Wichtigste Erkenntnis ist, dass verschiedene rechte Strömungen, neue und „alte“ Rechte, in ihrer Mischung als politischer Faktor massiv in Erscheinung treten, aber keineswegs vom Himmel gefallen sind. In den 13 Beiträgen werden so Schlaglichter auf Themen, Strategien, Akteure und Netzwerke sowie ideologisch verwandte Vorbilder der erstarkenden Protestbewegung von rechts geworfen. Zudem werden die Rahmenbedingungen ihrer Entstehung beleuchtet und die von ihr ausgelösten Wechselwirkungen benannt. Dabei sind gute Zusammenfassungen und Bestandsaufnahmen bis hin zu exotisch anmutenden Aspekten, die aber einen „Aha-Effekt“ auslösen und Kontinuitäten aufzeigen, vertreten.
Inszenierung „fundamentaler Systemopposition“
Den Anfang macht Fabian Virchow und nimmt in seinem Beitrag „Protest und soziale Bewegungen von rechts“ eine Abgrenzung zu nicht-rechten sozialen Bewegungen vor und stellt erste Eckpunkte heraus: für rechte Protestbewegungen, die sich in konservative, reaktionäre und faschistische Rechte ausdifferenzieren lassen, ist die Gleichheit von Menschen verzichtbar. Sie streben einen Umbau hin zu einer reaktionär-autoritären Gesellschaft an und zeigen dabei eine „grosse Bandbreite politischen Handelns“: Organisation von Demonstrationen, Publikation eigener Medien, Besetzungen, Verweigerung von Steuerzahlungen oder politisch motivierte Gewalt (S. 12). Virchow knüpft die Wirkungsmacht rechten Protests an die zeitgleiche Etablierung rechter Parteien – Beispiele aus europäischen Ländern zeigen, dass sich Strassenprotest und Wahlerfolge gegenseitig befeuern und so eine „Selbstzuschreibung als fundamentale Systemopposition“ (S. 16) konstruiert werden kann.Auf die Motive und begünstigenden Rahmenbedingungen für die Entstehung und den Aufstieg europäischer rechter „Anti-Establishment“-Parteien und rechter Protestbewegungen geht der Beitrag „Rechtspopulismus in der ‚Berliner Republik' und Europa – Ursachen und Hintergründe“ ein. Der AfD ist ein eigener Beitrag gewidmet, in dem Alexander Häusler die „Schlüsselrolle“ der Partei als „Fürsprecherin des Volkes“ innerhalb der rassistischen Protestbewegung gegen Geflüchtete ins Visier nimmt (S. 42). Dabei wird deutlich, dass die AfD dabei von bereits bestehenden Verbindungen des völkisch-nationalistischen Flügels zum neurechten Institut für Staatspolitik (IfS) und die Unterstützung durch neurechte Publikationsorgane wie Sezession, Compact und Junge Freiheit profitieren konnte.
Provokation und Bewegungssimulation
Einen detaillierteren Überblick über diese neurechten Netzwerke und die daraus hervorgegangene Initiative „Ein Prozent für unser Land“ gibt Anna-Lena Herkenhoff. „Ein Prozent“ will eine Art rechte NGO sein, eine Plattform für die Widerstandsbewegung der „Neuen Rechten“. Dahinter steht das „Who-is-who“ der Szene: Philipp Stein, Redakteur der Zeitschrift Blaue Narzisse, Götz Kubitschek, Gründer des IfS, Jürgen Elsässer (Compact) und Albrecht Schachtschneider. Martin Sellner von der Identitären Bewegung (IB) ergänzt das „Projektteam“. Hier wird nachvollziehbar, dass der Rechtsruck keine zufällige Entwicklung ist, sondern seit Jahren von den Ideengebern der Neuen Rechten forciert wurde und befeuert wird. Die IB ist dabei das Paradebeispiel für die inhaltliche und ästhetische „Erneuerung“ der Rechten – sie bezieht sich auf Ideen der konservativen Revolution, richtet ihren Protest gegen die „massenhafte“ Zuwanderung und setzt der vom „Kollaps“ bedrohten multikulturellen Gesellschaft völkische Ideen entgegen.Ihre „Weltordnungsvorstellungen“ begründen sie nicht mit biologistisch hergeleitetem Rassismus sondern mit ethnopluralistischer Argumentation (S. 77). Die Initiator:innen von „Einprozent“ eint auch, dass sie die Provokation als wesentliches Stilmittel einsetzen. Das zeigt sich an den gesprächswertigen Aktionen der IB, aber auch durch das gezielte „droppen“ neurechter Begrifflichkeiten. 2007 schrieb Kubitschek, die Neurechten strebten „nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache“ an. Das macht wiederum Parallelen zur medialen Taktik der AfD auf. Dass sie dabei nicht auf die „Lügenpresse“ (S. 95) angewiesen sind, sondern eigene Verbreitungskanäle schaffen, zeigt Volkmar Wölk. Er stellt neurechte Autor:innen und Publikationsorgane vor, die sich zum Sprachrohr von AfD, Pegida und anderen Akteur:innen machen und damit ihre ideologischen Grundlagen und Strategien vermitteln.
