Wer wahrgenommen werden will, muss sich in der drogenpolitischen Diskussion ins Lager der Tauben oder der Falken schlagen. Hinter diesen Alternativen aber verschwindet nicht nur die liberale Idee, dass es Dinge gibt, die den Staat schlicht nichts angehen - beispielsweise welche Marmelade jemand gerne isst, wie warm eineR sich im Winter kleidet oder welches Rauschmittel er oder sie gerne raucht, schnupft, trinkt oder injiziert. Es verschwindet auch die materialistische Erkenntnis, dass die 2000 HeroinkonsumentInnen, die jährlich jämmerlich verrecken, nicht an der Droge zugrunde gehen, sondern an den Bedingungen, unter dem der Staat sie ihre Droge konsumieren lässt.
Drogenfreie Gesellschaften hat es erstens noch nie gegeben (und zweitens wären die kein Argument für gar nichts), doch häufig Versuche der Herrschenden, den Gebrauch bestimmter Drogen zu unterbinden. Im 17. Jahrhundert z.B. verboten verschiedene Fürsten Tabak und Kaffee, die Drogen der aufkommenden Bourgeoisie - bis hin zur Kopfgeldzahlung und Todesstrafe für die KonsumentInnen. Die modernen Drogenverbote stammen aus den Zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts, als auf den internationalen Opiumkonferenzen die bis dahin üblichen Arznei- und Genussmittel Opium und seine Abkömmlinge, Morphium und Heroin, Kokain und Cannabis verboten wurden. Was aber zunächst nicht mehr war als kaum kaschierte innerimperialistische Konkurrenzausschaltung zu Lasten des Hauptproduzenten chemisch aufbereiteter Drogen, des Kriegsverlierers Deutschland, verwandelte sich in der Folge zu einem beispiellosen Feldzug, mit dem Strafrecht den moralisch korrekten Lebensstil durchzusetzen.
Das alberne Verbot: Cannabis
Dass Drogenpolitik keine Frage der Vernunft, sondern der Gesinnung ist, zeigt am offensichtlichsten die Geschichte des Haschischverbots. In den USA von Harry J. Anslinger, später dann weltweit - und, in der sog. Single Convention von 1961, auf alle Ewigkeit - durchgesetzt, bediente es sich der Begründungen je nach politischer Opportunität. Anfangs als die "Niggerdroge" denunziert, die ihre vorgeblich rein schwarze KonsumentInnenschicht zu Aggressivität, Aufruhr und Vergewaltigung der weissen Frauen aufstachele, konnte 1972 die damalige Gesundheitsministerin Strobel zwar nicht minder rassistisch, aber doch genau umgekehrt Haschisch als Droge charakterisieren, die "unsere Jugend zu trägen Orientalen" mache. Noch 1965 bezeichnete der UNO-Drogenbeauftragte Nahas Canna-bis als gebräuchlichstes Mittel zum Freitod in Europa. Keine der Legenden über die Gefährlichkeit von Haschisch haben sich je wissenschaftlich nachweisen lassen. Doch reicht den BefürworterInnen der Prohibition der einmal ausgesprochene Verdacht auf körperliche Schädlichkeit bis heute, um das Verbot einer Substanz zu legitimieren, die seit 68 noch unter ganz anderem, schwerwiegenderen Ver-dacht steht: Symbol einer rebellischen Subkultur, die die bürgerlichen Werte ablehne, zu sein.Auf die Wissenschaft nun haben sich auch die Freigabebefürwor-terInnen mit Energie gestürzt. Statt den Anspruch des Staates, über die Gesundheit seiner BürgerInnen zu verfügen, zu hinterfragen, werden sie nicht müde, die Ungefährlichkeit ihres Krautes (und seit neuestem auch seine ökologische Wunderkraft) zu präsentieren. Und jubelten daher, als das Bundesverfassungsgericht Anfang 1994 "Jein" zu Freigabe sagte, über eine "Trendwende in der Drogenpolitik", statt zu registrieren, was wirklich geschehen war: Weil die Millionen KifferInnen allein in der BRD täglich Baudelaires Diktum, mit ihnen sei kein Staat zu machen, widerlegen; weil nur jedeR hundertsoundsovielte von ihnen erwischt wird, ohne dass diese Gesellschaft irgendwie aus dem Ruder gleiten würde, konnte die Durchsetzung eines Verbots, dass sich als unpraktikabel erwisen hatte, einstweilen zurückgestellt werden.
