Kritische Theorie über das Denken und Handeln Solidarität - Abgrenzung - Ausgrenzung
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Zusammengehörigkeitsgefühl, füreinander einstehen, sich als Teil einer Gesamtheit fühlen gehört zum Begriff der Solidarität. Wenn die KommunistINNen von internationaler Solidarität sprechen, so meinen sie damit die Einheit der proletarischen Klasse über die nationalen Grenzen hinaus.
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7. Dezember 1995
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Das ist ein Beweis dafür, dass sich Interessen und Bedürfnisse nicht einfach aus einem bestimmten Kriterium, hier die Klassenzugehörigkeit, ableiten lassen. Anderseits wurden während den verschiedenen sozialen Revolutionen massenhaft Menschen nur aufgrund des ausgrenzenden Kriteriums gefangen oder umgebracht, ungeachtet ihrer Einstellung oder Meinung zu den laufenden Ereignissen.
Die Abgrenzung hat ein einfaches Feindbild zur Folge, welches zwar Menschen aufzuwiegeln versteht, der Sache aber letzten Endes nicht dienlich ist. So wurden während der Russischen Revolution 1917 und den damit zusammenhängenden Exekutionen viele Intellektuelle, höher qualifizierte Arbeiter und leitende Angestellte getötet, weil sie per Definition zur Bourgeoisie gehörten.
Das Fehlen dieser Leute war mit ein Grund für die der Revolution folgenden Wirtschaftskrise, denn plötzlich fehlte mit den ermordeten Leuten das nötige Wissen, das zur Produktion nötig ist. Es wäre wohl intelligenter die Solidarität der Menschen in Bezug auf das erreichen eines Zieles (im Beispiel die sozialistische Gesellschaft) zu setzen und nicht wiederum in Relation mit Menschen, vor allem, wenn es nur bestimmte von anderen abgegrenzte Menschen sind.
Die Machtergreifung Hitlers 1933, die in die schlimmste Diktatur führte, wurde durch die Zerstrittenheit und Gespaltenheit der demokratischen Kräfte ermöglicht.
Diese Unfähigkeit zu einheitlichem, solidarischem Handeln, selbst in einem derart dramatischen politischen und geschichtlichen Moment, ist die Folge der krankhaften Abgrenzung gegenüber Anderen. So wollten sich bürgerliche Parteien nicht mit den Sozialdemokraten und Kommunisten arrangieren, weil jene die Privilegien des Bürgertums streitig machen wollten. Die Sozialisten ihrerseits wollten nichts mit dem feindlichen Bürgertum zu tun haben. Kommunisten sahen in den Sozialdemokraten reformistische Verräter, die die Revolution verhindern wollten.
Die Sozialisten hielten Kommunisten für gewalttätige Utopisten. Es gab wohl noch eine Menge anderer Gründe, warum es nicht möglich war, mit den Anderen zusammenzuarbeiten, obwohl es das gemeinsame Ziel, die demokratischen politischen Strukturen zu erhalten, erfordert hätte.
Da hätten aber die betroffenen Parteien oder Gruppen ihr Gesicht verloren, die Identität aufgegeben, sich selbst verleugnet. Die Stabilität einer politischen Gruppierung gründet sich häufig auf Abgrenzung, Ausgrenzung und Betonung der Unterschiede bis zum Feindbild. Kein Wunder also, dass es den Parteien und Gruppen schwer fällt über den eigenen Schatten zu springen. Solidarität im Hinblick auf ein gemeinsames konkretes Ziel erfordert aber genau das, sofern die eigene Macht zur Durchführung nicht ausreicht.
Es ist durchaus möglich und immer wieder geschehen, dass eine ab- und ausgrenzende Gruppierung zur alleinigen Staatsmacht avancierte. Diese autoritären Parteien (wie die NSDAP) leb(t)en von der Ausgrenzung und Bekämpfung anderer (der Juden und Sozialisten).
Ihre Macht basiert auf der Verneinung anderer Ideen, ist in diesem Sinn zutiefst reaktionär und besitzt keine eigentlichen positiven neuen Ideen zur Bewältigung der jeweils aktuellen Probleme. Beschriebenes Phänomen trifft in der aktuellen Schweizerpolitik auf die sogenannten "NeinsagerINNEN" zu, deren Benennung bezeichnend ist.
Die eigentliche Leere an Ideen, die fehlende Innovation und Toleranz führt jeden totalitären Staat in die wirtschaftliche, dann in die soziale und letztlich in die politische Krise. Mit der Flucht in den Status quo oder die Vergangenheit, der Negation und Verfolgung lässt sich auf längere Zeit selbst mit eiserner Faust nichts Positives erreichen.
