Halbherzig hatte man im Vorfeld den Kandidaten, auch dem Champion der ersten Stunde, die etwas verschärften Bedingungen zu erklären versucht.
Natürlich nicht so deutlich, dass die armen Schweine am Ende noch abgesprungen wären.
Die Serie war in letzter Zeit etwas aus der Publikumsgunst herausgefallen, nun hatte das gesamteuropäische Konsortium, das die Serie inzwischen produzierte, alles auf eine Karte gesetzt und mit einer gewaltigen Werbekampagne, die, nebenbei bemerkt, um Grössenordnungen teurer war, als die eigentliche Produktion, noch einmal das eingeschlafene Interesse an der Realitysoap hochgekitzelt.
Man hatte in fadenscheinigen Andeutungen, haltlosen Hinweisen und miesen Gerüchten bei einem breiten Publikum noch einmal den Eindruck erweckt, spannende Situationen würden sich einstellen. Hochgepokert, das Ganze.
Ohne Quote konnten sie sich mitsamt ihrer Firma eindosen lassen.
Das es diesmal härter zugehen würde belegte schon die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten. Der schwäbisch-mazedonische Industriemechaniker, inzwischen an Suff und Drogen fast gescheitert, war bei weitem der harmloseste.
Kindermörderinnen, auf Bewährung in Freiheit, Selbstmordkandidaten, mit der Verheissung auf Publicity für ihren Abgang aus dem Internet gelockt, ein an der Brutalität der Konkurrenz gescheiterter Zuhälter, Bankrotteure, kurz, der Kreis der mitwirkenden rekrutierte sich aus den dunkleren Zonen der menschlichen Existenz.
Viel Aufwand hatte man getrieben, um die neuen, nur durch spektakuläre Gerüchte ahnbaren Spielregeln geheimzuhalten. Alles auf eine Karte, das sass! Der etwas müde in den Container schlurfende Deutschmazedonier schrak zusammen, als ihm das derb gebrüllte Kommando "Ausziehen!" entgegenschallte.
In dunkle Dienstkleidung gehüllte Ordnungskräfte rissen ihm seine Sporttasche aus der Hand und schmissen sie in einen dumpf auffauchenden Müllschlucker.
Verlegen entledigte er sich seiner Bekleidung.
Sein Versuch, wenigstens seine mit erotischen Motiven bedruckten Shorts anbehalten zu dürfen, wurden mit einigen derben Handgriffen im Keim erstickt.
Nackt wie er einst aus Mutters Schoss gekrochen, schubste man ihn durch eine weitere Tür.
"In der Sporttasche waren aber aber meine Drogen...!" jammerte er mit einem widerlich kriecherischen Tonfall.
"Da drin hats Drogen genug!" bellte einer der Ordner.
"Der Nächste!"
Die Tür schloss sich hinter Zlatkos immer noch recht ansehnlichem Gesäss. Über der Rheinmetropole blitzte es hell im Nachthimmel.
Eine kleine Abspaltung eines minder bekannten Meteoriten, nicht von bemerkenswerter Masse, jedoch genug, um den Durchgang durch die Erdathmosphäre mit einem Restgewicht con knapp unter fünf Kilogramm zu absolvieren, näherte sich dem kleinen Vorort von oben.
Seine bemerkenswerte Geschichte war dem kosmischen Geschoss nicht ohne weiteres anzumerken.
Die Herkunft des viel grösseren Brockens, von dem sich der Flugkörper gelöst hatte, verliess den Rahmen des Konventionellen.
Die erdrückende Überzahl der meisten Kometen und Metereoriten stammt bekanntlich aus der sogenannten Oort'schen Wolke, die sich um das Sonnensystem schmiegt und einen Überrest der Bildung der Himmelskörper aus dem stellaren Urnebel darstellt.
Bei dem Besucher des heutigen Abends verhielt es sich jedoch anders.
Der Materiebrocken stammte ursprünglich aus einem anderen Sonnensystem. Das Zentralgestirn dieser Formation war im Übergang zur Nova explodiert und hatte den Metereoriten auf seine weite Reise geschickt.