Gegen wen es nun mit aller Kraft gehen sollte, hatten die KifferInnenverbände selbst mehr oder minder deutlich ausgesprochen: gegen die wahrhaft gefährlichen, weil "harten" Drogen, mit denen in einen Topf Cannabis zu schmeissen der Drogenpolitik eigentlicher Fehler gewesen sei. Nicht genug damit, dass die Hänflige sich braven Untertanen gemäss darüber freuten, eine einmal genommene Freiheit als Recht (d.h. unter staatlicher Gewähr) zurückzubekommen, ist ihre Forderung nach "Trennung der Märkte" Stichwortgeber modernisierter Drogenpolitik, die die Grenzen zwischen guten und bösen Drogen neu zieht. Dass aber der öffentlichen, durch "Bild" etc. repräsentierten Meinung diese effektivere, weil konzentriertere Repression zumeist noch zu pragmatisch ist, lässt leider noch Schlimmeres als ohnehin schon fürchten für die, gegen die es nun geht: die Junkies.
Das tödliche Verbot: Heroin
Um zu verstehen, wieso das Cannabisverbot für die Betroffenen nur nervig, das Heroinverbot jedoch mörderisch wirkt, lohnt sich wiederum ein Blick in die Geschichte. Diacetylmorphin, besser bekannt unter seinem Markennamen "Heroin", wurde von Bayer 1901 lizensiert und als Hustenmittel angepriesen. Hauptsächliche Anwendung fand es, analog zu seiner Schwestersubstanz Morphium, allerdings als Schmerzmittel, und als solches wiederum in den damaligen Kriegen. So war es kein Wunder, dass insbesondere ehe-malige Soldaten, die neben der schmerzstillenden auch die euphorisierende Wirkung der Opiate kennen und schätzen gelernt hatten, Heroin und Morphium auch zu Genusszwecken konsumierten (und damit Vorreiter eines verbreiteten Vergnügens der damaligen Bourgeoisie wurden).Als integrierte und unauffällige Mitglieder der guten Gesellschaft gerieten sie alle nie in die Gefahr, als "Drogenproblem" Objekt der Diskussion zu werden, und selbst unter den Nationalsozialisten wurden abhängig gewordenen KonsumentInnen (selbstverständlich nur den deutschen, unverdächtigen) ihre Opiate vom Arzt verabreicht. Erst das 1972 verabschiedete Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) unterband diese Praxis der Opiatverschreibung; inzwischen war nämlich, im Dunstkreis der experimentierfreudigen 68erInnen, ein neues, vornehmlich subproletarisches GebraucherInnenmilieu entstanden, das, anders als früher, zu Rezeptfälschungen, Apothekeneinbrüchen o.ä. griff, um an die begehrten Substanzen heranzukommen. Mit diesem Einschnitt begann die Produktion der "Junkies", d.h. jener verelendeten HeroinkonsumentInnen, wie wir sie aus "Bild", "Stern" und der Bahnhofsgegend kennen.
Exkurs I: Wie wirkt Heroin?
