Begleitet wird diese Staatsaktion von Appellen an die Solidarität, Aufrufe zur Vernunft usw. Alle würden wegen des Virus auf eine neue Art und Weise in einem Boot sitzen und alle müssten sich jetzt gleichermassen anstrengen. Dieses moralische Grundmuster ist jetzt der aktuelle Stand in der hohen Kunst der Rhetorik, mit dem sich alle Akteure in der Gesellschaft wechselseitig ihre Ansprüche vortragen. Und wie es leider kommen muss, nehmen das manche linke Idealisten zum Anlass, die Krise als Chance für eine bessere Welt zu sehen. Greenpeace ermahnt in einem offenen Brief die Rüstungskonzerne:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
(…) Angesichts der Pandemie hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 23. März die Internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, alle Kriege auf der Welt zu stoppen: ,It is time to put armed conflict on lock down and focus together on the true fight of our lives.ʻ Greenpeace kann diesen Aufruf nur unterstützen. Die Corona-Pandemie zwingt uns alle zusammen – Staaten, Regierungen, Unternehmen, Zivilgesellschaft und Bevölkerung – Herausforderungen aus einem ganz anderen Winkel zu betrachten und vollkommen neue Wege zu beschreiten.“
Da gibt es hunderte militärische Konflikte und Kriege, die die Staaten in der Welt führen. Sie bringen wechselseitig Leute um und zerstören Land und Infrastruktur, damit gegnerische Staaten (oder andere Kombattanten) anerkennen, dass sie sich in bestimmten Fragen unterzuordnen haben. Und ausgerechnet ein Virus, das dann auch noch zusätzlich Menschen umbringt, soll diese Staaten „zwingen“, auf diese Art der „Interessenvertretung“ in der Welt zu verzichten? Als Chef-Diplomat der konkurrierenden Staatengemeinschaft hat Guterres eigene Gründe für seine Forderung. Aber das muss man doch nicht glauben und kreativ zu einem neuen moralischen Sachzwang weiterentwickeln, wie Greenpeace es macht.
Stattdessen ist es doch so: Die Staaten sehen nicht die Menschheit, sondern ihre nationale Kraftreserve „Volk“ bedroht. Da steuern sie mit einschneidenden Massnahmen gegen - damit die üblichen Zwecke nach der Pandemie weiter funktionieren können (nationales Wirtschaftswachstum, einen höheren Rang in der Weltordnung einnehmen etc.).
Und: In jeder Gesellschaft werden Unternehmen, Zivilgesellschaft und Bevölkerung vom Staat und seinen Organen (z.B. der Regierung) zusammengezwungen - und nicht vom Virus. Und ganz bestimmt zwingt das Virus die Staaten untereinander nicht zusammen, denn jetzt wie sonst auch herrscht Konkurrenz zwischen ihnen. „Zwingen“ tut international höchstens die überlegene Gewalt und Wirtschaftsmacht den unterlegenen Staat dazu, sich den an ihn herangetragenen Wünschen zu beugen.
Deshalb gibt es permanent so viele Kriege in der Welt. Es stimmt zwar, dass jeder Staat den neuartigen Virus als Herausforderung nimmt und neue Wege beschreitet, aber die werden derzeit offensichtlich sehr nationalstaatlich gesehen und angegangen. Nicht umsonst hat der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt und nicht etwa eine Lage der bedrohten Menschheit. Derzeit herrscht nicht nur America, sondern eben auch Germany first.
Greenpeace erlaubt es sich jetzt ausgerechnet, die Rüstungskonzerne mit dem von ihm erfundenen moralischen Sachzwang anzusprechen.
„Daher schreibe ich Ihnen als Geschäftsführer eines der grössten deutschen Rüstungskonzerne – wie gleichlautend Ihren Kollegen an der Spitze der anderen führenden Konzerne der Branche – mit dem Appell, einen solchen neuen Weg zu beschreiten und alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um die Pandemie zu bekämpfen. Dazu zählt erstens ein umgehender Stopp aller Verkäufe von Waffen, Munition und anderen Rüstungsgütern an Staaten, die gegenwärtig in Konflikte verwickelt sind – insbesondere an alle Staaten, die direkt oder indirekt an den Kriegen in Libyen, Syrien und Jemen beteiligt sind.“
Es stimmt ja, dass Kriegsschauplätze sehr ungeeignet sind, um Hygienemassnahmen und Kontaktminimierung herbeizuführen. Natürlich wird sich das Virus dort ungebremst ausbreiten und zusätzliche Tote hervorbringen. Aber glaubt Greenpeace ernsthaft, dass das irgendwen von den Macher*innen in den kapitalistischen Zentren kratzt? Hier wird es direkt lustig. Alle drei genannten Kriegsschauplätze spielen sich zwar nicht auf den Territorien der wichtigen Staaten der Welt ab, aber welcher wichtige Staat ist denn bei diesen Kriegen nicht dabei?
