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Bericht über die Unruhen in Los Angeles 1992

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Burning and looting tonight Bericht über die Unruhen in Los Angeles 1992

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Wir alle wissen, in einem weiteren Sinn, was zu dieser Rebellion geführt hat. Aber es ist unerlässlich, die Schlüsselereignisse, die den Ausbruch provoziert hatten, hier noch einmal aufzuführen.

Soldaten der US-Infanterie auf Patrouille während den Unruhen in Los Angeles 1992.
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Soldaten der US-Infanterie auf Patrouille während den Unruhen in Los Angeles 1992. Foto: PD

Datum 24. Juni 1996
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Am 3. März 1991 wurde Rodney King von vier Polizisten zusammengeschlagen. Dieses Vergehen wurde von einem Amateur Video-Filmer aufgezeichnet. Am 16. März 1991 wurde Natasha Horlens, eine 15jährige afro-amerikanische Frau, von einer koreanischen Ladeninhaberin wegen Ladendiebstahl erschossen.

Auch das wurde von der Ladenüberwachungskamera aufgezeichnet. Am 19. Juli 1991 schloss in Los Angeles die letzte Autofabrik. Diese Ereignis wurde von der betroffenen Bevölkerung als eine weitere schwere Folge der herrschenden Misere empfunden. Am 3. August 1991 wurde ein 19jähriger Latino, Flaco Jimenez, von einem Sherrif-Deputy erschossen, worauf es zu Unruhen im Latino-Quartier von Los Angeles kam.

Die Rebellion begann am 29. April 1992. Die Unruhen entzündeten sich an einem bestimmten Platz in South Central, der unterdessen berühmt geworden ist, mit dem Namen "Corner of Florence and Normandie". Am 30. April wurde die Ausgangssperre verhängt, die National Guard wurde eingesetzt. Am 1. Mai entsandte Bush die Armee und die Marines.

Hintergründe, die den Ausbruch herbeiführten

Jetzt noch ein paar Sachen zu den weiterfassenden Gründen, welche zur Rebellion führten: Ein spezifischer Faktor ist, dass es z.B. kein einziges Kino oder sonst irgendwelche Unterhaltungsmöglichkeiten in South Central gibt. So müssen die Jugendlichen, nur schon um einen Film zu sehen, aus ihrem riesigen Quartier mit der viel zu teuren Subway herausfahren. Es gibt kein Kino, keine Skateboard-Rampen, die Parkanlagen sind kleine Dreckflecken, in dieser riesigen und öden Stadt L.A.

Eine Studie, die nach den Riots erschien, zeigt auf, wie Armut und Reichtum Seite an Seite wuchsen, im Kalifornien der 80er Jahre. Ein Jahrzehnt, in welchem die Kluft zwischen Wohlstand und Armut sichtbar wird am ständig steigenden Einkommen der reichsten BewohnerInnen des Staates, im Gegensatz zur immer grösser werdenden Anzahl Kinder, die unter dem Existenzminimum leben müssen.

Während dieser Ära stieg das Staatseinkommen um 17%. In der gleichen Zeit stieg der Prozentsatz der Jugendlichen unter 18 Jahren, die, in einer vierköpfigen Familie, unter der Armutsgrenze leben um 41%.

Das vergrösserte die Zahl der in Armut lebenden Kinder im Staat Kalifornien auf 1.3 Millionen. Der Prozentsatz armer Familien nahm um 28% zu. Die Zahl armer alter Menschen nahm um 21% zu und die Zahl armer Familien mit allein erziehenden Müttern nahm um 32% zu.

Das sind alles Zahlen, welche sich auf den ganzen Staat Kalifornien beziehen. Aber in Los Angeles ist der Unterschied extrem krass. Innerhalb einer Distanz von nur 15 Minuten, gibt es da Beverly Hills, Hollywood, eines der reichsten Gebiete der Welt, und South L.A.. South Los Angeles setzt sich zusammen aus vielen Quartieren, eines von ihnen heisst Watts, wo 1965 die Riots ausbrachen.