Heroin ist chemisch den (körpereigenen) Endomorphinen eng verwandt und bewirkt genau wie diese Schmerzbetäubung und Euphorisierung - weshalb Opiate als Schmerzmittel für schwere Fälle therapeutisch weiterhin unübertroffen sind. Korrekt dosiert, treten neben allgemeinem Wohlgefühl allerhöchstens Verstopfung und (bei den ersten Applikationen) Übelkeit auf; selbst bei chronischem Gebrauch entstehen keine irreversiblen körperlichen Störungen. Gefährlich wird es allein bei Überdosierungen, bei denen es zu Atemstillstand kommen kann (wie plastisch in "Pulp Fiction" zu sehen war).Die körperliche Abhängigkeit von Heroin entsteht ebenso aufgrund der Endorphin-Ver-wandschaft. Bei fortgesetztem, regelmässigen Konsum wird die Sensibilität der von Opiaten dauerhaft besetzten Endorphinrezeptoren schwächer (To-leranz), so dass die Dosis erehöht werden muss. In der Praxis pendeln sich Junkies bei "ihrer" Dosis irgendwann ein. Bei Absetzung der Opiatzufuhr kommt es zu überschiessender Enzymaktivität, die sich phänomenologisch in den bekannten Entzugserscheinungen, vergleichbar den Symptomen einer starken Grippe (Schüttelfrost, starke Gliederschmerzen usw.). Für die Betroffenen ist dieser einige Tage andauernde Zustand zwar äus-serst unangenehm, nicht jedoch, wie dies beim Alkoholentzug sein kann, lebensbedrohlich (ohnehin lassen sich genügend Unterschiede zwischen den idealtypischen Verlaufsformen körperlicher Alkohol- und Heroinabhängigkeit beobachten, so dass man nicht von dem einen aufs andere schliessen kann, wie es häufig getan wird).
Wann genau die körperliche Abhängigkeit eintritt, hängt von Intensität des Konsums ebenso ab wie von der allgemeinen physischen und psychischen Verfassung; wie überhaupt die Rückwirkung der psychischen Verarbeitung des Opiatkonsums auf die phy-siologischen Vorgänge kaum untersucht ist. Angesichts der niedrigen Reinheit des Strassenheroins z.B. gibt es für viele Junkies längere Perioden ohne Opiatzufuhr, ohne dass sie es wissen und das Gefühl hätten, "auf Turkey" zu sein.
Für OpiatgebraucherInnen ist der Tod auf der Bahnhofstoilette, anders als das Gerede von der "Killerdroge Heroin" uns weismachen will, keineswegs vorgezeichnet. Wer, wie früher die ÄrztInnen, ApothekerInnen und Soldaten, Zugang zu reinem und korrekt dosierbarem Heroin besitzt, hat beste Ausichten, bis ins hohe Lebensalter von seinem oder ihrem Heroinkonsum keinen Schaden davon zu tragen. Auch heute zeugen diejenigen UserInnen, die gutsituiert und mit Zugang zu gutem Stoff einen unauffälligen Lebenswandel pflegen und deren Anteil auch an den abhängigen HeroingebraucherInnen nach allen Schätzungen weit mehr als die Hälfte ausmachen dürfte, von dieser Möglichkeit eines risikoarmen Umgangs mit ihrer Lieblingsdroge.
Für jene Junkies aber, die, gerade weil sie im Dunkeln stehen, man so deutlich vor Augen hat, wurde Heroin erst zum gesundheitlichen Problem, als der Staat per Verbot in die Konsum-bedingungen eingriff und statt eines legalen Marktes einen Schwarzmarkt schuf. Als Abhängige darauf angewiesen, jeden Preis zu zahlen, müssen sie unter dem Verdikt der Illegalität das Hundert- bis Tausendfache des Produktionspreises für die Shore hinblättern, und wer sich es auf anderem Wege nicht leisten kann, ist verwiesen aufs Stehlen, Dealen und Anschaffen (und damit auch auf eine doppelte Kriminalisierung). Meist reicht das Geld nur noch fürs Heroin, für ausreichende Nahrung oder gar - schlimmster, leider nicht seltener Fall - auch für die Wohnung nicht mehr. Auf ärztliche Versorgung muss schon allein aus Angst vor Entdeckung des Drogenkonsums und den damit verbundenen Konsequenzen verzichtet werden.
