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Untergrund und Widerstand

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Politik Untergrund und Widerstand

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Untergrund heisst für mich, in den Zeiten des Turbokapitalismus alles daran zu setzen, um (geistig und psychisch) zu überleben und sich mit Gleich- oder ähnlich Gesinnten zu vernetzen (das eine geht nur mit dem Anderen).

Sbot Roboter.
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Sbot Roboter. Foto: Abeyeler (CC BY-SA 3.0 cropped)

Datum 14. Dezember 1999
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Lesezeit3 min.
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Gefährlicher als TNT sind (für den Staat) Menschen, die ihr eigenes Denken bewahren und sich von der Medien- und allgemeinen Hysterie nicht anstecken lassen. Es ist absolut schwer, cool zu bleiben und sich nicht von dem allgemeinen Hü! und Hott! anstecken zu lassen.

Die Bomben der RAF haben - wie alle Schuss- und ähnlichen Waffen - nur zu Ängsten, einem vorübergehenden Überlegenheitsgefühl und schliesslich einer Hochrüstung des Polizeiapparates geführt, die mehr Widerstand im Keim erstickt hat als dass sie ihn neu angefacht hatte. Wir leben in Zeiten der totalen Anpassung, Assimilierung, Gleichmacherei (auf amerikanisch).

Mit vollen Kaufhausregalen überberstend (und erst die Angebote im Internet), überbordender Technologie, Elektronik gaukeln sie uns vor, dass es uns gut gehe. Geht es auch! - aber nur in materieller Hinsicht.

Ansonsten schreitet unaufhaltsam der Prozess der Atomisierung, der De-Solidarisierung, des Auflösens zwischenmenschlicher Beziehungen voran. Wer aus der Reihe tanzt, wird gnadenlos stigmatisiert, eingeschüchtert.

Dazu braucht es keinen Polizeiknüppel mehr (nur noch in Ausnahmen). In meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind einige, die immer wieder mal in der Psychiatrie landen, manche auch für länger. Ich halte mich mit Poesie, künstlerischen Projekten, Lesen, kritischer Auseinandersetzung (geistig) am Leben und gesund (soweit wie möglich), vital.

Einschliesslich Solidarität mit den türkischen Gefangenen, die in Ankara, Istanbul und anderen Städten im Aufstand sind. Die Lage ist extrem gefährlich, der türkische Staat ist in weiten Teilen faschistisch, in der Polizei und Armee sind Folterungen + Terror Normalität. Aber bei uns herrschen andere Verhältnisse. Zurück nach Mitteleuropa... Die Repression hier ist eine viel feinere, subtilere.

Wer bei uns aus der Reihe tanzt, kriegt (s.o.) auch mal einen Knüppel auf den Kopf, aber schwerer wiegt die soziale Stigmatisierung. Wer sich nicht anpasst, ist im Nu sozial ausgegrenzt.

Von jahrzehntelangem vor der Glotze sitzen und Manipuliert werden sind die Menschen konsumgeil und zugleich weichgekocht. Keine Widerstandskraft mehr! Sie haben die kapitalistischen Werte, verinnerlicht, sie üben mind-control aus über alles, was sich an Auffälligem in der nächsten Umgebung rührt (echt wahr: Ein Nachbar, dem aufgefallen war-, dass der TÜV an meinem ollen Rost-Auto abgelaufen war, ist zum Hausbesitzer gegangen, um sich darüber zu beschweren.

Diese Arschgeige ist nicht etwa ein alter vergreister Knacker, leicht paranoid, sondern ein junger Mann Ende zwanzig. Ich habe diesem Scheisser, der auch noch pampig wurde, als ich ihn darauf ansprach, empfohlen, gleich zur Polizei zu laufen, wenn er was an meinem Fortbewegungsmittel auszusetzen hat (hat er aber nicht gemacht).

Ein paar Künstler und einige politisch denkende Menschen bilden Überlebenszeilen, Widerstandsnester (bewaffnet mit nichts als ihrem kreativen Potential, Ideen, Mut), über die Lande verstreut, die langsam wachsen und Aktivitäten erfordern, um nicht einzugehen und vom Moloch Kapitalismus vereinnahmt zu werden.

Man entwickelt eigene Überlebens- und subversive Strategien, dort wo man lebt, denn trotz eines allgemeinen (über die Medien ausgelösten) totalen Gleichschaltungsprozesses sind die regionalen Unterschiede immer noch beträchtlich. Niemand kann von einer Zentrale aus gültige Richtlinien nach aussen versenden.

Raimund Samson