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Anna Seghers: Das siebte Kreuz

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Abrechnung mit Hitler und seinen Greueltaten Anna Seghers: Das siebte Kreuz

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Belletristik

Ohne Weinerlichkeit und Sentimentalität schildert die Autorin das Leben und Zusammenleben der Menschen in Nazideutschland kurz vor Kriegsbeginn.

Datum 4. Juni 1996
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Was schon Brecht mit seinen Fragmenten in Furcht und Elend des Dritten Reiches beschrieb, gestaltet die Seghers zum Roman: Das plötzliche Misstrauen unter Nachbarn, Mitarbeitern, Freunden. Die Furcht, zuviel zu sagen und ans Messer geliefert zu werden. Die Gewalt, mit welcher den Eltern ihre Kinder durch den Staat entrissen werden, dass man nicht einmal mehr seinen engsten Angehörigen gegenüber ehrlich bleibt.

Im Gegensatz zu Brecht, welcher diese alltäglichen Schrecken zum Thema seiner, nur aus Szenen bestehenden, Erzählung macht, benützt die Seghers diese nur als Hintergrundshandlung, was jedoch die Tragik in keiner Weise schmälert.

Die Hauptgeschichte handelt von sieben Männern unterschiedlichsten Alters, Bildung und sozialer Stellung, welche aus dem KZ, wo sie aufgrund ihres politischen Widerstandes inhaftiert waren, ausgebrochen sind. Die Flucht bildet den Anfang dieses unerhört spannenden und bedrückenden Romans.

Parallel zur eigentlichen Geschichte, dem weiteren Schicksal der Flüchtlinge, blendet die Autorin immer wieder kurze Szenen ein, welche über die Untergrundstätigkeit der noch nicht gefassten Regimegegner informieren.

Der Leser wird so einerseits in den Fortverlauf der Flucht, andererseits auch in die Massnahmen der Fluchthelfer miteinbezogen. Denn die Folgen des Ausbruchs sind verheerend: Der nationalsozialistische Staat setzt alles daran, die Sträflinge so schnell wie möglich wieder hinter Stacheldrähte und Elektrozäune zu bringen und mit Zwangsarbeit und Folter mundtot zu machen. Es wirkt beinahe lächerlich, wieviel Aufhebens sieben Häftlinge wegen gemacht wird. Doch kein diktatorisches System darf sich Fehler wie diesen erlauben.

Der Kommandant des Lagers, ein exemplarisch für jegliche KZ-Kommandanten stehender, von Macht besessener Wahnsinniger, lässt nach Bekanntwerden der Flucht sieben Kreuze errichten, an welche die überführten Abtrünnigen gebunden werden sollen. Nach Verlauf einer Woche, so schwört sich der Kommandant, sind alle Kreuze besetzt.

Ein furchtbarer, furchtbar unfairer Kampf beginnt, zwischen den sieben, welche sich unmittelbar nach dem Entkommen getrennt und aus den Augen verloren haben und ihrem Feind, dem Staat, Hitler. Sechs der sieben werden innerhalb der vom Kommandanten gesetzten Frist zur Strecke gebracht. Einige früher, andere später, einige tot, andere lebend, wieder andere mehr tot als lebendig - sie alle bezahlen mit ihrem Leben. Zu gut funktioniert die Staatsmaschinerie, der Terror, die Angst des Normalbürgers und der Idealismus einer herangezüchteten, manipulierten Hitlerjugend. Nur der siebte - Georg Heisler - scheint mehr Glück zu haben, falls man in solchen Fällen dieses Wort überhaupt gebrauchen darf.

Den täglichen Schlägen, Verhören, Folterungen ist er zwar - vorübergehend zumindest - entronnen, doch was ausserhalb der Gitterstäbe auf ihn wartet, hat mit der ersehnten Freiheit wenig gemein. Die Autorin versteht es, ohne detaillierte Schilderung von Gewalt, diese an allen Stellen sichtbar zu machen. Sie verzichtet weitgehend auf physische Brutalität und blutrünstige Szenen und ersetzt diese durch psychischen Terror, Angst und Marter.

