Armin Roth: Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0 Beredtes Schweigen in der Industrie 4.0 – Eine Spurensuche
Sachliteratur
Die wissenschaftlichen Abhandlungen zur Industrie 4.0 werden inzwischen in einem wöchentlichen Takt veröffentlicht. Von den sozialwissenschaftlichen Abhandlungen abgesehen erscheint auch eine ganze Reihe praktischer Handlungstipps für Unternehmen, die sehr Aufschlussreich sind.
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7. November 2016
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Dann folgen fast hundert Seiten beredtes Schweigen zu den Folgen der Industrie 4.0. Im Gegensatz zu so mancher gewerkschaftlichen Broschüre und sozialwissenschaftlichem Aufsatz weiss dieser Band für Unternehmen eben sehr genau, worauf es bei der Industrie 4.0 ankommt: „Das Zusammenwachsen der digitalen und produzierenden Industrie gilt dabei als Schlüssel für eine Effizienzsteigerung und neues Wachstum. Studien zufolge haben digitalisierte Unternehmen die Chance ihre Schnelligkeit, Flexibilität und Produktivität um ca. 40 Prozent zu steigern“ (3) – und vorauf eben nicht. Abgesehen von der pflichtbewussten Ankündigung, der Arbeiter würde von nun an seine Work-Life-Balance verbessern, wird gar nicht erst versucht zu beweisen, dass die Flexibilität der Unternehmen gleichbedeutend wäre mit derjenigen der Arbeiter. Das vielmehr der flexible Zugriff der Unternehmer auf die Arbeitnehmer die ständige Verfügbarkeit dieser für das Kapital bedeutet, wird einfach nicht thematisiert.
Um in diesem Band über die Einführung der Industrie 4.0 überhaupt etwas über die Arbeitnehmer und ihre Rolle zu erfahren bedarf es einer Spurensuche, die allerdings fruchtbar ist: Illusionen wird sich hier nämlich nicht hingegeben. Statt von der „Arbeit der Zukunft“ wird hier alles vom Standpunkt des Kapitals aus gesehen, und da ist das Interesse klar: Industrie 4.0 bietet demnach Möglichkeiten, „Effizienzvorteile zu schaffen, die über den Ansatz eines Lohnkosten-Dumping weit hinausgehen“ (86). Hier wird also Klartext geschrieben: Die Erhöhung der Produktivität, welche die Industrie 4.0 verspricht, ist in ihrer Senkung der Lohnstückkosten eine gnadenlose Enteignung der Lohnabhängigen und dabei viel effektiver als es jedes Lohndumping sein könnte!
Natürlich geizt ein solcher Band auch nicht mit praktischen Beispielen einer erfolgreichen Umsetzung des neuen Paradigmas, so z.B. bei Harley Davidson: „Das Unternehmen konnte die Durchlaufzeit seiner Produktionsprozesse von früher 26 Tagen auf 6 Stunden (eine Reduktion von über 90 Prozent) verkürzen“. Nicht erwähnt, weil für die Unternehmer selbstverständlich und für das Fachpublikum völlig uninteressant, ist die praktische Auswirkung auf die Beschäftigten, die man der Presse aber leicht entnehmen kann: Entlassungen (1). Das gleiche Bild zeigt sich übrigens beim zweiten Musterschüler, dem Hamburger Hafen (2). Dass dabei ganz andere Gründe angegeben werden als die Produktivitätssteigerung versteht sich von selbst.
In diesem Sinne ist der Band also für diejenigen zu empfehlen, die einmal einen ungetrübten Blick auf die Interessen der Kapitalseite werfen wollen, wenn es um die Industrie 4.0 geht. Neben der ganzen Chose von der „Befreiung von der harten Arbeit“ wird hier Klartext gesprochen, wie der Arbeiter in dieser Industrie 4.0 vorkommt.
Armin Roth (Hrsg.): Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0. Grundlagen, Vorgehensmodell und Use Cases aus der Praxis. Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016. 163 Seiten, ca. 67.00 SFr. ISBN 978-3662485040