UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Philipp Schiemann - Suicide City

62

Ein gottverdammter kleiner Cracknigger auf seinem letzten Ritt Philipp Schiemann - Suicide City

couch-677583-70

Belletristik

"Eine Vene kommt sofort nach oben, blau und fett. Ich finde den Anschluss gemeinsam mit der Kanüle, die ins Fleisch taucht. Die Elektrizität geht von der Armbeuge zur Schulter direkt ins Hirn. Funken sprühen."

Philipp Schiemann - Suicide City.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Philipp Schiemann - Suicide City. Foto: Mo Riza (CC BY-NC 2.0 cropped)

Datum 13. Dezember 1998
1
0
Lesezeit3 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Der Autor erzählt einen Short Cut aus dem Leben von Joey, dem Grosstadtcowboy. Im Stil amerikanischer Underdogs wird detailliert berichtet, wie sich die boys & girls auf endzeitmässige Art und Weise die Hirse 'aus dem Schädel pusten. Joey hat nicht viel zu verlieren. Joey ist Elvis Presley, der sich hinter der Bühne die Sauerstoffpackung gegeben hat. Joey findet, dass die Existenz schmerzt. Und Joey pisst auch auf dich. Na, schon Appetit bekommen?

Philipp Schiemann, geboren 1969, lebt und arbeitet als Autor, Schauspieler und Sänger in Düsseldorf. Zahlreiche Veröffentlichungen von CDs und Vinyl unter dem Label "Schiemann Artistics".

Mehrere Projekte mit seiner Band "Conscious", u.a. mit namhaften Gastmusikern, wie z.B. der amerikanischen Punkrock-Legende Jeff Dahl. Schiemann wirkte als Darsteller, Regie-Assistent und Drehbuchautor an verschiedenen Underground-Filmen und Video-Produktionen mit.

1997 erschienen die Erzählungen "Pussylecken, Herr Schneider", die der ursprünglichen Spoken Word CD "Le petit Journal" entnommen sind.

Das Buch

Schiemann erzählt rasant und mit praller Intensität aus dem Drogen-Milieu, dessen traumatischer Alltag bestimmt wird von Rausch, Isolation und Nähe, von Gewalt und Kriminalität. Mit viel Chemie und noch mehr Zynismus schlägt sich Joey - sein Held mit autobiografischen Zügen - durch Suicide City, von der psychiatrischen Verwahranstalt über Junk-WGs bis hin in ein grotesk verzerrtes Landleben.

" ... ruhe- und gnadenlos treibt Schiemann die Ereignisse voran, präsentiert Ekelerregendes und Peinliches, aber immer sprachlich prägnant und dramaturgisch genial. Das ist Underground-Literatur vom Feinsten..." (Rheinische Post, 1998)

Suicide City

"Ich muss über zwanzig Stunden geschlafen haben. Der kleinere von den beiden Glastischen ist zerbrochen, sehe es zum ersten Mal. Es ist Morgengrauen. Die Bude stinkt nach abgestandenem Rauch, Flaschen und Flecken überall. Mir ist kalt. Beim Aufstehen muss ich mich an der Sofalehne festhalten. Ich bin eine alte Mutter, pfeifend auf der Kellertreppe. Nein, nicht wirklich. Ich bin Ben Hur, der eine Horde von schwarzen Nutten reitet."

"So, du kleine Ledersau!" Während er ihr hardcoremässig sein Ding reinsteckt, schreit er aus Leibeskräften. Es erscheint mir, als würde es ihn ungeheure Anstrengung kosten: Die Halsschlagadern treten deutlich hervor, und seine ohnehin schon roten Backen tun ein übriges.

philip_schiemann_suicide_city.png

Bild: Buchcover

Sie sucht derweil ein Schmunzeln zu unterdrücken. Er gebärdet sich nach wie vor wie ein Neandertaler, und seine Vorstellung vom dominanten Part entspricht entschieden nicht ihren Bedürfnissen, geschweige den Wünschen. Unterdessen breitet sich in der Wohnung der leicht stechende Geruch von verbranntem Fleisch aus, und ich stehe auf, um in der Küche nach dem Rechten zu sehen.

Oh, mein Gott. Bei dem Versuch für den Kleinen Milch aufzuwärmen ist Melissa bewusstlos geworden und mit dem Gesicht direkt auf die Herdplatte gefallen. Die Nadel steckt noch in ihrem Arm. Ich packe sie am Schlafittchen und versuche, den heissen Kuss langsam zu lösen, wobei ich mit reichlich Wasser von seiten der Spüle nachhelfe. Mittendrin klingelt es plötzlich an der Tür. "Aufmachen, Polizei!" tönt es.

Als nächstes splittert Holz. Der Kleine wird wach und fängt an zu schreien, während aus dem Nebenzimmer unverändert das Gebrüll kommt. "Ledersau! Du geile Ledersau!" Ich sehe mich um und weiss, dass ich keine Zeit mehr haben werde, den Stoff im Klo hinunterzuspülen: Ich werde keine Zeit mehr haben, irgendwelche Beweismittel verschwinden zu lassen. Ich bin ein gottverdammter kleiner Cracknigger auf seinem letzten Ritt. Eins zu null für euch.

Michael Schönauer

Phillip Schiemann: Suicide City. Roman. Killroy media 1999, 80 Seiten, ca. 15.00 SFr. ISBN 978-3931140212