Beim letzten Mal war es nicht so aktiv; dieses mal war es eine vereinte Nachbarschaft mit dem Namen South Los Angeles. 1965 war die Bevölkerung zu 81% schwarz. 1990, mit mehr als der doppelten Zahl von BewohnerInnen in South Los Angeles, war mehr als die Hälfte Latinos. Die Anzahl schwarzer BewohnerInnen ist 44.8%. 1990 wohnten 672'000 Menschen in dieser Gegend.

Bevölkerungswissenschaftlich gesehen, ist die Gegend ein kleines Beispiel für die Veränderungen, die in den letzten zehn Jahren die Massenimmigration für ganz Los Angeles mit sich brachte. Ihr müsst auch in Betracht ziehen, dass Kalifornien, an Mexico grenzt. Also ist das Ganze auch sehr nahe an der dritten Welt.

Wer hat rebelliert und was geschah wirklich?

Während den Riots wurden gezielt Läden angegriffen, vorwiegend Geschäfte deren EigentümerInnen KoreanerInnen waren, im Speziellen koreanische Schnapsläden. KoreanerInnen zahlen die billigsten Mieten für Ladenlokale, wenn sie nach South Central L.A. kommen, und sie verlangen die höchsten Preise für die Waren, die sie verkaufen.

Und seit den Riots, verlangen die Läden, die sehr schnell wieder aufgebaut wurden, immer höhere Preise und verkaufen dabei noch von den Unruhen beschädigte Ware. Die Menschen dort sind sehr verärgert darüber und sagen: "Schau, wenn das so weiter geht, wird das alles einfach noch mal passieren, denn dieses Problem wurde nicht gelöst."

Überhaupt waren Läden, die Alkohol verkauften, ein besonders beliebtes Ziel der Randalierer.

Ein Grund, für dieses gezielte Angreifen von Schnapsläden ist, dass es in South Central allein 522 Schnapsbuden gab.

Also in einer Gegend in der 700'000 Menschen wohnen allein 522 Alkoholläden, das sind mehr als in 32 Staaten der USA zusammen! Es gab wirklich an jeder Ecke, vor allem in der Nähe von Kirchen, immer einen Liquorstore.

Ein anderer Laden, der immer wieder angegriffen wurde, ist eine Drogerie, mit dem Namen "Thrifty drugs", welche der "Southern Californian Gas Company" gehört. Diese Firma ist verantwortlich, für die Ermordung einer schwarzen Mutter von acht Kindern, Ulah Love, die durch 15(!) Schüsse ermordet wurde, weil sie ihre Gasrechnung nicht bezahlt hatte. Die Polizei sagte, dass es geschah, als sie ihre unbezahlten Rechnungen eintreiben wollte.

Wieviele wurden festgenommen oder getötet?

Die Angaben darüber, wieviele Leute wirklich festgenommen wurden, sind noch heute kontrovers. Das Los Angeles Police Department (LAPD) sprach von insgesamt 2.000 Verhaftungen, die Staatsanwälte sagen jedoch, dass mindestens 8.000 Menschen durch den Gerichtsapparat hindurch mussten. Wir gehen von ungefähr 12.000 Verhaftungen aus. Die meisten von ihnen wurden verhaftet, weil sie nach der Ausgangssperre noch draussen waren. Und etwa 2000 Leute wurden wegen Eigentumszerstörungen oder Beschädigung festgenommen. Weitere 600 wurden wegen gewalttätigem Verbrechen inhaftiert und verurteilt. 51% der Festgenommenen waren Latinos.

Es gibt eine Liste, die besagt, es hätte 58 Tote gegeben. Die meisten darunter wurden von Angehörigen der Polizei , oder sogar der Armee erschossen. Es wurden eine ganze Anzahl Menschen gefunden, denen in den Rücken geschossen worden war. Ein Protest war am laufen, der gegen einen Sheriffs-Deputy gerichtet war, welcher einen 15jährigen Afroamerikaner von hinten niederschoss.

Und es gab noch weitere Proteste, wegen anderen Geschehnissen, während den Unruhen, bei welchem weitere sehr junge Menschen ermordet worden sind.

