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Militarismus und Zerfall in Nahost

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Der Krieg in Syrien geht weiter und der IS wird stärker Militarismus und Zerfall in Nahost

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Politik

Die Militarisierung und der Zerfall haben sich im Nahen Osten noch weiter verschärft, und die Gefahr eines allgemeinen Flächenbrandes ist grösser denn je.

Verwundete Zivilisten vor einem Spital in Aleppo während dem syrischen Bürgerkrieg.
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Verwundete Zivilisten vor einem Spital in Aleppo während dem syrischen Bürgerkrieg. Foto: VoA (PD)

Datum 7. Juli 2015
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Wir befinden uns mittlerweile im fünften Jahr eines imperialistischen Krieges in Syrien, in dem die Grossmächte Amerikas, Frankreichs, Grossbritanniens und Russlands gemeinsam mit Regionalmächten wie den Iran, Saudi-Arabien, Jordanien, Israel, etc. verstrickt sind. Statt dass sich irgendein Ende andeutet, verschärft sich dieser Konflikt. Krieg und Instabilität verbreiten sich immer weiter und tiefer, und ein besonders markanter Ausdruck der kapitalistischen Irrationalität und des Zerfalls, der Islamische Staat und sein Kalifat, wird sogar noch stärker. Gerade einmal ein paar Hundert seiner Kämpfer haben Tausende von irakischen Soldaten und schiitischen Milizen dabei aufgehalten, die irakische Stadt Tikrit – die laut des Pentagons am 14. April noch „umkämpft“ (The Guardian, 15.4.15) war – zurückzuerobern; im irakischen Mossul und im syrischen Rakka wird der IS noch stärker, zudem breitet er sich auf weitere Gebiete aus.

Der Krieg in Syrien geht weiter und der IS wird stärker und expandiert

Ende März nahmen die dschihadistischen Kräfte von al-Nusra Syriens zweite Provinzhauptstadt, Idlib, ein, nur ein paar Tage nachdem al-Nusra mit der Hilfe israelischen Militärinterventionen, die den Dschihadisten de facto in die Hände spielen, die antike römisch-arabische Kapitale Bosra al-Sham im Daraa-Distrikt eingenommen hatte. In einigen Fällen haben al-Nusra und der IS miteinander kooperiert, doch solche Kooperationen sind angesichts des allgemeinen Misstrauens und des Konfliktes „jeder gegen jeden“ zerbrechlich. Ähnliche Ausdrücke haben sich im riesigen palästinensischen Flüchtlingslager von Jarmuk am Rande Damaskus' manifestiert, als al-Nusra den Weg für den Vormarsch des mörderischen IS in diese Enklave ebnete, deren Bewohner bereits das Opfer einer zweijährigen Belagerung und des Hungers waren und die ihrerseits einen Mikrokosmos des allgemeinen Verfalls darstellt

In Jarmuk zeigten sich starke Gegentendenzen zu jeglicher dschihadistischen Kooperation. Diese Allianzen innerhalb der vielen sunnitischen Fraktionen sind selbst sehr anfällig und mit vielen Fraktionen belastet, die ihre eigenen Rivalen oft mehr hassen als die Schiiten. In Jarmuk bricht gerade ein Drei- oder Vierfrontenkrieg aus. Der IS hat sich unter dem militärischen Druck von al-Nusra ein Stück weit zurückgezogen; palästinensische Pro-Assad-Kräfte sind genauso verwickelt wie die gegen die Regierung eingestellte sunnitische Dschihadisten-Gruppe von Aknaf Beit al-Maqdes (der Mudjahedin Shura-Rat in der Umgebung von Jerusalem – auch auf der Sinai-Halbinsel aktiv), die sowohl vom IS als auch von al-Nusra gehasst wird. Die ersten Scharmützel sind bereits ausgebrochen. Die giftige Atmosphäre der kapitalistischen Desintegration durchdringt mit den vielfältigen religiösen Fraktionen und ihren Abspaltungen die Gesellschaft und generiert Hass, Misstrauen und Pogrommentalität.

