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Andreas Malm: Klima|X

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Andreas Malm: Klima|X Aufrüsten gegen die Klimakrise

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Sachliteratur

Die Krise der Mehrheit muss in eine Krise der Verursacher:innen verwandelt werden, statt Green New Deal bedeutet das: Öko-Leninismus.

Andreas Malm: Klima|X.
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Andreas Malm: Klima|X. Foto: Max Braun (CC BY-SA 2.0 unported - cropped)

Datum 9. Mai 2022
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KorrekturKorrektur
In seinem brillanten Buch „Klima|x“ stellt der schwedische Humanökologe und Klimaaktivist Andreas Malm den Zusammenhang zwischen Corona-Pandemie und Klimakrise her und räumt mit dem Märchen der Krisen als „externe Schocks“ auf. Fakten- und anekdotenreich liefert er in seinem zugänglichen Essay auch gleich einen Lösungsansatz: den Öko-Leninismus. Dabei überrascht er mit irrwitzigen doch schlüssig argumentierten Vorschlägen: Die Menschen sollten von Jesus und den Bolschewisten lernen, endlich aufhören, Buschfleisch und Fledermäuse zu essen und die Ölkonzerne in Klimaschutzagenturen umwandeln. Aber der Reihe nach.

Dass die offensichtlich system-irrelevantesten Branchen während der Corona-Krise die Automobilindustrie und die Flugindustrie waren, wurde mittlerweile schon vielfach festgestellt. Zeitweise wurden Produktionslinien auf medizinische Güter umgestellt und Flugpersonal für die Patient:innenversorgung umgeschult. Dabei macht in der Notsituation weder der staatliche Eingriff, noch der Shareholder Value vor den Grenzen des Privateigentums halt. Eine Erkenntnis, die, so führt es Malm vor Augen, bedeutend ist für den Kampf gegen den Klimawandel.

In der Unterscheidung zwischen Corona-Pandemie und Klimakatastrophe sind eine räumliche und eine zeitliche Dimension entscheidend. Handelt es sich doch bei beiden um existentielle Bedrohungen, die Millionen von Menschenleben auf der ganzen Welt kosten, trifft die Corona-Pandemie zunächst alte, weisse Menschen im globalen Norden, während die Klimakatastrophe zunächst vor allem arme Menschen im globalen Süden trifft. Kein Wunder also, dass den beiden Krisen nicht mit der gleichen Vehemenz begegnet wird – die Pandemie wird mit nationalistischen Abschottungsmethoden bekämpft, wohingegen der Krieg gegen den Klimawandel einem internationalistischen Kampf für die Armen gleichkäme.

Wer ist hier der Parasit?

Kenntnisreich und theoretisch untermauert klagt Malm den ökologisch ungleichen Tausch zwischen Nord und Süd, die kapitalistische Landnahme und den Raubbau an der Natur an und baut mit seiner Theorie des parasitären Kapitals die marxistische Ursachenanalyse für die gesamte Misere mit ein. „Parasitär“ hat im deutschen Sprachgebrauch als Bezeichnung für Kapital zwar einen antisemitischen Beigeschmack, Malms Vergleiche aus der Virologie, seine ausgiebige und durchaus erhellende Beschäftigung mit Fledermäusen und der Erkenntnis, dass Corona eine menschengemachte zoonotische – also eine von Tier zu Mensch übertragene – Infektionskrankheit ist, machen diese Verwendung jedoch stichhaltig. Vor allem widerspricht Malm mit dem Vergleich von Kapital und Parasit der sogenannten marxistischen Verelendungstheorie, dass der Kapitalismus sich schon selbst abschaffe, wenn alles nur schlimm genug würde: „Das Kapital überlebt jeden seiner Wirte, es ist der Parasit, der niemals stirbt.“ (S. 170)

Die Saatbank des Sozialismus

Wirklich spannend wird es in der zweiten Hälfte des Buches, wenn Malm die für ihn noch wertvollen und aktuellen Stränge sozialistischer Theorie herausarbeitet, die er als „Saatbank für den chronischen Notstand“ (S. 179) bezeichnet.