Während den Unruhen sind überall in South Central plötzlich überdimensionale Plakate erschienen, auf welchen der abschliessende Satz einer Rede an die Bevölkerung von Rodney King abgedruckt war: "Can we all get along?" (Können wir nicht miteinander auskommen?). Ein sehr behämmerter Schlichtungsversuch von Seiten der Regierung, denn zu diesem Zeitpunkt lebte Rodney King schon lange in totaler Abgeschiedenheit und Isolation und pumpte sich andauernd mit Medis (Antidepressiva) voll. Und so ist dann auch die Antwort eines Gangmitgliedes auf diese Kampagne nicht überraschend:

"Schaut, das ist grösser als Rodney King, hier geht es nicht um Rodney King, hier geht es um 500 Jahre, und darum, was in dieser Zeit mit uns gemacht wurde."

Überall in den Vereinigten Staaten wie in Seattle, New York, Newark, Chicago und sogar in Toronto, Kanada, kam es daraufhin zu ähnlich gewalttätigen Ausschreitungen, die die Regierung viel Geld und Kopfzerbrechen gekostet hat. Und in jeder Gegend gab es andere Zündpunkte für diese Rebellionen. Die Misere ist überall dieselbe, aber der Auslöser für die Unruhen, fand sich an jedem Ort in einem anderen Fall, in welchem Jugendliche von Polizeikräften festgenommen oder getötet worden waren. Und seit der Rebellion in L.A. gab es überall immer wieder Unruhen. In Chicago, Monate danach, nach einem Basketball-Match, in Boston, nach einem abgesagtem Rock-Konzert. Unruhen, an denen sich immer einige Tausend beteiligten.

Was war die Reaktion des Staates?

Ein Teil der Antwort der Regierung war z.B. eine Studie zum Thema Brandstiftung, denn davon gab es eine ziemlich grosse Zahl. Es gab mehr Brandanschläge als je zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten mit einem verursachten Sachschaden von 900 Millionen US-Dollar. 826 Gebäude wurden beschädigt oder zerstört.

Die meisten, die wegen Brandstiftung festgenommen wurden, sind bereits vorher schon für ein Vergehen verurteilt worden oder sind schon mal im Knast gesessen. Und ein Drittel der Festgenommenen hatten Beziehungen zu Banden.

Wonach die Regierung suchte, war, ob die Täter konspirativen Gruppen, welche die Brandanschläge vorbereitet hatten, angehören oder nicht. Dies konnte bis jetzt jedoch niemandem nachgewiesen werden. Das Einzige, was sie Leuten bis jetzt anhängen konnten, war, dass sie Angriffsobjekte ausgespäht hatten. Diese Gerichtsstudie ist die grösste, die es je zu diesem Thema gab.

In Sachen Riot-Aid (Unruhe-Hilfe) war eine Schlagzeile vom 12. Mai, dass Nahrung in die betroffenen Gebiete gebracht würde. Ein paar Wochen später stand geschrieben, dass es Nahrungsknappheit gab. Ein klassisches Beispiel der verwirrenden Nachrichtenübermittlung.

Eine Hauptantwort des Staates auf die Unruhen war in Sachen Geld: Nicht Geld den Menschen zu geben, sondern den Geschäften. Und dies, obwohl Studien belegen, dass diese kleinen Geschäfte, welche vom Staat so unterstützt werden, keine Arbeitsplätze nach South Central bringen und in Bezug zur Förderung schwarzer Geschäfte nichtüber die schönen Lippenbekenntnisse hinaus gingen.

Im Zusammenhang mit diesen Geldern gab es wieder heftige Proteste, weil mensch die Verträge und Subventionen zum Wiederaufbau von Geschäften in ihren Wohnquartieren nicht erhielt. Die Quartierbevölkerung meint dazu: "Wenn jetzt wieder Geschäfte gebaut werden, ohne schwarze BauunternehmerInnen, dann werden die einfach wieder zerstört, weil diesen Film haben wir schon einmal gehabt."