Der IS hat sich trotz der Intervention des ägyptischen Militärregimes auch in Nordafrika ausgebreitet, in den von den USA, Grossbritannien und Frankreich destabilisierten Weiten Libyens und auf dem noch immer instabilen Sinai. All dies bedeutet, dass es infolgedessen weitere mögliche terroristische Anschläge in Europa und darüber hinaus geben wird – eine Frage, zu der wir später zurückkehren werden. Mittlerweile reicht diese Flut des Zerfalls, angefeuert von der Instabilität und den Waffen Libyens, der massiven Arbeitslosigkeit in der gesamten Region und der irrationalen religiösen Ideologie, die inmitten eines allgemeinen Zusammenbruchs der kapitalistischen Gesellschaft um sich greift, bis zu den mit al-Qaida verknüpften Gruppen Ost- und Westafrikas, Boko Haram in Nigeria und al-Shabab in Kenia, die Krieg und Terror sowohl inner- wie ausserhalb der Grenzen ihrer Länder verbreiten. Die betroffenen Länder hier sind Somalia, Südsudan (wo chinesische Soldaten anwesend sind), Kamerun – deren von den Israelis ausgebildeten schnellen Interventionskräfte zurückschlagen – und der Tschad, dessen Antiterror-Spezialkräfte mit britischen Ausbildern und französischen Spezialisten zusammenarbeiten. Die Kräfte des französischen Imperialismus sind schon vor und erst recht nach den Pariser Anschlägen verstärkt worden; Anschläge, die von Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) angezettelt wurden.

Jetzt schon bedeutet der Aufstieg des Dschihadismus eine beispiellose Spirale der Gewalt und Zerstörung in Nahost und Afrika. Um zum Beispiel die syrische Grenzstadt Kobane dem IS zu entreissen, wo die Kämpfe bis heute in den Dörfern der Umgebung fortdauern, mussten der Westen und seine kurdischen Kämpfer die Stadt dem Erdboden gleichmachen, und dasselbe scheint auch im irakischen Tikrit zu geschehen: Der verbrannten Erde und dem Terror des IS begegnet der Westen und seine Verbündeten mit… verbrannter Erde und Terror, und dies wird immer mehr zum Leitthema in dieser ganzen Kette von Kriegen. Die Verwüstungen in der Region sind nahezu unermesslich. Während die heuchlerischen Demokraten Grossbritanniens, der USA und Frankreichs wie auch die UN-Räuberhöhle die Zerstörung antiken Kulturstätten durch den IS anprangern, sind ihre eigenen Militärjets oder jene ihrer „Verbündeten“ kaum weniger zerstörerisch.

All diese Verwüstungen in Nahost und Afrika, der Zusammenbruch oder die Errichtung festungsähnlicher Grenzen, das Elend der gigantischen Zahlen von Flüchtlingen und entwurzelten Familien, die damit einhergehen, sind zu gross, um hier eingehend behandelt zu werden. Doch so grauenvoll sie sind, wir werden auch auf diese Frage in Zukunft zurückkehren müssen. Trotz der Luftschläge gegen ihn ist der IS wegen der Art und Weise seiner Kampfführung eine beeindruckende Kraft und bleibt eine wachsende Bedrohung. Der sachkundige Patrick Cockburn schrieb am 20.2.2015 in The Independent: „Der Islamische Staat ist ganz und gar nicht dabei, etwa aufgrund der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung innerhalb seiner Grenzen zu implodieren. Seine Feinde mögen seine Ambitionen, ein realer Staat zu sein, verspotten, aber in puncto seiner Fähigkeit, Truppen auszuheben, Steuern einzutreiben und seine brutale Variante des Islam durchzusetzen, ist er stärker als viele seiner Nachbarn in der Region.“

