Bestand die Kriegsberichterstattung der Leitmedien bislang vor allem in der Beschwörung der absoluten Verwerflichkeit eines „Angriffskriegs“, um seine grausamen Folgen und das Verbrechen des russischen Präsidenten vorzuführen, so haben die Medien nun einen neuen Feind zur Hand: die Kriegsmüden und unsicheren Kantonisten an der Heimatfront. Zumal die beiden Initiatorinnen des Manifestes es geschafft haben, ein breites Bündnis hinter sich zu scharen von ganz rechts bis weit nach links, von Pastorinnen wie Frau Kässmann und Philosophen wie Herrn Habermas bis zu Ex-Generälen und ehemaligen Friedensaktivisten.
Und dann gelingt es dem Duo sogar noch, am 25. Februar unter dem Titel „Aufstand für Frieden“ bei schlechtem Wetter Tausende ans Brandenburger Tor zu locken, so dass die Polizei Schwierigkeiten hat, die Zahlen kleinzurechnen, und sich mit Behinderungen des Zugangs behelfen muss. Wagenknechts Äusserung, „Neonazis und Reichsbürger“ hätten auf der Kundgebung nichts zu suchen, kann die Presse natürlich sofort entlarven. Die Veranstalter lassen keine rechtsextremen oder nationalistischen Transparente zu, damit die Journalisten sie nicht ablichten können! In Wirklichkeit sind die Friedensfreunde nämlich scharf auf die Mitwirkung des Rechten Sektors: „Wölfe willkommen, aber bitte im Schafspelz“ (FAZ, 27.2.23).
Man kann sich natürlich über den „Bruch des üblichen Totschweigekartells“ freuen. Man sollte dann aber registrieren, dass sich das Ganze keinem Aufruf zum Aufstand oder zur Illoyalität verdankt, sondern – man muss es leider sagen – einem eher schlichten Text, der ziemlich devot daherkommt.
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen...
Das Manifest beginnt mit der Aufzählung von Fakten: „Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200 000 Soldaten und 50 000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert.“ Und schliesst diese einleitenden Bilanz mit der Feststellung ab: „Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land.“Dieser Einstieg ist in doppelter Hinsicht erstaunlich. Einerseits muss man den Kriegsherren, also den staatlichen Stellen, die über Leben und Tod ihrer Bürger – im nationalen Ernstfall – unwiderruflich entscheiden, nicht mitteilen, dass sie die Macht haben, das Land zu verwüsten und Menschen zu opfern. Das sind ja ihre Kriegsmittel, die sie nach reiflicher Überlegung und minutiöser Vorbereitung (übrigens in Friedenszeiten) dann einsetzen, wenn sie den Gegensatz zu ihren Gegnern nicht mehr aushalten. Dass sie für solche Zerstörungen ihre Gründe haben – dass sie diese beschönigen oder vermenschlichen –, müsste der Angriffspunkt einer Empörung sein, die sich aus dem Standpunkt „Nie wieder Krieg“ ergibt.
