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Russia Toaday: Analyse eines umstrittenen Mediums

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Eine Mischung aus Rassismus und Antiamerikanismus Russia Toaday: Analyse eines umstrittenen Mediums

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Gesellschaft

Der Zugang zu differenzierten Informationen gehört zu den Grundlagen linker Politik. Seit der Entstehung gesellschaftskritischer Bewegungen wurden eigene Zeitschriften, Fernseh- und Radiosender, Webseiten gegründet, um unabhängig zu werden von kapitalistisch organisierten Medien und deren interessengeleiteter Berichterstattung.

Ein TV-Übertragungswagen des englischsprachigen, staatlich finanzierten Fernsehsenders «Russia Today» in Moskau.
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Ein TV-Übertragungswagen des englischsprachigen, staatlich finanzierten Fernsehsenders «Russia Today» in Moskau. Foto: Jürg Vollmer (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 27. Oktober 2015
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KorrekturKorrektur
Leider wurde die eigene, alternative, Berichterstattung schnell zur 'wahren', 'objektiven' erklärt und abweichenden Äusserungen 'Lüge' und 'Propaganda' vorgeworfen. Dass der eigene Standpunkt, die eigene Themenauswahl ebenso interessengeleitet und damit nicht wahrhaftiger ist als die des 'Feindes', wird kaum reflektiert. Aus der Überzeugung, das Richtige zu tun, erwächst noch keine Wahrheit, diese Erkenntnis ist eine wichtige Voraussetzung für diesen Text.

Der eigentliche Anlass ist nämlich der Eindruck, dass insbesondere Videos der russischen Nachrichtenagentur RT-ruptly, aber hin und wieder auch Texte und Videos von rt.com und rtdeutsch.com in linken Szenemedien als zuverlässige Quellen betrachtet werden. So werden hier, hier, hier und hier entweder RT-ruptly, Rtdeutsch.com oder rt.com mit als Quellen angegeben. Mir persönlich sind in letzter Zeit nach erfolgreichen Aktionen zivilen Ungehorsams immer wieder Links zu Videoaufzeichnungen von RT-ruptly zugesendet worden. Wahlweise um Eindrücke z.B. von der Blockade eines Naziaufmarsches in Berlin-Hellersdorf im Winter 2014 zu vermitteln, oder um Polizeigewalt, z.B. bei Blockupy in Frankfurt, dokumentieren zu können.

RT-Medien werden als willkommene Alternative zu den öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosendern und bürgerlichen Zeitungen betrachtet. Damit wird RT aber noch nicht alternativ. RT regelmässig in Linken Kreisen zu zitieren führt zu einer Etablierung als ein solches alternatives Medium, das RT nun mal nicht ist.

Es steht hier nicht zur Debatte, ob z.B. der öffentlich-rechtliche Rundfunk interessengeleitet ist oder nicht, ob er Propaganda verbreitet oder nicht. Ebenso wie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gilt für die bürgerliche Presse, dass sie äusserst selten als Quelle in linksradikalen Zusammenhängen auftauchen und schon gar nicht als 'alternative' Medien angesehen werden. Daher halte ich eine Kritik bestehender bürgerlicher Medien hier für irrelevant.

Die RT-Fernsehsender auf Englisch (zwei Ausgaben), Spanisch und Arabisch sowie das Internetportal RTdeutsch und die Nachrichtenagentur RTruptly sowie der Dokumentationskanal RTD gehören ebenso wie das Medienportal sputniknews zur russischen staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Segodnja und sind Teil der internationalen Medienoffensive des Regimes Putin. In ihren Selbstdarstellungen (hier, hier und hier) präsentieren sich rtdeutsch, rt.com und sputniknews als „alternative“ Informationsquellen. Sie bieten vielen eine Plattform, die sich mit der Berichterstattung bürgerlicher Medien nicht identifizieren können. Dabei sind sie allerdings alles andere als linksradikal ausgerichtet.

Als Teil der neuen russischen Aussenpolitik der Russischen Föderation zielen sie auf eine Destabilisierung Europas und befördern zunehmende politische Polarisierung v.a. durch Parteien wie den Front National in Frankreich, die Regierung Orban in Ungarn oder die UKIP in Grossbritannien. RTdeutsch behauptet von sich auf Initiative tausender Menschen, die mit der vorherrschenden Ukraine-Berichterstattung unzufrieden waren, gegründet worden zu sein. Gemeint sind die Verschwörungstheoretiker der Montagsmahnwachen und die Anhänger von PEGIDA und AfD.

