Subkultur und Verfall (TEIL I) Eberstädter Donnerkeil
Archiv
Dies ist ein Versuch des Plauderns. Ein Versuch in literarisch bester Tradition also.
Mehr Artikel
12. März 1999
0
0
5 min.
Drucken
Korrektur
Subkultur und Verfall der Dinge: Diese These wurde bereits in Form einer Dissertation (Doktorarbeit) der Universität Bremen vorgelegt. Band 3 der kollektiven Dissertation von Axel Monte und Thomas Stemmer behandelte dieses Thema (1995).
Grob gesprochen ging mein Gedankengang etwa so: Während der Untergrund, die Subkultur, etc. sich in einem Verfall der Dinge bildet, meint die offizielle Kultur den Verfall der Menschen.
Offizielle Kultur geht hier graduell unterschiedlich vor. Doch im Grunde besteht keine Wesensfremdheit zwischen den Autoritäten, die technisieren, exekutieren, überwachen, kontrollieren, ausschnüffeln, Versicherungen aufzwingen, foltern oder "nur" strukturelle Umstände schaffen, die es beinahe unmöglich machen, sich frei und individuell zu entfalten.
Der freie Mensch muss also, will er nicht ebenfalls Versicherungsschnüffler, Mörder, Kalfaktor, Folterer, Vernetzer, Zwangs-Technisierer und Überwacher werden, einen verfallenden Ding-Kontext finden, unterirdische Aushöhlungen betreten, Geheimgänge bauen und tiefe Erdlöcher schaufeln. Der Verfall der Dinge lässt die offizielle Überwachungs-Kultur stolpern.
Wo die Welt der Dinge nicht mehr funktioniert, setzt glückliche kulturelle Sabotage, Subkultur und Untergrund ein. Der Untergründige muss daran interessiert sein, dass die perfekte Welt der Techniker und Kontrolleure nicht mehr funktioniert.
Wie der Philosoph Baudrillard bemerkte, rebellieren die Dinge selbst: Computer etwa. Der Untergründige freut sich über jeden zersetzenden Virus. Die Romantiker des 19. Jahrhunderts trieben sich in Ruinen herum. Symbolisten in Frankreich (Rimbaud, Verlaine, etc.) entwerfen ruinöse Szenarien der Freiheit. Oder Death Metal-Musik klingt wie aus einen Erdloch kommend.
Durch alle Zeiten und Kulturen zieht sich eine bittere Linie der Feindseligkeit gegen eine herrschende Kultur, in der alles geplant ist. Eine Kultur, die die dingliche Welt einschränkt auf nur eine Möglichkeit. Dabei wohnt ja gerade den Dingen eine Fülle von Möglichkeiten inne.
Ein kleines Kaugummipapierchen kann Abfall sein. Aber auch Teil einer künstlerischen Collage. Ich könnte damit auch meine geliebte mechanische Schreibmaschine reparieren, indem ich den Spielraum für eine Schraube verkleinere. Mittels eines Kaugummi-Papierchens könnte auch ein Verfolger geblendet werden, der dann gegen einen Baum läuft und sich verletzt (was ihn an der weiteren Verfolgung hindert).
Doch Kaugummis sind heutzutage in Papierchen gepackt, die nur als Öko-Müll gelten. Offizielle Technik-Terroristen zwingen Computerkontrolle für alle auf.
Seit der Niederschrift der Doktorarbeit tauchte ein weiteres Dokument des Philosophierens gegen das Establishment auf, das ich/wir nicht mehr berücksichtigen konnte/n. Das Unabomber-Manifesto von Theodore Kaczynski. Ich bin mir bewusst, dass Kaczynski für diese Ideen mordete. Aber darf ich nicht die Aktualität seiner Ideen anerkennen, ohne seine Taten gut zu heissen?
Ich heisse Kaczynskis Morde nicht gut. Dennoch, sein Manifest gegen ein bestialisches Technik-Establishment ist genial gedacht. Dürfte ich nicht Ideen anerkennen, auch wenn die Menschen, die diese Ideen hatten, falsch handelten, so müsste ich Plato ablehnen, denn er suchte beim Tyrannen von Syracus einen Staat zu verwirklichen, den wir heute mit dem Wort faschistisch belegen könnten.
Oder ich dürfte Martin Beidegger nicht aufmerksam lesen und zu verstehen suchen, da Heidegger in einer bestimmten Zeit seinen Lebens Nazi war.
Für Kaczynski ist Freiheit Freiheit des Einzelnen oder einer kleinen Gruppe, ohne Einfluss von aussen. Nur so kann er etwas durchlaufen, was er "powerprocess" nennt, d.h.Macht haben, nicht die Macht anderer beeinflussen, sondern die Macht, die eigenen Lebensbedingungen selbst festzulegen (siehe z.B. S. 94 des Manifests). Was durch individuelle Freiheit entstünde, wären unübersehbare und daher verfallende Dinge. Das Nicht-Zusammengehörige.
Das Bizarre. Das Ungewöhnliche. Dinge, die anders funktionieren, als das Establishment es will. Cola-Dosen werden zu Häusern. Das Bauamt wütet. Ich glaube, der Untergrund existiert. Er ist da. Er ist das andere. In ihm verfängt sich individuelle Freiheit. Und sich auf diesen geistig existierenden Untergrund zu beziehen, heisst, Dinge offiziell "falsch", d.h. verfallend zu gebrauchen. Der undurchsichtige Lebensweg. Die Poesie anstelle der Prosa.
Ein Studium der Sanskrit, der Keilschriftforschung oder der Byzantinistik anstelle der EDV, Kontrollüberwachung, und Vernetzung. Verfall, Subkultur, Untergrund, Entnetzung, Literatur, Kunst, schmierige Ölfarbe, unverständliche Gedichte, etc.
Ich denke, es ist wichtig, all diese Dinge lachend zu tun. Lachen ist Anarchie. Der Bohemien kann lachen. Plaudern ist Lachen. Es stellt den Verfall des Dinges "Sprache" sicher. Darum ist Plaudern verpönt und durch TV-Talk verzerrt, erniedrigt und verhöhnt. Ich will heute die Sprache verfallen lassen. Poltergeist hulz oe daril sirr-e-harr, na kolarister derkl derkl de Silk. Olk Olsoran.
Im Grunde ein alter Hut. Die Dadaisten taten so etwas. Die Surrealisten. Und Antonin Artaud. Oder hören sie in eine Ernst Jandl-Lesung rein...
Ich werde mich also dem Thema "Subkultur und Verfall" nicht direkt nähern, wie ich es in der Doktorarbeit getan habe. (Sorry, ich bin halt Poet und schätze diesen verfallhaften Ansatz ausserordentlich!!!) Ich werde gewissenhaft plaudern. Ein Kunstwerk in der Sprache zu diesem Thema in dieser aussergewöhnlichen Publikation von Max H., dem Eberstädter Donnerkeil.
Für Interessenten: Die gesamte Dissertation von Axel und mir trägt den Titel: "Zu Konstitution und Wirkung von Subkultur".
Band I stellt eine Einleitung dar und ist von Axel Monte und Thomas Stemmer zusammen verfasst. Band II stammt aus der Feder von Axel Monte und trägt den Titel "Haltungen zwischen Hegemonial und Subkultur". Band III ist mein Werk und nennt sich "Subkultur im Verfall der Dinge". Alles zusammen Dissertation Universität Bremen, 1995.