Das Beispiel von Tikrit zeigt, wie schwierig es sein wird, den IS zu vertreiben, ganz zu schweigen davon, ihn zu besiegen. Hier hielten gerade einmal ein paar Hundert Dschihadisten einem koordinierten Angriff irakischer Spezialkräfte und schiitischer Milizen wochenlang stand, und auch wenn Bagdad behauptet, es hätte Tikrit eingenommen (The Guardian, 1.4.15), kontrolliert der IS noch immer Teile der Stadt so wie auch die Provinzen von Anbar und Nineveh. Der Angriff scheint einige Verwicklungen zwischen der irakischen Regierung, den USA und den vom Iran unterstützten schiitischen Milizen verursacht zu haben, mit dem Ergebnis, dass die US-Luftschläge gesteigert und die iranischen Kräfte de facto unterstützt wurden.1 Und genau dieses Verhältnis zwischen Amerika und dem Iran sorgt dafür, dass die amerikanischen Verbündeten, die sich nach dem Zusammenbruch des alten Blocksystems des Kalten Krieges und mit dem Aufkommen der Tendenzen des Jeder-für-sich ohnehin mit den USA zerstritten haben, äusserst konsterniert und alarmiert sind – nicht zuletzt in Israel und Saudi-Arabien. Gibt es eine Annäherung zwischen den USA und dem Iran?

Es hat faktisch bereits einige Elemente einer Annäherung zwischen den beiden im Krieg gegen den IS sowohl im Irak als auch in Syrien gegeben. Der Aufstieg des IS hat die Kriegsmaschinerie der USA in ein noch grösseres Dilemma gestürzt. Würde das Assad-Regime geschlagen werden, wäre für den IS das Tor nach Damaskus offen. Dies wurde erst kürzlich ausdrücklich von CIA-Direktor John Brennan anerkannt, als er sagte, er wolle keinen Zusammenbruch des Assad-Regimes (Middle East Eye, 14.3.15), Worte, die einige Tage später bei US-Aussenminister Kerry anlässlich der Atomverhandlungen mit iranischen Offiziellen auf Widerhall stiessen. Die Spannungen zwischen den USA und Israel, insbesondere der Netanjahu-Clique, die schon seit geraumer Zeit wegen des immer noch ruinierten Gazastreifens und des zunehmenden Siedlungsbaus schwelen, sind öffentlich übergekocht und haben ähnliche Ausmasse erreicht wie 1992, als Präsident Bush mit Präsident Yitzhak Shamir einen Streit wegen des Siedlungsbaus vom Zaun brach. Doch die gegenwärtige Lage scheint weitaus ernster zu sein, fühlen sich die Israelis doch hintergangen und verletzlich infolge dessen, was einige israelische Politiker „Schwerpunktverlagerung nach Persien“ nannten (nach Obamas so genannter „Schwerpunktverlagerung nach Asien“). Assad oder IS, Israel oder Iran, Pest oder Cholera, dies ist das unlösbare Dilemma, mit dem es die US-Aussenpolitik zu tun hat, deren Sackgasse im Grunde die Sackgasse des gesamten globalen Netzwerkes der imperialistischen Bündnisse und Rivalitäten ist.

Wenn die Israelis über eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und dem Iran besorgt sind, Beziehungen, die faktisch bereits in den späten 1970er Jahren existierten, als der Schah von Persien der Hilfspolizist der USA und Grossbritanniens in der Region war, dann gilt dies auch für die Saudis, deren Besorgnisse ein Hauptantrieb für ihr gegenwärtiges Abenteuer im Jemen sind. Die iranische islamische „Revolution“ 1979, die den Schah absetzte, war mit ihren „Appellen an die Unterdrückten“ - eine Waffe des iranischen Imperialismus, um einen Vorteil gegenüber seinen lokalen Rivalen zu erlangen - eine Bedrohung für Saudi-Arabien. Von da an fiel der Iran aus der Gunst des Westens, und unabhängig davon, aber zur gleichen Zeit förderte das saudische Regime einen kompromisslosen wahhabitischen Islam, um extrem anti-schiitische Ressentiments zu schüren2. Besorgt über eine mögliche iranische Nuklearkapazität, hat das saudische Fürstenhaus seine eigenen nuklearen Ansprüche deutlich gemacht, und es scheint aus Gesprächen, die bereits stattgefunden hatten, hervorzugehen, dass Pakistan bereit wäre, Saudi-Arabien mit Nuklearkapazitäten auszustatten (The Guardian, 11.5.10: „Die pakistanische Bombe und Saudi-Arabien“). Der Nahe Osten plus ein nukleares Wettrüsten! Dies ist jetzt sehr wohl möglich.