Es handelt sich in allen drei Fällen um Stellvertreter-Weltkriege. Im Grunde will Greenpeace sagen: Hört auf damit, Waffen herzustellen. Wenn das ernst gemeint wäre, dann hätte sich Greenpeace mit der Waffenindustrie einfach einen falschen Akteur ausgesucht. Die Organisation sollte sich besser fragen, was der deutsche Staat eigentlich mit den ganzen Waffen so selber anstellen will oder warum er den Rüstungskonzernen den Export an manche Staaten erlaubt und an andere verbietet.
„Zum zweiten möchte ich Sie bitten, die Produktion von Kriegsmaterial auszusetzen und Ihre Produktionsanlagen sowie die technischen, logistischen und administrativen Fähigkeiten Ihres hochqualifizierten Personals zu nutzen, um Güter zu produzieren und Dienstleistungen bereitzustellen, die nun dringend gebraucht werden im Kampf gegen das Corona-Virus.“
Einige Unternehmen in Deutschland und anderswo sind derart von den Corona-Massnahmen betroffen, dass die übliche Produktion sich nicht lohnt. Soweit sie können, kommen sie von sich auf die Idee, in die neu entstandene Marktlücke in Sachen Atemmasken und medizinischem Gerät zu stossen. Die Nachfrage und Zahlungsbereitschaft (ermöglicht durch die Staaten) stimmt in diesem Geschäftsfeld.
Das inspiriert Greenpeace dazu, auf die Rüstungsindustrie mit der Forderung loszugehen: Schwerter zu Pflugscharen oder Waffen zu Beatmungsgeräten! Dabei ist es Greenpeace einfach entgangen, dass die Rüstungssparte gar keinen Einbruch der Nachfrage zu verzeichnen hat, sondern weiter auf vollen Touren läuft. Mehr dazu unten bei den Antworten der Rüstungsunternehmen auf den offenen Brief.
Greenpeace unterstreicht, dass Masken und medizinisches Gerät nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Welt gebraucht werden und versucht die Unternehmen dabei an ihrem eigenen Interesse zu packen:
„Das Virus kennt keine Grenzen. Wenn seine Ausbreitung nicht signifikant verlangsamt bzw. gestoppt wird, werden wir bald nicht mehr in der Welt leben, die wir vor wenigen Wochen noch so sicher zu kennen geglaubt haben. Das gilt ebenso für Ihr Unternehmen und seine MitarbeiterInnen.“
Das wird die Rüstungsunternehmen beeindrucken müssen: Wenn sie jetzt nicht auch medizinisches Gerät herstellen und in alle Welt liefern, dann sähe die Welt nie mehr so aus wie vorher. Die Unternehmen könnten nicht mehr damit rechnen, dass alle Welt (inklusive Deutschland) wie vorher Kriege führten oder sich auf Kriege vorbereiten wollte. Die Konzerne und ihre „MitarbeiterInnen“ könnten sich nicht mehr darauf verlassen, in der viertgrössten Kriegsgeräteexportnation (Deutschland) der Welt Gewinne zu machen und Löhne zu bekommen.
„Bitte teilen Sie uns mit, welche Massnahmen ihr Unternehmen ergreifen wird, um einen Beitrag im Kampf gegen die Pandemie zu leisten.“ Greenpeace ist mit seinem angedachten PR-Gag fertig. Es hat eine Mini-Kampagne angestossen und hofft, dass darüber die Leute kritischer werden und dann am besten Greenpeace als Spender*innen unterstützen. Die Rüstungskonzerne haben natürlich auch eine PR-Abteilung und nutzen den Brief und die heute angesagte Moral, um ihrerseits in der Öffentlichkeit Werbung zu machen. Das halten sie vielleicht auch für nötig, weil wohl auch schon manche Oppositionspolitiker auf die Idee gekommen sind, die Rüstungsproduktionskapazitäten in der Corona-Bekämpfung nutzen zu wollen.
Die Antwort der Rüstungskonzerne: Schwerter sind die Bedingung für Beatmungsgeräte
„Die Führung von Heckler & Koch, die zu den Adressaten des Briefes gehört, reagierte auf den Vorstoss diplomatisch: ,Sie sehen uns, was das Engagement für unsere Gesellschaft angeht, vollständig auf Ihrer Seite', schreibt Geschäftsführer Jens-Bodo Koch in seiner Antwort an Greenpeace.“ FAZ 08.04.2020; http://archive.vn/3eexqAuch wenn klar ist, dass Greenpeace in der Sache etwas völlig Gegensätzliches zum Konzerninteresse des berühmten Schnellfeuerwaffenherstellers Made in Germany will, behauptet der Konzern zunächst einmal ein gemeinsames Interesse auf einer höheren Ebene. Diese Tour hat Greenpeace dem Konzern ja auch einfach gemacht, weil die Kämpfer für die Umwelt und die Menschheit das ja genauso in ihrem offenen Brief behauptet haben. Greenpeace hat den Rüstungskonzern angesprochen mit der Behauptung es gäbe ein gemeinsames Boot, in dem alle sitzen würden.