Der solcherart ausgemergelte Körper aber verträgt weder einen möglichen allergischen Schock auf die dem Strassenheroin, dessen Reinheitsgrad in Grossstädten unter 10% liegt, zugesetzten Streckmittel noch die wegen dessen schlechter Qualität zur Wirkungsverstärkung konsumierten Psychopharmaka. Allergrös-stes Risiko birgt ironischerweise allzu reines Heroin, dessen Qualität unterschätzt und das deshalb irrtümlich überdosiert wird. Und wer, im Knast z.B., wo Spritzentausch noch immer kategorisch verboten ist - wohl um das Problem der Überbelegung zu lösen -, keinen Zugang zu reinem Spritzbesteck hat, lebt ständig in der Gefahr, sich beim "needle-sharing" AIDS oder Hepathitis zuzuziehen. Über tausend Junkies jährlich lässt die Prohibition verrecken; schliesslich dient ihr Schicksal, so der frühere Bundesdrogenbe-auftragte Franke offen, als abschreckendes Beispiel.
Neben diesem staatlich verordnetem gesundheitlichen Verelendungsprogramm sind Junkies unzähligen anderen Angriffen auf ihre Menschenwürde ausgesetzt: Sie werden aus Familie, Job und Schule herausgeschmissen und zu Cleantherapien gezwungen, die mehr Gehirnwäschen gleichen und denen Junkies immer häufiger den Knast vorziehen. Ihnen wird fast prinzipiell das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen, und drogenabhängige Prostituierte, noch rechtloser als ihre (ohnehin schon diskriminierten) KollegInnen, werden bevorzugt von Freiern vergewaltigt oder abgelinkt. Und nicht zu vergessen die ständig drohende oder erlittene Verknastung - mehr als 50% der bundesdeutschen Gefangenen werden dieser brutalen Praxis wegen Drogenkonsums oder Beschaffungskriminalität unterzogen. Und der einzige soziale Zusammenhalt, die die Gesellschaft den Junkies zuweist, die Szene, wird ständig von Staatsknechten auseinandergeknüppelt.
Das sauberere Verbot: Methadon
Gegen diese Zustände gibt es seit Mitte der 80er Jahre eine Protestbewegung aus den Betroffenen selbst, aus mit dem Problem konfrontierten SozialarbeiterInnen und aus kritischen WissenschaftlerInnen. Ihrer Arbeit ist es zu verdanken, dass in der öffentlichen Diskussion vermehrt über Alternativen zur Prohibition nachgedacht wird. Was davon bisher - hauptsächlich unter sozialdemokratischer Regie - politische Praxis geworden ist, trägt den Namen Methadon und ist nun weniger Alternative denn Wei-terentwicklung des Bestehenden.Die staatliche Vergabe von L-Pola-midon oder Methadon an ausge-wählte besonders Verelendete mag manchen von diesen vor dem Tod bewahrt haben. Wer sich aber fragt, warum nun nicht gleich die - abgesehen von der Depotdauer - pharmakologisch vom Methadon kaum unterscheidbare Droge Heroin verabreicht wird, verkennt den ideologischen Impetus der Politik. Ihr geht es weiter um die Kontrolle, freilich um die effektivierte: Die Junkies stehen nun nicht mehr unter der willkürlichen Aufsicht der Polizei, sondern unter der dauerhaften des Gesundheitsapparates, von der er tagtäglich abhängig ist, ständig überprüft wird und durch Runterdosierung oder Rausschmiss bestraft werden kann. Dass beim Methadon der "Kick" fehle, wie zur Unterscheidung angeführt wird, (auch wenn es in Wahrheit mehr mit der Applikationsform Trinken - im Unterschied zum Injizieren - als mit der Substanz zu tun hat), verweist darauf, dass weiterhin den Heroingebraucher-Innen die Selbstbestimmung abgesprochen wird.
