Kapitalismus und Weltmarkt
Zunächst gehen wir davon aus, dass die kapitalistische Produktionsweise eine Strukturierung der Gesellschaft in Klassen voraussetzt und permanent neu hervorbringt. Die Zusammensetzung dieser Klasse mag wechseln; zentral aber bleibt der Widerspruch zwischen einer Masse, die ihre Arbeitskraft verkaufen muss und einer Minorität, die über abgepressten Mehrwert und Produkt der Arbeit verfügen kann, also durch Ausbeutung Profit macht und mit der Verfügung über fremde Arbeitskraft und Lebenszeit sachlich vermittelte Herrschaft ausübt. Abgesichert und reproduziert wird das Kapitalverhältnis durch den Nationalstaat, der wiederum in den kapitalistischen Weltmarkt eingebunden ist.Der globalen Ökonomie entspricht eine multipolare imperialistische Weltordnung, in der grosse Asymmetrien vorherrschen und verschiedene politische, militärische und ökonomische Akteure um Einflusssphären und Absatzmärkte ringen. Von allen Mächten werden eine Vielzahl militärischer und neokolonialer Strategien exekutiert, zunehmend auch unter Konflikten oder widerstreitenden Interessen innerhalb der Blöcke selbst.
Die Klassenfrage im Viertel
Die Folge ist in Bezug zu den hiesigen Verhältnissen, dass die Klasse der Lohnabhängigen in den Zentren indirekt von der verschärften Ausbeutung der Neokolonien im Trikont profitiert und damit im globalen Massstab in eine Hierarchie zu den Arbeitenden in der Peripherie gesetzt wird. Dies zeigt auch die Tatsache, dass die Krise des Kapitalismus sich in der BRD bislang vergleichsweise dezent bemerkbar gemacht hat.Das ist auch eine unmittelbare Folge des Krisenmanagements der deutschen Eliten, das darauf zielt, die Last der Krise auf die Länder der europäischen Peripherie abzuwälzen – das Troika-Diktat gegenüber der griechischen Bevölkerung ist exemplarisch hierfür. D.h., dass es Teile der hiesigen ArbeiterInnenklasse gibt, die im globalen Massstab privilegiert sind, und gleichzeitig seit hundert Jahren in vielfältiger Weise in das System integriert worden sind. Die Führungen der reformistischen ArbeitnehmerInnenverbände vertreten heute Sozialpartnerschaft und Standortrhetorik und stehen damit auf der Kapitalseite. Zur nationalistische Hetze à la „Pleite-Griechen“ und deutschen Grossmachtambitionen ist es nur ein gradueller Unterschied.
Klassenzusammensetzung
Klar muss auch sein, dass das, was wir klassischerweise als ArbeiterInnenklasse begreifen, heute nicht nur gänzlich anders zusammengesetzt ist, als zu Zeiten Marx', sondern auch vielfältig fragmentiert, hierarchisiert und auch räumlich gespalten ist. Uns muss klar sein, dass insbesondere Produktion und Verarbeitung inzwischen weitgehend verlagert oder in internationalen Produktionsketten organisiert sind. Bezüglich der Verantwortlichkeit, der Löhne, Arbeitsbedingungen und der Rechtsform kann es, selbst bei gleicher Tätigkeit, grosse Unterschiede geben. Hinzu kommt die Deklassierung von Teilen der Klasse zur Reservearmee. Das arbeiterbewegungslinke Bild des/r Industriearbeiters/In, mythologisch aufgeladen als VollstreckerIn der Geschichte, ist vor diesem Hintergrund endgültig obsolet. Klassenkampf meint also zunächst immer den Kampf um die Klasse, die wir für den Kampf zurückgewinnen müssen.Produktion und Reproduktion
