Der erste Kontakt
Auf Anfrage, ob ein Besuch der Anstalt und ein Interview mit deren Insassen möglich seie, vertröstete mich der Direktor, Herr Victor Gähwiler, auf einen offiziellen Besuchstag in diesem Sommer. An diesem Tag der offenen Türe seien alle herzlich Willkommen, ansonsten möchte er jedoch keine Personen aus der Öffentlichkeit auf seinem Areal sehen.Einen Tag später bekam ich dann schon eine umfängliche Dokumentationsmappe mit allerlei Materialien über diese saubere Anstalt zugesandt.
Es macht den Anschein, als ob da jemand sein schlechtes Gewissen zu beruhigen hätte; wie sonst ist es zu erklären, dass zwar niemand mit eigenen Augen sehen darf, was da in Uitikon abgeht, die sehr umfängliche Informationsmappe mit unzähligen Grafiken, Statistiken und anderen beschaulichen Dingen, wird dem Interessenten aber innerhalb von 24 Stunden zugestellt.
Ich habe mir das Desinformationsmaterial ein wenig zu Gemüte geführt und möchte nun mit gewissen Auszügen aus dem Jahresbericht und dem Arbeitskonzept der AEA dem geneigten Leser einen etwas anderen Einblick in dieses kantonale Haus der Freuden, das übrigens jahrelang unter der Leitung des sozialen Regierungsrates Moritz Leuenberger stand, ermöglichen.
Die überschwängliche, beschönigende Sprache, die einem einen brutalen Einblick in die realitätsfremde Welt der Anstaltsleiter gewährt, macht deutlich, mit welch anachronistisch-reaktionären Mittel in dieser Saubermannklinik, die seit 1925 ihren Betrieb aufrechterhält, vorgegangen wird. So ist es auch nicht erstaunlich, dass die Sprache in erschreckender Art und Weise an die Propagandaschriften der Nationalsozialisten erinnert.
Wenn in der Einführung oder der Zielsetzung der Konzeptvorstellung Wörter fallen wie "einheitliche Marschrichtung", "optimaler Intervention" oder "der Notwendigkeit von Konstanz", so fällt es einem schwer zu glauben, dass der Direktionsleitung die Unterscheidung zwischen einem Menschen mit Seele, Herz und Hirn und einem zukünftigen Leistungsträger für die Gesellschaft mit hundertfünfzigprozentigem Einsatz nicht relativ schwer fällt.
Die geschlossene Abteilung
In der Arbeitserziehungsanstalt, die sich neben Altstetten und Schlieren in Uitikon-Waldegg befindet, werden junge Menschen zwischen dem 17. und 25. Altersjahr eingewiesen, die sich vor dem Gesetz strafbar gemacht haben oder sonst irgendwie Mühe bekunden mit der Integration in unsere Turbo-Leistungsgesellschaft.Eine unvollständige oder zerstrittene Familie, eine vom Durchschnitt abweichende, schulische Leistung, Drogensucht, ein psychiatrisches Attest oder das Versagen im beruflichen Alltag kann als Einweisungsgrund schon genügen.
Ist ein Jugendlicher diesem Willkür- und Ausleseverfahren (man trenne das faule Obst vom gesunden, damit dieses das andere nicht verdirbt) zum Opfer gefallen oder von unserer gerechten Justizmaschinerie unter dem § 100 bis des StGB verurteilt worden und ist gerade zufälligerweise ein Platz in der immer randvoll besetzten AEA frei, so wird er von der zuständigen Behörde in die geschlossene Abteilung der Arbeitserziehungsanstalt verfrachtet.
Er wird in der Folge mindestens ein, aber höchstens vier Jahre in der AEA verbringen müssen.
Die Mauern der geschlossenen Abteilung, die Knastzellen und die engmaschige Überwachung, zu der eine dreimal wöchentlich stattfindende Urinprobe und eine persönliche Fiche, über die ein Leiter täglich akribisch Buch führen und einmal in der Woche vor der Direktionsleitung Rechenschaft ablegen muss, sind die Basis des zermürbenden, psychischen Terrors, der auf die Inhaftierten zwecks Brechen des Willens ausgeübt wird.
In dieser Atmosphäre der totalen Isolation und Abgeschiedenheit wird dann die Persönlichkeit oder der von ihr ausgehende Widerstand, wenn nötig mit sedierenden Medikamenten, zerstört. "So führten wir im vergangenen Jahr 14 Methadonbehandlungen durch, die in der Regel eine deutliche Beruhigung und längerfristige Stabilisierung der Klienten bewirkte" (aus dem Jahresbericht 1994).
