Was ist passiert?
Die Polizeiführung mit ihrer Übermacht an Einsatzkräften hatte jedoch auch ihr Konzept. In kleinen Gruppen sprachen sie einzelne Dorfbesetzer an, klärten sie über die Rechtslage auf und begleiteten sie mit der Drohung, bei Weigerung, das Gelände zu verlassen, Gewalt anzuwenden, hinaus aus dem Dorf. Aber wo die Peitsche geschwungen wird, gibt es bekanntlich auch ein Zuckerbrot: Die Polizei versprach den Demonstranten auf die Aufnahme ihrer Personalien zu verzichten, wenn sie sich nicht gegen die polizeiliche Massnahme wehren. Eine Rückkehr in das Dorf hingegen sei eine Straftat und werde entsprechend verfolgt.So leerte sich im Verlauf des Vormittags das Dorf und härtere Geschütze wurden aufgefahren. Die menschlichen, hölzernen und stählernen Barrikaden wurden mit schwerem Gerät weggeräumt. Bis in die Dunkelheit hinein wurde das Dorf fachgerecht auseinandergenommen und Aktivisten einer nach dem anderen entfernt.
In Düsseldorf äusserte sich Innenminister Herbert Reul zu den Vorgängen in Lützerath. Mit altbekannter Betroffenheitsmiene bedauerte er die Gewaltexzesse und meinte damit nicht das von der Polizei geschaffene Bürgerkriegsszenarium, sondern Feuerwerkskörper, Molotowcocktails und brennende Barrikaden, durch die die Aktionsfreiheit der demokratisch legitimierten Staatsgewalt – nach seiner Ansicht – behindert wurde. Am Abend kam noch der grüne Polizeipräsident aus Aachen, Dirk Weinspach, als Verantwortlicher für die polizeilichen Massnahmen zu Wort. Er wusste klar zu differenzieren zwischen seinem rechtmässigen Auftrag und einem klaren Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, die natürlich nur so lange gilt, wie die Meinung keine Geltung hat.
Ein paar Worte zu den Aktivisten
Wenn man von den Aktivisten spricht, ist das bestimmt falsch. In Lützerath waren die verschiedensten Gruppen von sog.[1] Klimaschützern unterwegs. Über Umweltgruppen, die in der Nähe zu sozialdemokratischen oder sogar grünen Parteien stehen, kirchliche und andere religiöse Initiativen, die Gottes Werk gefährdet sehen, bis hin zu radikalen Systemgegnern reicht das Spektrum der Demonstranten. Sicherlich gab es intern heisse Diskussionen, aber nach aussen hatte man den Eindruck, dass sich hier eine Gemeinschaft gebildet hatte, die ent- und geschlossen[2] ihr Anliegen verteidigen wollte, die Kohleförderung und Verbrennung im Bereich Lützerath zu stoppen.Dass sie in diesem Falle keinen Erfolg gehabt hat, haben nicht die Lützerather Kämpfer zu verantworten. Es ist die Übermacht des staatlichen Gewaltmonopols, die dem Treiben der Gegner ein Ende bereitet hat. Die Schlussfolgerung für die Kritiker der staatlichen Massnahmen muss also sein, in den nächsten Auseinandersetzungen noch effizienter – falls es die Mittel zulassen – den Kampf im Hinblick auf Agitation und Vorbereitung zu organisieren. Bisweilen wurde auch Häme laut, wenn den Dorfbesetzern eine vollkommene Überschätzung ihrer Kampfkraft vorgeworfen wurde. Sie ist nicht angebracht. Zwar sollte man überschauen können, wann ein Widerstand selbstzerstörerisch ist und man sich rechtzeitig in Sicherheit bringen muss. Aber die gehörige Portion Optimismus beim Vorgehen gegen eine gleichgeschaltete Öffentlichkeit bzw. den hellsichtigen Pessimismus über die verzweifelte Rolle als „Letzte Generation“ sollte man den Besetzern nicht zum Vorwurf machen.
Aus den Lützerather Protesten kann viel gelernt werden. Sie haben uns gezeigt, wie man effektiv die Öffentlichkeit erobern, wie man moderne Medien nutzen, wie man aus eventuellen Fehlern der Vergangenheit (Dannenröder und Hambacher Forst) lernen kann.
