UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Reichsbürgeraktivist Xavier Naidoo erpresst Medien

2502

Der Soulsänger klagte vor dem Landgericht Mannheim Reichsbürgeraktivist Xavier Naidoo erpresst Medien

compact-disc-677583-70

Kultur

Xavier Naidoo klagte vor dem Landgericht Mannheim gegen die Amadeu Antonio Stiftung und den Autor Roland Sieber mit Bezugnahme auf das noch nicht rechtskräftige Münchner Urteil im Prozess des rechtspopulistischen Verlegers und Querfrontaktivisten Jürgen Elsässer gegen Jutta Ditfurth wegen eines Artikels auf Netz-gegen-Nazis.de.

Xavier Naidoo bei der Präsentation des Coach-Team von The Voice of Germany (bei der Goldenen Kamera 2012.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Xavier Naidoo bei der Präsentation des Coach-Team von The Voice of Germany (bei der Goldenen Kamera 2012. Foto: ©JCS (CC BY-SA 3.0 unported - cropped / GFDL)

Datum 10. September 2015
2
0
Lesezeit7 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Ansonsten verteidigt der Popstar die Meinungsfreiheit von Thilo Sarrazin und der NPD und geht „in Liebe“ auf Reichsbürger zu und unterstützt deren Demos.

Scheinbar kamen weder der Autor noch die antifaschistische Amadeu Antonio Stiftung einer Abmahnung des Mannheimer Popstars und Reichsbürgeraktivisten gegen einen Artikel nach. Trotz Xavier Naidoos Drohungen mit einem teuren und langwierigen Prozess unterschrieben die Angegriffen wohl dessen Unterlassungserklärung nicht. Vor dem Prozess zeigten sich die von Xavier Naidoo Angegriffenen zuversichtlich in allen Punkten vor Gericht Recht zu bekommen. Am Mittwoch, den 19. August 2015 fand ab 13 Uhr dann die mündliche Verhandlung am Landgericht Mannheim statt.

Zu Beginn der Hauptverhandlung erhöhte der Vorsitzende Richter den Streitwert von 15.000 Euro auf 100.000 Euro. Im weiteren Verhandlungsverlauf lässt der Vorsitzende Richter aber durchblicken, dass er den Antisemitismusvorwurf in dem Artikel „Xavier Naidoo: Telegramm für X oder wie bringe ich Reichsbürger-Inhalte ins Fernsehen“ für eine zulässige Meinungsäusserung hält. Dies wollte Xavier Naidoo nicht in einem Urteil haben und war deshalb zu einem Vergleich bereit.

Das Ärgerliche an der Sache ist, dass die Amadeu Antonio Stiftung um verständlicherweise das Kostenrisiko möglichst klein zu halten und um die Finanzierung ihrer zahlreichen Projekte gegen menschenfeindliche Einstellungen wie unter anderem gegen Rassismus und Antisemitismus durch einen noch teureren Rechtsstreit nicht zu gefährden, auf einem Vergleich aus war, wenn der Mannheimer Popstar dafür bei den nicht unerheblichen Gerichtskosten entgegen kommt.

Durch die Erhöhung des Streitwerts konnten Xavier Naidoos Anwälte Textpassagen in den Vergleich rein diktieren, bei denen das Gericht in einem Urteil klar dem Autor und der Amadeu Antonio Stiftung Recht gegeben hätte. Es ging unter anderem um die folgenden Textstellen:

- „Am 3. Oktober rief der Mannheimer Soulsänger Xavier Naidoo auf einer Reichsbürgerdemonstration dazu auf gemeinsam das System zu stürzen.“ Hier folgte das Gericht dem Autor und der antifaschistischen Stiftung nicht, dass es die Reichsbürger sinngemäss genauso verbreiten und es darum nicht nur deren Auslegung, sondern auch die Auslegung der Reichsbürger ist, deren Demo Naidoo unterstützte. Das Gericht deutete an, dies als falsche Tatsachenbehauptung zu sehen, weil dies es so aus den wörtlichen Aussagen von Xavier Naidoo nicht heraushören könne. Hätte das Gericht ein Urteil gesprochen, wäre es voraussichtlich den Antragspunkt von Xavier Naidoo gefolgt. Darum hatten die angegriffene Stiftung und der Autor ein Interesse an einem Vergleich.

