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Drogenwirtschaft: Betrieb mit besonderen Geschäftsbedingungen

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Drogenwirtschaft Betrieb mit besonderen Geschäftsbedingungen

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Gesellschaft

Ein Gespräch der Zeitschrift Phase 2 mit der Gruppe jimmy boyle (Berlin) über die Drogenwirtschaft im Verhältnis zur kapitalistischen Ökonomie.

Von der US-Drogenpolizei beschlagnahmte Kokainpakete.
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Von der US-Drogenpolizei beschlagnahmte Kokainpakete. Foto: F3rn4nd0 (PD)

Datum 28. Februar 2013
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Phase 2: Ihr bezeichnet Euch selbst als nationalismus- und kapitalismuskritische Gruppe. Dass Ihr Euch mit der politischen und ökonomischen Dimension von Drogen beschäftigt, erscheint da erst einmal nicht so naheliegend. Bedient Ihr hier ein Bedürfnis Eurer Zielgruppe – etwa, wenn Ihr im Rahmen der Veranstaltungsreihe agitare bene ein Seminar zu Drogen auf dem Fusion Festival anbietet? Geht es Euch darum, den Drogenkonsum zu politisieren oder gar zu kritisieren?

jimmy boyle: Weder noch. Wir versuchen, uns ein Thema zu erklären und die Antworten, die wir gefunden haben, auf verschiedenen Ebenen öffentlich zur Diskussion zu stellen. Ein Diskussionsformat hierfür ist agitare bene. In Berlin findet die Veranstaltung jeden ersten Dienstag in der Erreichbar statt. Dabei ist es uns wichtig, mit den dort Anwesenden ins Gespräch zu kommen, gemeinsam mit ihnen Argumente auszutauschen. Deshalb halten wir auch ungern stundenlange Vorträge. Uns geht es darum, uns und anderen die grundlegenden Funktionsprinzipien dieser Gesellschaft zu erklären. Die besonderen Themengebiete wählen wir nach eigener Interessenlage oder nach politischer Aktualität aus. Gleichzeitig bieten wir Einführungsseminare zum Beispiel zum Marx'schen Kapital an.

Wir fassen Drogen als stoffliche Substanzen, die sich verändernd auf Verhalten und Bewusstsein auswirken. Sie werden von fast allen Leuten in unserer Gesellschaft konsumiert, gelten vielen Menschen als Genussmittel. Auch deshalb wird mit Drogen viel Geld gemacht. Gleichzeitig werden die meisten Substanzen durch den Staat verboten. Die meisten Verbote entbehren wiederum einer medizinisch-fundierten Grundlage. Hier tun sich einige Widersprüche auf. Erklärt man sich diese, stösst man auf die grundlegenden Funktionsweisen unserer Ökonomie, des Staates und der entsprechenden Ideologien. Wir haben das Thema Drogen aus drei Perspektiven betrachtet: Erstens interessieren wir uns für die Funktionsprinzipien des Drogengeschäfts und für die Unterschiede wie Gemeinsamkeiten im Vergleich mit der ganz legalen Wirtschaft.

Wir fragen zweitens nach den Interessen des Staates bei der Drogenpolitik: Wieso interessiert den Staat, wie die Einzelnen in ihren Stoffwechsel eingreifen und wie sie ihr Bewusstsein stimulieren? Was lässt sich hier über das Verhältnis von Staat und einzelnen Individuen sagen? Wie lässt sich eine Drogenpolitik zwischen Repression und Toleranz erklären: Sanktionen und der Appell zur Freiheit und Selbstmanagement als zwei Methoden, die der Staat anwendet, um die Leute dahin zukriegen, wo er sie haben will. Warum und in welchen Fällen interessiert sich der Staat für die Gesundheit seiner Bevölkerung? Drittens interessieren uns die Gründe der Menschen, Drogen zu nehmen – hat Drogenkonsum mit Subversion und Kritik zu tun, oder doch mehr mit dem Versuch, sich in den so gar nicht berauschenden Verhältnissen einzurichten?