Solidarität hat viel mit Offenheit zu tun. Solidarische Leute haben sich aufgrund einer Gemeinsamkeit zusammengeschlossen, doch gibt es neben dem Konsens eine Unzahl von Unterschieden in Art und Denkweise dieser Menschen.
Eine solidarische Bewegung sollte ein freiwilliger Zusammenschluss sein, der demokratisch funktioniert, sonst kommt es unweigerlich zu autoritären Auswüchsen und Zwängen, die mit dem Begriff Solidarität nichts mehr zu tun haben.
Toleranz und Aufnahmebereitschaft gegenüber verschiedensten Ideen innerhalb der Gruppe sollten eine Selbstverständlichkeit sein und verhindern dogmatische Ideologien. Jede politische Säuberung innerhalb einer Partei oder eines Staates sind Ausdruck fehlender Offenheit. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Verfolgung und Verteufelung der Trotzkisten in der UdSSR durch Stalin. Machtpolitik und Problemlösungspolitik unterscheiden sich natürlich auch noch in anderen Punkten.
Die verschiedenen Gruppierungen die sich so sehr von einander abgrenzen, dass es zu einer Zersplitterung von Kräften kommt, die teilweise die gleichen Ziele haben, verhindern eine erfolgreiche Politik durch Solidarität.
Der Schwerpunkt müsste beim Erkennen und Betonen der Gemeinsamkeiten der verschiedenen Parteien liegen, so dass mit der solidarisierten Kraft erfolgreiche Politik gemacht werden kann. Das krankhafte Abgrenzen bringt nichts. Die eigenen Ideen sollen nicht zugunsten einer Gleichmacherei geopfert werden, aber sie müssen bei konkreten Lösungen in den Hintergrund treten.
Der Anarchist, der aus Prinzip nicht wählt, begünstigt je nach politischer Situation vielleicht eine faschistische Partei.
Hätte er seine Stimme den Sozialdemokraten gegeben, hätte er den totalitären Tendenzen Gegengewicht geben können. Reale Wirkung im Sinne eines den Prinzipien übergeordnetes Interesses ist progressives und positives Agieren. Die Grüne Partei der Schweiz scheint mit ihrer ablehnenden Politik der Europäischen Union gegenüber, dies nicht eingesehen zu haben. Die EU ist relativ undemokratisch und ihre Umweltauflagen sind ungenügend. Das mag wohl stimmen, aber die EU ist gleichzeitig der Gegenpol zu den zunehmenden faschistischen und nationalistischen Tendenzen in den verschiedenen Staaten Europas.
Jetzt kommt die Frage des übergeordneten Interesses.
Die GP der Schweiz könnte auch innerhalb der EU für ihre Anliegen kämpfen, selbst wenn zugegebenermassen das Pflaster härter wäre, hätte aber durch Mithilfe zum EU-Beitritt der Schweiz, aktiv an der Bekämpfung des Schweizer Nationalismus mitgearbeitet.
So steht es auch mit den anderen EU- Gegenargumenten wie Euroimperialismus, Zentralismus, kulturelle Einfalt oder was auch immer. Ähnlich ist es mit dem Verhältniss zwischen den Sozialidemokratischen Partei und den ausserparlamentarischen autonomen, antifaschistischen Gruppen.
Im Kampf gegen die NationalistINNen muss die Arbeit der Einen wie der Anderen respektiert werden, selbst wen den einen die anderen zu zaghaft bzw. zu extrem erscheinen.
Am 23. September 1995 kam es anlässlich des nationalistischen Blocherumzuges in Zürich sowohl zu einer Kundgebung für eine offene und tolerante Schweiz, die von der SP organisiert war wie auch zu einer gewalttätigen Demonstration autonomer Gruppen.
Dabei hatten beide Protestaktionen verschiedene Funktionen. Die SP mobilisierte breite Volksschichten und konnte mit dem Grossanlass, der über 10'000 Leute vereinigte, die Aufmerksamkeit auf die reaktionäre Mobilisierung lenken. Die militante Demonstration dagegen sollte nach Möglichkeit, den nationalistischen Marsch stören oder gar verhindern.
Angesichts des massiven Polizeischutzes war dies nicht möglich. Der erbitterte Widerstand und der Strassenkampf gegen Polizei und Skinheads soll aber auch eine potentielle Wiederholung eines nationalistischen Umzuges verhindern.
Die Worte Chaoten und verräterische Sozialdemokraten machen keinen Sinn und sind wiederum Ausdruck der Abgrenzung von beiden Seiten. Beide Aktionen waren nötig und im Hinblick auf das gemeinsam Ziel solidarisch.