Das Scheitern der Republik war der Auftakt zum Triumphzug des Faschismus in Europa, das libertäre Gesellschaftsprojekt der Anarchisten geriet in Vergessenheit. Der in Deutschland lebende Spanier Heleno Sana hat der libertären Revolution im Spanien der 30er Jahre in einem Buch nun ein Denkmal gesetzt.
Der Spanische Bürgerkrieg in den Jahren 1936 bis 1939 war so etwas wie das Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg. Hitlers wie Mussolinis Truppen bombten für Francos Putschisten. Die spanische Diktatur wurde zum Sieg geführt und hatte dann beinahe 40 Jahre lang Bestand. Stalin spaltete die Revolutionäre, um danach mit Hitler einen Pakt zu schliessen. Und die westlichen Demokratien schauten zu und hielten still.
Der spanische Schriftsteller Heleno Sana hat dieser dramatischen und immer noch wenig beachteten Geschichte eine ausführliche Studie gewidmet: "Im Grunde waren die spanischen Anarchisten - zumindest in der westlichen Welt - die letzten Revolutionäre, die sich bis zur Selbstaufgabe für die Verwirklichung eines menschlichen und moralischen Ideals einsetzten.
Was danach kam - Faschismus, totalitärer Kommunismus, spätkapitalistische Konsumgesellschaft - war bzw. ist Verrat an der ewigen Idee der menschlichen Emanzipation, billiger Ersatz für die unausrottbare Sehnsucht des Menschen nach Erfüllung und Glück." Titel des Buchs, "Die libertäre Revolution", ist mit Bedacht gewählt. Sana zielt damit gerade auf die Defizite in der bisherigen Forschung.
Denn die soziale und politische Umwälzung in verschiedenen Regionen Spaniens wurde bisher so ungenügend beachtet wie die fatale und letztlich konterrevolutionäre Rolle der Kommunisten. Sana konzentriert sich in seiner Studie - neben einer detaillierten Rekonstruktion der Chronologie - vor allem auf die Unterschiede zwischen den Anarchisten und ihren angeblichen Verbündeten, den Kommunisten.
Als wesentliche Merkmale des spanischen Anarchismus streicht Sana mit Pathos in der Stimme heraus: " ... den Sinn für Gleichheit und Gerechtigkeit, die Ablehnung von Staat und Behörde, die Bereitschaft zur Revolte, die unbedingte Bejahung der eigenen Würde als oberstes Verhaltensgebot, die mystische Identifizierung mit einem Ideal, die Ritterlichkeit im Umgang mit Freund und Feind, das Ehrgefühl als Massstab des eigenen Werts und nicht zuletzt die Erhabenheit und das, was wir grandeza de alma nennen. (...)
Wer diese Koordinaten nicht erkennt, wird auch nicht in der Lage sein, das Wesen der spanischen Revolution von 1936 zu begreifen."
Stalins Kommandozentrale in Moskau predigte die "absolute Unterordnung des Einzelnen unter die Staatsgewalt und die Parteibürokratie", der Stalinismus war geprägt von "Polizeiterror, Willkür aller Art, Unsicherheit, Angst".
Und Sana sieht einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Marxismus (auch klassischer Prägung) und dem spanischem Anarchismus, "zwischen dem Prinzip Autorität und dem Prinzip Freiheit bzw. Revolte" also: die Moral im Leben jedes Einzelnen wurde völlig unterschiedlich bewertet.
Man kann über das anarchistische Bekenntnis zur Moral soviel spotten, wie man will, aber nichtsdestoweniger glaube ich, dass das Scheitern des Marxismus und seine unwiderrufliche Diskreditierung als emanzipatorische Bewegung nicht zuletzt auf seine Verachtung der Moral zurückzuführen ist.
Und umgekehrt kann man sagen, dass der Niedergang des Anarchismus als kämpferische Bewegung in direktem Verhältnis zum Verfall der ethischen Werte steht, der die heutige Welt kennzeichnet. Heleno Sana ist bei uns bisher vor allem durch mehrere sehr kritische Bücher über Deutschland und die Deutschen bekannt geworden.
Das vorliegende Buch ist nun eine sehr detaillierte Regionalstudie seiner Heimat, die verschiedenen Stufen zur Errichtung einer Diktatur werden minutiös gezeichnet: Wie der schlecht vorbereitete faschistische Putsch zunächst grossteils abgewehrt werden konnte; wie die Anarchosyndikalisten dann begannen, das Land politisch umzuwälzen; wie das demokratische Ausland die Abschaffung des Privateigentums beispielsweise nicht hinnehmen mochte; wie libertäre Prinzipien und Ziele nach und nach aufgegeben wurden, wie der Bürgerkrieg zwischen Demokratie und Faschismus 1937 schliesslich in einen Krieg der Stalinisten gegen alle Linken umschlug; wie politischer Terror und Korruption die Ideale ersetzten und wie Francos Faschisten diese mörderischen Auseinandersetzungen für sich ausnutzen konnten.
Eitle, selbstsüchtige Funktionäre setzten sich an die Spitze der Bewegung, erhoben sich über die Menschen und diktierten ihnen ihren Willen.
Heleno Sana verschweigt diese unerfreulichen Erscheinungen nicht und verharrt am Ende seiner Studie trotz alledem in verzweifelter Hoffnung.
Utopisches Denken muss heute als die richtige Antwort auf die Irrationalität, die Entfremdung und die Angst verstanden werden, die das System im Zuge seiner Herrschaft erzeugt hat. Es ist schliesslich ein Abwehrakt gegen eine unmenschlich und brutal gewordene Welt. Verzicht auf die Utopie bedeutet nichts anderes, als den inneren Tod zu wählen, oder, was auf dasselbe hinaus läuft, sich mit der mörderischen Zivilisation abzufinden, die der Weltkapitalismus errichtet hat.
Sana hat eine kämpferische Verteidigungsschrift einer verratenen (und nicht - wie der Autor immer wieder betont - gescheiterten) Revolution vorgelegt, eine reiche Materialsammlung, die aber nicht leicht zu sichten ist. Ein Personenregister fehlt leider, es gibt auch kein Literaturverzeichnis und keine Zeittafel.
Und auch Zusammenfassungen hätten die Lektüre erleichtern können. So ist ein Buch für Fachleute entstanden, voller Wehmut über vertane Chancen und getragen von der Hoffnung, der Geschichte der Menschheit eines Tages einmal einen anderen Dreh geben zu können. Das libertäre Anliegen blieb auf der Strecke, nicht weil es abwegig, sondern vielmehr weil es zu erhaben und grossartig war, um von einem Zeitalter verstanden zu werden, das die Niedertracht und die Destruktion gewählt hat.