Phase 2: Kommen wir auf die ökonomische Dimension von Drogen zu sprechen. Ist eine Droge für Euch eine Ware wie jede andere oder doch ein so besonderes Produkt, dass von einer spezifischen Drogenökonomie gesprochen werden muss?

jimmy boyle: Substanzen wie Alkohol, Tabak oder Tee werden legal produziert und vertrieben. Ähnliches gilt für verschiedene Drogen, die nur für beschränkte medizinische Zwecke zugelassen sind. Hier gibt es daher keinen Unterschied zu den anderen Waren. Wir konzentrieren uns in unserer Arbeit jedoch auf die illegalisierte Drogenökonomie. Unsere These ist es, dass das illegalisierte Drogengeschäft erst mal nach denselben grundlegenden Prinzipien funktioniert, wie jedes andere Geschäft auch. Auch hier werden Waren produziert, allein zum Zwecke des Geldverdienens und überwiegend der Geldvermehrung. Menschliche Bedürfnisse sind nur das Mittel, um diesen Zweck realisieren zu können. Nur wenn ein zahlungskräftiges Bedürfnis existiert, werden die entsprechenden Produkte auch hergestellt, egal welchen Nutzen das Produkt hat. Dass diese Art von Waren auf dem Schwarzmarkt verkauft wird und nicht in der Apotheke, macht dabei erst mal keinen Unterschied. Besonderheiten ergeben sich erst durch die zusätzlichen Geschäftsbedingungen.

Schaut man sich die Produktions- und Distributionsketten an, so lassen sich dort alle Formen der kapitalistischen Produktionsweise finden: Auch hier wird Kapital eingesetzt zum Zwecke seiner Vermehrung über den Kauf von Boden, Maschinen und Arbeitskräften. Insofern ist auch hier das Kapital auf Menschen angewiesen, die über keine anderen Mittel als ihre Arbeitskraft verfügen. Der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist auch dort vorhanden. Dass riesige Mengen an Geld im Spiel sein müssen, um in diesem Geschäft erfolgreich zu sein, sieht man schon daran, dass beispielsweise grosse Mengen von Kokain mit U-Booten über die Grenzen geschafft werden.

In diesem Bereich entscheidet also auch die Verfügung über die entsprechenden Mittel, wer welche Rolle in der Produktion spielt. Übrigens: Das persönliche Vermögen der ehemaligen Bosse des Medellín-Kartells in Kolumbien wird auf über 1,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Neben dieser im grossen Stil organisierten Produktion und Distribution existieren auch die zahlreichen Kleinunternehmer_innen, also Menschen, die sich für ihr angespartes Geld versteckte Labore einrichten und dort selbst die jeweilige Substanz für den Markt herstellen. Oder »Freelancer« die sich über das Drogengeschäft ihr Überleben sichern, indem sie ihre Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Alle Beteiligten verfolgen dabei dasselbe Ziel. Es ist also erst einmal festzustellen, dass hier alle grundlegenden Prinzipien der kapitalistischen Produktionsweise gelten. In diesem Sinne ist das Drogengeschäft nur ein Teil der Gesamtökonomie.

Phase 2: Ihr sprecht von »besonderen Geschäftsbedingungen«. Also seht Ihr doch Unterschiede der Drogenökonomie zum »normalen« kapitalistischen Betrieb?

jimmy boyle: In den meisten Staaten sind die Herstellung und der Handel von vielen psychoaktiven Substanzen verboten beziehungsweise ist deren Gebrauch zu medizinischen Zwecken stark eingeschränkt. Dies hat für das Drogengeschäft drei Konsequenzen: Erstens können alle Beteiligten nicht mehr auf die Gewalt des Rechtsstaats zur Durchsetzung ihrer gegensätzlichen Interessen zurückgreifen, sondern nehmen dies nun selbst in die Hand, abhängig von den Mitteln über die sie verfügen. Ein Beispiel: In der legalen Produktion garantiert der Staat durch das Privateigentum die ausschliesslich private Verfügung über die hergestellten Güter. Die dazu nötige staatliche Gewalt steht den am Drogengeschäft Beteiligten nicht zur Verfügung. Im Gegenteil. Dennoch entscheidet weiterhin das Verfügen über die Mittel, inwieweit der_die Einzelne am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren kann. Daher wird es notwendig, die sich im eigenem Besitz befindlichen Drogen selbst zu schützen und das Einhalten von Verträgen abzusichern. Und da wird mit harten Bandagen gekämpft. Wie übrigens auch die Staatsmacht mit harten Bandagen die als normal geltenden Rechtszustände durchsetzt.