Zum Schluss des Aufenthaltes in der geschlossenen Abteilung sollte der junge Mann soweit gebracht worden sein, dass er seine eigene Vergangenheit leugnet oder zumindest sehr ablehnend gegenübersteht, die Strukturen der Anstalt weitgehend akzeptiert und sich bereit erklärt, eine der ihm zur Auswahl stehenden Berufe (Schreiner, Schlosser, Gärtner, Maler oder Bauer) zu erlernen.
Das diese Haltung jedoch nur eine auferzwungene ist und die meisten Gefangenen nach wie vor leiden unter dieser totalitären Institution, in der nach gutbürgerlicher Schweizermanier alles bestens organisiert ist, zeigt sich in den zahlreichen Vandalenakten, die an den Einrichtungsgegenständen regelmässig vorgenommen werden.
Die offene Abteilung
In der "offenen" Abteilung, die keineswegs so offen und frei ist, wie dies die Betreiber beschreiben, wird den Jugendlichen die gutbürgerliche Chrampfermentalität der schweizerischen Spiessergesellschaft mit nervenaufreibender Pedanterie anerzogen.Dass sogar die Russen den grössten Teil ihrer Arbeitergulags in Sibirien aufgelöst haben, muss den verantwortlichen Herren und Damen im Erziehungswesen wohl entgangen sein. Aber will hier überhaupt jemand helfen? Geht es nicht viel mehr um Unterdrückung einer freien Persönlichkeit, den Drang, andersgesinnten Menschen das eigene Gedankengut, in diesem Fall mit Gewalt durch Einsperrung, einzuimpfen, und somit auch um die Verletzung der Menschenrechte?
Über Arbeitsmoral haben diese Trockenübungstheoretiker mit sadistisch-demagogischem Flair folgendes zu berichten: "Dass die Arbeitsatmosphäre in solchen Betrieben gut ist und sich Probleme verschiedenster Art viel leichter lösen lassen, liegt auf der Hand...ein Beispiel: Heute ist Donnerstag. Peter beginnt seine Arbeit um 7.30 Uhr in der Werkstatt der Metallverarbeitung. Er ist seit drei Monaten hier und möchte eine Anlehre als Schlosser absolvieren. Er fühlt sich wohl im Metall.
Die Eisenstäbe werden im Schmiedefeuer erhitzt. Peter schwingt freudig den Hammer und formt das Eisen auf dem Amboss. Seine Arbeit geht voran.
In der Wochenqualifikation um 8.30 Uhr wird entschieden, wieviel Sackgeld unsere Klienten erhalten. Peter ist gespannt und dann erleichtert, seine Augen leuchten auf, als er doch noch Fr. 26.- erhält. Er nimmt sich vor, nicht zuviel zu rauchen. In den Bereichen Pünktlichkeit und Tagebuchführung erfüllt Peter die an ihn gestellten Anforderungen noch nicht." (aus dem Jahresbericht 1994)
Die Tatsache, dass die inhaftierten Menschen in den staatlichen Anstalten der Quälerei der von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Pflegern und Leitern voll und ganz und auf Gedeih und Verderben ausgeliefert sind, ist nichts Neues.
Dass der Öffentlichkeit unter Ausschluss aber in einem Jahresbericht ein solch eklatanter Fall der Realitätsverzerrung präsentiert wird, ist nicht nur ein Vergehen an den unter diesen Umständen leidenden Burschen, sondern eine bewusste Irreführung sondergleichen der ganzen Bevölkerung, die sich gezwungen sieht, diese verstaubte, erzkonservative, gefühlszerstörende und seelenfolternde Alptraumanstalt mit ihren Steuerabgaben zu finanzieren.
So erstaunt es auch nicht, dass die Gefangenen nach Verrichtung der kräfteraubenden Arbeit, von der Direktionsleitung gezwungen werden, ihre Freizeit zu verplanen, sprich Kurse oder Weiterbildungslektionen zu besuchen und somit unter ihrer Kontrolle/Aufsicht zu stehen. Die Zeit, die jeder Mensch für sich gerne beansprucht um mit sich und seinen Gedanken/Träume alleine sein zu können wird den Inhaftierten nicht gegönnt.