Der andere Teil der Antwort des Staates war, die Fürsorgegelder weiter zu kürzen. Der Gouverneur von Kalifornien ist ein uneinsichtiger Idiot, denn angesichts des Defizits im Budgets, das durch die Unruhen entstand, müsse halt Ausbildung und Fürsorge noch weiter gekürzt werden. Und Nummer drei der von Kürzungen betroffenen Sektoren war das Gesundheitswesen.

Das war speziell empörend für L.A., in Anbetracht des Bildes, welches sich in den letzten drei Jahren in L.A. abzeichnete, nämlich, dass das Gesundheitswesen einen dritte-Welt-Standard erreicht hatte. Die Folge war ein Prozess gegen den Gouverneur von Kalifornien, initiiert von Müttern, welche sich gegen weitere Kürzungen im Fürsorgebereich einsetzten.

Ein weitere Antwort war 1'000'000'000 $ Urban-Aid bundesweit auf die ganzen USA verteilt. Und natürlich gab es verschiedenste Gesetzesverschärfungen, die den Staat bei den nächsten Unruhen noch repressiver vorgehen lassen können. So wurden z.B. für Menschen die plünderten keine Bewährungsstrafen mehr gegeben. Die Höchststrafe für Brandstiftung wurde von 7 auf 9 Jahre festgesetzt. Und es sollten höhere Belohnungen gezahlt werden, für Leute, welche Hinweise geben, die zur Festnahme von Unruhe- oder BrandstifterInnen führen.

Wie reagierten Gruppierungen auf die Unruhen?

Es entstanden viele linke Bündnisse , aber es gab auch viele Organisationen, welche die Unruhen zum Vorwand nahmen, um Mitglieder für ihre Organisation zu finden. Es gab viel Agitation, aber nicht viel Konkretes, als es wirklich darum ging. Die Linke ist ja sehr gross, und es gab einige, welche vor allem diskutierten, über Bürgerrechte und so. Vor allem die gemässigten Linken.

Und dann gab es die andere Seite, die radikalere Linke, die eben auch von Rebellion sprach. Aber wenn es wirklich konkret um die Menschen ging, hatten auch sie nichts anzubieten. Einige Leute aus der Linken machten sich auch lächerlich mit der immer wiederkehrenden Forderung nach Jobs.

Ja, es brauche halt Jobs, und diese eine Milliarde Urban-Aid werde halt sofort in Sommer-Jobs für die Jugendlichen investiert, was völlig lächerlich ist. Es wird immer darüber gelabert, Jobs zu finden, und dies ist nur ein Versuch der Regierung, die ganze Problematik von Fürsorgekürzungen abzuschwächen, und einige Linke stimmten dann noch mit ein in dieses Gerede.

Eine Grossmutter aus South Central, auf die Frage eines Journalisten, ob es denn nicht darum gehe, Jobs für die Leute zu beschaffen: "Was für Jobs? Ein Job bei deiner Zeitung, oder wo?"

Erfreulich war auch, dass die sich bis anhin bekämpfenden Gangs im Kampf gegen den Staat solidarisierten. Sie plünderten viele Supermärkte und Waffengeschäfte gemeinsam. Auch wenn in der Zwischenzeit immer wieder ein Gang-Mitglied von zivilen Bullen erschossen wurde, um einen Wiederausbruch des Gang-Krieges zu provozieren, wird der Waffenstillstand, den die Gangs 1992 geschlossen hatten, weitgehend eingehalten.

No Justice, no Peace, Fuck the Police

Der wichtigste Sieg, den wir aus der Rebellion tragen, ist, dass der Schleier aus selbstgefälliger Ignoranz, Selbstbetrug, Erstarrung und Leiden, entstanden durch das Nichtanerkennen der alltäglichen Geschehnisse, dass dieser Schleier und diese Mauer niedergerissen wurden, durch ausleuchten und herausfordern der Machtstrukturen, d.h. eine Fackel hinhalten und sie niederbrennen.

Ab jetzt müssen wir alles in einem neuen Licht sehen, im Licht von Los Angeles.

Black Women for Wages

Dieser Bericht wurde zusammengestellt aus den Aufzeichnungen eines Vortrages der Black Women for Wages for Housework in London.