Die Gewalt des Staates steckt ja schon in jedem legalen Geschäft; in der zweiten besonderen Bedingung des illegalisierten Drogengeschäfts wird sie lediglich leichter sichtbar: Der jeweilige Staat versucht, mit seinen Repressionsorganen das Geschäft zu unterbinden. Auch dagegen müssen sich die Produzent_innen wappnen. Drittens ist es in der legalen Wirtschaft durch die staatliche Gewalt verboten, mit privater Gewalt die Konkurrenten auszustechen. Das dürfen die legalen Unternehmen nur mit ihren Waren machen, zum Beispiel indem sie diese zu Dumpingpreisen anbieten. Im illegalisierten Geschäft dagegen kann das Konkurrenten-Ausstechen durchaus buchstäblich praktiziert werden. Der Markt wird nicht einfach nur mit den Waren erobert, sondern es werden handgreiflich bestimmte Verkaufsgebiete für sich beansprucht oder dem Konkurrenten abgenommen. Auch dieser Punkt sollte nicht verstanden werden im Sinne von »zum Glück gibt es den Staat«. Vielmehr machen die Handgreiflichkeiten im illegalisierten Geschäft anschaulich, wie viele Gegensätze in jedem Geldgeschäft, also auch im legalisierten, stecken.

Wie und ob es den Einzelnen gelingt, mit diesen Konsequenzen zurechtzukommen, hängt wiederum davon ab, über welche Mittel sie verfügen. Ein Strassenverkäufer in Berlin, den der deutsche Staat als Nicht-Staatsangehöriger klassifiziert und vom Arbeitsmarkt ausschliesst, ist in ganz anderer Qualität von staatlichen Repressionen betroffen als eine linke Szenestudentin mit deutschem Pass, die sich nebenbei was dazu verdient. In der Berliner Hasenheide werden zum Beispiel gezielt rassistisch markierte Menschen überwacht, gefilzt und verhaftet. Für Nicht-Staatsangehörige kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben. Dagegen steht ein Mensch, der_die als weiss gilt, nicht unter Generalverdacht. Selbst wenn er oder sie beim Drogenhandel erwischt wird, sind die strafrechtlichen Konsequenzen nur schwer zu vergleichen mit einer möglichen Abschiebung.

Phase 2: Mit Blick auf die Produktions- und Distributionsbedingungen: Macht es überhaupt Sinn, von DER Drogenindustrie zu sprechen? Die Pillenproduktion in Osteuropa beispielsweise funktioniert augenscheinlich nach völlig anderen Prinzipien als die der rohstoffbasierten Drogen wie Kokain. Synthetische Drogen bedürfen keines Rohstoffanbaus, Produktionsort und Absatzmarkt liegen häufig beisammen. Bei Koks und Heroin sieht das anders aus. Könnt Ihr etwas zu den unterschiedlichen Folgen, politisch, ökonomisch und sozial, sagen?

jimmy boyle: Die Prinzipien sind dieselben: kapitalistische. Die Herstellung von Drogen ist immer rohstoffbasiert. Auch bei Koks und Heroin liegen Produktionsort und Absatzmarkt manchmal nah beieinander. Was sich unterscheidet sind vor allem die Herstellungsprozesse. Die Trennung, die Ihr hier aufmacht, erscheint uns daher künstlich. Die Dimensionen des Drogengeschäfts hängen weniger damit zusammen, ob die jeweilige psychoaktive Substanz pflanzliche oder chemische Rohstoffe benötigt oder wie nah der Produktionsstandort sich am Absatzmarkt befindet. Auch ändert dies nichts an den ökonomischen Prinzipien, wonach eine Ware überhaupt erst hergestellt oder verkauft wird. Wir sprechen auch nicht von der Drogenindustrie sondern vom Drogengeschäft, was unter anderem verdeutlichen soll, dass hier auf unterschiedliche Weise Geld vermehrt wird. Das Geschäft wird von verschiedenen Privatleuten betrieben, die je nach örtlichen Gegebenheiten die Produktion organisieren. Die Kokainherstellung findet meist in verborgenen Laboren statt und nicht in einer grossen Fabrikanlage, ähnlich der Pillenproduktion in den Niederlanden oder Osteuropa. Allerdings haben bestimmte Regionen für die Produktion von pflanzlichen Rohstoffen Standortvorteile.

