Um es klar zu stellen: Ja, die AfD im Bundestag ist gefährlich, weil sich damit nationalistische bis offen faschistische Kräfte ihren Weg in ein sehr einflussreiches Terrain gesichert haben, und dies schon jetzt gewaltige Auswirkungen auf die gesamte gesellschaftliche Dynamik darstellt. Was sind aber nun die richtigen Fragen, die es zum Thema AfD zu stellen gilt? Einige weiterführende Erkenntnisse und die Einsicht, dass bisherige Antworten darauf viel zu oft viel zu kurz greifen, gewinnt man, wenn man sich etwa mit dem Buch „Die AfD“ von Sebastian Friedrich auseinandersetzt. Es geht darum, wie die linke Bewegung sich der politischen Realität der AfD im Parlament inhaltlich stellen und gleichzeitig eine grundlegende Neujustierung linker Klassenpolitik vornehmen kann.
Zentrale Bausteine der AfD
Friedrich skizziert die Entwicklung der Partei hin zu einem gemeinsamen Grossprojekt rechtskonservativer, nationalistischer und nationalliberaler Strömungen. Er macht deutlich, dass die AfD nicht zufällig und vereinzelt entstehen konnte: „Die Rechten können jetzt das Feld abernten, das die Thilo Sarrazins, Peter Sloterdijks und Eva Hermans dieser Republik jahrelang bestellt haben“ (S. 9). Die AfD ist Resultat einer jahrelangen Formierung rechter und nationalistischer Kräfte in Deutschland: Bis 2015 vollzog die AfD, unter Aufsicht des damaligen Parteivorsitzenden Bernd Lucke, eine strategisch begründete moderate Ausrichtung nach rechts; damit einher ging eine Stärkung des antimuslimischen Flügels innerhalb der Partei.Nachdem Lucke und Co. sich gegenüber dem (noch) nationaleren Flügel den Kürzeren zogen und die Partei verliessen, entwickelt sich die Partei bis heute ungebremst nach rechts weiter. Mit diesen Entwicklungen hat sich Friedrich schon 2015 in seinem Buch „Der Aufstieg der AfD“ auseinandergesetzt. Er kurvte darin einmal quer durch die kurze Geschichte der AfD bis zu ihrem ersten Parteitag und machte seine Leser_innen mit den zentralen Playern in dieser Partei vertraut. Trotz einiger unerwarteter „Verluste“ sind viele davon, etwa Gauland, von Storch, Höcke oder Poggenburg, noch immer zentrale Figuren. In seinem Nachfolgebuch knüpft er nun daran an und führt die Geschichtsschreibung der AfD bis zum Machtkampf zwischen Frauke Petry und Bernd Höcke im Frühjahr 2017 fort. Ausserdem richtet er im Vergleich zum ersten Buch seine Analyse gesellschaftsanalytischer aus.
Die AfD ist ein Baustein einer von rechts vorangetriebenen globalen Hegemoniekrise, welche die politischen Institutionen, vermeintlichen moralischen Wegweiser und gesellschaftlichen Entwicklungen grundlegend in Frage stellt. Der Erfolg der AfD baut auf vier zentralen Teilbereichen dieser weltweiten Krise auf, die Friedrich wie folgt benennt: Die Krise des Konservatismus, die Repräsentationskrise, die Krise des Kapitals und die Krise des Sozialen.
Die konservativen Parteien haben sich in den vergangenen Jahren an die gesellschaftliche Realität anpassen müssen, um den Anschluss an die modernisierte politische „Mitte“ nicht zu verlieren: „Eingewanderte wollen mehr als leidlich geduldete 'Gäste' sein, Frauen mehr als nur Ehefrauen, Schwule und Lesben mehr als nur Abweichung“ (S. 13). Hier fungiert die AfD als Sammelbecken fundamentalkonservativer Gruppierungen (vor allem mit dem Fokus auf Antifeminismus und „Gender-Wahn“), die sich in den bestehenden Parteiprogrammatiken, etwa der CDU, nicht mehr widerfinden.
Antimuslimischer Rassismus und Abwehr von geflüchteten Menschen dient hier neben den genannten Themen als einigender Kitt. Somit begünstige die „sukzessive Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie und die Angleichung der etablierten Parteien“ (S. 21) den Aufstieg der Rechten, weil es berechtigte Kritik an der hiesigen Form der Demokratie in essentialisierende und ausgrenzende Bahnen lenke. Die Anrufung des „kleinen Mannes“ durch Alexander Gauland etwa verlief in dieser Form relativ erfolgreich: Viele der Wähler_innen werden ihr Kreuz nicht trotz, sondern wegen des Programms der AfD gemacht haben – oder zumindest für einen Teil davon. Der Grund: Der (oftmals dezidiert antimuslimische) Rassismus stellt die ideologische Klammer bereit und ist in hohem Masse funktional für die Programmatik der AfD.