Ein anderer Faktor in einer US-iranischen „Achse“ – und wir sind immer noch um einiges davon entfernt, auch wenn es ein Abkommen über Irans Atomprogramm gibt – ist, dass Russland, Irans Hauptverbündeter wie auch Assads Unterstützer, einen ernsten Rückschlag erleiden würde. Es würde weiter aus seiner globalen Präsenz herausgedrängt werden, umzingelt und eingezwängt in seine Kerngebiete, was Europa zu einem noch gefährlicheren Platz machen würde angesichts der steigenden Gefahr durch den russischen Imperialismus, der längerfristig auszubrechen versuchen wird.

Jemen: eine saudisch-iranische Konfrontation und mehr

Selbst für die Verhältnisse in Nahost, seine Irrationalität, die mutwillige Zerstörung, für die ständigen, sich zuspitzenden imperialistischen Machenschaften und Kriege wird mit dem saudischen Angriff auf den Jemen ein neuer Grad an surrealer Absurdität erreicht: Die Saudis führen eine sunnitisch-islamische Koalition von zehn Nationen in einem Angriff gegen den Jemen an, einschliesslich der nicht-arabischen Atommacht Pakistan. Lokale Gangster wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar sind beteiligt, aber auch der ägyptische Diktator al-Sisi und die völkermörderische Clique von Sudans al-Bashir. All diese Despoten werden von den USA und Grossbritannien gestützt, die der Koalition „logistische und geheimdienstliche“ Unterstützung angeboten haben. Die Stärke dieser Koalition ist unklar, wenn man bedenkt, dass der Oman sich geweigert hat, sich ihnen anzuschliessen, Katar schwankt und Pakistan die Koalition schnell wieder verlassen hat.

Die Lage im Jemen ist weitaus komplexer, als auf dem ersten Blick anmutet. Es geht nicht nur darum, dass eine Koalition von Sunniten einen schiitischen Verbündeten des Irans angreift – schwerwiegend genug, aber es reicht noch darüber hinaus. Dieses Land ist angesichts seiner Lage ein weiteres Afghanistan, wie britische, französische und andere imperialistische Mächte zu ihrem Leidwesen in der Vergangenheit erfahren mussten. Jemen ist das ärmste Land in der arabischen Welt. Es gibt geschätzte zehn Millionen Kinder, die sich am Rande einer Unterernährung befinden; die Korruption wuchert wild.

Dieses Land, das keine ernsthafte ethnische Zwietracht in seiner Geschichte gekannt hat, wird in den letzten Jahren von Imperialismus und Krieg bis aufs Mark zerfressen; und ein Ende ist nicht in Sicht. Im letzten September nannte US-Präsident Obama den Einsatz von US-Drohnen im Jemen eine „Erfolgsgeschichte“, gar ein „Modell“.3 Der Jemen und sein leidgeprüftes Volk sind im Begriff, eine neue Runde von Spannungen und Zerstörungen zu erleiden, die nach aller Wahrscheinlichkeit lediglich die Stellung von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und den IS stärken werden. Obwohl diese beiden Gruppierungen anderswo koexistierten oder zusammenarbeiteten, ist dieses Einvernehmen äusserst anfällig; im Jemen gehen sich im Moment die Huthis, die AQAP, der IS und das von den Saudis gestützte Rumpfregime gegenseitig an die Kehle. Das Jeder-für-sich-selbst erreicht hier neue Dimensionen, wenn selbst die dschihadistischen „Terroristen“, gelegentlich von einigen Staaten gestützt, sich gegenseitig bekämpfen – und es gibt (und gab) ähnliche Geschehnisse auch in Syrien.