Ihr gewähltes Genussmittel soll durch ein Medikament substituiert, sie selbst weiterhin als abnorm behandelt werden - bloss nicht mehr als kriminell, sondern als krank. An diesem Paradigma würde auch die von Hamburg und Frankfurt beantragte ärztliche Heroinvergabe nichts ändern - welche Zigarettenraucher-Innen hätten schon Lust, ihre Lieblingsdroge nur unter medizinischer Aufsicht zu geniessen? Kein Wunder ist es da, dass die Methadonmusterstädte Frankfurt und Bremen sich zugleich durch brutale polizeiliche Übergriffe auf offene Junkieszenen auszeichnen, denn zur Einsicht, krank zu sein, bedarf es manchmal erst der Entscheidungshilfe durch den Knüppel.
Solange Methadonprogramme für viele Junkies die einzige Überlebenshoffnung ist, solange manche von ihnen, wie in Bayern, sich in ihrer Verzweiflung HIV-positives Blut spritzen, um in den Genuss staatlicher Drogenabgabe zu gelangen, solange ist die Medizinalisierungslogik zwar zu kritisieren, gegen ihre Angriffe von Konservativen oder - wie in Hamburg - gegen Krankenkassen, denen sie schlicht zu teuer wird, zu verteidigen. Wer dabei aber vergisst, dass sie mit dem Ziel eines menschenwürdigen Lebens für Heroin-gebraucherInnen nichts zu tun hat, tappt genau in die Falle, in der Teile der Bewegung für akzeptierende Drogenarbeit schon heute stecken: Im Bestreben, der Herrschaft die Ausweitung der Methadonprogramme schmackhaft zu machen und den eigenen, durch die Eckdaten der Repression bestimmten Arbeitsalltag erträglicher zu gestalten, zerbrechen sie sich den Kopf bloss noch darüber, wie die Substitution kontrollierter und reibungsloser - und damit auf dem Rücken der Betroffenen - ablaufen könnte.
Der angstfreie Rausch: die Freigabe
Junge Linke fordert stattdessen die Freigabe aller derzeit kriminalisierten Rauschmittel und ihre Abgabe in lizensierten Drogenläden, in denen nicht die KonsumentInnen, wohl aber die Qualität und Preise der Waren der Kontrolle unterliegen. Dass es dann zu einem Drogenboom käme, bezweifeln wir; Erfahrungen mit der Legalisierung von Alkohol in den USA, von Haschisch in den Niederlanden belegen eher das Gegenteil.Unser Anliegen ist jedoch auch nicht das, dass möglichst wenige (oder auch möglichst viele) Drogen nehmen; unser Anliegen ist, dass denen, die sich berauschen wollen, dies unter Bedingungen möglich ist, die frei sind von Verfolgung, Vereinzelung und erzwungener Selbstschädigung. Und für alle nicht weiter behandelten Drogen wie LSD oder Kokain wie für jene phantastisch gefährlichen neuen Bedrohungen unserer Jugend, Crack beispielsweise oder sogenannte "synthetische Drogen", die die Herrschaft als Rechtfertigung der Drogenpolitik an die Wand malen mag, wenn ihr im Falle des Heroins die Argumente ausgehen, gilt: Nirgendwo hat eine Prohibition die Ver-breitung dieser Substanzen zu verhindern mögen, wohl aber die Bedingungen für ihren möglichst gesundheitszuträglichen wie lustvollen Gebrauch. Der Staat als Wächter über die guten Sitten scheitert schon an seinem eigenen Anspruch, wird er denn wörtlich genommen.
Exkurs II: Werden nach der Freigabe nicht alle abhängig?