Der eigentliche Vorgang liegt schon so lange zurückt, das die damals so leuchtkräftige Erscheinung am Nachthimmel irdischen Augen verborgen geblieben ist, obwohl sie sich sozusagen in der nächsten kosmischen Nachbarschaft abspielte, möglicherweise nahmen es damals irgendwelche Neandertaler als gutes Zeichen, allerdings wird sich das nie mehr eindeutig klären lassen.
Der Brocken ist inzwischen, nach weiter Reise, im Sonnensystem der Menschheit eingetroffen.
Der Durchgang zwischen Erde und Mond riss durch Schwerkrafteinflüsse einiges Material aus dem kosmischen Reisenden. Die meisten der abgesprengten Fragmente begleiten auf paralleler Flugbahn ihren Stammvater. Einer, unser nächtlicher Besucher, wird jedoch von der hiesigen Schwerkraft eingefangen und strebt der Erdoberfläche entgegen.
Seine Flugbahn führt ihn nach Hürth.
Abgesehen von der weiten Reise, die der Brocken hinter sich hat, gibt es eine weitere bemerkenswerte Tatsache.
Zum Trost für sensible Gemüter sei angemerkt, dass den dortigen Intelligenzen schon Jahrtausende vor diesem heiklen Vorkommnis die Auswanderung mit Hilfe ihrer absolut überlegenen Raumfahrttechnologie geglückt war.
Was man den fremdartigen, aber übrigens ganz und gar nicht unsympathischen Intelligenzwesen beim besten Willen nicht verdenken kann ist, dass sie bei ihrer Auswanderung sorgsam vermieden, die auf ihrem Planeten heimischen und dort immer ein grosses Problem dargestellt habenden recht hässlichen und bösartigen Infektionskrankheiten zurück gelassen zu haben.
Ganz im Gegenteil, sie haben sich mit grosser Akribie und sehr erfolgreich bemüht, diese Plagegeister aus ihren Raunfahrzeugen fernzuhalten und ein für allemal los zu sein. So entstand die Situation, das der finalen Katastrophe zwar keine denkenden und fühlenden Wesenheiten zum Opfer fielen, jedoch eine bizarre Schar vom aggressiven Mikroorganismen.
Das Leben geht seinen Weg, deshalb halten solche Phänomene durchaus Weltraumbedingungen aus. Unbemerkt beantwortete sich so die Frage nach der Existenz von ausserirdischem Leben.
Genauso unbemerkt durchschlug der Brocken das Blechdach des Containers und klemmte sich in die aus fernsehoptischen Gründen eingebaute gefällige Holztäfeldecke.
Diese Situation stellte sie alle vor grosse Herausforderungen. Man hatte die Kameras eingeschaltet.
Nackt sassen sie um den grossen Gemeinschaftstisch des Containers und mussten alles erstmal etwas verdauen. Die im Augenblick beängstigendste Spielregel war die, dass sie sich ausschliesslich aus von der ansässigen Bevölkerung zur Verfügung gestellten Biomülltonnen zu ernähren hätten. Bis die ersten barmherzigen Spenden eintrafen war also Hungern angesagt.
An den wechselseitigen Anblick ihrer Blössen gewöhnten sie sich dagegen schnell.
Der sinnenfrohe Schwabenmazedonier hatte zunächst noch mit Resten seiner repressiven muselmanischen Schamerziehung zu kämpfen gehabt, wusste jedoch schnell sich auf die Situation einzustellen und musterte die anwesenden Damen mit recht unverhohlener Neugier.
Zur Feier der neuen Staffel hatte die Produktionsleitung ein paar Paletten Dosenbier gestiftet.
Nun sassen sie nackt um den Baumarkttisch, der das Zentrum des Containerlebens bildete.
Zum Glück hatten sie alle bis auf das magersüchtige Gelegenheitsmodel, das um einen gewissen neurotischen Einfluss sicher zu stellen, gecasted worden war, vorher noch ausgiebig gegessen.
Das Gelegenheitsmodel konnte deswegen nach zwei Dosenbier nur noch lallen.
"Alles Schweine..wollennulldaseine....willgrossrauskomm....muss ma halt zeigen, was mahat...!"
