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Internet: Das staatlich-private Überwachungssystem

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Neuverteilung von Informationsmacht an die Mächtigen Internet: Das staatlich-private Überwachungssystem

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Sachliteratur

Digitale Monopole haben den «öffentlichen Raum» Internet besetzt. Das Internet als öffentlicher Raum ist weg.

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Qwerty-Tastatur. Foto: Mark Buckawicki (PD)

Datum 17. März 2014
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Die Empörung über die Geheimdienstaktivitäten in den USA und Europa greift zu kurz: Es geht um mehr als nur den Schutz der Privatsphäre. Das «Netz» , das mit öffentlichen Mitteln aufgebaut und in den 90er Jahren stillschweigend privatisiert worden ist, muss wieder öffentlich werden.

Die Enthüllungen über die grossflächige Überwachung der elektronischen Kommunikation durch Spionagedienste markieren einen historischen Wendepunkt. Das gleiche Internet, das einst als «öffentlicher Raum» für mehr Demokratie und Freiheit grosse Hoffnungen weckte, entpuppt sich als beängstigendes System von Überwachung und Kontrolle. Von den Internetgiganten Google und Facebook, die sich lange als staatsferne Vorkämpfer von Freiheit und Demokratie präsentiert haben, wissen wir heute, dass sie mit dem Sicherheitsapparat der US-Regierung eng zusammen arbeiten. Die Techniken, mit denen die Internetfirmen das digitale Verhalten der Benutzer für kommerzielle Zwecke analysieren, macht sich der Überwachungsstaat zu Nutzen. Wie wurde es möglich, dass das «demokratische Werkzeug» Internet buchstäblich umgedreht und zu einer Gefahr für eine funktionierende Demokratie wurde?

Hintergründe des Spionageskandals

Antworten auf diese Frage gibt der 60jährige amerikanische KommunikationsexperteRobert McChesney in seinem Buch «Digital Disconnect». Der Autor kritisiert seit Jahren die Konzentration und Kommerzialisierung der Medien. Die Mahnrufe des oft als links verschrienen McChesney wurden aber nicht ernst genommen. Sein neuestes Buch, das im Frühjahr erschienen ist, macht auf Hintergründe aufmerksam, die aufzeigen, warum der jüngste Spionageskandal so brisant ist. McChesney erinnert daran, wie das Internet entstanden ist. Es war ein Produkt langjähriger Grundlagenforschung, das mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde und mindestens zehn Mal mehr gekostet hat als das Manhattan-Projekt (Entwicklung der ersten US-Atombombe). Auf kurzfristige Erfolge angewiesene Privatfirmen hätten Internet nie erfinden können. «Der Aufbau des Internets war kein kommerzielles Projekt, es war anti-kommerziell. Computer galten damals als eine Technologie, die zu einer gerechteren auf Kooperation und Solidarität und nicht auf Profit und Konkurrenzkampf basierenden Welt führen sollten. Information sollte allen zugänglich und nicht ein Privileg exklusiver Eliten oder Geheimdienste sein.»

Privatisierung hinter verschlossenen Türen

Mitte der 90er Jahre erfolgte die Privatisierung des Internets. Sie fand hinter verschlossenen Türen statt, ohne öffentliche Diskussion, wie digitale Technologien zu mehr Demokratie in Staat und Wirtschaft und einer besseren Lebensqualität führen könnten. Die «digitale Revolution» fiel zusammen mit dem Aufstieg des Neoliberalismus. Privatisierung und Liberalisierung des Internets, so die vorherrschende Meinung, ermöglichten mehr Innovation und Wettbewerb.

Kein Zweifel. Das Internet hat auch für McChesney enormes Innovationspotential. Ein Beispiel dafür ist Wikipedia, ein nichtkommerzielles Unternehmen, das im Unterschied zu Google oder Facebook seinen Gründer Jimmy Wales nicht superreich gemacht hat. Aber Innovation ist nur möglich, wenn Wettbewerb herrscht. Die grossen Nutzniesser der Internet-Privatisierung in den USA waren Monopolisten wie der Kabelnetzmonopolist Comstat oder Telecomriesen wie AT&T und Verizon. Sie sind verantwortlich, dass das gleiche Land, in dem das Internet erfunden wurde, bei der Breitband-Versorgung abgeschlagen auf Platz 16 liegt und dass mehr als die Hälfte der schwarzen und spanisch sprechenden US-Amerikaner keinen Zugang zum Internet haben. Sie erfahren die schlimmst mögliche Variante von Liberalisierung und fehlendem Wettbewerb.