Wir gehen von einer Trennung in Produktions- und Reproduktionssphäre aus, d.h. zum einen von Lebensbereichen, in denen Lohnarbeit verrichtet wird, zum anderen von solchen, in denen die Arbeitskraft durch unbezahlte Arbeit hergestellt (Hausarbeit, Erziehung, etc.) und die überproportional von Frauen verrichtet wird. Für eine revolutionäre Perspektive, die Patriarchat und Ausbeutung überwinden will, müssen beide Sphären gleichermassen als Kampffeld betrachtet werden – als je eine Seite der Medaille.In den Betrieben findet der Kampf um die konkreten Bedingungen der Arbeit statt, mehr Ausbeutung/Mehrwert oder mehr Lohn/Freizeit. Dieser Kampf ist noch nicht revolutionär, aber die Klasse kann sich im Kampf erkennen und ihrer Lage bewusst werden. Im Wohnviertel hingegen sind das soziale Netzwerk, die Nachbarschaft, die Wohnsituation und die Kultur des Viertels zentrale Momente: Es geht einerseits um das Erkämpfen von Räumen, die „Stützpunkte“ im Kampf um kulturelle Hegemonie im Viertel werden, in denen Kollektivität und eine solidarische Kultur gelebt und die neoliberale Vereinzelung partiell aufgehoben werden können; und die gleichzeitig die Agitation in den Alltag der Menschen tragen. Die systematische Verdrängung in den Grossstädten liefert schliesslich einen Ansatzpunkt zur Thematisierung der sozialen Frage auch ausserhalb des Betriebs. Diese Gleichzeitigkeit von ökonomischem und soziokulturellem Kampf korrespondiert die jeweils unterschiedliche Attraktionskraft revolutionärer Politik auf emotionaler und inhaltlicher Ebene.
Flucht…
Teile der KapitalistInnenklasse sind seit jeher transnational orientiert und profitieren von Deregulierung und Freihandel, auch von besonderer Freizügigkeit. Diese Freizügigkeit gilt nicht für Menschen, sofern diese aus aussereuropäischen Gesellschaften stammen. Die Migrations- und Fluchtbewegungen sind auch als Aufholen des Mobilitätsvorsprungs zu verstehen, bei dem Teile der internationalen ArbeiterInnenklasse privilegierteren Lebensbedingungen und Arbeitsplätzen nachzufolgen versuchen.Neben der faktischen Hierarchisierung der ArbeiterInnenklasse in vergleichsweise privilegierte Teile (z.B. Stammbelegschaften, VorarbeiterInnen usw.) und besonders unterdrückte Teile (z.B. Prekarisierte, LeiharbeiterInnen, Illegalisierte usw.), tritt so die Spaltung aufgrund von Herkunft, Nationalität und Hautfarbe. Auch hier hat sich im Vergleich zur klassischen revolutionären Betriebsarbeit der ArbeiterInnenbewegung eine Veränderung eingestellt. Mit der einsetzenden GastarbeiterInnen-Anwerbung entstand bereits in den 1950er Jahren eine noch unter einheimischen ArbeiterInnen stehende Schicht, die ökonomisch und zudem aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt und ausgeschlossen wurde. Dieses GastarbeiterInnen-Proletariat wurde zunächst auch räumlich segregiert und unter elenden Wohnverhältnissen einquartiert.