Andererseits muss man jedoch festhalten, dass die Forderung des „Nie wieder“, die in den bundesrepublikanischen Sonntagsreden einmal ihren Ehrenplatz hatte, heute schon einen Verstoss gegen das Staatswohl darstellt und – eigentlich – nicht geduldet werden kann. Pazifismus entzieht sich der Parteinahme in diesem Krieg, was an strafbares Handeln grenzt. Das zeigt Wirkung. So erklärte denn auch Kässmann bei ihrer Rede auf der Bonner Friedensdemonstration, dass sie sich zwar wegen der deutschen Vergangenheit weiter als Pazifistin bekenne. Aber sofort kam die Einschränkung: „Dabei habe ich die Demut, zu wissen, dass ich schuldig werde an Menschen, die sich mit der Waffe verteidigen wollen. Ich habe auch Verständnis für den Ruf nach Waffen. Aber in einer Demokratie nehme ich mir das Recht heraus, bei meiner Position zu bleiben.“ (FR, 17.2.23)
Man darf – danke, deutsche Obrigkeit! – sich zum Pazifismus bekennen, wenn man ihn für bedeutungslos erklärt. Und so ergreifen auch die Initiatorinnen des Manifests mit ihren einleitenden Bemerkungen Partei für die Opfer des Krieges, wissen aber, auf welche Seite sich die Humanität zu schlagen hat. Die Ukraine verdient das Mitgefühl, die Opfer auf russischer Seite, die es ja auch gibt, sind hier wie sonst in den Medien kein Thema. So bewegt sich das Manifest in der Schuldfrage ganz auf der offiziellen Linie:
„Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Aussenministerin sprach jüngst davon, dass ‚wir' einen ‚Krieg gegen Russland' führen. Im Ernst?“
Die Frage nach der Solidarität ist damit regierungstreu beantwortet. Dann wird sie aber an die bisherige Politik zurückgegeben, da diese sie immerzu als ein Problem beim Umfang der Waffenlieferungen behandelt. Das ist den Autorinnen zu kurzsichtig. Den Sinn der Fortführung des Krieges ziehen sie in Zweifel, ja bezweifeln, ob da überhaupt noch politisch kalkuliert wird. Und obgleich ohne westliche Geldmittel und Waffen (wo die BRD ganz vorne mit dabei ist) die Ukraine gar keinen Krieg gegen Russland führen könnte, wollen die Verfasserinnen des Manifestes nicht glauben, dass Deutschland längst Kriegspartei ist, so wie es die Aussenministerin als klare moralische Entschiedenheit des Landes formuliert hat.
Dass auch Deutschland, wie der ukrainische Präsident Selenskyj, einen Sieg gegen Russland will, können solche Friedensbewegte einfach nicht glauben. Sie fragen vielmehr, ob sich das Land da nicht in etwas hineinziehen lässt: „Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch ‚Bodentruppen' senden. Doch wie viele ‚rote Linien' wurden in den letzten Monaten schon überschritten?“
Und so werden sie zu Mahnerinnen: „Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste grosse Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.“ Das ist eine seltsame Mahnung, denn einen Atomschlag wie auch einen Atomgegenschlag muss ja jemand befehlen, die Bomben „rutschen“ nicht aus heiterem Himmel in die Welt. Also müssen die Manifestlerinnen den Willen zum Atomkrieg nicht nur bei Putin, sondern auch bei der eigenen Regierung in Rechnung stellen. Und dass es dazu allen Anlass gibt, zeigt Deutschlands entschiedene Absicht, auf die „nukleare Teilhabe“, also die Beteiligung an einem Atomkrieg, nicht zu verzichten und sich deshalb neue Bomber für solche Waffen (die gerade im rheinland-pfälzischen Büchel modernisiert werden) in den USA zu bestellen. Doch sind diejenigen, die so gerade ihre Bereitschaft zum Führen eines Atomkrieges dokumentieren, die richtige Adresse für eine Mahnung?
Ein Verhandlungsfrieden – das neue Reizthema
Als ihr stärkstes Argument betrachten die Manifestlerinnen wohl eine weitere Warnung, dass der Krieg nämlich gar nicht zu gewinnen sei: „Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die grösste Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum denn nicht jetzt? Sofort!“
Das ist schon eine eigenartige Kritik, den Krieg an seinen Erfolgsaussichten zu messen. Wäre er denn dann lohnend und wären die Opfer in Kauf zu nehmen, wenn die Siegesaussichten gut sind? Natürlich kann man den Verfasserinnen nicht unterstellen, dass sie für einen Krieg bei besseren Gewinnchancen votieren. Dennoch könnte ihnen ja hier einiges auffallen: erstens die Verlogenheit der hiesigen Kriegspropaganda, die Putin einerseits als irrsinnigen, triebgesteuerten „Killer“ (Biden) zeichnet und ihn andererseits als rational handelnden Politiker einstuft, der das nukleare Inferno auf keinen Fall wollen kann; zweitens die klare Zielrichtung, rücksichtslos – auch und gerade angesichts eines ungeheuren Vernichtungspotenzials – statt zu kapitulieren die Schwächung des Gegners durch einen Verschleiss- und Ausblutungskrieg fortzuführen. Das soll kein „lohnendes“ Kriegsziel sein? Und kann man diese Kalkulationen nicht ständig der Zeitung entnehmen?