Die Huthi-Rebellen, die nun so stark im Jemen geworden sind, stammen von der Zaidi-Sekte ab – ein obskurer Zweig des schiitischen Islam aus dem al-Huthi-Clan im Norden des Landes, wo dieses Volk seit Jahrtausenden lebt. Die Sekte wurde Anfang der 1990er Jahre als eine, den Berichten zufolge, friedliche Erweckungsbewegung in die Welt gesetzt, die sich „Gläubige Jugend“ nannte. Wie so viele andere radikalisierte sie sich durch die vom Westen angeführte Invasion des Irak 2003. Die Iraner nannten dies die „Ansarullah“-Revolution und haben ihr sicherlich einigen Beistand geleistet, doch insgesamt gesehen war ihre Hilfe nur von geringem Umfang; die Huthis sind keine simplen Schachfiguren Teherans. Es gibt hier langjährige Verbindungen zwischen den Schiiten und dem Iran sowie zwischen den Saudis und den Sunniten, doch erst kürzlich, mit dem Verrotten der gesellschaftlichen Bande und dem allgemeinen Zusammenbruch durch den kapitalistischen Zerfall, fielen diese Spaltungen und ihre staatlichen Manipulationen zusammen.

Die Huthis haben zuvor die Regierungskräfte des von den USA und Saudi-Arabien gestützten Präsidenten Saleh genauso wie die AQAP bekämpft. 2012 trat Präsident Saleh zurück, und nun unterstützten er, sein Sohn und hunderttausend Soldaten von ihm den Vormarsch der Huthis, ein Vormarsch, der auch durch die Verzweiflung und das Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen erleichtert worden war. Der erst neulich installierte jemenitische Präsident Hadi, der von den Saudis und vom Westen gestützt wurde, floh vor dem Huthi-Vormarsch, der sich in Richtung Aden bewegte, wo einige ihm günstig gestimmte Kräfte geblieben waren. Es wird berichtet, dass er sich in Riad aufhält. Hadis besondere Beziehung zu den Sunniten ist in Saudi-Arabien ungesetzlich, was eine weitere Wendung in dieser Geschichte ist. Botschaften wurden geschlossen, und auch US-Soldaten flohen vor den vorrückenden Huthis, die, wie berichtet wurde, zudem Militärgeräte der USA im Wert von einer halben Milliarde Dollar erbeuteten.

Ein weiterer Faktor des Jeder-für-sich-selbst hier ist, dass das Bündnis des Ex-Präsidenten Saleh mit den Huthis bestenfalls wacklig ist; einige seiner Soldaten wurden abtrünnig und liefen zu den Saudis über, um den Luftangriffen auf ihre Quartiere zu entkommen. Dies deutet die Möglichkeit an, dass sich seine Armee gegen die Huthis wendet und zu den Saudis und seinen früheren westlichen Unterstützern überläuft.

Einige Journalisten,4 die über den Nahen Osten schrieben, haben die Komplexität wie auch die Gefahren eines sich entfaltenden Krieges im Jemen bemerkt. Sie nennen es „vielschichtig“, was eine angemessene Beschreibung des Zusammenbruchs ist. Da gibt es die Huthis, die nun aufgerüstet werden, nicht dank der Liebenswürdigkeit der Iraner, sondern jener der USA; die AQAP – deren Filiale hier seit fünfzehn Jahren von tödlicher Effektivität gegen westliche und lokale Ziele war; der IS, der letztes Jahr die Eröffnung seiner jemenitischen Niederlassung verkündete und hinter dem Bombenanschlag am 21. März gegen eine Moschee steckte, der über einhundert schiitische Huthis tötete; das niedergehende Rumpfregime der von den Saudis gestützten sunnitischen Kräfte und eine westliche Seeküste, die teilweise von Piraten und Warlords dominiert wird. Und in dieses Inferno hinein will Saudi-Arabien bombardieren und eine Invasionsstreitmacht entsenden! Saudi-Arabien mobilisiert offensichtlich 150.000 Soldaten und Artillerie, um den Jemen anzugreifen.

Die militärischen, ökonomischen und geostrategischen Dimensionen des Konflikts im Jemen, mit dem Roten Meer und dem Suezkanal an dem einen Ende und dem Golf von Aden am anderen, woran sich die jemenitische Meerenge von Bab-el-Mandeb anschliesst, sind denselben Journalisten durchaus nicht entgangen; ein weiterer Grund, warum der Jemen solch eine wichtige Bühne für die imperialistischen Spiele ist. Saudische Militärjets haben nun begonnen, den Jemen zu bombardieren, wobei sie unvermeidlich Flüchtlingslager und zivile Bereiche in Mitleidenschaft ziehen. Die Saudis sind auch besorgt wegen ihrer eigenen Bevölkerung und der Stabilität ihres eigenen Landes, da die Krise sich überall verschärft; fast die Hälfte der saudischen Armee setzt sich laut Berichten aus Angehörigen jemenitischer Stämme zusammen.

