Erbarmungsloser Gefängnisalltag
Detailgetreu und im waschechten Szenejargon der damaligen Zeit schildert Fallada ungefiltert und mit viel Ironie und Sarkasmus anhand seines Protagonisten Willi Kufalt, der wegen Unterschlagung und Urkundenfälschung von der deutschen Gerichtsbarkeit zu fünf Jahren Knast verurteilt wurde, den zermürbenden Überlebenskampf von Strafgefangengenen im Justizvollzug.Es ist ein unbarmherziger und gnadenloser Alltag, der hier ausgeleuchtet wird, geprägt von den anhaltenden sadistischen Unterjochungsritualen des Gefängnispersonals. Wer nicht spurt wird drangsaliert und bekommt nicht selten eine mehrtätige Isolationshaft aufgebrummt.
Nach Ablauf der Haft stellt sich dem Delinquenten die unbequeme Frage nach der eigenen Zukunft in der langersehnten Freiheit. Wie oft hatte er es sich anhören müssen, das Geschwätz von dem neuen Leben. Vom Gefängnispfarrer, vom Direktor, von den Wärtern, von den Leidensgenossen. Immer wieder. Ein ewig wiederkehrendes Mantra. Um dem verfehlten Leben ohne Aussicht zu entkommen flieht der ehemalige Strafgefangene aus der engen Provinz in die anonyme Grossstadt nach Hamburg, wo er auf seinen Neuanfang hofft. Wie sich allerdings bald herausstellt erweist sich die Suche nach einem ganz gewöhnlichen Job jedoch als komplett illusorisch. Keiner der braven und unbescholtenen Bürger aus der freien und sauberen Welt denkt auch nur im Traum daran, einem Ex-Knacki zu vertrauen, geschweige denn auch nur im entferntesten mit ihm in Kontakt zu treten.
Ein Neuanfang, der keiner ist
Anfänglich findet der zumindest auf dem Papier Rehabilitierte noch Unterschlupf in der Sozialmaschinerie des deutschen Reiches in der Funktion eines Adressenschreibers in einer staatlichen Schreibstube für ehemalige Delinquente. Als die fortwährenden Kränkungen und die mit Methodik ausgeführten perfiden Erniedrigungen durch die Vorgesetzten jedoch für den im Grunde zähen Kufalt nicht mehr zu ertragen sind, schmeisst er den Job hin und versucht sich mit ein paar Kumpanen als selbständig Erwerbender. Sie mieten eine Dachkammer an, organisieren einige Schreibmaschinen und angeln sich durch Preisdumping einen Grossauftrag zum Versenden von Werbematerial. Doch auch dieser Neuanfang wird ihm durch Behörden und Dienststellen gründlich versalzen.Nach Auflösung der illegal gegründeten Schreibstube zeigt sich leider, dass ein solidarischer Zusammenhalt unter den Kollegen nicht wirklich vorhanden ist. Jeder ist sich selbst der Nächste. Kufalt findet sich wieder in dem wohlbekannten Gefühl von Verlorenheit, von Einsamkeit, von Isolation. Dem Anti-Helden bleibt keine andere Wahl, als sich erneut in die ihm bereits vertraute Abwärtsspirale aus krimineller Eigendynamik und stumpfen Selbsterhaltungstrieb zu begeben. Nur - hat er als junger Mann anfänglich diesen Weg noch freiwillig gewählt, um zusätzlich zu seinem bescheidenen Gehalt an etwas mehr materiellen Wohlstand zu gelangen, sieht er sich nun aus purer Not gezwungen, kriminelle Energie zu entwickeln, um nicht das Schicksal vieler anderer teilen zu müssen und als Gebrochener auf der Strasse zu verenden.
Die Verzweiflung der Ausgestossenen
Anfänglich ist es nur ein kleiner Raubüberfall auf einen Geldboten auf dem Lande mit einem Kumpel aus dem Knast. Der Coup ist erfolgreich und die materielle Notlage vorerst gelindert. Doch die Hilflosigkeit bleibt, und das lähmende Minderwertigkeitsgefühl, welches sich tief in die Seele des Ausgestossenen bohrt, kehrt unweigerlich zurück. Der Hass auf die Gesellschaft steigt wieder in ihm hoch, die Verbitterung nimmt fieberhafte Züge an. Dementsprechend sinkt die Hemmschwelle zur kalkulierten Gewaltanwendung.Wenn der Held gegen Ende der Erzählung aus purem Überlebenstrieb auf seinen nächtlichen Streifzügen durch das winterliche Hamburg rücksichtlos und methodisch junge Frauen mit einem gezielten Faustschlag niederstreckt, um an deren Handtasche mit meist geringer Barschaft zu gelangen, und dabei nüchtern und trocken konstatiert, das seine traumatisierten Opfer nach diesen Gewaltakten nie mehr dieselben sein werden, löst das beim Leser zu diesem Zeitpunkt der Geschichte höchstens noch ein leichtes Stirnrunzeln aus. Von da an ist es nur noch ein kleiner, logischer Schritt zurück, zurück hinter Gefängnismauern, die nicht nur die Gesellschaft vor Verbrechern schützen, sondern auch umgekehrt.
Die alles verändernde Gefängnisluft
„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ ist ein verzweifelter, hoffnungsloser Aufschrei eines Ausgestossenen, der lautstarke Protest eines ehemals Integrierten, der mittels permanenter, systematischer Demütigung durch herablassende Gefängniswärter, scheinheilige Sozialarbeiter, sadistische Geistliche und bornierte Arbeitsvermittler zum wütenden, asozialen Berserker mutiert, dem seine Menschlichkeit dabei jedoch nie ganz abhanden kommt.Eine Anklageschrift, gerichtet gegen eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, in der kein Platz für Gefallene, Gescheiterte und Andersdenkende ist. Am Schicksal von Willi Kufalt zeigt Hans Fallada mit seiner ihm Angeborenen Empathie auf, wie die unablässigen Erniedrigungen einer paranoiden und verunsicherten Gesellschaft, welche durch Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsdepression gebeutelt ist, unauslöschliche Narben hinterlassen auf der Seele eines durch Gier und Verlangen aus der Bahn geworfenen Gepeinigten. Was folgt ist ein erneuter Gang durch Anstalten und Institutionen, mit Hausordnungen, Vorschriften und Formularen, die logische Konsequenz, ohne Chance auf einen Weg zurück: „Die begriffen nicht, warum Bestrafte so waren, das die Gefängnisluft sie verändert hatte, etwas war zerfetzt in ihrem Blut, das Gehirn verändert. … Lebensuntüchtig, verkorkst, ein Schädling. Feind der Gesellschaft.“ (S. 178)