Perspektive einer besonders aufmerksamen Hündin
„Scheisstitel. Alles Lüge. Erstmals bin und war ich nie Hund... Ich bin eine Sie. Lebe, fühle, denke und beobachte als Sie. Feminim, Hündin“ (S.9), macht Sheila gleich am Anfang des Romas deutlich, dass sie die aktuellen linken Debatten kennt, aber nicht bierernst an diese Sachen rangeht. Auch ihr menschlicher Begleiter, Harry Stürmer - im Buch HAP genannt - und seine Freund*innen und Genoss*innen sind öfter Gegenstand von Kritik und auch Spott.Anfangs stockt man, wenn man liest, dass die Ich-Erzählerin beschreibt, unter welchen Tisch, Sofa oder Bett sie gerade liegt oder das ihr ein Napf mit frischem Wasser vor die Nase gestellt wurde. Doch schnell erinnert man sich, dass hier die linke Geschichte Westdeutschlands und Westberlins aus der Perspektive einer besonders aufmerksamen Hündin erzählt wird.
Schnell stellt sich heraus, dass dieser literarische Kunstgriff eine kluge Entscheidung war. Von 1968 bis 1992 ist Sheila immer dabei, wenn sich Linke getroffen haben, bei Feiern, bei Demonstrationen aber auch zu konspirativen Plena hatte die Hündin immer Zugang. Mögen sich ihre menschlichen Begleiter*innen in untereinander zerstrittenen Fraktionen der radikalen Linken bewegt haben, mögen sie sich zerstritten ja regelrecht befeindet haben, möge es gar undenkbar gewesen sein, dass sie noch auf einem Treffen gemeinsam auftreten.
Irrungen und Wirrungen der radikalen Linken
Sheila wurde von allen Fraktionen und Strömungen der radikalen Linken hinweg als stille Beobachterin akzeptiert. Denn, schliesslich war sie ja nur eine Hündin, werden alle gedacht haben. Und was für Eine: Im ersten Kapitel geht es um Sheilas Biographie, die auch von radikalen Linken in Bezug auf Tiere Stammbaum genannt wird. Der führt im Fall von Leila zur Hundestaffel des Bundesgrenzschutz Ende der 1960er Jahre. Dort findet sie auch ihren langjährigen Begleiter, der im Buch unter dem Kürzel HAP firmiert. Seine Karriere beim BGS endete schnell, nachdem er sich im gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 politisiert hatte. Von da an ist Sheila bei seinem Marsch durch die radikale Linke fast 25 Jahre dabei Die beiden werden nur getrennt, als HAP zwischen 1977 und 1981 politischer Gefangener im Hochsicherheitstrakt von Celle war und als er Anfang der 1990er Jahre mehrere Reisen unternahm.Sie bekam einiges mit von den Irrungen und Wirrungen der radikalen Linken zwischen 1968 und 1992. Viele historische Ereignisse werden benannt und die Protagonist*ìnnen mit ihren Klarnamen im Buch genannt. Sicher nicht immer zu deren Freude. So beschreibt Sheila auf mehreren Seiten aus ihrer subjektiven Sicht über das Scheitern des Projekt Arthur. Dabei handelte es um das ambitionierte Vorhaben, Mitte der 1980er einen Dokumentarfilm mit Protagonist*innen der unterschiedlichen linken bewaffneten Gruppen in der BRD zu produzieren.
Der Streit darüber, wer in dem Film unbedingt vertreten sein muss und wer dort gar nichts zu suchen hat, hat heute etwas Humoristisches. Es bleibt aber die bittere Erkenntnis, dass damals eine gemeinsame Aufarbeitung linker Geschichte wohl endgültig verpasst wurde. Später lag Sheila dann auch unter einem Tisch im Büro von Michael Klöckner. Er war wegen Mitarbeit an der linken Zeitung Radikal verhaftet worden und kam aus dem Gefängnis auf dem Ticket der Alternativen Liste (AL) als Abgeordneter ins Europaparlament. Auch Tarek Mousli wird erwähnt, ein ehemaliger radikaler Linker, der zum Kronzeugen der deutschen Justiz wird und die radikale Linke über Jahre beschäftigen sollte.
Gerd Albertus ist tot
Auch der Name Gerd Albertus wird in dem Buch gleich mehrmals genannt. Er war Journalist mit Kontakten in die radikale Linke, aber auch zur damals noch jungen Taz, bis er plötzlich spurlos verbunden war. „Er wurde bereits im Dezember 1987 erschossen, nachdem er von einer Gruppierung, die sich dem palästinensischen Widerstand zurechnet und für die er gearbeitet hat, vor ein Tribunal gestellt und zum Tode verurteilt worden war“ (S.335), erfahren wir von Sheila.Das Kapitel endet mit dem kryptischen Satz „Mit der Nachricht vom Brudermord beginnt der Auflösungsprozess der Revolutionären Zellen“ (S. 336). Mit keinem Wort wird allerdings erwähnt, dass das Papier „Gerd Albertus ist tot“ einen wichtigen Anstoss für die Debatte über linken Antisemitismus in der radikalen Linken in den frühen 1990er Jahren gegeben hat.
In dem Text wurde dafür die Grundlage gelegt und ein linker Antizionismus kritisiert, der sich in Palästina Bündnispartner suchte, die Albertus liquidierten. Es ist schade, dass die sonst allwissende Sheila diese Debatte scheinbar verschlafen hat. Etwas irritierend ist auch das Bashing anderer linker Biographien radikaler Linker in der Vorbemerkung:
„HAP selbst hatte sich ja zeitlebens (unseres gemeinsamen Lebens) hartnäckig gesträubt, dem Beispiel von vielen Mitstreiter*innen zu folgen, die mit so illustren Titeln wie „Nie war ich furchtloser“, „Staatsfeind“ oder „Das Projektil“ ihre Memoiren auf den Markt warfen. Immer irgendeinen Senf dazugeben. Das eigene Ego bauchpinseln“ (S. 9).
Allerdings wird nicht erklärt, dass es sich hier um die Titel von Biographien von Inge Vieth, Till Meyer und Karl-Heinz Dellwo handelt, die in der Roten Armee Fraktion oder der Bewegung 2. Juni aktiv waren. Zudem bleibt die Frage, warum man auch in der radikalen Linken ein Konkurrenzdenken pflegen muss, dass die Arbeiten der anderen Genoss*innen als Senf abwertet, bevor man seinen eigenen dazugibt.
Ansonsten ist der Roman ein sicher sehr subjektives Geschichtsbuch der radikalen Linken einer ganzen Generation, ihren Träumen, ihren Niederlagen, aber auch ihren kleinen Siegen und vielen Festen. Besonders erfreulich, dass in den einzelnen Kapiteln immer die passende Musik nicht nur erwähnt wird. Mit einem Smartphone kann man auf die eingefügten QR-Codes anklicken und so den Soundcheck zur Revolte hören.