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Vorausgehorsam

1255

Geht auf geschehen und gesprochen im Jahre 1959 zurück Vorausgehorsam

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Prosa

Der Protagonist ist in den Ebbsog an der Atlantikküste geraten. Mit dem Tod ringend findet er sich plötzlich in einer beseelten fernen Zivilisation. Die endlich einsetzende Flut spült ihn ans Ufer zurück. Auf dem durchwärmten Sand durchlebt er noch einmal das Kriegsjahr 1944 und die Zeit darnach.

Komorniki, Provinz Dolnośląskie, Polen.
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Komorniki, Provinz Dolnośląskie, Polen. Foto: Zetem (CC BY-SA 3.0)

Datum 16. Juni 2014
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KorrekturKorrektur
»Ach so ist das – das ist dann etwas ganz anderes – das können Sie ja nicht gewusst haben, wo Sie ja erst fünfundzwanzig Jahre alt sind, noch ganz grün sozusagen – wir dachten nämlich schon, da wäre einer, der sich dagegenstemmen will – hätte mich schon sehr gewundert?«

»Ich befürchte, Sie schätzen dies nicht richtig ein, Herr Postoberdirektor?«
»Wieh? – Was wollen Sie hiermit sagen?«
»Ich habe eine gründliche Ausbildung durchlaufen, das haben die wenigsten der älteren Kollegen in meiner Laufbahn – die meisten sind nach Kriegsende aufgestiegen, viele nur deshalb, weil sie nicht Mitglieder der NSDAP waren.«

»Da hört doch alles auf!«
»Leider hat es nicht aufgehört, es läuft alles so weiter wie gehabt.«
»Es muss Ihnen doch zu denken geben, dass Sie im ganzen Postoberdirektionsbezirk wie gesagt der einzige Postamtsvorsteher sind, der - .«
»Das gibt mir allerdings eine ganze Menge zu denken.«
»Was wollen Sie nun damit wieder sagen?«

»Dass es mit der demokratischen Einstellung und mit dem Selbstgefühl all dieser lieben Kollegen, auf die Sie sich so sehr berufen, nicht weit her sein kann – von Verfassungstreue ganz zu schweigen, falls die Fraglichen überhaupt eine Ahnung davon haben, was in unserem Grundgesetz festgeschrieben worden ist.«
»Es geziemt sich nicht, dass Sie so daherreden, zumal es sich um altbewährte Mitarbeiter handelt – was wollen Sie überhaupt, Sie junger Marschierer!«

»Ich bin nun einmal kein Marschierer, merken Sie sich das, Herr PODirPuF! Wo Sie Herr PODirPuF, hinmarschiert sind, das kann man ja sehen.« »Sagen Sie doch nicht immer PODirPuF. Derlei Abkürzungen sollte man bei Amtsbezeichnungen des Höheren Dienstes tunlichtst vermeiden. Wir vom Höheren Dienst sind doch keine Postschaffner oder gar Personalratsfunktionäre. Ich heisse Herr Postoberdirektor der Postoberdirektion für das Post- und Fernmeldewesen, bitte!«
»Sehr richtig, Herr Postoberdirektor der Postoberdirektion für das Post- und Fernmeldewesen. Gilt dies auch dienstlich am Telefon, Herr PODirPuF?«

»Das heisst nicht ›Telefon‹, der amtliche Sprachgebrauch ist ›Fernsprecher‹, das müssten Sie wissen, bei all dem Geld, das die Bundesregierung für Ihre Ausbildung als Postinspektor aufgewendet hat und weiterhin aufwendet – bei dem vielen Geld, das die Bundesregierung für Ihre Ausbildung als Postinspektor bis jetzt geopfert hat.«

