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Jérôme Leroy: Der Block

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Jérôme Leroy: Der Block Die Geschichte des Front National als Kriminalroman

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Belletristik

Alles nur Fiktion? Ein Roman über zwei Faschisten verdeutlicht, wie die extreme Rechte und die rechtspopulistische Partei Frankreichs zu dem geworden sind, was sie sind.

Treffen der Front National am 1. Mai 2012 in Paris.
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Treffen der Front National am 1. Mai 2012 in Paris. Foto: Blandine Le Cain (CC BY 2.0 cropped)

Datum 9. August 2017
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Lesezeit8 min.
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Nicht erst seit dem zweiten Platz Marine Le Pens im ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 stehen der Front National und die neofaschistischen, ultrakonservativen und europaskeptischen Tendenzen in Frankreich unter Beobachtung – auch aus Deutschland. Der Hamburger Nautilus Verlag hat im März 2017 pünktlich zu den Wahlen mit der Übersetzung von Jérôme Leroys „Der Block“ (die französische Erstveröffentlichung war bereits im Jahr 2011!) ein Buch vorgelegt, das sich in belletristischer Form mit den Strukturen der (extremen) Rechten und ihrer Partei beschäftigt.

Allerdings: Jérôme Leroy nähert sich dem Thema aus ungewöhnlicher Perspektive. Zwei Männer stehen im Zentrum seines Kriminalromans, beide sind Teil des innersten Kreises der extrem rechten Partei Bloc Patriotique. Abwechselnd wird aus der Perspektive der beiden Männer erzählt: Antoine Maynard ist verheiratet mit der Parteichefin Agnès Dorgelles und bekleidet selbst ebenfalls verschiedene Ämter. Sein enger Freund Stéphane Stankowiak, genannt Stanko, ist Ausbilder und Chef des „Ordnerdienst“ der Partei und angeschlossener Schlägertrupps. Angesiedelt ist die Handlung, die nur während einer Nacht spielt aber durch zahlreiche Rückblenden ergänzt wird, in einem fiktiven gesellschaftspolitischen Szenario: In Frankreich herrschen, insbesondere in den Banlieues, bürgerkriegsartige Zustände, die schon über 750 Todesopfer gefordert haben.

Der Bloc Patriotique steht in dieser Nacht als Nutzniesser der politischen Lage kurz vor einer Regierungsbeteiligung. Maynard wartet auf Neuigkeiten von seiner Frau aus der entsprechenden Sitzung. Er denkt dabei an Stanko, der aufgrund der neuen Entwicklungen ‚beseitigt' werden soll und auf der Flucht vor den von ihm selbst trainierten Profi-Schlägern in einem schäbigen Hotelzimmer verweilt. Beide lassen dabei ihre jeweilige und auch ihre gemeinsame Vergangenheit Revue passieren und breiten so ein Panorama der extremen Rechten aus.

Die Geschichte einer Partei

Natürlich stehen für die Geschichte des Bloc Patriotique mit seiner Binnenstruktur und seinen Protagonist*innen der Front National und ganz prominent Jean-Marie und Marine Le Pen Pate. Die Parallelen zwischen Bloc und Front und den entsprechenden Biographien sind zum Teil überdeutlich – so etwa der Wahlerfolg von Agnès Dorgelles Vater (d.h. Jean-Marie Le Pen) im Jahr 2002 oder das Attentat auf die Familie des Parteigründers von 1976. Sowohl die Fokussierung auf die Parteigeschichte als auch die Tatsache, dass die Handlung in einer fiktiven Situation angesiedelt ist, haben zur Folge, dass die tatsächliche aktuelle politische Lage Frankreichs und darüber hinaus kaum zum Thema wird. Trotzdem zeigt sich Leroy hier als hellsichtiger und angemessen pessimistischer Beobachter seiner Zeit, schliesslich hat er das Buch schon einige Jahre vor Le Pens beunruhigendem Erfolg veröffentlicht.