- „Fünf Jahre, nachdem Naidoo den Bundespolitiker_innen „Raus aus dem Reichstag“ entgegen schmetterte, unterstützte er am deutschen Nationalfeiertag eine Demonstration vor dem Reichstag in Berlin – zusammen mit den vorbestraften ehemaligen NPD-Kader Rüdiger Klasen und dessen „Staatenlos“-Gruppe sowie mit „Regierungsmitgliedern“ des Fantasiestaats „Freistaat Preussen“. Dies sah das Gericht auch so und der Vorsitzende Richter erläuterte Xavier Naidoo sehr ausführlich, dass er selbstverständlich die Demo in der Aussenwirkung unterstütze. Hätte es ein Urteil gegeben, hätten voraussichtlich Roland Sieber und die Amadeu Antonio Stiftung vom Gericht Recht bekommen. Der Autor und die AAS vereinbarten, um auf Xavier Naidoo zuzugehen und dies abzuschwächen in etwa so: Er trat auf der Demo auf.

- „Es wurde dabei wieder einmal zum Sturm auf den Reichstag sowie zum gewaltsamen Sturz der Bundesregierung aufgerufen.“ Diesen Satz hatte der Autor laut seinen Aussagen in Diskussionen nach dem Prozess so ursprünglich wörtlich nicht geschrieben, sondern sinngemäss, dass aus dem Umfeld der Demo wieder Mal zum Sturm auf den Reichstag und zu gewaltsamen Sturz der Bundesregierung aufgerufen wurde. Dies entspricht so auch den Tatsachen. Bei der üblichen redaktionellen Überarbeitung des betroffenen ursprünglichen sehr langen Satzes wurden dann laut Aussagen des Autors unglücklicherweise zwei gemacht und es kam der von Xavier Naidoo abgemahnte Satz heraus. Hier folge dann das Gericht auch dessen Antrag, weshalb der Autor und die antifaschistische Stiftung Interesse an einem Vergleich hatten.

In übrigen führte der Vorsitzende Richter gegenüber Xavier Naidoo ausführlich aus, warum Xavier Naidoo den Satz „Wer solche Songzeilen wie Xavier Naidoo in seinem Album ‚Alles kann besser werden' verbreitet, dürfte ein Antisemit sein“ als Meinungsäusserung zu dulden habe. Hier hat der Vorsitzende Richter sogar sehr ausführlich und ausdrücklich das Engagement gegen den neu aufflammenden Antisemitismus der Amadeu-Antonio-Stiftung gewürdigt und deren Rechtsanwältin für ihre fast wissenschaftliche Ausführung über den strukturellen und literarischen Antisemitismus in den Schriftsätzen gelobt und dies hervorgehoben und Xavier Naidoo dabei so ordentlich den Kopf gewaschen das er sich diesen Vorwurf gefallen lassen müsse, dass dieser augenscheinlich vor Wut innerlich kochte.

Der Autor Roland Sieber und die Amadeu Antonio Stiftung sind in diesem Punkt auf Xavier Naidoo zugegangen. So darf jeder von euch rechtmässig den Satz „Wer solche Songzeilen wie Xavier Naidoo in seinem Album ‚Alles kann besser werden' verbreitet, dürfte ein Antisemit sein“ verbreiten, nur die Amadeu Antonio Stiftung und der Autor aufgrund des „freiwillig“ vereinbarten Vergleichs mit Xavier Naidoo nicht mehr, damit er diesen bei den Gerichtskosten entgegen kam. Ergo wurde dieser Vergleich von Xavier Naidoo finanziell erpresst.