Eine leichte Verschiebung findet in der Antwort aber statt: Während Greenpeace ein gemeinsames Boot der Menschheit behauptet, ist der Rüstungskonzern näher an dem dran, was wirklich los ist. Er behauptet nämlich, dass die Gemeinsamkeit doch das Engagement für diese Gesellschaft sei. Und in dieser Hinsicht verurteilt der Konzern Greenpeace nicht als linke Spinner (wie das in den 80er Jahren die Regel war), sondern gesteht zu, dass so ein NGO-Engagement für die Umwelt etwas Gutes für diese Gesellschaft hat. Das sei aber eben auch bei der Herstellung von Tötungswerkzeugen der Fall:
„Dabei verweist der schwäbische Waffenhersteller für Bundeswehr und Polizeikräfte im In- und Ausland auf die volle Auslastung seiner Produktionsstätten. Heckler & Koch leistet mit der pünktlichen Erfüllung solcher Aufträge zumindest indirekt seinen Beitrag, die Gesundheit der heimischen Bevölkerung zu schützen, indem Recht und Ordnung in Deutschland aufrecht erhalten werde, heisst es in dem Schreiben von Koch weiter.“ (ebd.)
Aktuell ist der zentrale Akteur, der die Ausbreitung des Corona-Virus mit extrem hohen Todeszahlen verhindern will, eben nicht eine naturwissenschaftlich aufgeklärte Welt-Bevölkerung, aus deren Mitte heraus dann Forscher in Kooperation mit Anderen nach Gegenmitteln suchen, sondern der Staat. An dieser (miesen) Realität knüpft der Rüstungskonzern an: Recht und Ordnung sind genauso wichtig, wenn nicht wichtiger, als die konkreten medizinischen Massnahmen. Denn der Staat ist in dieser Gesellschaft die absolute Bedingung aller „Zusammenarbeit“ (wenn man diesen Ausdruck für die kapitalistische Konkurrenz überhaupt benutzen will), und Heckler & Koch produziert zwar kein medizinisches Gerät, dafür aber die materiellen Grundlagen von Recht und Ordnung: Waffen.
Dasselbe, nur mit einigen Auskünften über die konkrete Betriebsarbeit mehr, schreibt ein anderer Rüstungskonzern zurück:
„Auch der Panzerhersteller KMW reagiert auf den Aufruf von Greenpeace, zumindest in Teilen auf die Produktion ziviler Produkte umzuschwenken, überrascht. Man habe in diesen Bereichen weder die technische Expertise noch freie Kapazitäten, heisst es in München. Die Auslastung in den inländischen Werken sei mit Aufträgen für die Bundeswehr über Jahre gegeben. Hinzu kommt: Im Gegensatz zum Gros der deutschen Industrie sind die Rüstungshersteller von Verwerfungen in der globalen Wirtschaft kaum betroffen. ,Wir haben noch keine Probleme mit unseren Lieferketten', heisst es bei KMW, der gemeinsam mit Rheinmetall Kampfpanzer wie den ,Leopard 2' herstellt und mit 3500 Beschäftigten rund 1,5 Milliarden Euro im Jahr umsetzt. Dabei kooperiert etwa KMW bei diversen Rüstungsprojekten mit einer Vielzahl von Lieferanten, die schon aus Sicherheitsgründen vor allem in Europa angesiedelt sind.“(ebd.)
Selbst wenn man wollte, so der Panzerhersteller, taugt die Panzerbauexpertise nicht zur Produktion von Beatmungsgeräten. Weiterhin lässt sich alles Nötige zum Panzerbau nach wie vor organisieren und Abnehmer gibt es für die Zeit weit in die Zukunft. Also hat KMW gar keinen Grund, die Produktion umzustellen, so wie er bei anderen Unternehmen derzeit vorliegt. KMW erlaubt sich zu guter Letzt noch den Spass, so zu tun, als hätte sich Greenpeace um die Kontinuität der Waffenproduktion in Deutschland Sorgen gemacht. Und der moralischen Tour nach (wir sitzen alle in einem Boot und die Welt könnte nicht mehr so aussehen, wie wir sie kannten) hat Greenpeace das ja auch explizit angesprochen. Hier sagt KMW quasi: Keine Sorge, liebe Greenpeace-Kämpfer*innen. Die Ausbreitung des Corona-Virus wird sicherlich fatale Folgen in den Kriegsgebieten haben, aber treffen wird uns das nicht. Die Zuliefer-Betriebe sind alle in Europa, und mit unserer Waffenproduktion wird die Festung Europa schon halten.
Fazit: Im Ganzen ist der Briefwechsel ein gutes Beispiel dafür, dass man Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen lieber nicht im Namen eines ausgedachten gemeinsamen Menschheitsinteresses formulieren sollte. Damit schiesst man sich immer ein Eigentor. Denjenigen, die die wirkliche Macht auf ihrer Seite wissen, mag dagegen das Gerede vom Boot, in dem „wir“ alle sitzen, eine gute Rechtfertigung für ihr Tun liefern.