Die Bezugnahme auf die Parteigeschichte selbst wird manchmal auch zum Problem, insbesondere da sie eingebettet ist in ein – den deutschen Leser*innen nicht in Gänze bekanntes – politisches System. Recht komplexe Zusammenhänge müssen erklärt werden, um die spezifischen Entwicklungen einzuordnen, was meist einen Bruch mit dem Erzählstil bedeutet – denn warum sollte ein auf Schlägereien spezialisierter „Prolo“ (S. 256), der auf der Flucht ist, weil ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde, darüber sinnieren, wie sich welche Mehrheitsverhältnisse in der Lokalpolitik auswirken?

Auch wenn die Form der Erinnerungen selbst nicht ganz plausibel wirkt, entsteht durch die Perspektive von Stanko und Maynard ein plausibles Bild des Bloc Patriotique (bzw. des Front National). Zum einen wird deutlich, dass die Partei zwar verschiedene rechte Gruppen zusammengebracht hat, was die Protagonisten als einen ihrer grossen ‚Verdienste' bezeichnen, sie zeitgleich aber auch Spaltungen erfuhr. Zum anderen wird durch den, teilweise sehr schematischen Rassismus und Antisemitismus, sowie die Tendenz zu selbstkritischen Tönen auf das Programm der „Entdämonisierung“ angespielt. Dabei wird jedoch auch deutlich, dass diese stets nur vordergründig stattfindet: „Offiziell ist man beim Block zwar nicht rassistisch, aber inoffiziell ist Antirassismus eine Schande“, erklärt Maynard (S. 190).

Besonders eindrücklich wird immer wieder die Bereitschaft der Akteure zu brutaler physischer Gewalt gezeigt. Während die Erinnerungen Stankos an die grausamen Taten seiner Jugend in erster Linie unappetitlich und verstörend sind, könnten die Schilderungen der allgemeinen Gewalttätigkeit und der organisierten Schlägereien für reale Probleme sensibilisieren. Aus Langeweile oder Lust auf Gewalt fragt Maynard etwa seinen Freund, „ob zufällig irgendeine Sache gegen die Linken geplant wäre, gegen Trotzkisten, Alternative…“ (S. 83). Und dann geht es bestens ausgestattet mit Knüppeln, Schlagringen und Pfefferspray, zusätzlich stilisiert und aufgeputscht durch eine Autofahrt mit dröhnendem französischen Rechtsrock, gegen (radikale) Linke.

Dass dieses Szenario alles andere als unwahrscheinlich ist, legt neben der Form des Buches auch die Benennung der linksradikalen Gruppierung nahe: Die ASAB (Anarchistische Sektion der Anti-Blockisten) beispielsweise ist dabei – wahrscheinlich – an der SCALP orientiert, die Sociéte Carrément Anti-Le Pen. Vor allem aber wird die Realitätsnähe der Aktionen auf beunruhigende Weise unterstrichen durch die persönlichen Erfahrungen vieler Antifaschist*innen in Frankreich und jüngst bekannt gewordene Morde rechtsextremer Gruppen in Lille. Im Mai 2017 wurde öffentlich, dass mehrere bisher ungeklärte Todesfälle linker Aktivisten und Musiker höchstwahrscheinlich faschistische Morde waren. Bernard Schmid bezeichnet diese Vorfälle als „eine Geschichte, bei der es um Brutalität geht, um Sadisten und Folterer sowie organisierte Rechtsextreme als Hintermänner“ (Schmid 2017) – eine Geschichte, die ebenso in Leroys Kriminalroman hätte auftauchen können.

Der Krimi als politischer Ort

Die erzählerische Entscheidung, eine Innenperspektive der extremen Rechten und ihrer Akteur*innen zu eröffnen, ist aus ideologischer Sicht komplex und stellt eine interessante Herausforderung an die Leser*innen dar: Anders als in den meisten Krimis soll (beziehungsweise will) man sich hier gerade nicht mit den Erzählern identifizieren. Was einerseits eine spannende – oder vielleicht spannungssteigernde – Aufgabe für die Leser*innen ist, kann andererseits auch zum Problem werden: Auch wenn dies der Rezensentin und dem Zielpublikum schwer vorstellbar erscheint, kann es auch Leser*innen geben, die sich mit den rechtsextremen Protagonist*innen identifizieren. Die mediale Rahmung des Buchs versucht zwar zu verhindern, dass das Buch dieses Publikum findet (oder umgekehrt); die Perspektive im Buch selbst ist jedoch relativ ungebrochen und verunmöglicht diese Identifikation nicht.