Es sei zentral, so zeigt Friedrich, dass die AfD den Zusammenhang der „ökonomischen Voraussetzungen der gesellschaftlichen Machtverschiebungen gerade nicht zur Sprache bringt“ (S. 28). Dabei fallen die Krise des Konservatismus und der politischen Repräsentation unmittelbar mit der Krise des neoliberalen Kapitalismus zusammen. Es sind die Teile der Mittelschicht, für die, so Oliver Nachtwey, „nicht die reale Bedrohung, sondern massgeblich die Sorge vor dem Absturz zugenommen [hat]" (Nachtwey 2016, S. 152, Herv. i. O.). Auch bei Friedrich lässt sich das nachlesen. Bei der Wähler_innenschaft der AfD handelt es sich, so der Autor, vor allem um Menschen mit Abstiegsängsten. Diese Ängste erhielten im Zuge der Finanzkrise 2008 und der folgenden neoliberalen Umstrukturierungen eine objektive Grundlage. Die Krise des Sozialen, die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich und der verschärfte Leistungsdiskurs, der seit der Agenda 2010 Hochkonjunktur hat, spielt dem rechten Projekt ebenfalls in die Hände:
„Zumindest ein Teil der ‚Mitte' in der Krise ähnelt damit einem Radfahrer, so wie ihn Kurt Tucholsky vor fast 100 Jahren beschrieb: Untertänig und respektvoll himmeln sie nach oben, geschwollen treten sie nach unten – ein prägnantes Muster, wie reale Fragen reaktionär beantwortet werden“ (S. 45).
Der Autor zeigt zudem, dass dieses Problem weit komplexere Antworten benötigt als die gemeinhin (auch von den Linken) gegebenen. Friedrich entlarvt damit die Programmatik der AfD als eine, von der vor allem Arbeitgeber und Unternehmen profitieren, und nicht die „kleinen Leute“. Ziel der Partei ist die Konstruktion einer populistischen Massenbasis, auf der sich ein stärker autoritär ausgerichtetes Regime von Eliten entfalten kann. Aufgrund bisher fehlender weiterführender Analysen ist die Darstellung der Klassenfraktionen recht kurz, die sich in Richtung AfD orientieren. Das Buch geht hier knapp auf den Verband der Familienunternehmer, auf die Verflechtungen des Immobilienkapitals und die Hayek-Gesellschaft ein, die in der AfD einen parteipolitischen Hebel gefunden haben. Hier wäre aber noch viel Raum für vertiefende Betrachtungen.
Dass Friedrich mit seinen genauen Analysen sogar noch den Feind über seine eigene Strategie zu belehren weiss, ist amüsant und skurril zugleich: Der Autor dokumentiert auf seiner Facebookseite am 23. Mai 2017 seine Eindrücke bei einer Lesung im baden-württembergischen Ladenburg:
„Mich umarmten die AfDler förmlich. Sie hätten alle mein Buch gelesen (und in der Tat: Fast alle anwesenden AfDler hielten das Buch in der Hand, ich habe sogar fünf Bücher von AfDlern signiert). Einen Tag vor der Veranstaltung hätten sich die AfDler zum Lesekreis (!) getroffen, sagte ein AfD-Sprecher während der Veranstaltung. Mich wollten sie die ganze Zeit umgarnen: 'Herr Friedrich argumentiert zwar aus einer linken und marxistischen Perspektive, ist aber sehr kompetent und schreibt sehr sachlich und objektiv über uns', so der Tenor“.
Anstösse für eine neue Klassenpolitik
In den letzten Seiten des Buches geht es ums Eingemachte: Was tun? Letztlich beschreibt das Kapitel eine weitere Krise, die zur Hinwendung einiger enttäuschter und von den kapitalistischen Zurichtungen gebeutelter Menschen an die AfD beitrug: die Krise einer starken, solidarischen und kämpferischen Klassenpolitik und das damit verbundene Versagen linker Kräfte, Antworten auf immer drängendere soziale Fragen zu formulieren. Der Autor zeigt hier nochmals, dass es ihm bei seinem schmalen Band nicht – nur – um eine intensiv recherchierte und sehr differenziert ausgearbeitete Analyse der rechten Formierung geht.Es geht vielmehr darum, aus den bisherigen Niederlagen und Verfehlungen Ansatzpunkte für eine erneuerte linke Klassenpolitik herauszuarbeiten, welche die sozialen Verhältnisse und die globalen politischen Kämpfe zur Basis macht. Ein grosses Projekt, denn es muss nicht nur den rechten Formierungen, sondern auch der neoliberalen Politik der Bundesregierung und ihrer Verbündeten entgegengetreten werden. Breite Bündnisse jenseits des Klasseninteresses der Subalternen scheinen in den Augen des Autors glücklicherweise nicht zielführend. Sinnvoll, so schreibt Friedrich, sei es vielmehr,
„eine Strategie im Umgang mit dem rechten Projekt und der AfD zu entwickeln, die eine langfristige Perspektive hat, die eine Kritik an rechter Politik insgesamt umfasst und die anhand gezielt gewählter Angriffspunkte die Aussicht auf eine linke Gegenbewegung stärkt“ (S. 122).