Florian Kirner: Freies Land! Prinz Chaos, die Thüringer und ein Schloss.

Er beginnt mit einem Überfall von drei PKW und einem Grossraumtaxi voller Neonazis wenige Monate nach dem Schlosskauf 2008, bevor es in die Entdeckung des Schlosses schildert.

Hier zeigt sich ein heimatloser Protagonist zwischen linkem Aktivismus, Japan-Aufenthalt und grössenwahnsinnigen Plänen, der schliesslich mutterseelenallein das Himmelfahrtskommando „Schloss-Rettung“ antritt. Dieses Schloss von 1478 ist schwer heruntergekommen, der Hauptgiebel ist einsturzgefährdet, der Hausschwamm wuchert vom Keller Richtung erstes Obergeschoss, die Fenster und die Elektrik sind völlig marode.

Mit seinem Startkapital - 50.000 Euro Schulden und jede Menge Optimismus - stürzt sich der neue Schlossherr unter dem Namen „Prinz Chaos II.“ in sein neues Leben. Wir erleben mit ihm stalingradartige Winterschlachten, erste Erfahrungen mit der deutschen Bürokratie, sowie mit einer Dorfbevölkerung, in der sich oﬀene Arme und oﬀene Ablehnung die Waage halten.

Nach einem gescheiterten Benefizkonzert von Konstantin Wecker auf dem örtlichen Sportplatz kippt die Stimmung endgültig. Die lokalen Nazistrukturen erkennen, dass eine Eskalation gegen diese „linke, schwule Prinzenbazille“ in der Luft liegt. Es kommt zu einer Hetzkampagne im Internet und schliesslich steht ein Auto im Schlosshof in Flammen.

Bodo Ramelow organisiert Polizeischutz. Die Situation wird stabilisiert. Der Prinz aber erleidet einen schweren Bandscheibenvorfall. In der Reha erwischt ihn dann die totale Sinnkrise. Soll er das Projekt weiterführen? Geht das überhaupt noch?

Er erkennt, dass seine eigene Kindheitstraumatisierung einen erheblichen Anteil hat an jenem Kriegszustand, der sich einmal mehr um ihn herum hergestellt hat und macht erste Schritte auf dem Weg der Heilung. Gleichzeitig zieht er sich hinter die weitgehend imaginären Schlossmauern zurück, um wieder zu Kräften zu kommen.

Bald führt ein neuerlicher Schub inspirierten Grössenwahns zur Vision einer „permanenten Kreislaufwirtschaft auf Schloss Weitersroda“. Permakultur-Enthusiasten und in den Weiten des Internets geschulte Neuzeitaktivisten versammelt dieser Ruf in Südthüringen. Kühe werden angeschaﬀt, ein riesiges Gewächshaus, ein Gastronomieprojekt wird vorbereitet.

Aber die Gemeinschaftsdynamik zerschellt an ihren inneren Widersprüchen. Der Vater des Prinzen ist verstorben - in der Darstellung seines Ablebens gelingt dem Autor eine der berührendsten Passagen des Buchs - und er erbt. Gleichzeitig ist das Schloss bevölkert von digitalen Aktivisten, die allesamt in höchst prekären Umständen leben. In der Schlossküche wird heiss diskutiert, ob die Erde nicht vielleicht doch flach sein könnte… Der Schlossherr wird in seinem eigenen Schloss gemobbt. Er geht weiter auf dem Weg der Heilung, etwa mit einer Familienaufstellung. Der ewige Schwulenaktivist hat auch zum ersten Mal eine Freundin. Nach und nach platzen die ungeliebten Mitbewohner förmlich von ihm ab. Aber nun ist das Schloss leer, das Erbe ist in dessen Ausbau versenkt - einmal mehr stellt sich die Frage nach der Zukunft des Projekts.

Eine neue Generation Mitbewohner tritt auf den Plan. Das Schlossprojekt entwickelt sich fabelhaft - bis Corona hereinbricht. Prinz Chaos erlebt einen ersten Lockdown mit zwölf Schlossbewohnern und 30 Wandergesellen - junge Handwerker auf der Walz. Das heimatliche Hildburghausen entwickelt sich zu einer Hochburg des Corona-Widerstands.

Prinz Chaos hat sich aber inzwischen verwandelt. Ein Hochleistungsmeditationskurs hat seinen inneren Krieg beendet. Und er agiert nun als Florian Kirner. Der Schlossherr ist ausserdem seit 2019 Vorsitzender des örtlichen Unternehmerverbands und muss einen Balanceakt durchführen zwischen der Vertretung der Mitgliederinteressen und der eigenen Haltung, die ihn von „Team Vorsicht“ zu „Team Stinksauer“ führt.

Als es 2023 zur Abwahl des amtierenden Bürgermeisters der Kreisstadt durch Volksentscheid kommt, wirft er seine Krone in den Ring. Als parteiloser Einzelbewerber holt er - Wessi, queer, Paradiesvogel - sensationell 42% der Stimmen in einer AfD-Hochburg.