Daneben birgt die Erzählstruktur aber auch einige sprachliche und strategische Probleme. Die jeweilige Innensicht wird markiert durch den Gebrauch der ersten (Stanko ist „Ich“) beziehungsweise zweiten Person (Maynard ist „Du“). Gerade in letzterem Fall führt dies zu sehr konstruierten Verbformen – wenn du erst „kennenlerntest“ (S. 59), dann „liebtest“ (S. 87) und dich schliesslich daran „erinnertest“ (S. 230). Leroys Ansinnen, die über 25-jährige Geschichte der Partei und ihrer Protagonist*innen nachzuerzählen, führt in Kombination mit der Anordnung, zwei Männer in nur einer Nacht erzählen zu lassen, zu sehr gekünstelten Konstruktionen. Rückblenden und Exkurse werden vom Ich-Erzähler Stanko durch Formulierungen eingeleitet, wie „schon witzig, dass mir das jetzt alles wieder einfällt“ (S. 110), oder „lieber denke ich an meine Anfänge beim Block“ (S. 203). So führt das erzählerische Konstrukt immer wieder sich selbst – und die etwas zu offensichtlichen Bemühungen des Autors – vor. Ebenfalls sperrig wirken einige Übersetzungen ins Deutsche – vor allem wenn es um die teilweise doch sehr vulgäre Sprache geht. Hier ist der Text sprachlich oft sehr heterogen, beispielsweise wenn der literarisch hochgebildete Maynard immer wieder erwähnt, dass er „wegen der Möse einer Frau Faschist geworden“ sei – so schon im ersten Satz des Buches (S. 9).

Für die deutsche Ausgabe hat Leroy zusätzlich ein Nachwort verfasst. Neben Anmerkungen zu Stil und Form seines Romans stellt er hier die wichtige Frage, „gibt das, was ich in Der Block schreibe, dann also die französische Wirklichkeit wieder“ (S. 316)? Die zwischen den Erklärungen zu den diversen Analogien versteckte Kritik – zum einen an der Gesellschaft, die solche Tendenzen nicht nur möglich macht, sondern auch befördert, zum anderen auch an der radikalen Linken, die teilweise mangelhaft reagiert – macht das Nachwort unbedingt lesenswert, auch wenn der Autor recht prätentiös auftritt. Irritierend und unaufgelöst bleiben einige Parallelen zwischen der Vita des Autors, wie sie im Buch kurz geschildert wird, und der Biographie von Antoine Maynard, dem intellektuellen Faschisten. Dazu erklärt Leroy allein, dass er „gründlich recherchiert“ (S. 316) habe, präzisiert jedoch nicht seine Methoden und Quellen.

„Der Block“ bleibt trotz der verschiedenen, vor allem sprachlichen und erzählerischen Mängel ein spannender und lesenswerter Krimi. Zwar mag man sich fragen, ob diese Form dem Thema wirklich angemessen ist und nicht viele wichtige Fragen auf der Strecke bleiben, das Buch eröffnet jedoch einen Reflexionsraum und hat das Potential, viele vielleicht nicht im Vorhinein schon mit der Thematik vertraute Leser*innen zu sensibilisieren. Als umfassende Analyse der (neuen) Rechten Frankreichs ist „Der Block“ zu unterkomplex, als grosse Erzählung zu konstruiert, aber als Kriminalroman ist ihm der Versuch, beides zu liefern, hoch anzurechnen und weiterer Erfolg zu wünschen.

Judith Niehaus
kritisch-lesen.de

Jérôme Leroy: Der Block. Edition Nautilus, Hamburg 2017. 320 Seiten, ca. 24.00 SFr, ISBN 978-3-96054-037-3

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