In den Medien werden dem Drogengeschäft oft verschiedene besondere Härten angehangen. So gilt es als Skandal, dass ganze Regionen oder Staaten von der Produktion von psychoaktiven Substanzen abhängig geworden sind. Oder es wird behauptet, dass diejenigen, die auf der untersten Stufe stehen, »besonders« ausgebeutet werden. Zum Ersteren ist zu sagen: Auch bei der Herstellung von beispielsweise Kakao oder Palmöl entscheidet das Geschäft über das Überleben von vielen Menschen in der jeweiligen Region. Hier interessieren nur die Weltmarktpreise, die mit dem jeweiligen Produkt zu erzielen sind. Die werden an den Rohstoffbörsen festgelegt und nicht, wie bei Drogen, auf dem Schwarzmarkt. In beiden Fällen gehen die Gewinne dann an eine kleine Gruppe von Geschäftsleuten und die landwirtschaftlichen und sonstigen Zuarbeiter_innen erhalten die ortsüblichen Hungerlöhne. Nicht die Drogenherstellung sorgt für die Produktionsverhältnisse, die ganze Landstriche abhängig macht von der Produktion von Rohmaterialien, sondern das weltweite Prinzip der Geldvermehrung.

Zur konkreten Verteilung des Geldes: Allgemein gilt jede Arbeitskraft als Kostenfaktor, der möglichst gering zu halten ist, damit ein möglichst grosser Gewinn abfällt. Wenn in einem Land Bedingungen herrschen, die es zulassen, Arbeitskräfte für einen geringen Lohn arbeiten zu lassen (der vielleicht noch nicht mal zum Leben reicht) dann werden dies Unternehmen im Sinne der verbesserten Geldvermehrung auch tun. Menschenschinderei unter extremen Bedingungen oder der Einsatz von Pestiziden auf Bananenplantagen entsprechen der Logik des Kapitals, auf möglichst viel Arbeitsleistung zugreifen zu wollen und dabei die Kosten möglichst gering zu halten. So gesehen nimmt das Drogengeschäft wie jedes andere Geschäft soziale und ökologische Schäden in Kauf. Dies sind dann keine Folgen der Illegalisierung, sondern des ganz normalen kapitalistischen Alltags.

Phase 2: Welche konkreten Folgen hat dann die Illegalisierung von Drogen?

jimmy boyle: Auf der Ebene der Konsument_innen hat die Illegalisierung verschiedene Folgen. Unter anderem gibt es kaum Möglichkeiten, sich über die Qualität der jeweiligen Substanz zu vergewissern. Gerade bei Heroinkonsument_innen kann dies zum Tode führen. Ein weiteres Problem stellt die unterlassene Forschung auf dem Gebiet der Nebenwirkungen von psychoaktiven Substanzen und deren Wechselwirkung mit anderen Medikamenten dar. Hier bleibt häufig nur der Selbstversuch.

Alle am Geschäft Beteiligten sehen sich einer ständigen Bedrohung ausgesetzt. Das führt zu verschiedenen Konsequenzen. Oben wurde ja bereits angesprochen was passiert, wenn der Staat mit seiner Gewalt der Geschäftswelt nicht mehr zur Verfügung steht. Ohne Ordnungs- und Aufsichtsinstanzen sind Geschäfte aber nicht zu machen. Die auch in diesem Bereich herrschende Konkurrenz, das Gegeneinander-tätig-werden, wird nicht mehr über das bürgerliche Rechtssystem geregelt. Die Geschäftsleute nehmen das nun selbst in die Hand. Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen die Branche ist, dass im Drogengeschäft besonders viel Brutalität oder besonders viele Drogentote zu verzeichnen sind. Das wird dann damit erklärt, dass die Drogengangster besonders gewissenlose Gesellen seien und Drogen nun mal tödlich sind. Die staatlichen Repressionen erscheinen dann als notwendig, um dem besonderen Übel beizukommen. Diese Inszenierung des Staates als »Dienstleister« zum Wohle einer vorgestellten Allgemeinheit gehört zu jeder nationalen Staatsideologie.