Internet – ein «feudalistischer Raum»

Eine Studie der «New America Foundation» warnte 2011: «Das Internet wird sich in einen feudalistischen Raum verwandeln, der die demokratischen Freiheiten einschränkt und gleichzeitig ein Oligopol von mächtigen Gatekeepern reich macht.» Diese Analyse, die noch vor kurzem von vielen als Schwarzmalerei bezeichnet worden ist, hat sich nach den jüngsten Enthüllungen bewahrheitet.

Um das Internet zu verstehen, benützt McChesney folgendes Bild: Man müsse sich einen Planeten vorstellen, auf dem Google, Facebook, Apple, Amazon und Microsoft je einen Kontinent besetzen, der ihnen als Monopol-Basiscamp dient. Das Ziel jedes dieser Imperien sei es, die ganze Welt zu erobern und zu verhindern, von jemandem anderen erobert zu werden.

Massive Unterstützung durch den Staat

In der Digitalwirtschaft haben sich mit Google, Amazon, Microsoft, Apple Monopole breit gemacht, die nicht am Service Public sondern nur an Gewinnmaximierung interessiert sind. Ihr Aufstieg basiert in den USA auf einer massiven Umverteilung von Reichtum von der öffentlichen zur privaten Hand. Die Digitalindustrie, die sich nach aussen staatunabhängig gibt, ist ohne die Unterstützung durch die US-Regierung nicht denkbar: Sie profitiert von Investitionen in die Infrastruktur, Forschung, von der Durchsetzung des Urheberrechtes, von Steuererleichterungen und einer passiven Regierung, die unwillig ist, mit Anti-Trustgesetzen gegen die Monopole vorzugehen.

Für die Internet-Giganten ist die Zusammenarbeit mit dem Staat überlebenswichtig. Das bewies auch der Konflikt mit WikiLeaks . Auf Druck der Regierung waren Google, Apple und Amazon bereit, die von Assange gegründete WikiLeaks zu boykottieren. PayPal , Mastercard, Visa und Bank of America taten dasselbe.

Verschiedene Interessen aber gleiche Technik

Die private Digitalindustrie und staatliche Geheimdienste haben verschiedene Interessen: Kommerz und Ueberwachung. Was sie verbindet, ist die Technik für die «allgegenwärtige Ueberwachung». Facebook und Co. sind daran interessiert, so viel wie möglich von den Mitgliedern ihrer «community» zu erfahren, um der Werbung einen «gläsernen Konsumenten» zu verkaufen.

Die Enthüllungen von Edward Snowden zeigen, dass der Grossteil der Daten der Geheimdienste nicht von ihren eigenen Agenten sondern aus den privaten Internetgiganten stammt. Von ahnungslosen «Usern», die mit einem Mausklick Informationen überlassen haben, ohne zu wissen, was mit diesen Daten passiert.

Internet ist für die Geheimdienste der perfekte Ueberwachungsraum geworden. Sie haben es nur mit wenigen riesigen Monopolen zu tun, um den Cyber Space zu kontrollieren. Jeden Tag werden Hunderte von Millionen, die das Internet benützen, geheim beobachtet, ausgestöbert, analysiert und markiert. Die online-Werbung hat das Internet in einen Staubsauber verwandelt.

Enge Partnerschaft

Internetfirmen und Geheimdienste bilden eine Art «Private Public Partnership» . In diesem PPP wird das «Public» aber immer kleiner. 70 Prozent des US-Geheimdienst-Budgets gehen bereits an private Unternehmen. Laut der Nichtregierungsorganisation Project of Government Oversight kosten die aus der Privatwirtschaft Angeheuerten fast dreimal so viel wie Regierungsangestellte im Verteidigungsministerium.

