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Adam und Evelyn - Rezension zum Film von Andreas Goldstein

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Adam und Evelyn - Rezension zum Film von Andreas Goldstein Im Blätterrauschen der letzten DDR-Tage

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Kultur

1989. Ein wild belassener Garten an einem Hochsommerabend, Vögel zwitschern, Blätter rauschen. Ein altes Haus. Niemand weiter zu sehen.

DDR August 1989.
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DDR August 1989. Foto: Sludge G (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 22. Januar 2019
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Die Szene bleibt länger stehen, so dass wir Zeit haben, hineinzufallen in diese besondere erzählerische Langsamkeit. Die man heute kaum noch findet, weder in diesem Land noch in gegenwärtigen Filmen und an die man sich erst mal wieder im Kino gewöhnen muss, ein gewisses Dämmern, ein Verweilen im Augenblick. Eine ganze Weile verbleibt der Film im Anblick des menschenleeren Gartens, hat es nicht eilig mit dem Vorstellen seiner Figuren. Wohnt hier überhaupt jemand?

Da! Eine Stimme ruft die biblische Frage: „Adam, wo bist du?“, eine Frauenstimme. Das lässt der Film erst mal so ausklingen, keine Antwort folgt auf diesen einzeln stehenden Satz. Dann löst sich der Zauber ganz alltäglich auf. Adam, der Schneider, ist in der Dunkelkammer und zieht Fotos von seinen Modellen ab, und Evelyn spürt Adam im Haus auf und gibt ihre Kommentare ab. Ein Mann und eine Frau und ein ganz normaler Sommer, langsam verrinnend, Vorurlaubsstimmung, man steht kurz vor der Reise nach Ungarn. Allein dieser Landesname bedeutet zusammen mit der Jahreszahl 1989 grosse Dramatik; seit dem Frühjahr wurde die Grenze zum Westen immer undichter und schon gut genutzt von DDR-Menschen, die rüber wollten.

Im Film bekommt man diese Ereignisse nur übers Radio mit. Als verliefe eine dünne Wand zwischen ihnen und der Welt, bleiben die Handelnden des Films davon unberührt. Statt dessen ist es wie auf dem Filmplakat-Motiv: Evelyn, das Buch im Schoss, liegt im Liegestuhl in unnachahmlich entspannter Haltung, während Adam, auf der alten Decke der Gartenbank sitzend, in aller Seelenruhe neben ihr an etwas näht. Beider Augen sind gesenkt, nichts ficht die Ruhe an. Sommerwärme und vor Vertrautheit flirrende Luft, so muss es im Paradies sein. Hier ist sie noch: die DDR-Ruhe des letzten Sommers vor dem grossen Bruch. Die Nachrichten laufen nebenher, werden mitunter abgeschaltet, als wollten Adam und Evelyn und ihre Freunde die kommenden Turbulenzen, die drohende Veränderung dieser dämmrigen Seligkeit noch so weit wie möglich hinaus schieben.

Eifersucht lässt eine Tür knallen, und die beiden fahren getrennt los. Die Langsamkeit des Anfangs bleibt, der sparsame Stil. Keine Ausstattung mit DDR-Requisiten, keine Rock- und Pop- Erkennungsmelodien, keine Weisskohl-Gemüseläden oder Bananenmangel, keine Westgeld- oder Stasi-Themen. Von der sozialen Klasse her haben Adam und Evelyn eher eine Nische in der DDR-Gesellschaft gefunden: Adam ist selbstständiger Schneider mit eigenem Anwesen, Evelyn träumt kellnernd von einem Studium im Westen. Daher vielleicht das Verträumt-Zeitlose und der Garten.

DDR wird hier viel subtiler erkennbar als in bisherigen Filmen dieses Sujets. Mit den Fotos von Adams unbefangen nackten Models im Garten zum Beispiel; mit der endlosen Arbeitspause der beiden Kellnerinnen Evelyn und Simone (Kommt ja eh keiner mehr!); mit der Unbekümmertheit, wer gerade mit wem zusammen ist; mit dem Satz zur Bibel in dem österreichischen Hotel: „Hat jemand vergessen“, sagt Adam zu Evelyn. Ein Ost-Publikumslacher. Denn in DDR-Hotels gab es keine Bibel.

Inzwischen wissen die Ostmenschen, dass die Bibel wie die Handtücher im Bad zur Grundausstattung von Hotelzimmern gehören, eine Art Menschenrecht im christlichen Kapitalismus. Dann liest Adam Evelyn den Absatz vom Sündenfall vor – man spürt das literarische Unterfutter des Romans von Ingo Schulze. „Und so was liegt hier einfach so rum“, sagt Adam, noch ein Lacher. Adam heisst eigentlich Lutz und trägt wie zufällig als Spitznamen den biblischen Namen des ersten Menschen. Warum, lässt der Film offen, Evelyn dagegen ist Evelyns echter Name, etwas unpassend zu ihrem Jahrgang (1961), aber natürlich ebenfalls in Anlehnung an die biblische Eva. Der Titel lädt zu viel Deutung ein. Adam heisst im Hebräischen: Mensch. Der Ostler als Mensch.