»Das Opfern war schon immer die stärkste Seite in Deutschland – wenn ich nur daran denke, wie viele allein aus meiner Familie in den zwei Weltkriegen umgekommen sind!«
»Schweigen Sie!«
»Das würde Ihnen passen, so ungestört einfach weitermachen zu können mit all dem?«
»Womit weitermachen?«
»Mit dem Einbrocken dessen, was allemal die auszulöffeln haben, mit denen Sie sich nie solidarisch fühlen – soviel Sie auch von einer ›vaterländischen Solidarität‹ daherreden mögen.«
»Als Bundesbeamter haben Sie sich jedes politische Raisonnement zu versagen, darüber brauche ich Sie sicher nicht eigens zu belehren?«
»Ich fürchte, Sie sind es, welcher der Belehrung eigens bedarf?«
»Das ist ja nochmals schöner!«
»Ich weiss nicht, welche Sorte von Beamtenethos es Ihnen angetan hat, Herr PODirPuF?«
»Was Sie denken ist im öffentlichen Dienst nicht gefragt.«
»Weiss ich, Herr PODirPuF.«

»Was wollen Sie schon wissen, wo Sie so empfindlich sind in allem, so alles auf die Goldwaage legen – damit werden Sie nicht weit kommen im Leben, das kann ich Ihnen prophezeien. Ist in Ihrem ureigensten Interesse, lassen Sie sich dies ein für allemal gesagt sein! Ich möchte Ihnen nicht zu nahe kommen, möchte Sie nicht verletzen, muss es Ihnen aber sagen: Sie sollten endlich einmal Schluss machen mit all dem Spintisieren über so etwas wie ›die Menschenrechte‹ und was weiss ich für Gefühlsduseleien. Wir sind doch ›Deutsche‹. Es ist schon ein Jammer, dass wir so viel von unserer preussischen Heeresdisziplin haben einbüssen müssen – da wären Sie so richtig geschliffen, fertig gemacht, zu einem Menschen zusammengehauen worden – aus einem Menschenmaterial wie Sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren hätte sich doch etwas hinhauen lassen müssen – von wegen Postmeister, mit Ihren fünfundzwanzig Jahren – und womöglich sind Sie auch nicht verheiratet, also auch noch so ein ›bevölkerungspolitischer Blindgänger‹? Wissen Sie denn überhaupt, wo ich in meinem Urlaub mit meiner Frau zusammen war?«

»Wie sollte ich?«

»Dies ist ja so typisch, dass Sie sich hierfür nicht interessieren – es zeigt Ihr fehlendes Verantwortungsbewusstsein – meine Frau und ich waren ›ergriffen‹, falls Ihnen dieses Wort etwas sagt – zutiefst ergriffen und erschüttert beim Anblick dieser niedlichen Gräberchen auf dem Kaiserlichen Kriegsfreiwilligenfriedhof in Flandern – da können Sie sich eine Scheibe abschneiden, von allen diesen Jungs, welche nicht einmal zwanzig Jahre alt bereits in vollstem Besitz eines unabdingbaren Ehrbegriffs waren, es sich nicht nehmen liessen, ihrem Vaterland ihr eigenes Leben hinzugeben, es nicht in egoistischer Weise für sich behalten zu wollen – wären auch niemals dem Gedanken verfallen gewesen, auf einer Amtsstube herumzuverstinken wie Sie mit Ihren jungen Jahren!«

»Ich verstehe, Herr PODirPuF, dass es Ihnen zu schaffen macht, nach den zwei von Ihrer Sorte angezettelten Weltkriegen, selber sich noch am Leben zu befinden. Es steht Ihnen schlecht an, sich mit soviel wie vorsätzlich hingemordeten Menschenleben zu brüsten! Gott verhüte es, dass Leuten aus Ihrem Guss die Bäume noch einmal in den Himmel wachsen!«
»Hören Sie mir doch damit auf! Dies kenne ich, so typisch ein Linksintellektueller sind Sie mir! Ich werde es mir angelegen sein lassen, dass in Ihre Personalakten ›schwer lenkbar‹ kommt.«
»Das grösste Kompliment, das ich mir denken kann.«
»Werden Sie mir nun nicht auch noch mutzig! Es bleibt dabei, Sie haben sich vollen Bewusstseins und willentlich widerborstig gezeigt, Sie haben die Ihnen erteilten Weisungen vorsätzlich und aufs Gröbste missachtet. Auf gut deutsch gesagt eine ›Bodenlosigkeit‹, wie sie noch nie an den Tag gekommen ist!«