Neuverteilung von Informationsmacht an die Mächtigen

Mehrmals erinnert McChesney an die einstigen Hoffnungen der Internet-Enthusiasten: «Sofortiger globaler Zugang zu Wissen, eine nicht- kommerzielle Zone schaffen, ein öffentlicher Raum, in dem jeder politisch partizipieren kann zur Förderung des Gemeinwohls und einer gerechteren Gesellschaft .» Die Internetgläubigen wurden Opfer ihres Idealismus. Sie glaubten, die neue digitale Technologie sei im Stande, das «polit-ökonomische System des Kapitalismus» (McChesney) zu überwinden.

Das Gegenteil traf ein: Das Internet wurde eine Goldmine für wenige Monopole. Der Reichtum hat sich in den letzten 20 Jahren erheblich konzentriert, gerade in den Ländern, die am stärksten vernetzt sind. In Europa und den USA ist nach mehr als hundert Jahren Emanzipation der Mittelklasse wieder von Oligarchie und Plutokratie die Rede. Und jetzt entdecken wir, dass das Erpresserpotential jener, die auf ein allsehendes Internet-Auge zugreifen können, praktisch grenzenlos ist. Im Internet findet eine Neuverteilung von Informationsmacht von Machtlosen an die Mächtigen statt.

Zwei-Klassen-Netz

Das hat auch Folgen für den politischen Diskurs. Ob kontroverse, unpopuläre Inhalte aufs Netz kommen, hängt immer mehr von Entscheidungen nicht gewählter CEOS der grossen Provider ab, die gegenüber niemandem Rechenschaft schuldig sind. Vor kurzem hat Europas grösstes Telekommunikations- und Internetunternehmen, die Deutsche Telekom, bekannt gegeben, dass sie in Verträgen eine Obergrenze für das Datenvolumen festschreiben werde. Sobald diese erreicht sei, reduziere das Unternehmen die Geschwindigkeit des Breitbandanschlusses auf ein Minimum. Das ist der Weg ins Zwei-Klassen-Netz. Die Daten der Unternehmen, die zahlen, werden ohne Einschränkungen transportiert. Alle anderen werden ausgebremst oder gesperrt.

«Digital Disconnect» beschreibt, wie mit der Privatisierung des Internets die Oeffentlichkeit aus dem Netz «ausgeschaltet» wurde. Das Netz muss wieder öffentlich werden. Weil die Internetriesen heute die neuen Schwergewichte im amerikanischen Kapitalismus bilden, steht zwangsweise das ganze «polit-ökonomische System» zur Debatte. McChesney zitiert den renommierten amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs, einen ehemaligen Marktgläubigen, der für die Systemkrise von heute vier Ursachen verantwortlich macht: «Extrem ungleiche Reichtumsverteilung, Straflosigkeit für die Reichen, die Korruption der Regierungen und den Kollaps der öffentlichen Dienste.»

Trendumkehr nur mit einer informierten Öffentlichkeit

In den demokratisch regierten Ländern, so glaubt McChesney, gebe es immer noch Mechanismen, die «totale Privatisierung» öffentlicher Dienste zu stoppen oder rückgängig zu machen. Konkret schlägt er vor: Die digitalen Monopole regulieren, Schutz vor Ueberwachung ohne richterliche Ermächtigung und besseren Schutz der Privatsphäre. Wer aber wird diese Empfehlungen in Politik umsetzen ? Präsident Obama und seine Demokraten haben bereits bewiesen, wie kraftlos sie in der Bankenkrise mit den Riesen im Finanzsektor umgegangen sind.

Dennoch gibt McChesney nicht alle Hoffnungen auf. Schliesslich sei die dynamische Entwicklung des Internets noch lange nicht abgeschlossen. Entscheidend für den Medienexperten ist eine informierte Oeffentlicheit. Sie müsse verstehen lernen, wie undemokratisch das Internet geworden sei. Eine Korrektur und Trendwende sei aber nur im Rahmen einer Reform des gesamten «polit-ökonomischen Systems» möglich. Zweifellos ein langfristiger Prozess, dessen ist sich McChesney bewusst. Er weiss aber auch, dass dieser gleiche Prozess durch die rasante technologische Entwicklung und noch schärfere Krisen des kapitalistischen Systems beschleunigt wird.

Roman Berger /Infosperber

Robert W. McChesney: Digital Disconnect. How Capitalism is turning the Internet against Democracy. The New Press. New York- London. 27.95 $. ISBN: 978-1595588678