Der nächste Sonntag kommt bestimmt Über Sonntage
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Der «Sonnentag» am Ende der Arbeitswoche impliziert wohl bei uns allen ungefähr ähnliche Assoziationen: ausspannen, ausschlafen, sich erholen, seinen persönlichen Interessen nachgehen, endlich mal selber den Tag gestalten.
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14. März 1995
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Immer noch berauscht und körperlich angeschlagen setzen wir uns vor das langersehnte erste Ziel nach dem Wochenstress: den opulent gedeckten Frühstückstisch. Ist diese feierliche Zeremonie in geniesserischer und ausgedehnter Art und Weise vollzogen worden, stellt sich die Frage nach der nächstmöglichen Betätigung/Befriedigung.
Die nachfolgenden Aktivitäten sind dann sehr individuell von den eigenen Interessen und Präferenzen geprägt. Sehr oft wird im Verlaufe des Tages der Bahnhofkiosk angesteuert, um an dieser Stätte der Freuden (zumal alle anderen Einkaufsmöglichkeiten geschlossen sind) etwaige durch den Mangel an Kaufaktivitäten aufgetretene Leergefühle zu kompensieren.
Kurzweilig befriedigt rollt man wieder seinem Eigenheim zu. Weitere Betätigungen drängen sich auf, der Tag ist noch lang, und das Denken oder das Nichts tun ist man sich nicht gewohnt. Was bietet sich an?
Das Fernsehprogramm, am Sonntag besonders vielfältig, kann temporär die Langeweile in den Hintergrund drängen. Der Gang zur Videothek ist ebenfalls sehr naheliegend, wenn man sich am Samstagabend nicht schon reichlich eingedeckt hat.
Der Griff zur Lektüre, um ein schon vor längerer Zeit angefangenes Buch weiterzulesen oder etwas Neues, Interessantes zu beginnen, ist nur bei genügend vorhandenem Nebel und Regen auf Dauer befriedigend.
Bei schönem Wetter ist der berühmte Sonntagsspaziergang mit Familie oder Lebenspartner immer noch ein sehr beliebtes Mittel, um wieder einmal die Mankos in Sachen Gefühle, Naturverständnis und körperliche Verfassung auszugleichen. Wenn sich der Tag dann langsam zu Ende neigt, ist die Dorf- oder Quartierbeiz, die auch am Sonntag geöffnet hat, ein beliebter Anziehungspunkt.
Hier trifft man sich mit den Kollegen, mit denen man schon gestern zusammengesessen ist und getrunken hat.
Je später de Abend, desto grösser die Chance, dass das Leeregefühl zum letzten Mal an diesem Tag noch einmal auftritt in Form des gefürchteten "Sonntagabendanschiss". An diesem Punkt kann fatalistisches Denken weiterhelfen: es ist wie es ist; die 5-Tage-Arbeit muss getan werden; die wenigen Freuden, die sich einem anbieten, sollen schamlos genützt werden, dazu sind sie da; und, das wichtigste: Trotz allem Frühaufstehen und harter Arbeit kommt der nächste Sonntag bestimmt. Wenn das kein Grund zur Freude ist.