Studien u.a. der DEA, der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde, zeigen, dass es kaum Bedürfnis nach Heroin ausserhalb der heutigen KonsumentInnenkreise gibt; und Heroin ist für die, die gerne wollen, sowieso problemlos erwerbbar. Wer Heroin nach der Freigabe aus Neugier probieren will, läuft (s.o.) keine Gefahr, vom "ersten Mal süchtig" zu werden (wer's nicht glaubt, kann's ausprobieren); und andersherum zeigen Studien, dass die, die heute abhängig sind, sich dessen auch bei ihrem ersten Snief oder Schuss bewusst waren und ihren Lebensstil dennoch so wählten.Auch bei regelmässigem Heroinkonsum muss es nicht zur Abhängigkeit kommen: Der amerikanische Wissenschaftler Harding wies 1981 nach, dass mehr als 40% der US-HeroingebraucherInnen nicht abhängig sind, sondern ihren Konsum nach Ritualen, bestimmten Anlässem oder schlicht nach Lust und Laune wählen. Vergleichbare deutsche Studien weisen ebenso auf diese Möglichkeiten hin und auf die Bedingungen, die damit verknüpft sein müssen: je besser die materielle Lage, je integrierter die KonsumentIn-nen in ihr soziales Umfeld sind, je höhere Chance sie haben, ihren Gebrauch mit anderen zu reflektieren und je häufiger sie auch in nicht drogenvermittelten Zusammenhängen verkehren, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit eines nichtabhängigen Konsums.
Gleiches gilt für die Möglichkeit eines selbstgewählten Ausstiegs ("maturing out") aus dem Heroinkonsum - im übrigen die häufigste Form des Ausstiegs, weit erfolgreicher als jede (Zwangs-)Therapie. Und genau diese Bedingungen sind für viele Junkies in der BRD, die in ständiger Verelendung, in Angst vor Repression und davor, abgelinkt zu werden, leben und deren Tagesablauf wie soziales Umfeld zwangsweise durch den Erwerb der Droge bestimmt sind, alles andere als gegeben. Nach der Freigabe könnte sie dies aber sein. Wer trotzdem lieber keinen mittelständischen Musterjunkie abgeben will, wird sich dann andere randständige Existenzformen suchen müssen.
Wir wissen, mit dieser Forderung nicht nur in guter Gesellschaft uns zu befinden. Neoliberale Ökonomen wie Milton Friedmann unterstützen die Legalisierung, um unnötige gesellschaftliche Kosten zu sparen - neben denjenigen Kosten, die durch Beschaffungskriminalität und Repression entstehen, auch die unproduktiven für Firlefanz wie Gesundheitsversorgung für die Überflüssigen, zu denen dann auch die DrogenkonsumentInnen gehören würden, die nach der Legalisierung noch meinen, ein Problem mit ihrem Drogenkonsum zu haben. Wir wissen (anders als die HanflobbyistInnen) auch, dass mit der Legalisierung kein goldenes Zeitalter anbrechen würde, sondern dass die Freigabe unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen keine "Utopie", sondern eine schlichte Notwendigkeit darstellt.
Dass die gleichen gesellschaftlichen Bedingungen diese Notwendigkeit zugleich so unwahrscheinlich wie noch die romantischste Utopie machen, mag damit zusammenhängen, dass die Prohibition genauso mörderisch wirkt, wie sie eben wirkt: Dass ein jedeR sein einzelnes, unter dem Diktat der Kapitalverwertung völlig unerhebliches und austauschbares Leben damit adeln kann, im Unterschied zu den Junkies wenigstens nicht auf der Bahnhofstoilette zu verrecken. Dass es so kommen muss, wenn man die Ekstase und nicht die Arbeit heiligt. Und dass jeder tote Junkie, egal wie sehr man, als er noch lebte, seiner Abstrafung Beifall spendete, dem Kollektiv als Anlass dient, enger zusammenzurücken und die "zwischenmenschliche Kälte" folgenlos bejammern zu können, um dann zur verschärften Verfolgung der "gewissenlosen Dealer" aufzustacheln. Doch das ist ein anderes Kapitel, das wohl "Revolution" zu betiteln wäre.