Kaum hat sich das Manifest mit seiner Verhandlungsforderung vorgewagt, sieht es sich auch schon unter Rechtfertigungsdruck: „Verhandeln heisst nicht kapitulieren, Verhandeln heisst, Kompromisse machen auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hundertausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!“
Mit ihrer Verhandlungsforderung stellt sich das Manifest gegen die offizielle Politik, die jedes Zugeständnis an die russische Seite gleich als Kapitulation vor dem Unrechtsregime geisselt. Um sich mit der Forderung ins Recht zu setzen, berufen sich die Autorinnen dann auf die Mehrheit im Volke. Ein echt demokratisches Argument. Es übersieht grosszügig, dass die Mehrheitsmeinung zwar bei der Auswahl von Politikern am Wahltag – für ein paar Sekunden beim Kreuzchenmachen – eine Rolle spielt, die Bürger sonst aber nichts zu melden, sich vielmehr den Vorgaben von oben zu fügen haben. Zudem ein höchst zweifelhafter Einspruch: Soll denn der eigene Standpunkt keine Rolle mehr spielen, wenn er nicht mehr von der Mehrheitsmeinung getragen wird?
Ihre Ohnmacht kennen und bekennen auch die Verfasserinnen des Manifests: „Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern ‚Schaden vom deutschen Volk zu wenden'.“
Und so präsentieren sich die beiden Autorinnen ganz als Mahnerinnen der deutschen Politik, in die sie wohl grosses Vertrauen setzen. Scholz – von dessen unverwüstlicher Bereitschaft, über Leichen zu gehen, vorher einiges zu erfahren war – soll jetzt alles zum Guten wenden: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie auf europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.“
Der letzten Schlussfolgerung mag man nicht widersprechen, schliesst doch die ständige Eskalation der Waffenlieferungen durchaus die Gefahr eines Dritten Weltkriegs ein. Und der hat eigentlich schon in der Ukraine begonnen, denn dort steht ja nicht einfach das Kiewer Regime der Russischen Föderation gegenüber, sondern ein vom Westen ausgestatteter und angeleiteter Staat, der für die westlichen Zwecke bluten darf, einer Ex-Grossmacht, die definitiv zur „Regionalmacht“ (Obama) herabgestuft werden soll, es aber noch nicht ist. Verwunderlich, dass ausgerechnet einer der grössten Unterstützer dieses Kriegs für seine Beendigung sorgen soll.
Die Reaktion bleibt nicht aus: Vaterlandsverrat!
Die Reaktion der Politiker und Leitmedien liess nicht lange auf sich warten, sehen sie doch in dem Manifest eine Untergrabung des Kriegswillens in der Bevölkerung. Dass sie sich auch moralisch gegen Russland und auf die Seite der Ukraine stellen, hilft den Verfasserinnen nicht, es bringt ihnen statt dessen den Vorwurf ein, die Ukraine zu bevormunden. So betonte Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) schon am Vortag der Friedensdemonstration, „dass es allein an der Ukraine (sei), zu entscheiden, wann der Krieg beendet wird… Jeder, der bei Sinn und Verstand ist, wünscht sich Frieden herbei. Aber es gebe auch einige, die Putins Spiel trieben, die Frieden nur als Vokabel nähmen, um Unterwerfung vorzuschlagen.“ (tagesschau.de 24.2.23)Nach Lesart der Kritiker aus Politik und Medien kann Solidarität mit der Ukraine einzig und allein heissen, ihr alle notwendigen Waffen für einen Sieg zu liefern. Dass die Ukraine den Krieg nur solange führen kann, wie der Westen diesen Staat mit Geld und Waffen versorgt, dass also die NATO-Staaten die Entscheidung in der Hand haben, wie lange der Krieg dauert und wie viele Opfer er noch bringt, davon will die nationale Öffentlichkeit, in der dauernd über die Fortführung und Eskalation des Konflikts debattiert wird, nichts wissen. Es fällt den Kritikern des Manifestes natürlich leicht, immer einen Ukrainer oder noch besser eine Ukrainerin vorzuführen, der oder die den Siegeswillen des Kiewer Regimes authentisch verkörpert – und den Anspruch auf die ganze Ukraine in den Grenzen von Anno Dunnemals bekräftigt. So unterstellte Verteidigungsminister Pistorius bei Markus Lanz (22.2.23) den Verfasserinnen, dass ihre Forderung nach einem Kompromiss Parteinahme für Russlands Landnahme sei. Er machte unmissverständlich deutlich, dass ohne einen vollständigen Rückzug Russlands aus den besetzten Gebieten kein Frieden möglich sei. Was nichts anderes bedeutet, als dass nur die Kapitulation Russlands die Voraussetzung für Friedensverhandlungen sein kann.