…und Migrationsfrage
Später kamen weitere Fluchtgenerationen hinzu, die wiederum aufgrund von Nicht-Anerkennung von Qualifikationen und anderen gesetzlichen Hürden ebenso wieder mehrheitlich in dieser migrantischen Subklasse landeten. Signifikant ist beispielsweise für die türkische, kurdische, iranische und eritreische Community, dass diese zumeist ihre eigenen politischen Erfahrungen aus dem jeweiligen Herkunftsland mitbrachten und entsprechende Auslandsvertretungen von Organisationen oder ihnen nahestehende Kulturvereine gründeten. Etwas Ähnliches lässt sich in anderen Communities, hier allerdings eher über Religion vermittelt oder durch die Gründung von auf nationale Gruppen ausgerichteten Vereinen feststellen.Im Bezug zur Stadtteilarbeit in migrantisch geprägten ArbeiterInnen-Vierteln besteht darüber hinaus die Schwierigkeit, als deutscher Aktivist keinen Zugang zu diesem Teil migrantischer Realität und Kultur zu haben. Eine Möglichkeit der Überwindung dieser Schwierigkeit besteht offensichtlich in der Vernetzung mit linken Akteuren aus eben diesen Communities. Auch hier gilt: Es handelt sich um langfristige Arbeit – Ergebnisse stellen sich nicht ad hoc und selten direkt greifbar ein. Aber es lässt sich für die letzten Jahre feststellen, dass migrantische AkteurInnen beginnen, die deutsche Gesellschaft als ihr eigentliches Kampffeld zu definieren und die Fixierung auf ihr Herkunftsland überwinden – eine Tendenz, die es solidarisch zu unterstützen gilt.
Stadtteilarbeit – für wen?
Eine revolutionäre Stadtteilarbeit kann nur auf Klassenorientierung basieren, und schon aufgrund der eigenen Kapazitäten sollte sie sich an ebenjenen Stadtteilen orientieren, die von einer potentiell rebellischen, weil von sozialen Verdrängungsprozessen betroffenen Population bewohnt werden. Und dort wiederum an den besonders benachteiligten Strassenzügen. In diesem Rahmen gilt es genau zu bestimmen, wer die AdressatInnen der eigenen Agenda sein können und wie eine entsprechende Praxis aussehen kann.Die AdressatInnen sind neben klassischen ArbeiterInnen, auch 1-Euro-JobberInnen, LeiharbeiterInnen, SubproletarierInnen, Erwerbslose usw., aber eben nicht „Alle“, sondern diejenigen, die wir zur fragmentierten und hierarchisierten ArbeiterInnenklasse zählen. Ein Hilfsmittel zur Bestimmung möglicher Betätigungsfelder ist die sogenannte militante Untersuchung, in der mit Hilfe von standardisierten Fragebögen Nachbarschaften zu ihrer sozialen Lage befragt werden können – ein Instrument aus dem an der revolutionären Betriebsarbeit orientierten Operaismus.
Darüber hinaus können auch – oft migrantische und prekäre – Kleingewerbetreibende mit wenigen oder ohne MitarbeiterInnen im Sinne einer anti-monopolistischen Strategie miteinbezogen werden. Nur eine an den wirklich von Verdrängungsprozessen ökonomisch betroffenen Menschen orientierte Stadtteilarbeit kann so langfristig dem Problem entgehen, falsche Lobbyarbeit für hippe Mittelständler, High-Class-Angestellte und andere kleinbürgerliche IndividualistInnen, die letztlich selbst oft die Pioniere des Gentrifizierungsprozesses sind, statt für die Masse der von Klassenunterdrückung betroffenen Menschen zu machen.
Gemeinsame politische Themenfelder
Anknüpfend an die aggressive Kriegspolitik Deutschlands und anderer imperialistischer Staaten, an die Waffenexporte und ökonomische Vernichtungspolitik sind insbesondere ArbeiterInnen mit Migrations- und Fluchthintergrund für diese Themen ansprechbar und politisierbar. Antiimperialismus und Internationalismus gewinnen als politische Kampffelder vor diesem Hintergrund eine strategische Bedeutung, Widersprüche zwischen den verschiedenen Communities und ihren jeweiligen Organisierungen gleich mit eingeschlossen. Solche Fragen und das jeweilige Potential vor Ort sind daher anhand der eigenen Planung und Bündniskonstellation und immer konkret zu erörtern. Andere Hebel der Politisierung und Solidarisierung können z.B. auch die Fluchtthematik, rassistische Diskriminierung im Viertel oder rassistische Polizeikontrollen sein.Die politische Arbeit im Stadtteil kann vor dem Hintergrund der skizzierten Spaltung der Klasse an nationalen, kulturellen und religiösen Linien nicht ökonomistisch auf die Miet- und Wohnfrage reduziert werden, sondern muss politische Kämpfe, wie den gegen Rassismus und Repression ein- und auf die soziale Frage rückbeziehen. Auch und gerade um den Spaltungen, die insbesondere durch rassistische Kampagnen der Herrschenden verstärkt und von den privilegierten Teilen der ArbeiterInnenklasse leider oft genug übernommenen werden, frühzeitig entgegenzuwirken und ihnen Solidarisierungsprozesse entgegenzustellen.
