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Die Bundesbehörde, die es nicht gibt

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Die Bundesbehörde, die es nicht gibt

Lilith Wittmann beschäftigt sich beruflich und aus Passion mit Digitalisierung und deren Tücken und den damit verbundenen Sicherheitsproblemen.

Im Rahmen ihrer Tätigkeit stiess sie auf eine unbekannte Bundesbehörde namens 'Bundesservice Telekommunikation', deren Existenz und Zweck ihr völlig unbekannt war. Beim Versuch, mehr zu erfahren, ergab sich Erstaunliches.
Ein Musterbeispiel einer 'Quellenanalyse von Unten'.

Beitragstext:


Wie sie auf ihrem Blog bei Medium jetzt detailliert schildert, stiess sie bei Recherchen zufällig auf einen Bundesservice Telekommunikation, eine Behörde, die nach dem Register dem Bundesinnenministerium zugeordnet ist.
In einer merkwürdig nebulösen Selbstbeschreibung, erklärte sich unbekannte Behörde auf ihrer kargen Webseite zuständig für ‚Fachaufgaben, Qualifizierung, Modernisierung sowie Unterstützungsaufgaben für verschiedene Ministerien‘
Komisch, dachte sich Lilith Wittmann, die sollte ich bei meinem Arbeitsfeld doch eigentlich kennen, habe aber noch nie von ihr gehört. Wissenslücken sollten geschlossen werden, also schrieb Wittmann eine Mail, um weitere Informationen zu erhalten.
Die Mailadresse existierte nicht, die Anfrage kam mit Fehlermeldung zurück.
Das Behördenverzeichnis listete auch eine Telefonnummer, aber ach, am anderen Ende der Leitung fiepste nur ein Fax einsam vor sich hin. Die ebenfalls angegebener Faxnummer führte dann zu einem tutenden Telefon, das niemand abnahm.
Nun war die Neugierde geweckt und eine Auskunft nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG) an das Bundesverwaltungsamt also die Hauptverwaltungoberstabsstelle für alle Verwaltungen war rasch geschrieben.
Es kam eine nichtssagende Antwort zurück, welche an die eben entdeckte Phantombehörde BST, also Bundesservice Telekommunikation, verwies. Auch wenn der Inhalt der Antwort unbrauchbar war, zeigt der CC Verteiler eine interessanten Mitempfänger: Die Geheimschutzbeauftragte, ja diese Tätigkeitsbezeichnung taucht bei einer Behörde in der Mailadresse dann schon auf, soviel Korrektheit muss sein - also die Geheimschutzbeauftrage Marga Lena Dober des Bundesverwaltungsamtes wurde über diese völlig nichtssagende Mail in Kenntnis gesetzt.
Da wunderte dann nicht mehr, das Minuten später eine Mail eintraf, mit der Aufforderung, die erste Mail zu löschen.
Wittmann tat nichts dergleichen und twitterte das bisherige Geschehen, was weitere Aktionen auslöste. Ein Follower startete der Realadresse der Behörde, Heidelbergerstrasse 63-64 in Berlin, einen Besuch ab. Er fotografierte das Behördenschild, das gab es immerhin und auch einen Briefkasten.
Eine Abgeordnete der Bundestagsfraktion die Linke griff den Sachverhalt auf und stellte eine Anfrage. Sie wollte wissen welches Budget diese Behörde hat. Einer solchen Anfrage aus dem Bundestag, welcher die Budgethoheit innehat, ist die Verwaltung auskunftspflichtig, innerhalb einer Woche. Die Antwort kam dann auch, die geheimnisvolle Behörde erhielt in den letzten 5 Jahren keinen Euro!
Normalerweise würde sich BürgerIx freuen, wenn der aufgeblähte Herrschaftsapparat, den wir alle mit unseren Steuern bezahlen, nicht ganz so viel Geld verschlingt, aber eine Behörde die gar keinen müden Euro braucht?
Kein Wunder, dass sie keine Internetadresse haben und keiner ans Telefon geht!
Doch halt – da tat sich in Folge der Nachforschungsaktivitäten dann etwas. Das BMI registrierte nun doch die zuvor nicht existente domain bst.bund.de und wie Lilith Wittmann überprüfte, kommen Mails dort nun auch an – nur Antworten erhält mensch nach wie vor keine.
Die Anfrage im Bundestag enthüllte ausser der Tatsache, dass es sich bei dem Bundesservice Telekommunikation um die offiziell preisgünstigste Bundesbehörde aller Zeiten handelt, erst mal keine weiteren Hinweise auf Zweck und Aufgabe.
Allerdings ist spannend, wer die Anfrage beantwortete: Staatssekretär Engelke! Der Mann ist laut Organigramm des BMI zuständig für die Abteilungen Öffentliche Sicherheit und Angelegenheiten Bundespolizei. Der Mann arbeitete in seiner beruflichen Karriere bei Verfassungsschutz und Bundespolizei, ist also nicht ganz zufällig die Verwaltungsspitze des BMI für diesen Bereich.
Aber warum antwortet genau dieser Staatssekretär? Das BMI als Riesenministerium zur Überwachung und Repression der BürgerInnen hat noch zahlreiche andere Leitungspersonen, die qualifiziert und befugt wären, eine solche Anfrage zu beantworten. Engelke antwortet, weil er zuständig ist – also ist es nicht allzu gewagt, abzuleiten, dass die geheimnisvolle Behörde ohne offizielles Budget, die in keinem offiziellen Organigramm irgendeines Ministerium auftaucht, Funktionen erfüllt, die dem Verfassungsschutz oder – weniger wahrscheinlich – der Bundespolizei dient.
Dafür spricht auch, dass nach jüngsten Entwicklungen, die Webseite der Behörde offline genommen wurde – wahrscheinlich von einem der vielen unbezahlten MitarbeiterInnen.
Welchem Zweck die Geisterbehörde konkret dient, kann nur spekuliert werden. Wittmann vermutet unter anderem, es können sich um eine der Fake-Behörden des VS handeln, die von diesem zwecks Legendenbildung seiner Mitarbeitenden betrieben werden.
Möglich wäre aber auch, dass der Bundesservice Telekommunikation durchaus eine Funktion und aus anderen, nicht offiziellen Kanälen bezahlte MitarbeiterInnen besitzt. Er könnte, seinem Namen entsprechend, auch für telekommunikative Überwachungsaktivitäten des Verfassungsschutzes zuständig sein.
Wahrscheinlich wird sich Genaueres nicht so schnell in Erfahrung bringen lassen.