Denken und fühlen verboten! Freizeiterziehung in einer Arbeitserziehungsanstalt - wie man Menschen zu Robotern erzieht: "Etwas ketzerisch könnte man sogar behaupten, dass der Bereich der Freizeiterziehung der wichtigste Teil unserer Aufgabe ist.
Warum fällt es uns so schwer, unseren Klienten echte Freizeit zu gönnen ohne Verpflichtungen, ohne Erziehung, ohne Zwang und Kontrolle? Unsere Antwort: Wir trauen dem Nichtstun nicht! Wir unterstellen, dass wer nichts tut, nichts gutes tut. Dies gilt für unsere Tu-nicht-Gute erst recht." (aus dem Konzept)
So werden die inhaftierten, bedauernswerten Jugendlichen genötigt, ihre kostbare Freizeit unter strenger Aufsicht mit bügeln, waschen, kochen, Formulare ausfüllen, Vorträge anhören und anderen nützlichen Dingen zu verschwenden.
Die Direktionsleitung geht nämlich davon aus, dass ihre "Klienten" beim Eintritt unter massiven Defiziten und Störungen leiden, wie z.B.: gestörter Realitätssinn, infantile Bedürfnisstruktur, mangelndes Wissen oder Können, und fehlende Vorstellung über die Gestaltung des eigenen Lebens.
Zu unser allem Glück aber gibt es die AEA, da weiss unser entgleister Nachwuchs wieder was Sache ist und woher der Wind bläst. Die Jugendlichen dürfen dort nämlich lernen, wie man sich an einem Bankomat verhält, oder was zu tun und zu sagen ist bei dem Besuch von staatlichen Ämtern. Oder aber es steht einem solchen Klienten, dem die die Direktionsleitung mangelndes Selbstvertrauen, kein bremsendes Gewissen und undifferenzierte Konfliktlösungsmöglichkeiten vorwirft, ein Sozialpädagoge zur Seite, der dem jungen, verschüchterten Mann aktiv bei der Wahl eines Freizeitclubs hilft, ganz nach seinen Vorstellungen und Wünschen natürlich, das versteht sich von selbst.
Hochphilosophisch wird es dann auch noch, wenn der Malermeister Norbert Wüthrich sich über die Zukunft seiner "Lehrlinge" sorgt. Er glaubt nämlich, die Menschheit habe den Satz des Albert Einstein: "Ich denke niemals an die Zukunft, sie kommt früh genug", aus dem Zusammenhang gerissen und verfälscht. Viel eher müsse es wohl heissen, die Zukunft kommt schneller als man denkt.
Und in diesem Sinne, natürlich auch in Anbetracht der ach so schlimmen Arbeitslosigkeit und Rezession, könne er nur noch feststellen, dass Güte und Strenge keine Widersprüche seien, und dies alles natürlich nur zum Wohle seiner Schützlinge.
Internierungslager für die Wirtschaft
Die AEA übernimmt die Funktion eines Internierungslagers für unangepasste und unerwünschte Subjekte in einer Gesellschaft, die für randständige Jugendliche nur noch einen Platz hinter Gitter in einer geschlossenen Anstalt übrig hat.Der Betrieb, der nebenbei 75 dankbaren ArbeiterInnen die Gelegenheit gibt, ihre gutbezahlten Brötchen zu verdienen, setzt jährlich 10 Millionen Franken um (Anstalten wie die AEA, eine Psychi oder ein Knast sind ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor, der einem Staat Jahr für Jahr tausende von Arbeitsplätzen sichert).
Solche Anstalten laufen unter dem Deckmäntelchen eines sozialen Auffangbecken, das bedauernswerten, armen Geschöpfen eine Möglichkeit zur Reintegration in unsere ach so lobenswerte Gesellschaft gibt.
Als Paralellinstitution zu den Anstalten und Knästen haben wir die Büros und Fabriken, wo die arbeitswilligen Proletarier eingeschlossen werden, während die arbeitsunwilligen liquidiert werden und in Anstalten und Gefängnissen verschwinden.
Die Kinder in die Schule, die Jugendlichen in die Jugendheime, die Arbeiter in die Bürohäuser und Fabriken, die Soldaten in die Kasernen, die Delinquenten in die Knäste, die Irren in die Psychiatrieanstalten und die Alten in die Altersheime. Alles hat seine Richtigkeit, alle sind versorgt. Die grosse Einschliessung ist vollendet. Es kann nun ohne störende Elemente ganz in Ruhe produziert werden!