Auf ihrer Homepage veröffentlichte die Amadeu Antonio Stiftung folgenden Wortlaut ursprünglich unter der Überschrift „Naidoo und Amadeu Antonio Stiftung einigen sich auf Vergleich vor Gericht – Liedtext kann weiter als antisemitisch bezeichnet werden“, der aufgrund der finanziellen Erpressung durch Xavier Naidoo sehr zurückhaltend formuliert werden musste:

"Die Amadeu Antonio Stiftung und Xavier Naidoo haben sich in einem Gerichtstermin am 19. August vor dem Landgericht Mannheim auf einen Vergleich geeinigt. Hintergrund war ein Antrag Naidoos auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verschiedener Äusserungen in dem Artikel „Xavier Naidoo: Telegramm für X oder wie bringe ich Reichsbürger-Inhalte ins Fernsehen“, der auf dem Internetportal Netz-gegen-nazis.de der Stiftung veröffentlicht worden war.

Der Artikel setzt sich mit Auftritten Xavier Naidoos auf zwei Demonstrationen am 03. Oktober 2014 vor dem Reichstag auseinander, überdies wurden Textstellen von Xavier Naidoos Song „Raus aus dem Reichstag“ als antisemitisch bezeichnet. In dem Vergleich erklärte sich die Stiftung zur Unterlassung verschiedener Äusserungen bereit. Überdies wurde klargestellt, dass die Amadeu Antonio Stiftung nicht Xavier Naidoo persönlich als Antisemiten darstellen wollte, dass die Stiftung aber weiter die Auffassung vertritt, dass Zeilen aus Naidoos Liedtext „Raus aus dem Reichstag“ als antisemitisch interpretiert werden könnten.

„Die Stiftung beobachtet mit Sorge, dass antisemitische Stereotype seit Jahren wieder salonfähig werden und häufig unwidersprochen bleiben. Aufgrund dieser Entwicklung ist es fatal, dass Texte, die antisemitisch interpretierbar sind und damit entsprechende Strömungen bedienen von prominenten Personen wie Xavier Naidoo vorgetragen werden. Es ging uns zu keinem Zeitpunkt darum, Xavier Naidoo persönlich anzugreifen. Doch es muss möglich sein, kritikwürdige politische Entwicklungen auch zu kommentieren.

Die Amadeu Antonio Stiftung hat dem Vergleich zugestimmt, weil wir keinen Wert auf eine langwierige juristische Auseinandersetzung mit Xavier Naidoo legen. Es war unser Hauptanliegen, auf die unserer Meinung nach antisemitischen Anknüpfungspunkte in dem Text „Raus aus dem Reichstag“ hinzuweisen, deshalb sind wir zufrieden mit dieser Klarstellung. Auch halten wir die Auftritte von Xavier Naidoo bei den Demonstrationen am 3. Oktober 2014 weiterhin für äussert problematisch.“, erklärt Anetta Kahane, Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung."

Die Redaktion von Netz-gegen-nazis.de merkt dazu an: „Der angesprochene Text ist aktuell nicht online. Er wird überarbeitet und nach juristischer Prüfung wieder online gestellt. Dies wird urlaubsbedingt erst im September 2015 der Fall sein.“

Xavier Naidoo belässt es aber nicht bei der Erpressung der Amadeu Antonio Stiftung, sondern erpresst auch Medien dazu nicht über den Vergleich zu berichten. So veröffentlichte der journalistische Rheinneckarblog via Facebook (https://www.facebook.com/Rheinneckarblog/posts/1032648450103365):

„Unser Text zum gerichtlichen Vergleich zwischen der Amadeu Antonio Stiftung und Xavier Naidoo ist aktuell nicht mehr online. Der Grund: Herr Naidoo hat uns bei einem Streitwert von 30.000 Euro abmahnen lassen. Das Anwaltsschreiben kam in der Nacht von Freitag auf Samstag um 01:09 Uhr mit Frist 15 Uhr am Samstag. Wir beraten uns Montag mit unserem Anwalt und halten Sie auf dem Laufenden.“

ao