Das Problem heisst Dekadenz
Ein wiederkehrendes Thema ist „der Islam“ – weshalb die „internationalen ‚Counter-Jihad'-Netzwerke“ (S. 32), die nach dem 11. September 2001 zunächst als Blogs entstanden sind, von Jörg Kronauer genauer beleuchtet werden. Diese gehen davon aus, dass „der Islam“ grundsätzlich nicht mit liberalen Auffassungen von Gesellschaft vereinbar und damit als Ganzes zu bekämpfen sei. Gleichzeitig richten sich die Counter-Jihadist:innen immer gegen linksliberale Spektren, die in ihrer Logik der Islamisierung durch Toleranz den Weg bereiten.Stefan Herre vom Blog Politcally Incorrect beispielsweise wertet die Islamkritik lediglich als „Symptom gesellschaftlichen Zerfalls“ - der eigentliche Kern des Übels sei die „Dekadenz“ der bürgerlichen spass- und konsumorientierten Gesellschaft, die von den „68ern“ eingeleitet wurde (S. 35). Wesentliches Moment ist das Fantasieren über einen „pan-westlichen Bürgerkrieg“ (S. 35) gegen den Islam. Das erklärt auch die Freude der Counter-Jihadist:innen über „handfeste“ (S. 38) gewalttätige Proteste, beispielsweise von Hooligan-Gruppen in England 2009 durch die English Defense League (EDL) und später in Köln bei der ersten „HoGeSa“-Demonstration 2014.
Dieses Ineinandergreifen provokanter Rhetorik, Internetmobilisierung und Aufstands-Inszenierung findet sich auch bei Pegida: „Einmal den Zirkel um Dresden schlagen“ von Felix Korsch widmet sich dem Aufkommen der Pegida-Bewegung in Sachsen und zeigt die „stimulierende Wechselwirkung“ (S. 59) extrem rechter Parteien, rechter Bürger:innen und rechter Organisationen auf. Dass ein allgemeiner Anstieg dieses Demonstrationsaufkommens unmittelbar mit steigender gezielter Gewalt gegen Geflüchtete einhergeht, betont auch Heike Kleffner in ihrem Beitrag „Flächenbrand“. Rassistisch motivierte Gewalt kann sich unter dem Einfluss eines nach rechts rückenden Diskurses und einem Klima der Straffreiheit entfalten – eine Parallele zu den 90er Jahren in Deutschland. Sowohl bei Übergriffen als auch bei den „Anti-Asyl“-Demonstrationen sind es nicht nur die gern zitierten „besorgten Bürger“, die ihrer „Angst“ Ausdruck verleihen. Hendrik Puls erinnert daran, dass „klassische“ extrem rechte Parteien zwar nicht selbst den Anstoss für die neuen rassistischen Mobilisierungen geben konnten, aber nun ihre organisatorischen Erfahrungen in lokalen Initiativen einbringen und zudem als Stichwortgeber fungieren.
Die neuen rechten Formierungen zeigen dabei eine gewisse Flexibilität, aktuelle Themen als Aufhänger zu nutzen, um ihre Deutungsmuster und Begriffe in die öffentliche Debatte einzubringen. Isolde Aigner, Margarete Jäger und Regina Wamper zeigen in ihrem Beitrag „Destruktive Wirkungen“ Faktoren auf, unter denen das erfolgreich gelingt: Rechte konnten hier an einen von Medien und Politiker:innen initiierten rassistischen Diskurs andocken, der unmittelbar nach den sexualisierten Übergriffen in Köln Silvester 2015/16 die Verknüpfung mit der Debatte um „den Islam“ sowie Migration und Flucht hergestellt hatte.
Selbstermächtigung und Gewaltbilligung
Die Silvesterereignisse zogen auch das Phänomen sogenannter „Bürgerwehren“ nach sich, die Matthias Quent in seinem Beitrag „Vigilantismus – die Inszenierung rechter Bürgerwehren“ analysiert. Man kann darüber streiten, ob der Begriff des Vigilantismus (lat.: vigilans - wachsam) zur analytischen Schärfe beiträgt oder eher verwirrt, aber seine Typisierung rechter Bürgerwehren ist sehr interessant und verweist auf eine Tendenz der neuen rechten Bewegungen, das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen und die eigene Gewaltausübung zu legitimieren.Mit dem vorliegenden Sammelband wird dargelegt, wie die sich der neu formierte „(extrem) rechte Machtblock“ (S. 124) zusammensetzt, woher seine ideologischen Bezüge kommen und unter welchen Rahmenbedingungen er erstarkt ist. Gerade das Zusammenwirken und die gegenseitige Bezugnahme rechter Strömungen ergeben Handlungsspielräume, die die Akteur:innen geschickt nutzen und die ihre Gefährlichkeit ausmachen. Durch das Bausteinprinzip des Sammelbandes muss die Leser:in gelegentlich eine gewisse Eigenleistung erbringen, um die Bedeutung der einzelnen Aspekte für die gegenwärtige rechte Formierung herzuleiten.
Ohne Vorwissen um die Ausdifferenzierung rechter Strömungen und die Entwicklungen rechter Strategien stösst man dabei manchmal an Grenzen. Dank ausführlicher Literaturhinweise können Wissenslücken jedoch tendenziell geschlossen werden. Was unterbelichtet bleibt, ist die Rolle der „sozialen“ Netzwerke und des Internets als niedrigschwelligem Resonanzraum rechter Ideen und Mobilisierungskanal. Trotzdem ist das Werk eine gute Basis für den von den Autor:innen erwünschten Anstoss zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem neuen Rechtsruck in Deutschland.