Der Leser spürt dank dieser minutiösen Schilderung die ständige Bedrohung, welcher Georg Heisler allerorts ausgesetzt ist. Er identifiziert sich mit dem "Helden", Anführungszeichen, weil nichts eigentlich Heldenhaftes ihm eigen ist. Georg Heisler ist vielleicht vor seiner Haft ein Held gewesen, ein Kommunist, der im Untergrund gearbeitet hat und aufgeflogen ist.

Doch zu jenem Zeitpunkt, an welchem die Erzählung einsetzt, ist er nur noch ein verzweifelter Flüchtling mit dem Mut eines Todgeweihten.
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Bild: Anna Seghers - Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland. / © Foto H.-P.Haack (CC BY 3.0 unported)

Die Präzision, mit welcher die Seghers seine Verfassung schildert, gehört zum beeindruckendsten der ganzen deutschen Literatur in Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg. Heisler, gequält von Hunger, Müdigkeit und steter Angst, pendelt zwischen dem Wunsch, einfach aufzugeben, tot umzufallen über Träume von einer Jugendfreundin und körperlichen Sehnsüchten nach ihrer Geborgenheit und Wärme bis zum verzweifelten Entschluss zu kämpfen, komme was wolle.

"Und wenn er auch nur noch die Kraft für eine winzig kleine Bewegung hatte, auf die Freiheit hin, wie sinnlos und nutzlos diese Bewegung auch sein mochte, er wollte diese Bewegung doch noch gemacht haben."

Das ist Georg Heislers Kampf gegen einen übermächtigen Staat, das einzige was er noch tun kann, nämlich, keinen Schritt breit dem verhassten Feind entgegenzukommen, nur nicht klein beizugeben, solange noch Hoffnung besteht, nur nichts dem Staat schenken, ihm nichts in die Finger spielen.

Seghers enthält sich jeglicher politischen Kommentare, sie kritisiert nicht, wertet nicht, verdammt niemanden, sie überlässt es dem Leser, der Georg begleitet, begleiten muss, Wut zu empfinden, Partei zu ergreifen, mit der Machtlosigkeit fertigzuwerden, wie ein geprügelter Hund an Folter,Überwachung, Faschismus teilzunehmen.

Dies ist vielleicht das besondere, welches das Buch auszeichnet: Die Abrechnung mit Hitler und seinen Greueltaten findet nicht, wie bei den meisten Büchern der Nachkriegszeit, in der Geschichte selber, sondern in unseren Köpfen statt. Möglicherweise liegt der Grund darin, dass Anna Seghers den Roman schon 1942, im Exil in Mexiko verfasste. Woran ihr wohl wirklich liegt, ist das Unterstreichen der Wichtigkeit der Solidarität aller, welche sich mit Missständen nicht abfinden können. Zudem zeigt sie die absolute Notwendigkeit einer gemeinsamen Untergrundsbewegung im eigenen Land.

Im Gegensatz zu Brecht gehören dieser Widerstandsbewegung Menschen verschiedenster Berufsstände, politischen Engagements und beiderlei Geschlechts an. Frauen spielen eine grosse Rolle, ihr Mut steht demjenigen der Männer nicht nach. Einfache Leute werden ebenso gezeigt wie gescheite jüdische Ärzte, deren Patente als ungültig erklärt, die jedoch im Untergrund weiter konsultiert wurden. Menschen, welche aus Mitleid oder Freundschaft ihr Leben aufs Spiel setzen, ohne einer eigentlichen Resistance anzugehören.

Ob Heisler die Flucht nach Holland gelingt, wird an dieser Stelle nicht verraten. Es ist auch unwichtig für die Hauptaussage des Romans. Anna Seghers, selbst Jüdin und Mitglied der KP, schuf eines der eindrücklichsten Plädoyers für Solidarität und Widerstand im Kampf gegen einen grausamen, despotischen, totalitären Staat.

Kathrin M.

Anna Seghers: Das siebte Kreuz. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2003. 416 S., 16 SFr., ISBN 978-3746651514