Dieser Satz wiederholte sich gleichförmig oder in leichten Variationen. Nach dem vierten Bier musste sie übergangslos kotzen. Unvermittelt richtete sie sich auf, presste ihre Hände auf den bauchnabelfreien Unterwaschbrettbauch, ihr Stuhl kippte um, offensichtlich versuchte sie noch die rettende Toilette zu erreichen, stolperte aber, schlug lang hin und schon kam es in kräftigen Schüben.
Die kleine Abendgesellschaft war einen Augenblick ratlos. "Lass die Oma doch liegen, wa!" zischte Zlatko, weil sie einfach nicht sein Typ war. Er wollte mehr so mit Blond und so. Die humanitär gesonnene Fraktion setzte sich aber nach kurzer Beratung durch, man hob die federleichte Gestalt auf und bettete sie auf die Produktionscouch. Ein besonders eifriger Kavalier befeuchtete ein Handtuch und reinigte das Gesicht der unglücklichen jungen Dame. Bald zeigte ein sich ruhig und gleichförmig senkender und hebender Brustkorb das die Mitbewerberin eingeschlafen war.
"Gleich zu Anfang so ein Hammer!"
Der Produktionsleiter rieb sich die Hände.
"Die gehen ran wie Blücher- wenn ich an die Altersheimer vom letzten Mal denke....!" Das wird ausgebaut- das Ganze noch mal mit Zoom- und Zeitlupe, wenn ich bitten darf!"
Hastig machten sich die Techniker an die Arbeit. Die kleine Rund hatte ich wieder am Tisch eingefunden.
Trotzig war Zlatko sitzengeblieben und hatte demonstrativ den Trubel ignoriert.
"Bei der Alten wirste nich blind wenn de se siehst!" zischelte er mehr zu sich selbst.
Er hatte nun ein paar Biere Vorsprung.
"Du, ich finde dich Scheisse!"
Zlatko blickte irritiert auf.
Dieser Anwurf kam von einer anderen weiblichen Teilnehmerin dieses gruppenexperiments.
Gerüchteweise sollte es sich um ein ehemaliges Mitglied einer weiblichen Popgruppe handeln, die ebenfalls einen Karriererelaunch anstrebte.
Ohne lange zu überlegen überschüttete er Gesicht und die leicht braunhäutige Blösse der Schönen mit dem edlen Gerstensaft.
Jemand der sich anscheinend bei der Tante liebkind machen wollte spuckte ihn an.
Ein dicker Gelber troff von seiner Nasenspitze. Das war gekonnt, alle Achtung, dachte man sich am Tisch.
Zlatko liess das nicht auf sich sitzen.
Er sprang auf und begann den Übeltäter zu würgen.
Der Spucker war irgendwie so ein Zivildienstleistender aus der Eifel; sein Casting verdankte er allein der Tatsache, das er einer Anforderung genügte, die der Angelsachse als "well hung!" zu bezeichnen pflegt.
"Hähä,- damit kriegen wir auch die Schwulen! Wenn die das Ding sehen...!" hatte sich der Produktionsleiter die Hände gerieben.
Die beiden Gestalten rangen stumm bis auf gelegentliche Beschimpfungen mit einander.
Der Zivildienstleistende konnte sich einen Augenblick von seinem Gegner absetzen und verpasste ihm einen präzise gesetzten Kinnhaken.
Zlatko ging auf die Bretter. "Diesmal stimmts einfach!" murmelte ein äusserst angestrengt die Vorgänge beobachtender zu seinem Monitor.
Blechstein signalisierte ihm "Daumen hoch!".
Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war.
Mühsam rappelte er sich auf, sein Kopf schmerzte höllenmässig. Egal. Ein paar Bier 'drüber, dann stimmte der Laden wieder.
Er griff sich eine neue Dose und nahm seinen Stuhl wieder ein.
Was er nun sehen musste beunruhigte ihn aber doch.
Mit allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen gingen beängstigende Veränderungen vor sich.
Zwei am Tisch, die für ihn krank aussehende Afrotante mit den Dreadlocks und der eine andere Penner hatten ihre Zungen ineinander verschränkt. Die Zungen waren gut einen halben Meter lang und die eine giftgrün und die andere pissgelb. Komisch!
