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Der Kompass des Kalten Krieges

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An Sotschi demonstriert der Westen einmal mehr, dass er nicht aufgehört hat zu ticken wie einst Der Kompass des Kalten Krieges

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Gesellschaft

Wann immer von Olympischen Winterspielen die Rede ist, sollte man zuerst von den Afrikanern sprechen. Warum das? Nun, weil es die dort nicht gibt.

Sportler des österreichischen Teams für die Olympischen Winterspiele 2014, die als Leistungssportler vom Bundesheer unterstützt werden.
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Sportler des österreichischen Teams für die Olympischen Winterspiele 2014, die als Leistungssportler vom Bundesheer unterstützt werden. Foto: Manfred Werner - Tsui (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 4. Februar 2014
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Teilnehmer dieses Kontinents werden sich auch diesmal wieder an zwei Händen abzählen lassen. Wenn aktuell über sie gesprochen wird, dann nur, weil diese „Exoten“ uns Hochalpinen ob der nationalen Kontingente einige Startplätze wegschnappen. Der alpine Skirennlauf etwa ist eine Geschichte weniger europäischer Länder mit Zugaben aus den USA und Canada. Bei den anderen Disziplinen sieht es nicht viel besser aus. Winterspiele, das ist eine Angelegenheit der Reichen, eine Heerschau okzidentaler Macht, eine Hochzeit aus Reklame und Technik. Winterspiele sind immer Spiele der Weissen gewesen.

Insbesondere für Österreich sind sie ein kaum zu überbietendes nationales Ereignis. Kein Staat auf diesem Planeten starrt so verbissen auf die Winterolympiade. „Olympia, wir kommen“, verkünden die „Goldstars“ geheissenen heimischen Athleten in einer riefenstahlartigen Fotomontage auf der Cover der Kronen Zeitung. Die in Sotschi zu tätigenden Erfolge gehören zum rot-weiss-roten Doping. Ist bei Sommerspielen für das Land schier nichts zu holen, so sind wir bei den Winterspielen stets top. Am Medaillenspiegel reaktiviert sich nichts weniger als der Patriotismus.

Zur Zeit inszeniert sich (nicht nur in Österreich) ein mittlerer Aufstand gegen Sotschi. Der vom Ski- zum PR-Heroe umgemodelte Hermann Maier hat beschlossen den Spielen fern zu bleiben und Marcel Hirscher, der neue Star bangt gar um seine Familie. Zwar vertritt niemand einen Boykott der Sportler, aber vorführen will man die Russen schon. Da haben sodann die kulturindustriellen Bataillone in Medien und Politik, Sport und Kunst auszurücken. Noch dazu hat man hierzulande sowieso noch eine Rechnung offen, hat Salzburg doch bei der Bewerbung gegen Sotschi vor Jahren den Kürzeren gezogen. Das schmerzt sehr, denn eigentlich sind wir die Grossmacht und die anderen nur Staffage, vor allem wenn sie nicht zur Ersten Welt gerechnet werden. Das wird Russland zweifellos nicht, auch wenn Putin alle obligaten wie ungustiösen Anstrengungen unternimmt, auf jener Ebene zur globalen Elite zu zählen.

Franz Klammer, der Abfahrtsolympiasieger von 1976, schreibt: „Dass dem Internationalen Olympischen Komitee bei der Vergabe Geld wichtiger ist als moralische Werte, ist ein Witz. Dass man den Sport, der für den Frieden steht, für Propagandazwecke missbraucht, ist traurig.“ (Österreich, 16. Jänner 2014, S. 2) Aber Entschuldigung, das ist doch der Witz der Sache. Es geht um Geld und nicht um Moral. Der Wert der zählt, ist der kommerzielle. Auch steht der Sport nicht einfach für den Frieden und wird missbraucht. Er ist vielmehr ein (wenn auch sinnvolles) Surrogat des Krieges, mit dem er das uneingeschränkte Pathos des Kampfes teilt. Schlachtenbummler sind domestizierte Kriegsmeuten. Das Wort verrät's und ein Blick sollte genügen.

Man hat das Gefühl, solche Skihelden agieren mitunter als uniformierte Maulhelden ihrer Nation, beherrschen nicht nur die sportliche Auseinandersetzung sondern proben sich auch im Kampf der Kulturen. „Wir hoch, die tief“, so die knappe Formel. Es geht dabei weniger darum, Putin zu kritisieren als ihn schlicht zu diskriminieren. Dabei wird keine Sekunde gefragt, wie wir hier zu unseren Standards kommen, welche Geschichte sie haben, welche Opfer sie kannten und kennen.

Nachholende Kommerzialisierung

Der russische Staatschef Wladimir Putin versucht sich an einer nachholenden Kommerzialisierung. Gepusht durch die ökonomische Potenz des Staats soll in einigen Jahren das erreicht werden, wozu in den Zentren Jahrzehnte notwendig gewesen sind. Derlei ist, wenn überhaupt, nur mit grosser Rücksichtslosigkeit möglich. An der mangelt es dem russischen Präsidenten nicht. Zweifelsfrei. Dass Russland die teuersten aller Spiele ausrichtet, ist daher nur logisch. Würden den Arbeitern nicht so miese Löhne gezahlt werden, wären sie noch teurer. Es geht um Prunk und Prestige. Auch auf der kulturindustriellen Ebene will man mithalten, koste es, was es wolle. Mit Gazprom gegen Red Bull.

