Ihre zornige, streitbare Persönlichkeit und ihr „Denken ohne Geländer“, das seiner Zeit meilenweit voraus war, brachten ihr nicht nur Ruhm und Anerkennung ein, wie etwa die erste weibliche Professorenstelle in Princeton. Die Unmöglichkeit sie in eine Schublade einzuordnen, war ihren Zeitgenossen ebenso unbequem wie ihre Auffassung, dass politisches Denken sich auch im Handeln widerspiegeln müsse. Auch wenn sie heute u. a. aufgrund ihrer Definition von Totalitarismus eine herausragende Position in der Geschichte der politischen Theorie innehat, war sie gerade deswegen zeitlebens umstritten.
Insbesondere ihre sarkastisch-ironischen Beobachtungen zum Eichmann-Prozess, wo sie ihn nicht als Ungeheuer, sondern als Spiessbürger identifizierte, der emotionslos unfassbare Gräuel vollzog, brachten sie ins Kreuzfeuer der Kritik. Denn die „Banalität des Bösen“, wie sie es bezeichnet, zu erfassen, bedeutet letztendlich anerkennen zu müssen, dass der Nationalsozialismus kein einmaliges Unglück war, das über die Menschheit hereinbrach, sondern sich jederzeit wiederholen kann, wenn man es eben zulässt.
Stationen eines Lebens
Doch wie kommt man darauf, das Leben und Wirken einer so komplexen Persönlichkeit in Comciform anzugehen? Autor und Zeichner Ken Krimstein, der u.a. für den New Yorker, für Punch und für das Wall Street Journal tätig ist, war von der „Coolness“ und der Aktualität der grossen Denkerin immens beeindruckt und wollte sie und ihr Werk einem breiteren Publikum näherbringen.Dabei folgt er in seiner Graphic Novel, die seit 2019 auf Deutsch vorliegt, weitgehend der Arendt-Biografie von Elisabeth Young-Bruehl. So begleiten wir Arendt in Episoden auf ihrem Lebensweg von der Kindheit im säkular-jüdischen Elternhaus in Königsberg bis hin zu ihrem Todestag im Jahr 1974 in den USA. Neben dem frühen Tod des Vaters erfahren wir von ihrem unbändigen Wissensdrang und Freiheitswillen, ihrem Studium, ihren philosophischen Freundschaften mit Intellektuellen und Künstlern ihrer Zeit. Natürlich erfahren wir auch von ihrer waghalsigen Flucht vor den Nazis, die sie über Prag nach Frankreich bringt, wo sie erneut aus einem Internierungslager fliehen muss, um über Portugal dann schliesslich in den USA zu landen…
Das alles wird geradezu atemlos erzählt und mit schnellen, hastigen Strichen gezeichnet. Ebenso wie sie in ihrem Leben von einer Station zur nächsten eilt, scheint Krimsteins Stift über das Papier zu hetzen. Der einzige Farbklecks inmitten der schwarz-weissen Zeichnungen ist das dunkle Grün, mit dem der Zeichner Arendts Kleidung oder ihren Schmuck betupft. So sticht sie stets aus dem jeweiligen Bild heraus – das tut sie aber eh, denn der Rauch ihrer ewig glimmenden Zigarette zieht sich wie ein nikotingrauer Faden durch die Seiten.
Doch Hannah Arendt farblich hervorzuheben, reicht leider nicht aus, um sie tatsächlich in den Mittelpunkt zu rücken. Viel zu sehr zielt Krimstein darauf ab, wen Arendt kannte und mit wem sie etwa im Berliner Romanischen Café zusammen sass und diskutierte. So liest sich der Comic mitunter eher wie ein Who is Who der Intellektuellen- und Kunstszene als eine Arendt-Biografie. Der Autor scheint ausserdem seltsamerweise sehr darauf bedacht zu sein, Arendts Liebesleben darzustellen, wobei er natürlich vor allem auf ihre wechselhafte Beziehung zu Martin Heidegger eingeht. Diese währte viele Jahre; erst lange nachdem Heidegger sich als Steigbügelhalter des Faschismus erwies, vermochte Arendt, sich endgültig von ihm zu lösen.
Zuviel Heidegger – zu wenig Arendt
Warum allerdings diese unglückselige Liebe derart viel Raum in dem Buch bekommt, bleibt unerklärlich, zumal etwa die Darstellung sehr zu bezweifeln ist, dass Hannah Arendt ausgerechnet in Momenten grösster Erfolge überlegt haben soll, warum Heidegger sich dazu nicht äussert. Diese unterstellte Abhängigkeit von der Meinung des Liebhabers zeugt von einem recht klischeehaften Frauenbild. Der ungute Eindruck einer doch recht männlich-tradierten Sichtweise wird noch dadurch unterstützt, dass der Beziehung um Heidegger und dessen Gedanken mehr Raum gewidmet wird, als Krimstein Arendts eigener Philosophie zugesteht. So taucht diese als eigenständige Denkerin erst nach gut 150 Seiten auf und die Bezüge auf ihr Werk sind stets zu knapp gehalten, um mehr als nur ein wenig an der Oberfläche zu kratzen. Dies alles verwirrt, verwundert – und stört die Lektüre.Es ist jammerschade, dass es Krimstein bei allem Erzähltalent nicht schafft, tiefere Einblicke in das Werk Arendts zu vermitteln. Dort, wo der Autor sein Wissen um ihre Gedanken durchblitzen lässt, zeigt er sich durchaus vertraut mit ihren Ideen. Aber das geschieht viel zu selten und viel zu zusammenhanglos, als dass man sich als Neuling ihrer Ideenwelt einen Reim darauf machen könnte. Dies ist umso bedauerlicher, als Hannah Arendt selbst es vermochte, schwierige Fragestellungen tatsächlich auf den Punkt zu bringen.
So muss man leider konstatieren, dass der Comic zwar einige interessante Einblicke in ihr Leben zu vermitteln vermag, es inhaltlich aber nicht schafft, ihre grossartigen Gedanken zur Revolution, zur politischen Verantwortung, zur Pluralität und zum menschlichen Zusammenleben an sich zu übermitteln. Davon bekommt man tatsächlich im Film „Hannah Arendt“ mehr mit, ebenso wie in dem Interview mit Günter Gaus, das man auf Youtube in voller Länge findet.