Phase 2:Ist das nicht zu undifferenziert – ist die Brutalität mit der die Auseinandersetzungen, beispielsweise im mexikanischen, so genannten Drogenkrieg, wirklich erschöpfend als Folge der staatlichen Repression erklärbar?

jimmy boyle: Menschen werden in diese Verhältnisse reingestellt und vom bürgerlichen Recht als Eigentümer definiert. Das heisst dann, unabhängig davon ob Du wenig oder viel besitzt – im Prinzip ist jede_r Eigentümer_in über sich selbst und muss zusehen, wie er_sie an Geld kommt. Die Rechtsordnung zwingt dazu, die verfügbaren Mittel für den Gelderwerb einzusetzen. Hier setzt der Staat die Bedingungen, wie Menschen ihre Bedürfnisse überhaupt erst befriedigen können. Alle versuchen nun, mit ihren jeweiligen ökonomischen Mitteln, sich ihren Anteil am Reichtum der Gesellschaft zu sichern. Das geht zwingend auf Kosten der Anderen, die genau dasselbe tun. Der Staat erzwingt also die Konkurrenz, auf der der Kapitalismus basiert, und regelt sie gleichzeitig über sein Gewaltmonopol. Die Brutalität entsteht also doch schon an der Stelle, wo Menschen in der Verfolgung ihrer Interessen sich wechselseitig die Teilnahme am gesellschaftlichen Reichtum streitig machen.

Mit welchen Mitteln dieser Kampf zwischen den Einzelnen geführt wird, hängt unter anderem davon ab, inwieweit der jeweilige Staat in der Lage ist, die Konkurrenz zu regeln. Das Beispiel Mexiko zeigt, dass der Staat mitunter sogar Gefahr läuft, seine Souveränität an einigen Stellen zu verlieren. Es ist nur logisch, dass er versucht, sie mit allen Mitteln zu verteidigen. Dies ist übrigens auch der Grund, warum die jeweiligen Funktionsträger_innen überhaupt auf die Idee kommen, die Drogenproduktion zu legalisieren.

Phase 2: Im Drogengeschäft zu arbeiten, ist mit hohen Risiken verbunden. Warum gehen Leute dieses hohe Risiko eigentlich ein und wer verdient dabei wie viel?

jimmy boyle: Das materielle Überleben und Wohlergehen jedes Einzelnen ist abhängig davon, ob er_sie über die nötigen Mittel verfügt, um auf die von ihr_ihm getrennten Waren zugreifen zu können. Dass Menschen auf die Idee kommen, Geschäfte zu betreiben, die ihnen viel Geld versprechen, trotz der Risiken, die damit verbunden sind, ist daher nicht weiter verwunderlich. Die höheren Profitraten können erzielt werden, da die Illegalisierung den Ausgleich der Profitraten, wie er in legalen Geschäftszweigen gang und gäbe ist, abbremst. Risikobereitschaft übersetzt sich so in höhere Verdienstmöglichkeiten. Die Einzelnen überschreiten zwar den durch den jeweiligen Staat gesetzten Rahmen ihrer ökonomischen Handlungsfreiheit, handeln ansonsten aber weiterhin nach allen durch den Staat in die Welt gesetzten Prinzipien. Zum anderen hängt die Bereitschaft, die höheren Risiken des Drogengeschäfts einzugehen auch davon ab, welche anderweitigen Möglichkeiten es jeweils gibt, um an die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung heranzukommen. Hat jemand verschiedene Möglichkeiten, seine_ihre Arbeitskraft zu verkaufen, wird er_sie sich den Arbeitgeber suchen, der das »beste« Angebot macht. So kann es sich für die Bäuer_in in den Anden viel mehr »lohnen«, für ein Drogenkartell zu arbeiten als beispielsweise Mais anzubauen. Anders ist das noch einmal bei Menschen, denen durch ihre Einsortierung durch den Staat als Nicht-Angehörige generell der Zugang zum Arbeitsmarkt verweigert wird. Sie werden auch zu einem geringen Preis und zu einem hohen Risiko bereit sein, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Wer wie viel am Drogengeschäft verdient, hängt von der jeweiligen Position innerhalb der Produktions- und Vertriebskette ab. Am Beispiel des Kokains: Die Kleinbauern in Kolumbien erhalten für einen mittleren Coca-Hektar-Ertrag ca. 3.000 US-Dollar pro Jahr, der durchschnittliche Ernteertrag liegt bei ca. einer Tonne Coca-Blätter pro Hektar. Zur Herstellung von einem Kilogramm Kokain braucht man ca. 125 Kilogramm bzw. 500 Kilogramm Coca-Blätter, je nach Wirkstoffanteil. Die Kleinbauern stehen auf der Stufenleiter ganz unten. Vergleicht man jedoch die Einkünfte, die sie erhalten, wenn sie Kaffee, Blumen oder Mais anbauen würden (im Durchschnitt 800 US-Dollar pro Hektar), haben sie ein »gutes« Auskommen. Auf der nächsten Stufe stehen die Besitzer_innen der Coca-Pasten-Produktion. Die besitzen meist auch selbst Land, auf dem sie Menschen arbeiten lassen.