Putin führt in aller offenherzigen Brutalität vor, was so ein Ereignis ökonomisch und ökologisch, militärisch und national, vor allem aber auch regional und sozial bedeutetet. Sotschi wird auch einer Festung gleichen, doch welche Olympiastadt tut das nicht? Dass Putin soviel Polizei und Militär auffahren lässt, ist weniger Ausfluss autoritärer Gelüste, sondern mehr Ausdruck objektiver Notwendigkeiten. Sollte es wirklich zu einem Anschlag kommen – und so etwas ist nie ganz auszuschliessen, man denke an München 1972 – dann würde man Putin für die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen verantwortlich machen.

Wenn der neue österreichische Aussenminister, Sebastian Kurz, in ganz korrektem Politsprech meint, dass es notwendig wäre, „bei Menschenrechtsverletzungen nicht wegzusehen, sondern Zeichen zu setzen“, welch Zeichen meint er? Das Zeichen, das man setzt, ist ein Brandmal. Putin punzieren, das ist wahrlich ein geiles Wettspiel westlicher Provenienz zur Entzückung der eigenen Gefolgschaft, neuerdings Wertegemeinschaft genannt. Da kann man sich wahrlich auf die Brust klopfen. Doch was möchte man wirklich? Drohnen schicken? Einmarschieren? Wohl kaum. Den Zerfall des Staates in Oligarchen und Banden (wie er sich unter Jelzin ankündigte)? Schon eher. Das westliche Denken reicht oft nur bis zum eigenen Vorteil resp. Vorurteil. Nicht alles, was sie sagen, ist falsch, aber alles dient einem bösen Zweck. Der Kompass ist der des Kalten Krieges, samt altbekannter menschenrechtlicher Kriegsbemalung.

An Putins Spielen ist nicht viel mehr zu kritisieren als an anderen auch. Also viel. Zweifellos, sympathisch kann einem da wenig sein, betrachtet man das Umfeld. Von den sibirischen Lagern, in die er Pussy Riot stecken liess über die Gängelung der Medienfreiheit, von der Förderung der Oligarchen über das Elend der Wanderarbeiter bis hin zum vielfach geforderten Verbot der Homosexualität. Das Bündnis zwischen ökonomischem Kommerz, autoritärem Staat und zivilgesellschaftlicher Reaktion, das dürfte in Moskau fest im Sattel sitzen. Aber was stört, ist etwas anderes: der Konkurrent, der partout nicht Satrap sein will.

Putin vorzuwerfen, die Interessen eines imperial geprägten russischen Staates zu vertreten, ist jedenfalls ziemlich schräg. Das ist seine Rolle, die füllt er aus. Ohne hier den staatlichen Logiken und ihren Interessen das Wort reden zu wollen, aber warum geht man davon aus, dass gerade die in den Neunzigerjahren schwer lädierte Macht im Osten, der man etlichen Einflussbereich entzogen hat, anders zu funktionieren hätte als der Westen selbst, anders als dieser auf alle Grossmachtsansprüche verzichten sollte. Umgekehrt, das Gezeter um Sotschi als auch der Konflikt in der oder besser: um die Ukraine demonstrieren des Westens eigene grobe Absicht.

Gemengenlage

Auch die Mentalitäten sind nicht gar so unterschiedlich, wie man zu meinen hat. Wenn man etwa Peter Schröcksnadel, den mächtigen PR-Fabrikanten und ÖSV-Präsidenten in einer Person, so zuhört oder Karl Schranz, dem alten Oberrecken der Skination, dann weiss man, diese Autoritäten ticken wie Putin, sind ganz bei ihm und mit ihm, ein Herz und ein Markt. Die Gemengelage (nicht nur) in Österreich bezüglich Sotschi lässt sich wie folgt beschreiben: Ökonomisch sind wir dafür, ideologisch sind wir dagegen, politisch und medial mischen wir sie auf.

Die Frage, ob man Sotschi boykottieren soll oder nicht, ist von kaum zu überbietender Primitivität. Sich für die prorussische wie die antirussische Seite zu erwärmen, ist doch wirklich eine Zumutung. Auf dieser Achse verunglücken Diskussionen. Schon sich als Entscheidungsinstanz zu gerieren, ist eine Anmassung. Wer ist überhaupt dieses ominöse „Wir“, in das wir hier alle immer ganz selbstverständlich eingemeindet werden? Wenn es denn eine Herausforderung gibt, so eine antipatriotische. Im Kampf der Standorte hat man sich gegen den eigenen zu postieren. Vor allem in den kapitalistischen Zentren.

Vieles mag man ja beklagen, aber bitte nicht selektiv, sondern ganz generell. Gelegentlich könnte man auch in Zusammenhängen denken. Davon sind die Putin-Gegner weit entfernt. Indes, die Erzählung funktionierte auch andersrum. Man denke an Edward Snowden, da war es Putin, der diesem Asyl ermöglicht und so vor einer jahrelangen Gefängnisstrafe bewahrt hat. Putin war auch der einzige Staatsmann von Gewicht, der sich gegen die grausame öffentliche Hinrichtung Gaddafis empörte. Zu Recht. Zwar mag man ihm taktische Gründe unterstellen, aber gilt das nur für ihn? Gemeinhin wird unterstützt, was ins Kalkül passt, seien das nun Dissidenten oder Diktatoren. Man soll sich gar nichts vormachen. Davon auszugehen, dass da eine Seite lautere Gründe hat und die andere nicht, ist Unsinn. Beide Seiten versuchen ihre Sicht der Dinge wie ihre Interessen durchzusetzen. Aber warum muss man dabei mitspielen?

Franz Schandl
streifzuege.org