Mit ihrer Gründung ist ein Bündnis zusammengekommen, das zugleich eine ideologieübergreifende Plattform für National-Liberale, Rechtskonservative, Rechtspopulisten und Neue Rechte bietet und somit ein Spektrum zusammenhält, das in dieser Form in der Bundesrepublik einmalig ist. Einen gut recherchierten Überblick der Gründungs- und Entstehungsgeschichte der AfD sowie eine ideologisch fundierte Analyse dieser Neuformierung brachte der Autor Sebastian Friedrich Anfang 2015 heraus. Informationen über die ideologische Verortung und politische Verankerung der Partei selbst sind im Buchtitel zu finden.
Rekrutierung des konservativen und neoliberalen Mittelstands
Die Krise des Fordismus nach dem Nachkriegsboom ging mit einer verstärkten Beschränkung wohlfahrtsstaatlicher Massnahmen und der Verschiebung organisierter ideologischer Kräfte einher. Mit dem Neoliberalismus wurde ein Wirtschafts- und Gesellschaftskonzept etabliert, dessen Konjunkturen grossen Einfluss auf den Aufstieg und Wandel der extremen und Neuen Rechten hatte. Europaweit gelang es einigen rechtspopulistischen und extrem rechten Parteien seit der Wirtschaftskrise 2007, mit krisenpolitischen Themen (mehr) Auftrieb zu bekommen.In der Bundesrepublik war bislang dieser national ausgerichtete Neoliberalismus in den Unionsparteien und der FDP verankert. Hervorgerufen durch das hiesige Krisenmanagement stieg jedoch die Unzufriedenheit der national-neoliberalen Eliten. Hierzu dienten in den letzten Jahren, so der Autor, die Debatten um die rechtskonservative Autorin Eva Herman und den rechtspopulistischen Hetzers Thilo Sarrazin als Auftrieb, die zunehmend entstandene Lücke vor dem Hintergrund der Modernisierung und dem „Linkstrend“ der Unionsparteien zu füllen.
Friedrich konstatiert: „Der fortwährende Modernisierungstrend der Union hat Spekulationen um Erfolgsaussichten einer neuen Rechten Partei weiter befeuert“ (S. 18). Wirtschaftspolitische Themen im Zuge der Euro-Krisenbekämpfung, Antifeminismus sowie ein Rollback von Geschlechterrollen und das Thema Einwanderung sind, wie Friedrich sehr gut ausführt, zentrale ideologische Anknüpfungspunkte für die Einigung des rechtskonservativ-national-neoliberalen Spektrums.
Der ideologische Grundstein für den Erfolg der AfD wurde Jahre davor gesetzt: Zum einen führten Themen wie Standort-Wettbewerbsfähigkeit oder der durch die Agenda 2010 beschleunigte Ausbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu einer reaktionären Wende der Mittelschicht. Zum anderen spielten der Partei mittelständische Unternehmen in die Arme, die sich zunehmend ent-transnationalisieren, um der Krise der Kapitalakkumulation entgegenzuwirken. Diese beiden Spektren, von Friedrich als reaktionäre Mittelklasse beschrieben, bilden unter anderem die soziale Basis der AfD. In diesem Kontext hat sich auch der marxistische Soziologe Stuart Hall mit der Analyse rechter Argumentationsformate als strategische Manöver für die Durchsetzung neoliberaler Politik beschäftigt.
Die Widersprüche innerhalb des herrschenden Machtblocks erzeugten einen alternativen Block, „der um die mächtigen Themen ‚Anti-Etatismus' [Antistaatlichkeit] und ‚Anti-Kollektivismus' […] organisiert ist“ (Hall 2014, S. 108).
Die Artikulation dieser Unzufriedenheit schlägt quasi in einen Ruf nach „Gemeinsam aus der Krise“ (S. 27) um und führte Vertreter_innen national-neoliberaler und rechtskonservativer Ideologien zusammen. Exemplarisch kann an dieser Stelle die Gründung des Vereins zur Unterstützung der Wahlalternative 2013 angeführt werden, mit dem gleichzeitig die ersten (personell spektrenübergreifenden) Weichen für die Gründung der AfD gestellt wurden. Kein Geheimnis mehr ist ebenso die politische Nähe der Familienunternehmer zur AfD: „Viele Fragen der AfD sind auch unsere Fragen“ (S. 94), so Roland Pichler vom Verband Die Familienunternehmer.
Inkompetentes Parteimanagement oder gewollter Rechtsruck?