Die Behauptung der sputniknews für eine „multipolare Welt“ einzutreten bedeutet auch nichts anderes als die Russische Föderation wieder zur Weltmacht zu machen. Damit verbunden sind all die Strategien, die wir von anderen Weltmächten kennen: Krieg, Überwachung, Unterdrückung, Kolonialismus, Ausbeutung. Die russische Intervention in Syrien ist der nächste Baustein in dieser Strategie.

Wie RT inhaltlich ausgerichtet ist, soll hier am Beispiel von RTdeutsch analysiert werden. Wobei angemerkt werden muss, dass RTdeutsch den Besonderheiten deutscher Diskurse gerecht zu werden versucht und somit andere Schwerpunkte setzt als RT.com in seinen englischen, arabischen und spanischen Ausgaben. Die politische Ausrichtung bleibt aber die gleiche. Die Manipulation ist dabei subtil. Wird vor allem deutlich in der Zusammenstellung der Themen und versteckt sich im Videoformat „Der fehlende Part“.

Der Aufmacher heute (20.10.2015) ist ein Bericht über den Bombenangriff auf ein Krankenhaus in Kundus, Afghanistan. Die Überschrift bringt den Inhalt ziemlich genau auf den Punkt: „Ärzte ohne Grenzen: US-Angriff auf Krankenhaus in Kundus war kein Unfall, daher Kriegsverbrechen“.

Dann daneben ein Bericht über die „Potsdamer Begegnungen in Moskau – Welche Zukunft für die deutsch-russischen Beziehungen?“. Der Tenor des Artikels ist vor allem, dass Deutschland/die EU sich ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zur Russischen Föderation nicht von den USA diktieren lassen solle, sowie, dass die Übernahme „liberaler Werte“ durch Russland als Voraussetzung für positive Beziehungen in Frage gestellt werden müsse.

Der dritte kleinere Aufmacher ist ein Artikel über ein geleaktes Memo, dass den Beweis für die frühzeitige britische Unterstützung des Irakkriegs erbringe. Auffällig an „Geleaktes Memo: Tony Blair sagte bereits ein Jahr vor Beginn Unterstützung für Irak-Krieg zu“ ist, dass als Quelle „eine britische Zeitung“ genannt wird. Eine genauere Angabe fehlt allerdings.

Das wichtigste Format von RTdeutsch ist die halbstündige Videoserie 'Der fehlende Part'. Diesmal mit dem Titel „DER FEHLENDE PART: Ohne Konsequenzen? Der Millionen-Betrug des Springer Verlages [S2 – E22]“ und über die Anzeigenbetrug bei Springermedien. Dazu ein Interview mit Andres Popp über die „neoliberale Weltordnung“.

Da ich selber RTdeutsch nicht konsumiere und bis auf einige sehr verdrehte Berichte aus der Vergangenheit keinen wirklichen Eindruck von RTdeutsch gewinnen wollte, war ich im Verlauf der Analyse überrascht, wie unaufgeregt die RT-Berichterstattung verläuft. Keine offensichtliche Hetze, wie wir sie von PEGIDA, dem Compact-Magazin oder der Jungen Freiheit kennen. Zwar ist die Berichterstattung undifferenziert, aber sehr professionell gemacht. Meine Kritik an den Beiträgen hängt sich neben einiger Ungereimtheiten und schlechter Recherche vor allem an den Gesprächspartnern und ihren Aktivitäten abseits von RTdeutsch auf.

Ansonsten ist die Zusammenstellung der Aufmacher ein Meisterwerk subtiler Manipulation. Zunächst ein Bericht über ein Kriegsverbrechen der US-Luftwaffe, welches u.a. auch von Tagesschau und Tagesthemen als solches kommuniziert wurde (z. B. Hier). So werden offene Türen eingerannt. Diese Strategie ist bekannt von vielen Verschwörungstheorien, die ebenfalls an offensichtlichen Problemen ansetzen, um dann vereinfachte Erklärungen anzubieten.

Dann das leidige Thema deutsch-russische Beziehungen, welches schon immer polarisiert hat. Diesmal mit der unterschwelligen Botschaft, die wirtschaftlichen Sanktionen zu beenden, da diese der EU selber schaden würden, sowie die Behauptung, die Übernahme „liberaler Werte“ sei von der EU als Voraussetzung für positive Beziehungen gesetzt worden. Dass dies schlicht und ergreifend falsch ist, zeigen Aussagen wie „Putin ist ein lupenreiner Demokrat“ von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie die Eröffnung der Nord-Stream-Gaspipeline durch die Ostsee 2011.