Der Protest und die Grünen
Am 12. Januar besetzten Aktivisten das Grünen-Büro in Düsseldorf. Sie wollten ein Gespräch mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur über ihr Versprechen, dass Lützerath bestehen bleibe[3], erzwingen. Neubaur erschien nicht, dafür in den frühen Morgenstunden am 13. Januar ein grosses Polizeiaufgebot, das das Büro kurzerhand räumte. Die Protestierenden sind zum Teil schwer enttäuscht von einer Partei, von der sie eine umweltfreundliche und soziale Politik erwartet haben. Dabei machen die Grünen nur das, wofür sie gewählt sind: Sicherung und Ausbau des Standortes Deutschland auf kapitalistischer Grundlage, eben zum Wohle Deutschlands. Und das ist für viele Menschen keine gemütliche Angelegenheit, auch wenn die professionellen Grünenvertreter ihre verordneten Massnahmen gerne mit dem Verweis auf ihre bisherigen ungeheuren Leistungen und Absichten in Sachen Umweltschutz totreden, und deren partielle Rücknahmen mit dem Adverb „leider“ verkleiden. Die Politik sei kein Wunschkonzert, ist die Botschaft an die Wähler, zumal in Zeiten, da die Grünen sich führend an der Eskalation des Krieges längs der Ostfront der NATO beteiligen und sich dadurch in eine energiepolitisch prekäre Lage gebracht haben.Ein paar Worte zu den Aktivisten von der anderen Seite
Die Legitimation für ihr rigides Vorgehen erhielt die Polizei durch den Rechtsstaat. Alle Massnahmen waren durch politische Beschlüsse, rechtliche Überprüfungen und überlegtes Handeln der Exekutivkräfte abgesichert. Alle drei Gewalten der staatlichen Ordnung haben sich mächtig ins Zeug gelegt, um dem Standort Deutschland und den Eigentümerinteressen von RWE ihre Dienste zu leisten. Abgesichert hat sich die Staatsgewalt durch die Berufung auf die Zustimmung der Mehrheit der Wähler in den demokratischen Wahlen. Dass das Ergebnis des staatlichen Handelns katastrophal für viele Menschen sein kann, ist angesichts der wasserdichten Rechtslage kein Thema mehr. Reul, Habeck und Weinspach stehen für diesen Rechtsstaat, und tausende Polizisten setzen besinnungslos, wie es der Dienst verlangt, deren Anordnungen bewaffnet und mit Schild und Helm beschützt durch – wenn es geht, gewaltlos.Eine Demo für den Erhalt der Lebensgrundlagen der Menschheit
Für den 14. Januar hatte das Lützerather Bündnis zu einer Demonstration gegen die Klimazerstörung nach Keyenberg, dem Nachbarort von Lützerath, aufgerufen. Es kündigte 7000 Teilnehmer an. Es kamen trotz Kälte und Regen ca. 35 000 nach Veranstalterangaben aus ganz Deutschland und Europa (und der Schreiber dieser Zeilen, seit Jahrzehnten demonstrationserfahren, hätte sogar auf noch mehr Teilnehmer getippt). Es war kein Trauerzug, weil die Kohle unter Lützerath nun den RWE-Baggern zum Frass überlassen wird. Es war die Kundgabe „Jetzt erst recht!“, die die Menschen von überall her ins rheinische Braunkohlegebiet getrieben hatte.Die vertretenen Standpunkte waren unterschiedlich bis konträr, aber es zeichnet sich ab, dass der Wille und die Entschlossenheit, gemeinsam den Machern der Klimakatastrophe das Handwerk zu legen, die Grundlage sein können, um die noch bestehenden Differenzen zu klären. Denn um erfolgreich einen Kampf aufzunehmen, muss man wissen, wer der Gegner ist und wie er kalkuliert – und darf z.B. nicht die Staatsmacht, die einem gerade „robust“ entgegentritt, als den eigentlich Zuständigen für die endlich zu vollziehende „Energiewende“ adressieren. So hat der alte Spruch von Karl Liebknecht „Erst Klarheit, dann Einheit“ seine Berechtigung: nicht als Dogma, um weniger radikale Klimafreunde fernzuhalten, sondern als Aufforderung dazu, durch Auseinandersetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen in der „Klimabewegung“ weiterzukommen.