»Denken Sie an ›Ermessensmangel‹?«

»Welcher Tatbestand juristisch erfüllt ist entscheiden wir vom Höheren Dienst – nicht Sie im Gehobenen Dienst! Ihre Aufgabe ist es, Anträge zu stellen – darüber zu obwachen, ob alles läuft – zu bügeln! Befunden wird indessen vom Höheren Dienst – merken Sie sich dies ein für allemal!«
»Da muss ich Ihnen widersprechen, Herr PODirPuF, ein für allemal!«
»Hören Sie mir auf damit, Sie haben nun einmal versäumt, diese Sache da zu befolgen!«
»Welche ›Sache da‹, Herr PODirPuF?«
»Worüber sprechen wir denn die ganze Zeit? Tun Sie nicht so, als ob Sie keine Ahnung hätten – nicht wüssten, worum es geht! Die Spatzen pfeifen's ja von den Dächern!«
»Sie meinen doch nicht etwa, dass gepfiffen wird, was ich zu tun und was ich zu lassen habe, Herr PODirPuF? Warum können diese Spatzen nicht auch gleich fischen, wo meine Anwesenheit doch hinderlich sein muss?«
»Nehmen Sie doch nicht alles gleich so wörtlich, ich weiss nicht, was Sie mit Ihren Haarspaltereien erreichen wollen?«
»Was soll ich schon erreichen wollen? Es ist doch klar, dass ich dazu verpflichtet bin, das abzulehnen, was Sie so unklar von mir offenbar erwarten und zu dem Sie sich selbst nicht bekennen wollen!«
»Hören Sie mir bloss damit auf, Sie wissen ganz genau, worum es hier geht!«

»Offen gesagt, Herr PODirPuF, ich weiss es nicht, bin auf Vermutungen angewiesen, solange mir keine förmliche Verfügung vorliegt.«
»Aber Sie wissen doch!«
»Was soll ich wissen, Herr PODirPuF?«
»Es handelt sich doch um diese ›Eingriffe durch die amerikanische Besatzungsmacht‹!«
»Legen Sie mir vor, was Sie in dieser Sache in der Hand haben, Herr PODirPuF!«
»Ich fordere Sie auf, Ihren Dienstobliegenheiten picobello nachzukommen!«
»Das fordere ich Sie auf, Herr PODirPuF?«
»Was fällt Ihnen denn ein, in der Weise mit Ihren Vorgesetzten zu reden! – Für mich ist diese Sache erledigt, nachdem Sie nichts zu ihrer Entlastung haben vorbringen können!«
»Da machen Sie die Rechnung ohne den Wirt, Herr PODirPuF.«
»Aber Sie wissen doch?«
»Was soll ich wissen, Herr PODirPuF?«
»Was wollen Sie hiermit sagen?«
»Auf mich wirkt dies alles, als ob Sie was zu verbergen haben, Herr PODirPuF?«
»Wieh?«

»Nach wie vor ist nichts geklärt, Herr PODirPuF?«
»Sie müssen doch zugeben, Sie hätten wissen müssen, was zu tun war?«
»Genau das habe ich gewusst, nur eben entspricht das, was ich für richtig halte und was ich für falsch halte, offensichtlich nicht Ihren Erwartungen, Herr PODirPuF?«
»Worin bestehen denn diese meine Erwartungen?«
»Das werden Sie am besten selber wissen, warum soll denn ich wissen müssen, was sie sich nicht eingestehen wollen zu wissen?«
»Reden Sie nicht so sophistisch daher!«
»Statt dem Gedankenspiel die Praxis, Herr PODirPuF. Hierüber haben Sie sich doch auf dem Zweiten Verwaltungslehrgang für Postinspektoranwärter vor drei Jahren eingehend ausgelassen? Insbesondere was das Beamtenrecht betrifft. Wie Sie ausgeführt haben, braucht zunächst nicht jedes Ansinnen befolgt zu werden.«
»Da muss dann allerdings ein förmlicher Widerspruch her – Sie können doch nicht so mir nichts dir nichts den Vollzug einfach unterlassen, die Ihnen erteilte Weisung missachten?«
»Gemach gemach – in welcher Form war eine Weisung denn erteilt worden?«