Die personelle Zusammensetzung der Partei hat sich stetig geändert. Flügelkämpfe und interne Zerwürfnisse wurden immer öffentlicher ausgetragen. Für die programmatische Erweiterung nach rechts können laut Friedrich die Bundestagswahlen 2013 als Zäsur betrachtet werden. Nachdem es knapp nicht gelungen war, den Einstieg in den Bundestag zu realisieren, versuchte man, sich auf personeller Ebene nach rechts zu orientieren.Die strategisch gewollte Öffnung in das (extrem) rechte Spektrum sprach nicht nur die Wählerschaft mittlerweile desolater rechter Splitterparteien an, sondern war auch der Neuen Rechten ein willkommener Anlass, sich in die Strukturen der Partei einzureihen. Insbesondere seit den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind diese programmatischen Rechtsverschiebungen zunehmend Teil einer neuer Strategie geworden. So konstatiert Friedrich: „Ein vollkommen neues, in Landtagswahlkämpfen aber beliebtes Thema war Kriminalität und ‚Sicherheit'“ (S. 56 ).
Das, was der Autor beschreibt, findet sich auch in Stuart Halls (Hall 2014, S. 109) Schriften zur Bedeutung des autoritären Populismus wieder: „Der ‚Ruf von unten' nach der Wiederherstellung der moralischen Prinzipien nahm zunächst die unmittelbaren Symptome der Unordnung - Anstieg der Verbrechen, Kriminalität, moralische Permissivität – und konstruierte diese Sysmptome mit Hilfe von organisierten ideologischen Kräften an der Basis zum Szenario einer allgemeinen ‚Krise der moralischen Ordnung'“. Die Bedienung dieses Themenkomplexes schreit förmlich nach einem ‚Ruf nach Disziplin' von unten, der in einen Ruf nach einer gewaltsamen Wiederherstellung der sozialen Ordnung und Autorität von oben artikuliert wird.
Dementsprechend versteht die politische Rechte „Demokratie“ als einen Ort, „den sie besetzen muss, als Einsatz, den sie ergreifen muss“ (ebd., S. 104). Nicht umsonst richtet sich die Kritik von Rechtspopulisten dem Wort nach gegen „die da oben“, auch wenn die Adressierten selbst auf einen „starken Staat“ setzen, um im Rahmen der Krise zwecks Disziplinierung der sozialen und politischen Kämpfe auf autoritäre Zwänge und repressive Massnahmen zurückzugreifen. Das Repertoire gesetzter Themen in der AfD wurde um den Antimuslimischen Rassismus ergänzt – bestehende erzkonservative Themen wie Geschlechterfragen, Homosexualität und Familienpolitik wurden offensiver angegangen und haben auf Landtagsebene zum erhofften Erfolg geführt.
Die einst konservativ-neoliberale Idee wurde zunehmend Teil eines rechten Hegemonieprojekts. So Friedrich weiter: „Aus der einst national-neoliberal-rechtskonservativen Partei mit einem liberalen Flügel wurde ein rechtes Sammelprojekt, in das auch ein immer mächtiger werdender Rechtsaussen-Flügel eingebunden ist“ (S. 64). In diesem Kontext beschäftigt sich der Autor auch mit den vielfältigen Auswirkungen dieser Rechtsorientierung auf die Partei aber auch auf die Wählerschaft und kommt auf aufschlussreiche Ergebnisse. Die strategische Ausrichtung nach rechts ging mit der Stärkung des rassistischen Flügels innerhalb der Partei einher. „Zuwanderung“ wurde als Wahlkampfthema gesetzt und die strategische Annäherung an die PEGIDA letztes Jahr forcierten den rassistischen Diskurs innerhalb der Partei.
Die Frage nach der „Nützlichkeit“ von Einwanderung begleitete stetig all diese Debatten. So warnte Lucke 2013 schon in einer Rede in der Pfalz vor Menschen, die nach Deutschland kommen und „einen Bodensatz bilden, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt“ . Derlei Nützlichkeitsdebatten vertragen sich tatsächlich sehr gut mit dem neoliberalen Credo der „Willkommenskultur“: Fachkräfte, die der Wirtschaft dienen, sind erwünscht, andere werden als Last für die Sozialsysteme diffamiert und somit als nicht willkommen betrachtet. Daran knüpft die AfD an und erntet Allianzen, die in der Gründungsphase kaum möglich waren.
Wie weiter?
Das Bemerkenswerte an diesem schmalen Band ist die Fülle der gelieferten Informationen und Analysen zur Entwicklung der AfD. Auf knapp 100 Seiten schafft es der Autor nicht nur einen fundierten Überblick zusammenzutragen, er reisst auch die jeweiligen ideologischen Hintergründe der Zusammensetzung auf und bietet somit differenzierte Analysen zur Formierung und Reorganisierung neoliberaler, populistischer und reaktionär-konservativer Kräfte in der Bundesrepublik. Das Poket-Format des Buches hat entscheidende Vorteile, der Autor erörtert aber aufgrund der Kürze nicht alle Aspekte substanziell.Für diejenigen, die aktuelle Entwicklungen der Partei verstehen wollen, sei das Buch wärmstens empfohlen. Auch für diejenigen organisierten Linken, die in der Krise dem zunehmend autoritären Konsens entgegenwirken wollen, sind dem Buch kluge Beobachtungen zu entnehmen, um die Entwicklung populärer Kräfteverhältnisse, wie Hall mal sagte, nicht in autoritär populistische, sondern in populär-demokratische umzuwandeln.