Andere sahen sich bemüssigt ebenfalls Friedens- oder Gegenmanifeste in die Welt zu setzen: z.B. „Die Ukraine jetzt aufgeben? Nicht in unserem Namen!“ von Roderich Kiesewetter (CDU), Marcus M.Keupp (Militärakademie ETH Zürich), Prof. Dr. Joachim Krause (ISPK Kiel) u.a. Sie erreichten aber nicht die Resonanz des Friedensmanifests. Deshalb schoben Kiesewetter und Junge Union gemeinsam mit der Jugendorganisation der FDP gleich noch ein eigenes Manifest nach: das „Manifest für die Freiheit in Europa“, das auch gleich die Unterstützung von Frau Strack-Zimmermann (FDP) fand. Und natürlich von Hofreiter, zu dessen olivgrüner Kollegin Baerbock CSU-Söder letztens das Wort vom „Kriegsrausch“ einfiel! Dass sich das Manifest auf die Unterstützung der Bevölkerung stützen kann, ist natürlich für die Medien, die deren Meinung betreuen, besonders ärgerlich.
Die Resonanz musste gleich in Frage gestellt oder uminterpretiert werden. Der Vorsprung der Befürworter vor den Gegnern des Manifestes sei minimal (39% zu 38% bei einer Grosszahl an Enthaltungen); die Völker der Welt unterstützten vielmehr überwiegend den Kriegskurs des Westens, so eine Umfrage des European Council on Foreign Relation (ECFR). In dem Gremium finden sich prominente Figuren des neueren Bellizismus wie Christoph Heusgen, Wolfgang Ischinger, Roderich Kiesewetter, Stefan Kornelius, Joschka Fischer, Reinhard Bütighofer, Alexander Graf Lambsdorf, Norbert Röttgen, Lars Klingbeil und einige andere wieder. Dabei sind neben Politikern auch Journalisten vertreten, so dass hier die Einheitsfront der Kriegspropaganda geschmiedet wird.
Daher ist es kein Wunder, dass sich z.B. die Kommentare verschiedener Autoren in der SZ wie von ChatGTP geschrieben lesen. Die Diskussion um das Manifest mündet dabei regelmässig in die Frage, ob die Ukraine den Krieg gewinnen kann oder ob nicht die Forderung nach einem Kompromiss auf die Unterstützung Putins hinausläuft. Da kann sich auch noch jede Seite auf irgendwelche Militärs berufen und so die Frage von Krieg und Frieden in militärtaktischen Abwägungen enden lassen.
Wo die Argumente gegen das Manifest ausgehen, bleibt noch ein geistiger Totschläger: die Forderung, sich von rechts zu distanzieren. Dass die Initiatorinnen das tun, hilft ihnen nicht. Schliesslich haben auch rechte Politiker wie Bernd Lucke und Tino Chrupalla ihre Unterschrift unters Manifest gesetzt. Beifall von der falschen Seite gelassen hinzunehmen (wie einst der deutsche Turbointellektuelle Enzensberger empfahl), ist in diesem Fall nicht erlaubt. Eine interessante Klarstellung! Wer die Regierungspolitik unterstützt, wer mit gelbblauen Fahnen und Rufen wie „Ruhm der Ukraine“ auf die Strasse geht, wird dagegen nicht von Reporten nach seiner politischen Herkunft aus einer militaristischen oder nationalistischen Ecke befragt. Auch distanziert sich die Bundesregierung nicht von den faschistischen Milizen in der Ukraine, sondern versorgt sie mit Waffen.