Feindanalyse
Wir sind keine Anhänger der These, dass mit der Zuspitzung sozialen Elends zwangsläufig progressive Veränderung einhergeht. Vielmehr zeigt gerade auch die deutsche Geschichte, dass in krisenhaften Momenten Potential für reaktionäre Formierung besteht, das von den Herrschenden, vor allem bei einer fehlenden organisierten revolutionären Linken oder gegen diese genutzt werden kann. Aber auch jenseits der Verschärfung der gesellschaftlichen Situation droht immer wieder die repressive Re-Integration ins Bestehende.Es ist daher wenig verwunderlich, dass die soziale Frage im Stadtviertel – im Herrschaftssprech: die Konzentration von „Risikogruppen“ in „Problemvierteln“ und „Sozialen Brennpunkten“ – reichhaltigen Konfliktstoff birgt, für staatliche Ordnungspolitik ebenso wie für reaktionäre Gruppen, von FaschistInnen bis religiösen FundamentalistInnen jeglicher Couleur. Uns stehen verschiedene Fraktionen der Rechten gegenüber, die uns im Zweifelsfalle auch aktiv auf der Strasse bekämpfen.
Linke und MigrantInnen haben mit den FaschistInnen einen gemeinsamen Feind. Was konkurrierende Weltanschauungsangebote angeht, ist im Bezug zur migrantischen Community sicher der dschihadistische Einfluss zu nennen, wohingegen bei deutschen ArbeiterInnen der wachsende Einfluss von rechtspopulistischen Gruppen ein zunehmendes Problem darstellt. In beiden Fällen bedarf es einer Bearbeitung der jeweiligen ideologischen Ausrichtung durch das Stärken linker Positionen und das Herstellen von Zusammenhängen. Wenn Salafisten sich mit der Kriegsfrage zum Gaza-Konflikt profilieren, liegt es an uns, eine fortschrittliche Position zum Konflikt stark zu machen. Wenn die AfD versucht, rassistische Hetze gegen MuslimInnen im Viertel zu verbreiten, liegt es an uns, den Verblendungszusammenhang von Nation und Rassismus und das dahinter stehende Klasseninteresse aufzudecken.