Nachdem ihm zunächst ein inhaltlich korrekter, aber angesichts der Wahlsieger Biden und Scholz eindeutig verfrühter Nachruf auf die Sozialdemokratie unterläuft, knüpft Malm sich den Anarchismus und damit einen Teil seiner eigenen Vergangenheit vor. Während der „reformistische Kalender“ der Sozialdemokratie (S. 182) in der Katastrophe verpuffen muss, weil die Zeit nicht für sondern gegen uns arbeitet, fehlt den Anarchist:innen der Mut zur Staatlichkeit, denn harte Macht sei unbedingt erforderlich. Vor allem Luxuskonsument:innen, (illegalen) Waldrodungsunternehmen und dem fossilen Kapital müssen mit harter Hand begegnet werden, wofür Malm den Staat als unbedingt erforderlich betrachtet.

Im Handumdrehen skalpiert Malm auch den esoterisch-anmutenden Wunsch nach verbaler Abrüstung und weniger Kriegsrhetorik beim Kampf gegen den Klimawandel. Nicht nur, dass die Grössenordnungen der Todesfälle durch den heraufziehenden Klimakollaps den eines Weltkrieges ähneln werden, sondern das Überleben der Menschheit wird nur durch aussergewöhnliche Schritte möglich sein. Schliesslich liessen sich auch psychologisch viel mehr Ressourcen und Menschen für den Krieg mobilisieren, als für den Frieden.

Doch wird die Gewaltfrage hier nicht so ausgiebig diskutiert wie in seinem Werk „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ (2020). Lediglich auf den Begriff der „drakonischen“ Verbote besteht der Autor ausdrücklich, schliesslich wurde Kinderarbeit und Sklaverei auch nicht durch freundliche Selbstverpflichtungserklärungen der Unternehmen abgeschafft. In „Klima|x“ werden weniger taktische Fragen der sozialen Bewegungen und des zivilen Ungehorsams erläutert, Malm geht es geht um strategische Fragen, die gesellschaftlichen grossen Linien und ihre Dilemmata.

Kriegskommunismus statt Green New Deal

In der aktuellen sozial-ökologischen Transformationsdebatte bezieht man sich immerzu mit grossem Popanz auf Roosevelts New Deal der 1930er Jahre. Malm erscheint jedoch eine ältere Analogie sinnvoller. Mit historischem Detailwissen würdigt Malm die Leistungen des sowjetischen Kriegskommunismus zu Zeiten des russischen Bürgerkriegs 1918–1920. Von der gesamten westlichen Welt militärisch angegriffen, von Epidemien, Hungersnöten und Läusen heimgesucht, radikalisierten die Bolschewisten im Notstand ihre Grundsätze, verstaatlichten sämtliche Produktionsmittel und bauten einen biokraftbetriebenen Arbeiterstaat auf. Denn Sowjet-Russland war durch die imperialistischen Invasoren komplett von Kohle und Öl abgeschnitten. „Trotzki, der auf einem holzbefeuerten Zug dahergeritten kommt, Franklin D. Roosevelt, der in einem Meer aus Öl schwimmt: Sie haben die Wahl.“ (S. 241)

Die Erfahrung von Verzicht und Rationierung, die harten Lektionen aus den Gefahren einer stalinistischen Bürokratisierung und die Schaffung der weltweit ersten Naturschutzreservate (Sapowedniks) machen den ökologischen Kriegskommunismus für Malm zu einem wertvollen Bezugspunkt für „die Verteidigung der wilden Natur gegen parasitäres Kapital“, die „mittlerweile einen Akt menschlicher Selbstverteidigung darstellt“ (S. 260). Grossangelegte Umwandlungsprogramme von zum Beispiel Frontex in eine Grenzschutzagentur gegen illegalen Wildwarenhandel (anstatt illegalisierten Menschen), der Ölindustrie in Kohlendioxidbeseitigungsagenturen, aber auch der Gebrauch von Geoengineering müssen, so Malm, an die Stelle des grenzenlosen Imperialismus gegen die Natur treten.

Tilman von Berlepsch
kritisch-lesen.de

Andreas Malm: Klima|X. Matthes & Seitz, Berlin 2020. 263 Seiten. ca. 19.00 SFr. ISBN 978-3-7518-0307-6

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