Die Partei der Grünen hatte übrigens am Vortag der Berliner Friedensdemonstration zu einer Grossdemonstration unter dem Titel „Solidarität mit der Ukraine“ aufgerufen. Sie wollte so eine Gegenbewegung ins Leben rufen, was ihr, wenn man auf die Teilnehmerzahl blickt, nur eingeschränkt gelang. Aber das Distanzierungsgebot von rechts, also das Abgrenzungsgebot von einem „neutralen“ Pazifismus, der sich nicht vor der neuen Kriegsmoral verneigt, zeigt Wirkung. Einige Prominente haben mittlerweile ihre Unterschrift unters Manifest zurückgezogen, weil sie um ihren guten Ruf fürchten... Ansonsten geht die Kriegspropaganda in den Leitmedien munter weiter. Die nehmen den Jahrestag des Kriegsbeginns zum Anlass, den Krieg als Leitthema auf ganze Reihen auszudehnen, um ja die Bürger bei der Stange zu halten.
Mitmacher werden gebraucht
Der Druck und die Unnachgiebigkeit, mit der die Medien und die Politiker für die – moralische, noch indirekte… – Kriegsbeteiligung Deutschlands agitieren, machen eins deutlich: Es ist offenbar sehr wichtig ist, dass die Bürger den offiziellen Standpunkt teilen. Zum Kriegführen braucht es eben Menschen, die die Munition herstellen, die Panzer instand setzen, die Waffen zur Front transportieren und das alles als die normalste Sache der Welt betrachten. Wenn es zum Letzten kommt, auch das zeigt der Krieg in der Ukraine, verlassen sich die Mächtigen nicht auf die Freiwilligkeit ihrer Untertanen, dann gibt es Zwangsrekrutierungen, damit die Menschen ihr Leben für die Nation einsetzen.Die Untertanen sind eben in Russland wie in der Ukraine die Verfügungsmasse der Regierenden, mit denen diese den Krieg führen, um sich, also die Staatsmacht, zu schützen. Und diejenigen, die sich in Russland wie der Ukraine durch Kriegsdienstverweigerung oder Desertion diesem Zwang entziehen wollen, sind nirgendwo willkommen. Ukrainische Deserteure können in Deutschland nicht mit Asyl rechnen, ihnen droht eher die Abschiebung. Russische Deserteure sind in Europa auch nicht willkommen. Schliesslich sind das alles Menschen, die sich ihrer Obrigkeit nicht fügen.
In Deutschland ist das Mitmachen in anderer Weise gefordert. Schliesslich haben alle Bürger die Folgen des Wirtschaftskrieges zu tragen, der ihnen die Inflation und damit die Entwertung ihres Einkommens beschert. Ein ernsthafter Protest dagegen ist bislang ausgeblieben. Im Blick darauf sollten sich die Friedensaktivisten einmal fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, sich an diejenigen zu wenden, die den definitiven Schaden durch die deutsche Kriegsbeteiligung haben, statt an die zu appellieren, die den Krieg durch Geld und Waffen am Laufen halten.
Wenn Arbeitnehmer nicht mehr hinnehmen, dass sie die Folgen des Krieges als Entwertung ihres Lohns oder Gehalts und damit als Absenkung ihres Lebensstandards zu tragen haben, wäre die Stimmung im Lande eine andere. Zwar liegt jetzt die Forderung nach Inflationsausgleich auf dem Tisch, doch haben die bisherigen Tarifrunden gezeigt, dass die deutschen Gewerkschaften immer wieder Lohnsenkungen zustimmen, indem sie Abschlüsse unterhalb der Inflation tätigen. Dagegen anzugehen, wäre ein Zeichen, sich nicht für den Krieg gegen Russland einspannen zu lassen. Sonst bleibt es bei der trostlosen Bitte von Nicole aus den Zeiten der alten Friedensbewegung: „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen, und dass die Menschen nicht so oft weinen…“