Aus allen Köpfen schlängelten sich kleine Tentakel. Alle Augen am Tisch waren blutunterlaufen, einige nur mehr als schwarz klaffende Löcher vorhanden.
Körperteile fielen ab wie auf der Jahreshauptversammlung einer Lepraselbsthilfegruppe. Einige aus der kleinen Gruppe waren nur noch als Torsi vorhanden. Zufällig blickte ihn ein abgefallener Kopf an. Ihm wurde flau im Magen.
"Das sieht ja ziemlich Scheisse aus!" dachte er bei sich.
Nachdenklich musterte er seine bierdosenhaltende Hand.
Menschmeier!
In der Zwischenzeit hatte sie sich mit extremen Hautabszessen übersät. Sozusagen eine einzige offene Wunde.
"Mensch, die Pfote sieht ja aus wie'n Steak! Was machen die denn hier für ne kranke Show mit uns?"
Angewidert trank er sein Bier auf Ex. "Also langsam wirds ein bissken krass...!"
Der Produktionsleiter wandte sich an seinen Stellvertreter.
"Wer hat sich denn diese kranke abgefahrene Scheisse ausgedacht?" fragte er streng.
Der Stellvertreter wand sich verlegen. Das Gesicht wurde rot.
"Äh... eigentlich, ...., äh,- eigentlich, eigentlich...."
"Kommen sie zur Sache, Mann!"
Die Stimme des Produktionsleiters zeige bereits den allseits gefürchteten Zug ins Unangenehme. Die Tonlage, bevor Köpfe zu rollen pflegten.
"Äh,- eigentlich keiner von uns.... das, ...., das scheint einfach so zu passieren....irgend...irgendwie....!"
"Wie- was passiert ,einfach'? Wollen sie sagen, etwas ist nicht unter Kontrolle?"
"Äh,..., äh, --- sonst ists doch auch immer gut wenn die Leute so ihre eigene Äkschn mit einbringen oder? Die heute sind halt einfach 'n bisschen kreativer, ...., ja, äh,- so seh ich das, ja....!"
Der Produktionsleiter machte Anstalten seinem Untergebenen an die Gurgel zu gehen.
Die grösstmögliche Gesichtsentgleisung deutete sich an.
Plötzlich hörte man wahnwitzig lauten Lärm- offenkundig Hubschraubermotoren, im Tiefflug über dem Produktionsgelände, von ferne eine kratzende Symphonie aus Sirenengeräuschen.
Das Scriptgirl reichte ihm sein drahtloses Telefon.
"Anruf für Sie, Chef!"
Widerwillig riss er ihr den kleinen rechteckigen Gegenstand aus der Hand.
"Jaaah?"
"Hallo! Hier spricht der Seuchenkrisenstab der Bundesregierung! Wir haben begründeten Anlass zur Vermutung auf ihrem Firmengelände könnte eine bisher unbekannte Infektionskrankheit ausgebrochen sein! Zum Schutz der Bevölkerung werden wird das unkontrollierte Entweichen der Epidemie verhindern! Zu diesem Zweck wird das ganze Gelände durch Feuer desinfiziert!
Danke für ihr Verständnis und ihre Mitarbeit! Danke und auf Wiederhören!"
"Desinfiziert....?"
Die weiteren Worte des Produktionsleiters waren nicht mehr zu verstehen gewesen.
Eine ungeheuere Flammenwand schlug in das Gebäude. Irritiert und für einen Augenblick sprachlos schauten die jungen Leute auf den Fernsehbildschirm.
Man hatte einen Augenblick in eine jäh ausgebrochene Flammenhölle geblickt, dann war der Bildschirm schwarz geworden und man hatte den Schriftzug "Störung" eingeblendet.
"He! Die lassen sich ja auch nur Scheisse einfallen! Endlich wo's mal klasse krass geworden ist und's mal ein bissken abgangen ist kommen die mit so nem blöden Feuer! Des glaubt doch eh keiner!"
Die anderen nickten beifällig, voller Ekel schüttelte man die Köpfe.
"'S wird auch immer blöder mit den Scheissrealitysoaps, oder?"
"'S gibt halt zu viele, was soll denen auch noch einfallen, ausser so ä Scheiss?"
Ärgerlich griff man nach seinen Bierdosen.