Repression…
Der bürgerliche Staat kann dabei seine Strategie von der gewaltsamen Aufstandsbekämpfung (Antidrogen-/Kriminalitäts-/Terrorismus-Diskurs) mit Formen der sanften Kontrolle alternieren, die durch Heere von SozialarbeiterInnen und entsprechenden Institutionen umgesetzt wird. Kriminalisierung und genuine Gewaltpolitik kommt gegen gesellschaftliche Randgruppen und sporadisch gegen die organisierten politischen Kerne zum Einsatz. Die Masse der „nutzlosen“, „schwer integrierbaren“ und ausgesonderten Bevölkerung wird psychiatrisiert, pharmakologisiert, medial verblödet und durch Ämter und Jobcenter unter staatliche Verwaltung gestellt. Die administrativen Massnahmen reichen von sogenannten „Runden Tischen“ zu spezifischen Themen über Ortsbeiräten bis hin zum „Projekt Soziale Stadt“.…und Sozialarbeit
Die Dialektik aller sozialen Arbeit ist, einerseits im besten Falle parteiische Interessenvertretung der im Betreuungsverhältnis stehenden sein zu können, d.h. Schadensbegrenzung zu betreiben und die gröbsten Auswirkungen für die Betroffenen abzufedern, ohne jedoch an den gesellschaftlichen Ursachen etwas ändern zu können, schlimmstenfalls als verlängerter Arm der Repressionsorgane zu dienen. Ebenso wie es zynisch wäre, innerhalb des Bestehenden auf soziale Arbeit zu verzichten, müssen wir uns des Charakters der Institutionen als vorgelagerte Institution des bürgerlichen Staates im Klaren sein. Ähnlich verhält es sich mit der politischen Arbeit in und mit solchen Institutionen.Solche Ansätze können punktuell richtig oder sogar notwendig sein – die richtige Strategie und Taktik vorausgesetzt. Wir gehen davon aus, dass diese Instrumente eine Eigengesetzlichkeit haben und nicht einfach zu „übernehmen“ sind, wir also unsere eigenen Einheiten der sozialen Gegenmacht aufbauen müssen, um nicht der Gefahr der Vereinnahmung zu erliegen und dauerhaft handlungsunfähig zu werden. Bündnisse mit z.B. Einrichtungen, in denen nicht wenige fortschrittliche Menschen ihre Lohnarbeit verrichten, sind so gesehen ein zweischneidiges Schwert: Ihre Funktion ist unserem Anliegen – den Widerstand zu organisieren – diametral entgegengesetzt. Dennoch kann ein guter Draht in solche Einrichtungen nicht schaden, um z.B. Menschen in Kontakt mit unserer Bewegung zu bringen.
Funktion von Räumen
Die autonome Bewegung hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder über Besetzungen soziale Treffpunkte und Wohnprojekte erkämpft. Inhalt der Zentren ist das Leben einer Alternative; es sollte ein Mikro-Gegenentwurf zur Mehrheitsgesellschaft darstellen, eine Nische der widerständigen Gegenkultur. Nach der Unterwerfung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche unter die Maxime der Verwertung und der universellen Warenförmigkeit sowie der Integration alternativer Kultur in den Mainstream sind die autonomen Zentren und das Konzept der Gegenkultur oft auf die Bestandswahrung zurückgeworfen. Zwar können im Rahmen der um sie gruppierten Szene freiere Formen der Lebensführung erprobt werden, gleichzeitig wendet sich dieser „Freiraum“ aber gegen dieMehrheitsgesellschaft und sucht weniger die Auseinandersetzung denn die Abgrenzung. Der Gegenkultur fehlt oft ein genuin politisches Konzept und ein Bezug auf die materiellen (Klassen-)Verhältnisse, d.h. Strategie und Taktik der revolutionären gesellschaftlichen Veränderung. Was bleibt, sind subkulturelle, verbalradikale Ablehnung. Abstrakte Negation des Bestehenden vergisst aber die eigene Durchzogenheit von den Verhältnissen und ist daher keine dialektische Aufhebungsarbeit.
Neben dieser Ignoranz gegenüber politischen Fragestellungen ist die weit schlimmere Folge ein weit verbreitetes Abgrenzungsbedürfnis zum aktiven sozialen Kampf, zuweilen selbst in der unmittelbaren Nachbarschaft, und elitäre Allüren, denen jedoch nicht immer ein tiefergehendes politisches Bewusstsein zugrunde liegt. Wir verstehen hingegen Räume und Zentren nicht als Selbstzweck und erst recht nicht als Rückzugsraum, in dem wir uns schlimmstenfalls nur noch gegenseitig konsumieren und subventionieren, sondern als organisatorisches Rückgrat der Bewegung, Ausgangspunkt für weitergehende Intervention in die Gesellschaft.
