondere der Männer, erheblich beeinträchtigt fühlten sowie homophobe Äusserungen wie „Hardcorelesbe“." (S. 150)

Aufgrund einer nicht geringen Anzahl von Solidarisierungen durch Teilnehmer_innen und der Einsicht, dass ein Ausschluss der Gruppe und Unterstützer_innen nicht gewaltfrei durchzusetzen schien, musste der Kongress letztlich abgebrochen werden. Nur eines von mehreren Beispielen, an denen deutlich wird, dass eine Auseinandersetzung über anti-sexistische Praxis noch lange nicht Einzug gehalten hat.

Als Mittel der Auseinandersetzung und Etablierung von anti-sexistischer Praxis beschreibt amantine abschliessend die Organisierung von/in Männergruppen und die Kritik an Heteronormativität sowie die Sichtbarmachung von Trans/Queer/Tunten. Die ersten Männergruppen entstanden in den 1970er Jahren, doch erst Ende der 1980er Jahre bildete sich eine Bewegung heraus, die sich kritisch mit ihrem eigenen Sexismus, Sexismus in der „Szene“ und patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen beschäftigte. Wesentlich war und ist auch heute noch eine kritische Reflexion „männlicher Militanz“ auf Demos. Diese ist notwendig,

„um so zu verhindern, dass Gewalt sich verselbstständigt, Ausdruck männlichen Macker- und Gewaltverhaltens ist. (…) Schwarzgekleidete sich als autonome Antifas bezeichnende Macker tragen ihre Revierkämpfe mit meist männlichen Faschos aus und/oder pöbeln Frauen an. Antifa ist ‚in' und das scheint auch zu heissen, dass viele Männer ihr Mackerverhalten unter dem Deckmantel Antifa ausleben können. (…) Dazu gehören auch coole Sprüche und Verbalradikalismus und das Abwerten von anderen Widerstandsformen sowie das Abqualifizieren von Frauen in Stresssituationen mit Faschos.“ (S. 168)

Dass diese 15 Jahre alte Kritik noch immer aktuell erscheint, lässt an der Veränderbarkeit der „Szene“ oftmals zweifeln. Am 19. November 2011 gingen mehrere tausend Menschen in Gedenken an einen von Neonazis ermordeten Hausbesetzer in Berlin auf die Strasse. Das aus dem Lautsprecherwagen ein Lied der Punk-Band Heiter bis Wolkig ertönt, um die es seit Mitte der 1990er Jahre heftige Auseinandersetzungen wegen Vergewaltigungsvorwürfen und sexistischem Auftreten gab oder aber ganze Reihen auf der Demo Polizist_innen, trotz aller berechtigter Kritik an diesen, als „Hurensöhne“ bezeichnen, zeigt auf, wie wichtig der Blick eben gerade auf innerlinke Debatten ist. Diesen zu stärken ist eines der grossen Verdienste des Buches.

Ulrich Peters
kritisch-lesen.de

amantine: Gender und Häuserkampf. Genderspezifische Aspekte und anti-patriarchale Kämpfe in den Häuserbewegungen in der BRD und Westberlin. Unrast Verlag, Münster 2011. 232 Seiten, ca. 17.00 SFr. ISBN 978-3-89771-508-0

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