Ein Kilogramm von dieser Paste bringt der_dem Besitzer_in in Lateinamerika ca. 20.000 US-Dollar ein, im Grosshandel der USA ist das Kilogramm reines Kokain dann für 60.000 US-Dollar zu haben. Den Export und die Gesamtorganisation der Produktion übernehmen die lateinamerikanischen Drogenkartelle. Für den Endverbrauch wird das Ganze meist um das zehnfache gestreckt, das macht dann einen Verkaufswert von 600.000 US-Dollar. Nach Schätzungen verbleiben 80 Prozent der Kokainprofite in den Verbraucherländern und gelangen dort in den Wirtschaftskreislauf, wohingegen nur fünf Prozent in den Produzentenländern verbleiben. Das heisst also, dass die in den USA und Europa mit dem Handel beschäftigten Kartelle das meiste Geld verdienen. Diejenigen, die über das notwendige Kapital verfügen, um den Vertrieb zu organisieren und sich entsprechend die dafür benötigten Arbeitskräfte kaufen können, werden dort den Hauptgewinn einstreichen. Die Zahlen sind leicht veraltet, die Relationen sollten sie aber dennoch verdeutlichen.

Phase 2: Das Stichwort Illegalisierung ist bereits mehrfach gefallen. Steht es nicht im Widerspruch zu Eurer These vom Drogenbusiness als Teil des kapitalistischen Normalbetriebs, dass Drogen überhaupt illegalisiert werden? Geht es hier nicht auch um andere Kategorien, beispielsweise um bürgerliche Moral?

jimmy boyle: Die Gesundheit der Bevölkerung ist ein Standortfaktor. Als solche ist sie relevant in der Staatenkonkurrenz. Der Staat hat ein Interesse an einem gesunden Volkskörper als einem Pool an Arbeitskräften, die sich fit und leistungsbereit für den Arbeitsmarkt halten. Die Bedürfnisse der einzelnen Menschen spielen dabei keine Rolle. Dass Menschen bei ihrer Lohnarbeit Schäden an der Gesundheit davontragen, wird in Grenzen in Kauf genommen. Hier greift der Staat gesetzgebend ein, um die Verwertbarkeit der Arbeitskraft zu gewährleisten. Wenn Menschen dagegen einfach nur für den eigenen Spass ihren Körper schädigen, dann ist das quasi ein Raub an den Ressourcen für die Volkswirtschaft – und dagegen geht der Staat vor.

Wie gut dies klappt, hängt von den Gewohnheiten und Bedürfnissen der Untertanen ab. Insofern ist das auch eine Frage der bürgerlichen Moral. Sprechen sich die Konsument_innen ein Recht auf den Konsum im Gegensatz zum offiziellen Recht zu? Und bemerkt der Staat nicht doch, dass manche Konsummuster irgendwie zum Laden passen? Ein bisschen Spass muss sein, damit die Leute in der kommenden Woche wieder voll bei der Arbeit sind.

So kommen innerhalb des staatlichen Zwecks unterschiedliche Unterzwecke zu Stande. Das Innenministerium vertritt den Standpunkt: Wenn etwas verboten ist, dann sollen die Leute sich gefälligst dran halten. Wer sich über das Verbot hinwegsetzt, steht im Verdacht ein subversives Element zu sein. Das Justizministerium macht sich Sorgen darum, ob es denn so klug ist, ganze Schülerschaften zu kriminalisieren wegen ein paar Tütchen Gras. Ist es da nicht sinnvoller, ein wenig mehr Toleranz walten zu lassen, anstatt eine Generation von Menschen gegen den Staat aufzubringen? Das Gesundheitsministerium setzt wiederum auf Prävention, da der staatliche Zweck viel besser funktioniert, wenn die Leute selber wollen, was sie sollen. Das sind verschiedene Gesichtspunkte des einen Zwecks: Eine nützliche Bevölkerung für das nationale kapitalistische Wachstum. Die können durchaus in Gegensatz zueinander geraten.