Die von den Saudis geplante Invasion des Jemen erinnert an ihre Invasion des Bahrain 2011 während des „Arabischen Frühlings“ und unterscheidet sich gleichzeitig von ihr. Die Repression der Proteste durch die von den Saudis gestützte Regierung hatte die Unterstützung des Westens, bis hin zu gepanzerten Fahrzeugen aus Grossbritannien. Wie die Israelis werden die Saudis alarmiert sein über die Stärkung des Iran im Irak und die notwendige Kooperation mit den USA. Die Saudis haben ihre jemenitischen Kriegspläne „Operation entscheidender Sturm“ genannt und sich dabei an die „Operation Wüstensturm“ der USA im Irak 1991 angelehnt, die unter anderem das Massaker an irakischen Wehrpflichtige und Zivilisten beim berüchtigten „Truthahnschiessen“ (Turkey shoot) auf der Strasse nach Basra umfasste.

Im Jemen sind nun bereits Zivilisten bombardiert worden, so wie sie schon seit einiger Zeit von der einen oder anderen Fraktion bombardiert worden waren. Der Iran wird nicht glücklich sein über den Zug Saudi-Arabiens und wird sich der von Wikileak ans Tageslicht gebrachten saudischen Bitte an die Amerikaner gewahr sein, „der Schlange den Kopf abzuschneiden“ (Reuters, 29.11.10). Ob es eine amerikanisch-iranische Annäherung gibt oder nicht, die Spannungen und Kriege werden sich in dieser Region verschärfen. Dies ist die Zukunft, die der Kapitalismus dieser Region und letztendlich der gesamten Welt verheisst.

Boxer / iks

Fussnoten:

1 Man kann nicht viel von diesem Kram über „Argumente“, etc. glauben, besteht doch ihr Zweck darin, in die Irre zu führen, Maskirowka, d.h. bewusstes Lügen aus strategischen Gründen. Anfang des Jahres gab der Admiral des US-Flugzeugträgers George W. Bush, verantwortlich für die US-Luftschläge gegen den IS im amerikanischen Fernsehsender Channel 4 News zur Überraschung des Interviewers offen zu, seine Aktionen mit dem iranischen Oberkommando zu koordinieren. Es herrsche, sagte er, „ein professionelles Verhältnis“. Später stritt er seinen Kommentar ab.

2 In anderen Artikeln werden wir auf die Bedeutung des religiösen Fundamentalismus und der religiösen Spaltungen im Nahen Osten zurückkommen. Die imperialistischen Mächte in der Region und natürlich die mannigfaltigen sunnitischen und schiitischen bewaffneten Banden haben unübersehbar eine bedeutende Rolle beim Aufheizen der schiitisch-sunnitischen Spaltungen gespielt, die in der Vergangenheit von weitaus geringerem Belang waren. Doch die Verschlimmerung dieser Spaltungen sind ebenfalls „spontane“ Produkte des Zerfalls einer Gesellschaft, in der alle gesellschaftlichen Bande bersten und von der fauligen Atmosphäre des Verfalls und des Pogroms ersetzt werden.

3 Der Sunday Telegraph veröffentlichte kürzlich einen Artikel über einen UN-Report, der aufzeigt, dass 2011 Präsident Saleh, obwohl vom Westen und Saudi-Arabien gestützt, hohe Repräsentanten der AQAP traf und ihnen einen sicheren Rückzugsort im Süden des Lands zusicherte, wo sie vor seinen Truppenbewegungen geschützt waren. Dies ist typisch für die machiavellistischen Verhältnisse des kapitalistischen Zerfalls. Wie seinesgleichen prellten auch Saleh und seine Clique das Land um Milliarden Dollar.

4 Siehe zum Beispiel Nussalbah Younis in The Observer, 29.3.15, und Robert Fisk in The Independent, 28.3.15.