Der Ablauf zeigt, wie wichtig und aufdeckend, eine gute Analyse öffentlich zugänglicher Quellen für den Erkenntnisgewinn und die Aufdeckung eigentlich verschleierter Sachverhalte sein kann. Unter dem Begriff ‚Open Source Intelligence‘ gehört dies zu den Hauptaktivitäten aller Geheimdienste dieser Welt. Aber nicht nur die mehr oder weniger geheimen staatlichen Stellen können diese Methoden nutzen, auch wir, die BürgerIxe, können so wichtige Zusammenhänge aufdecken und, soweit notwendig, diese skandalisieren oder uns dagegen wappnen.

Vielen Dank an dieser Stelle daher an Lilith Wittmann für dieses Musterbeispiel einer ‚Quellenanalyse von unten‘. Mehr von der Sicherheits- und Digitalaktivistin findet ihr unter dem angegebenen Link und auch auf Medium, einer freien Plattform zur Veröffentlichung von Texten und Ideen jenseits der grossen US-Anbieter.
Wenn ihr euch über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) weiter schlau machen wollt, findet ihr Tipps und Vorgehensweise auf https://fragdenstaat.de/. Der Dienst erleichtert euch, Anfragen an Behörden und Verwaltung zu stellen und so Auskünfte zu gelangen, die euch von Gesetz wegen zustehen.


Quellen und Verweise:

https://lilithwittmann.medium.com/bundes...

https://lilithwittmann.medium.com/

https://medium.com

https://de.wikipedia.org/wiki/FragDenStaat

Creative Commons Lizenz

Autor: Mel

Radio: RDL Datum: 21.01.2022

Länge: 07:30 min. Bitrate: 136 kbit/s

Auflösung: Stereo (44100 kHz)