Der Staat kann die Durchsetzung eines Verbots, das sich als impraktikabel erweist, einstweilen zurückstellen, wie im Falle von Alkohol in den USA oder Cannabis in den Niederlanden. Hier wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht: Die durch die Prohibition entstandenen gesamtgesellschaftlichen Kosten (Justiz, Repressionsapparat, entgangene Steuereinnahmen), sind höher als die, die durch Legalisierung entstehen. Also wird diese umgesetzt. Die in sich widersprüchlichen Strategien werden mit allerlei interessierten Blicken auf die Droge, die Konsument_innen und das Geschäft vorgetragen und legitimiert. Den Substanzen und Konsument_innen werden oft verschiedene Eigenschaften angedichtet, die sie nicht haben. Mit einer medizinisch-fundierten Einschätzung der Substanzen haben sie zumeist nichts zu tun. So wurden und werden Substanzen illegalisiert, um auf unliebsame Gruppen zugreifen oder deren Marginalisierung rechtfertigen und vorantreiben zu können.

Phase 2: Wie passt das zu Eurer These von oben zur staatlichen Gesundheitspolitik?

jimmy boyle: Die staatliche Gesundheitspolitik hat den für die Lohnarbeit verwertbaren Volkskörper zum Ziel. Gefasst wird das unter dem Label Gesundheit. Bei der Umsetzung dieses Ziels kommen unterschiedliche Gesichtspunkte zum Zuge, die sich widersprechen können – manchmal aber auch prima ergänzen. Da kann es sein, dass eine gewisse Schädigung, wie beispielsweise durch Alkohol, in einigen Staaten toleriert wird. Alkohol als Substanz ist medizinisch relativ gut erforscht, seine toxische Wirkung ist bekannt. Alkohol wird in diesen Staaten trotzdem nicht verboten, weil sein Konsum zur Verwertbarkeit beiträgt. Die Leute können sich am Wochenende abschiessen, was durchaus zum optimalen Funktionieren beitragen kann. Staatlicher Gesundheitspolitik wäre es natürlich lieber, sie würden auch ohne den Konsum und dessen negativer Konsequenzen optimal funktionieren. Hier wird die staatliche Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht.

Generell steht jeglicher Konsum von Drogen unter Verdacht, das freiwillige optimale Funktionieren von Menschen zu unterlaufen. Inwieweit eine Droge legalisiert wird oder nicht hängt von verschiedenen ideologischen Vorstellungen ab. Um das Ziel des optimalen Funktionierens von Menschen zu erreichen, werden auf staatlicher Ebene verschiedene Wege abgewogen und durchaus kontrovers diskutiert.

Phase 2: Eure Erklärung erscheint uns aber recht ökonomistisch: In der Logik einer Kosten-Nutzen-Rechnung könnten Staaten ja auch den Preis der Drogen erhöhen, anstatt sie zu verbieten…

jimmy boyle: … was sie ja auch machen, durch Besteuerung. Gleichzeitig tun sie es aber auch nicht. Die Kosten-Nutzen-Rechnungen basieren ja auf vielfältigen Kriterien. Die entscheidende Rolle spielt dabei die Vorstellung, wie die Arbeitskraft verwertbar zu halten ist. Gleichzeitig spielt die Frage eine Rolle, wie viel es kosten würde, ein Verbot durchzusetzen. Das ist eine Rechnung mit unterschiedlichen Variablen: Regierbarkeit, Gesundheit, Steuereinnahmen...