Organisierungsfrage
Deshalb halten wir eine über die materiellen Verhältnisse vermittelte und genuin politische Organisierung im Stadtteil für unbedingt notwendig. Dieser räumlichen Organisierung als „Soziales Zentrum“ müssen zum einen genaue Vorstellungen davon zugrunde liegen, welche Fragestellungen im Viertel relevant sind, andererseits sollte es anschlussfähig sein für andere AktivistInnen und Mitgestaltungsmöglichkeiten für die AdressatInnen im Viertel bieten.Es liegt in der Natur der Sache, dass bestimmte Teile der Struktur nicht offen und demokratisch reguliert arbeiten können, schon aufgrund der Tatsache, dass revolutionäre, massenwirksame Politik prinzipiell vom bürgerlichen Staat kriminalisiert wird. Dieses „Demokratiedefizit“ ist allerdings darin aufgehoben, dass massenwirksame Arbeit nur dann auch wirklich „demokratisch“ und erfolgversprechend ist, wenn sie im organischen Austausch mit den AdressatInnen steht; sie ist faktisch auf die Begegnung mit dem Alltagsbewusstsein angewiesen, um den Kampf immer wieder neu zu justieren und auszurichten. Arbeit über die Betroffenen hinweg oder an ihnen vorbei bleibt immer eine Minderheitenposition.
Autonome Politik der ersten und Stellvertreterpolitik der dritten Hand sind zu verbinden: Das Soziale Zentrum hat optimalerweise die Funktion einer Schnittstelle zwischen ökonomischem und politischem Kampf im Stadtteil. Angestrebt werden muss eine Bündelung des widerständigen Potenzials im jeweiligen Viertel. Die möglichen Angebote sozialer Natur, z.B. Tauschbörsen, Infoläden, Beratungen und Hilfen sind zwar primär pädagogischer Natur, können jedoch mit der politischen Agenda verknüpft werden. Pädagogik sollte hier bedeuten: unsere Theorien in die Massen zu tragen.
Der Grat zwischen sozialer und revolutionär-politischer Arbeit im Viertel ist mitunter – ähnlich wie in der Geflüchtetenarbeit – schmal. Sie ist langwierig und kompliziert, und es drohen reine Konsum- und Mitnahmeeffekte ohne tiefer gehendes Engagement oder auch nur Bewusstsein. Wichtig bei der Formulierung der Angebote ist deswegen weniger der konkrete Charakter, sondern der Bezug auf Politik und Organisierung im Sinne der jeweiligen Strategie und Taktik.
Konsequenzen
Der Raum versteht sich als „in den gesellschaftlichen Widersprüchen arbeitend“, d.h. als sozialer, politischer, kultureller und pädagogischer Raum. Die Erkenntnis der Notwendigkeit eines solchen Ansatzes ergibt sich allein schon daraus, dass eine massenwirksame Politik nicht funktioniert mit strengen Ausschlusskriterien, die den Anschein des „Freiraums“ aufrechterhalten sollen. Diese Offenheit wird selten angenehme Folgen zeitigen; sie verlangt beispielsweise die Diskussion mit ArbeiterInnen über antisemitische Ansichten oder über Vorurteile der ArbeiterInnen übereinander. So kann sich wiederfinden in Diskussionen mit einem Rentner, der zwar den Mietkampf unterstützt, aber Menschen, die AfD wählen, ja „irgendwie verstehen kann“, genauso wie mit jemandem, der meint „dass Frauen an den Herd gehören“.Man muss Menschen mit solchen Ansichten weder mögen, noch lassen sie sich direkt einbinden; doch bleibt uns nichts anderes übrig, als die Menschen da abzuholen, wo das System sie nun mal stehen lässt. Die Offenheit und das Partizipationsangebot haben Grenzen und in einigen Fällen gibt es definitiv auch kein anderes Mittel als Rauswurf, Hausverbot und Ausschluss. Dennoch müssen die Diskussionsspielräume grösser sein. Wenn wir Menschen nicht mehr zugestehen, dass sie sich auch ändern können, hören wir auf, politisch zu sein und stehen in der Gefahr, autistisch und selbstreferentiell zu werden.