Es gibt Kritik an der russischen Innenpolitik, z.B. an Homofeindlichkeit, Tschetschenien- und Georgienkrieg sowie Rassismus in Russland. Diese Kritik ist angesichts zunehmender Repressionen gegen kritische Stimmen in und aus Russland durch die russischen Behörden mehr als notwendig. Generell lässt sich zu der von RTdeutsch oft geforderten Zurückhaltung gegenüber Russland sagen, dass die russische Innenpolitik eben auch international Auswirkungen hat und deshalb Kritik vertragen muss. Die staatliche geförderte Homofeindlichkeit wirkt sich z.B. in zunehmender Emigration von queeren Menschen aus Russland aus. 2012 wurde der erste Asylantrag eines homosexuellen Russen in Deutschland angenommen.

Jedes Jahr stellen tausende Menschen aus Russland, bzw. dem Nordkaukasus (Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan), Antrag auf Asyl in Polen, Deutschland und anderen Staaten der EU. Die zunehmende Vernetzung des russischen Staates mit der europäischen Rechten wurde weiter oben bereits erwähnt. Die übliche Gegenstrategie des RT-Komplexes gegen solche Kritik ist Kritik an Rassismus, Polizeigewalt, staatlicher Unterdrückung im 'Westen'. Dass z.B. in Deutschland nicht alles zum Besten steht, wissen wir bereits seit langem. Ein Grund, gelassen dem Regime Putin beim Aufbau eines autoritären Staates zuzusehen, ist dies nicht.

Der dritte vorgestellte Artikel über die britische Unterstützung des Irakkriegs fällt mir vor allem mit seiner Sensationslust auf. Zum einen wurden in den letzten Jahren immer wieder ähnliche oder gleiche 'geheime' Dokumente vorgelegt, doch schon ohne diese 'Beweise' war zu ahnen, dass sich die Regierungen Grossbritanniens und der USA schon nach dem 11.September 2001 auf den Irak-Krieg verständigt haben. Rechtliche Folgen wird dieses Dokument wahrscheinlich so oder so nicht haben. Die fehlende Quellenangabe verstärkt den Eindruck einer undifferenzierten Berichterstattung.

Und damit wären wir beim 'fehlenden Part'. Zunächst darf sich Reiner Zablocki (fälschlicherweise als „Rainer“ bezeichnet) über den „Millionenbetrug“ des Springerverlags an seinen Anzeigenkund*innen auslassen und dabei in bekannter rechtspopulistischer Manier als Rebell und Opfer eines übermächtigen Grosskonzerns darstellen. Der Erkenntnisgewinn geht dabei gegen null. Dass Verlage durch nicht verteilte Auflage oder Verteilung kostenloser Exemplare z.B. in Flugzeugen ihre Anzeigenpreise in die Höhe zu treiben versuchen, ist seit Jahren bekannt und gängige Praxis.

Der zweite, grosse Teil der Sendung besteht aus einem Interview mit Andreas Popp von der nationalistischen, verschwörungstheoretischen Plattform „Wissensmanufaktur“, die unter anderem vom 'Eurorebellen' und FPÖ- und AfD-Unterstützer Karl Albrecht Schachtschneider und der homofeindlichen Eva Herman getragen wird. Popp selber steht wohl auch den Reichsbürgern nahe. Bei RTdeutsch präsentiert er sich als Kritiker des Neoliberalismus. Die von ihm platzierten Thesen sind dabei eher nichtssagend. Hetze lässt sich ihm nicht vorwerfen, erst im Kontext seiner Auftritte bei Montagsmahnwachen, Reichsbürgern und anderen reaktionären Bewegungen wird seine Gefährlichkeit deutlich. (Zu Popp u.a. https://linksunten.indymedia.org/en/node/122472)

Dabei reiht sich Popp ein in so illustre Gäste von RTdeutsch wie Jürgen Elässer, die bereits erwähnte Eva Herman oder Beatrix von Storch. Überhaupt wird deutlich, dass Linksradikale eigentlich keinen Platz im Programm haben. Zwar dürften einige Thesen auf RTdeutsch in linksradikalen Kreisen auf Zustimmung stossen, die Zielgruppe ist eigentlich eine andere.

Letztendlich bleibt der Eindruck, dass RTdeutsch durch hohe Professionalität überzeugen will. Die einzelnen Beiträge werden erst im Gesamtzusammenhang gefährlich. Im Zusammenspiel ergibt sich eine Mischung aus Rassismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus. Grosskonzerne und Politiker im Hinterzimmer kontrollieren die Welt. Das ist der Eindruck der bleibt. Die Köpfe der Neuen Rechten und reaktionärer Bewegungen wie AfD und PEGIDA werden etabliert und einem breiten Publikum als harmlos präsentiert. Auffällig ist, dass im Gegensatz zur Selbstdarstellung vor allem Themen angesprochen werden, die bereits in den etablierten Medien präsent sind.

SjomaLes