Unwissend wie die ersten Menschen reisen Ost-Adam und Ost-Eva mit ihrem schönen blauen Wartburg in die westliche Hemisphäre ein, Adam eher skeptisch, Evelyn eher unbefangen. Ein Roadmovie, das sie getrennt im Osten beginnen und das sie gemeinsam in den Westen führt über die offene ungarische Grenze nach Österreich.

Der Film erzählt von einer Flucht fast wie aus Versehen, von einem Ankommen, das jenseits aller Jubelszenen im TV unsicher ist und voller Fragen. Wohl noch nie ist das DDR-Gefühl der letzten Jahre atmosphärisch so treffend eingefangen worden. Vielleicht wird jetzt erst, nach 30 Jahren, dieser Blick zurück möglich, mit dem Wissen von heute. Stimmt, es war ja gar nicht jede Szene in unserem Leben immerzu überladen mit DDR-Design, und man redete auch nicht andauernd über die Stasi und wie man dieses Land kritisieren, verbessern oder verlassen kann. Und man wurde nicht ununterbrochen abgehört. Nein, da war eine Normalität und eine Art zu wohnen und zu lieben und zu arbeiten, mit der man sich innerhalb der Grenzen eingerichtet hatte und sich nicht immer unfrei fühlte. Überhaupt ist es lebensfremd, zu glauben, Leute würden ständig über die grosse Politik nachdenken. Und, wie Regisseur Andreas Goldstein bemerkt: Freiheiten und Abhängigkeiten wären von anderen Freiheiten und Abhängigkeiten abgelöst worden, nach dem Mauerfall.

„Ist es nicht egal, wo man lebt?“ bemerkt Adam am nächtlichen Gartentisch bei den ungarischen Bekannten und stellt damit die zentrale Frage des Films. Der wehrt sich mit seiner geradezu aufreizenden Lakonie gegen jede Effekthascherei bisheriger DDR-Film-Erzählungen und erzählt unaufdringlich von einem Ost-Lebensgefühl, das viele wieder erkennen dürften.

Ein Coup ist die Besetzung: kein einziges der über die Jahre dauerabonnierten DDR-Film-Gesichter ist hier zu finden, auch kein Spezialauftritt von Michael Gwisdek in den üblichen ausgelatschten Bahnen. Obwohl beide Hauptmacher des Films aus dem Osten sind, liegt dem Film jede augenzwinkernde Insider-Ost-Attitüde fern. Im Gegenteil: die Besetzung des Österreichers Florian Teichtmeister als Adam kann schon fast als gezielter Verfremdungseffekt angesehen werden und als Ankommen des DDR-Sujets in einer ernsthaften poetischen Film-Kategorie. Evelyn-Darstellerin Anne Kanis agiert klar und raffiniert schlicht. Ihre Naivität im Verhör durch den westdeutschen Staatsbeamten ist nur scheinbar. „Es ist eine Männer-und Frauengeschichte, sonst nichts.“ entkräftet sie seine primitiven politischen Verdächtigungen. Evelyns Understatement ist sehr DDR-typisch. Eine Liebesgeschichte, ist das so schwer zu verstehen?

Erfrischend ist es, hier Schauspieler zu erleben, die an einer filmischen Erzählung über Menschen mitarbeiten und keine Typen-Parade mit Lokal- und Zeitkolorit abhalten müssen. Auch mit historischen Erklärungsmustern hält der Film sich gänzlich zurück.

Die Mitautorin, Kamerafrau und Cutterin des Films, Jakobine Motz, entwickelte für den Film diese langsame, achtsame Bildsprache, die mit Kleinigkeiten betört. Es ist ein aufregender Film für alle, für die die DDR ein Ort war, den sie verlassen und irgendwie nicht vergessen haben, und auch für alle, denen die DDR ein Rätsel ist.

Am Schluss gibt es ein leises, ein wenig banges Gespräch des Paares im Westen. Und es ist, als fragte Evelyn im Untertext wie am Anfang eine Frage, nicht biblisch diesmal, aber wichtig: „Adam, wohin?“

Angelika Nguyen
telegraph.cc

Adam und Evelyn

Deutschland

2018

-

100 min.

Regie: Andreas Goldstein

Drehbuch: Andreas Goldstein, Jakobine Motz

Darsteller: Anne Kanis, Florian Teichtmeister, Lena Lauzemis

Produktion: Heino Deckert

Musik: Lars Voges

Kamera: Jakobine Motz

Schnitt: Jakobine Motz

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.