Phase 2: Gehen wir noch einmal auf die Binnenmechanismen des Geschäfts mit den Drogen ein. Das legale Pendant zu illegalen Drogenunternehmen ist die Pharmaindustrie. Wie würdet Ihr das Verhältnis zwischen den beiden Industrien charakterisieren?

jimmy boyle: Beide Abteilungen versuchen unter anderem mit ihren Substanzen zahlungsfähige Bedürfnisse, beispielsweise nach Leistungssteigerung oder Gemütsaufhellung, auf sich zu ziehen. Ritalin versus Kokain oder MDMA [1] versus Antidepressiva sind Konkurrenzprodukte, die ähnliche Bedürfnisse befriedigen können. Was wir mit dem Konkurrenzverhältnis andeuten wollten, ist, dass beide Branchen ihr Geld damit verdienen, dass Menschen aus verschiedenen Gründen und zu verschiedenen Zwecken in ihren Stoffwechselprozess eingreifen wollen. Beide verkaufen die hierfür benötigten Substanzen. Ein anderes Beispiel: Derzeit werden »Impfstoffe« entwickelt, die, einmal gespritzt, den angestrebten Drogenrausch über einen längeren Zeitraum verhindern sollen.

Der »Impfstoff« könnte dann Drogen, wie zum Beispiel das Kokain, verdrängen, und das auf eine Art und Weise, die an der willentlichen Entscheidung des Konsumenten vorbei gehen kann. Auf der anderen Seite ergänzen sich die einzelnen ökonomischen Abteilungen auch. Angefangen von den verschiedenen Utensilien, die für den Konsum benötigt werden und legal erhältlich sind, über den Mischkonsum, also wo Konsument_innen verschiedene Substanzen auf einem Partywochenende auf Grund ihrer unterschiedlichen Wirkungsweise gezielt einsetzen. In einer bestimmten Partyszene ist es gerade en vogue, sich nach der durchgemachten Nacht, wenn Speed und MDMA nicht mehr so gut wirken, noch ein bisschen Ketamin [2] zu geben.

Zudem ist die illegale Drogenproduktion auf Produkte der legalen Wirtschaft angewiesen. Die deutschen Chemieexporte von Lösungsmitteln und Äther nach Lateinamerika sind beträchtlich. Schätzungsweise gehen 70 Prozent von diesen exportierten Chemikalien in die Kokainproduktion ein. Ein weiterer legaler Geschäftszweig, der in nicht unerheblichen Mass vom Drogengeschäft profitiert, ist die internationale Bankenwelt. Das Drogengeschäft hat ja ein Problem: Vom Standpunkt der staatlichen Steuergesetzgebung ist das Geld, was dort verdient wird, nicht legal. Um dieses Problem zu lösen, muss ein Weg gefunden werden, mit dem die Gewinne aus den Drogengeschäften dem Staat als legaler Besitz präsentiert werden können. Dass dies weltweit funktioniert, dafür steht eine entscheidende Geschäftsbedingung bereits zur Verfügung: die internationale Bankenwelt. In diesem Sinne ergänzen sich die einzelnen Abteilungen recht gut.

Phase 2: Alles zusammengenommen – wie sähe für Euch eine »gute« Drogenpolitik aus?

jimmy boyle: In den gegenwärtigen ökonomischen und politischen Verhältnissen geht es prinzipiell nicht um die Bedürfnisse der Einzelnen. Insofern kann es in diesen Verhältnissen keine gute Drogenpolitik geben. Selbst sinnvolle Ansätze wie Substanzkunde und das Konzept der Drogenmündigkeit – Ansätze von Drogenpolitik mit alternativem Anstrich, werden im staatlichen Rahmen dazu verwendet, die Leute zur richtigen Pflege der eigenen Arbeitskraft zu bringen. Sie sollen selbstverantwortlich handeln, wissen was sie tun, ihr Leben und ihren Konsum gestalten. Das alles sollen sie nicht nur sollen, sondern auch selbst wollen. Die eigentlich vernünftige Aufklärung über die Zusammensetzung und Wirkung verschiedener Drogen dient im Kapitalismus dem Zweck des Selbstmanagements. Die Leute sollen von selbst darauf kommen, was gut für sie ist, ihren Konsum verantwortlich gestalten. Wenn die Leute ihre Gesundheit als staatliches Ideal selbst in die Hand nehmen, also da etwas für sich erkannt und eingesehen haben, dann ist das effektiver als jede Repression (und die gibt es zur Not ja auch noch).

Phase 2: Wir bedanken uns für das Gespräch.

aus: Phase 2 / Nr. 44

[1] MDMA gehört zu den Amphetaminen. Es stellt einen der Hauptbestandteile von Ecstasy dar.

[2] Ketamin ist ein Narkosemittel.