»Hat Ihnen Herr Blau denn nichts gesagt, wie der Ihnen das Postamt förmlich übergeben hat?«
»Herr Blau hat mir sehr viel erzählt in den drei Tagen der vorschriftsmässig mit Protokoll erfolgten Übergabe.«
»Hat Herr Blau Ihnen denn nichts gesagt?«
»Was konnte Herr Blau sagen sollen, Herr PODirPuF?«
»Nun stellen Sie sich doch nicht immer so an – Sie wissen genau, was ich meine – wovon ich in diesem Zusammenhang spreche!«
»Nein!«

»Die Rede ist doch von den ›Verschlusssachen‹!«
»Wegen der ›Verschlusssachen‹ im Tresor, erzählte mir Herr Blau, hätte er mit der Postoberdirektion gesprochen, und man hätte ihm erklärt, die ›Verschlusssachen‹ brauchten nicht an den Ablöser übergeben zu werden im Rahmen dieser fünfeinhalbwöchigen Urlaubsvertretung.«
»Kann ich nicht verstehen – oder – oder doch, es war schon richtig so! Aber Herr Blau hat Ihnen doch wenigstens die Namen aufgeschrieben?«
»Herr Blau hatte mir auf einem schräg abgerissenen braunen Fresszettel schwer leserlich etwas mit Bleistift hingekritzelt. »Das sind die Namen,« sagte er, und es habe so zu geschehen, dass die Zusteller nichts davon merkten. Unterdessen hat sich sehr schnell gezeigt, dass die Zusteller so ahnungslos nicht sind. Die sind nämlich jeder einzelne in mein Kontor gekommen, mir ein Bündel Briefe auf den Schreibtisch zu legen. Auf meine jeweilige Frage, um was es sich da handele, antwortete ein jeder: ›Zum Einschicken, das muss eing'schickt werden.‹ Und auf meine weiteren Fragen: ›Zum Kontrollieren.‹«

»Und wie haben Sie sich hierzu verhalten?«

»Das war ganz einfach, Herr PODirPuF. Und solange ich die Verantwortung für das Postamt habe, wird alles ohne Verzug zugestellt.«
»Hatten Sie das auch Herrn Blau gegenüber zum Ausdruck gebracht?«
»Es war überflüssig, Herr Blau ist mir nicht vorgesetzt, mir gegenüber also nicht weisungsberechtigt, ihm vorliegende Weisungen das Postamt betreffend hat er sicher ordnungsgemäss mir übergeben.«
»Er hat Ihnen aber doch gesagt - ?«
»Herr PODirPuF, so geht das nicht! Nicht einmal zu überlegen brauche ich es mir, ob ich mich zu weigern habe oder nicht, solange mir keine Weisung vorliegt. Um eine Weisung ausdrücklich verweigern zu können, muss eine solche ausdrücklich ergangen sein, eine behördliche Weisung muss eindeutig formuliert und rechtsgültig vollzogen sein.«
»Sie wollen dich nicht sagen wollen, dass Sie dies zu beurteilen vermögen, ohne ein juristisches Vollstudium an einer gut altdeutschen Universität absolviert zu haben?«

»Hat man hieraus zu folgern, dass bei der deutschen Postverwaltung ausschliesslich akademische Volljuristen auf der einen Seite, Vollidioten auf der anderen Seite gesucht sind – warum dann nicht am besten gleich beides in einer Person, Herr PODirPuF, wenn Sie das so wollen?«
»Ich sehe, unser Gespräch ist ziemlich fruchtlos verlaufen – wie immer in solchen Fällen. Guten Morgen!«
»Behüt Sie Gott, Herr PODirPuF!«

Horst Nägele

Auszug aus dem Band "Schwimmzüge", Verlag Turnshare, London, 2009.