„Blick auf kapitalistische Vergesellschaftung […]. Dieser beansprucht nicht wahrer oder wesentlicher zu sein als andere Kapitalismustheorien. Er behauptet nicht, radikaler oder umfassender zu sein als andere Kapitalismuskritiken. Er verlangt allerdings danach, die Überwindung von Kapitalismus anders zu konzipieren als in Begriffen der Negation, der Reform oder der Subversion. Nicht darum, Kapitalismus besser zu verstehen, geht es, sondern darum, ihn leichter zu verändern“ (S. 248).
Unterschiede benennen und Gemeinsames suchen
Die Erarbeitung von Gemeinsamkeiten in einer Situation der Zersplitterung ist der entscheidende Beitrag, den Adamczak leistet. Anstatt erbitterte Deutungskämpfe zu führen, die jeweiligen Standpunkte zu fetischisieren, an dogmatischen Wahrheitsansprüchen und liebgewonnenen politischen Identitäten festzuhalten, sollte es, so ihr Anliegen, um den gelegentlich noch hochgehaltenen eigenen Anspruch gehen: um die konsequente Arbeit an der Revolutionierung unserer Gesellschafts- und Lebensverhältnisse.Die Position von „Beziehungsweise Revolution“ ist eine der ernsthaften Kommunikation, ohne dabei beliebig zu sein und eigene Inhalte aufzugeben. Allein davon lässt sich eine Menge für die theoretische Arbeit, aber auch für die politische Praxis lernen. Letztere ist weniger schöngeistig-intellektuelle als vielmehr organisatorisch-politische Aufgabe. Für den Entwurf der konkreten Utopie einer sozialistischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert sind die Zeiten ihrer autoritären Vereinheitlichung und Erzwingung hoffentlich ebenso überwunden wie auch der zu schwammige Grundkonsens einer „Bewegung der Bewegungen“, wie er von globalisierungskritischen Denker*innen hochgehalten wurde.
Ansätze einer Mosaik-Linken beschreiben zwar umfassend die Herausforderung, können aber kaum überzeugen, wenn die Bewegung am Ende doch an eine Partei angebunden werden soll. Noch weniger trifft dies auf eine linke Sammlungsbewegung zu, welche den Weg der demokratischen Auseinandersetzung gleich zu überspringen beabsichtigt und das fertige vermeintlich anschlussfähige Konzept schon liefert.
Dagegen lauten die impliziten Aufforderungen von Adamczak, mit der Fetischisierung von Revolution und Utopie zu brechen und sie wieder ins Spiel zu bringen, die eigenen Erfolge zu würdigen und Strategien zum Siegen zu entwickeln, nach dem Gemeinsamen verschiedener Strömungen in ihrer Pluralität zu suchen und ein „Verständnis der Solidarität [als] ein Denken jenes zwischen, das den eigentlichen Lebensraum der Beziehungsweise bildet“ (S. 227), zu fördern.
Von der Depression zur Handlungsfähigkeit
„Beziehungsweise Revolution“ knüpft an die Grunderfahrung vieler überzeugter Linker an: jener des Scheiterns, selbst beim Siegen. Diese Erfahrung hat ihre Gründe sowohl in der leidenschaftlichen Bezugnahme auf die Ausgebeuteten, Unterdrückten und Entrechteten sowie in der tiefen Sehnsucht nach der letztendlichen Überwindung aller menschenverachtenden, gewaltsamen und entfremdenden Zustände. Die darin geformten historischen Entwicklungen, wie beispielsweise die Konterrevolution des Stalinismus im Anschluss an die Russische Revolution oder jene des Neoliberalismus nach der 68er-Bewegung, haben sich als Traumata in die Psyche politisch bewegter Menschen eingeschrieben.An diesem Punkt setzt Adamczak an und verdeutlicht, dass in revolutionären Prozessen stets auch die Geschlechterverhältnisse neu gestaltet wurden. Es zeigt sich, dass hierbei Ansätze aus der Queertheorie dienlich sind um verschiedene Dualismen im neuzeitlich europäischen Denken aufzubrechen, wobei der Begriff „Beziehungsweise“ diese vermitteln soll. Er soll Nah- und Fernbeziehungen beschreiben, gleichwie „informelle wie institutionalisierte und formalisierte Beziehungen“ (S. 256) erfassen und ist zwischen
„binären Oppositionen angesiedelt […], deren Ausschliesslichkeit er unterwandert: Individuum/Kollektiv, Gesellschaft/Gemeinschaft, Struktur/Handlung, Privatheit/Öffentlichkeit, Subjekt/Objekt, Einheit (Harmonie)/Zweiheit (Freund/Feind), Affektivität/Rationalität“ (ebd).
Adamczak entwickelt eine konsequente philosophische Dialektik und bietet Synthesen an: Revolution solle als Prozess der „synaptischen Konstruktion“ (S. 77f.) verstanden werden; statt auf Totalität oder Singularität müsse sie Relationalität – also ein Geflecht von mitunter komplexen Beziehungen – in den Blick nehmen; statt ausschliesslich auf der Veränderung der Produktionsweise oder der Existenzweise hin zu arbeiten, sollen durch die Revolution Beziehungsweisen verändert werden; statt Gleichheit oder Freiheit soll in ihr die Verwirklichung von Solidarität zum Ausgangs- als auch zum Fluchtpunkt genommen werden.
Worin Adamczak sich dabei verstrickt, sind die Dilemmata marxistisch geprägter Intellektueller: So bildet sie die Synthesen zur Relationalität und Solidarität der kommenden Revolution etwas zu holzschnittartig. Ihre Ausführung darüber, dass „Intellektuelle“ die „kontrafaktische Anrufung“ von Revolution als „theoretische Figur“ (S. 81f.) in vermeintlich nicht-revolutionären Zeiten „konservieren“ (S. 266) sollen, erweisen sich als skeptische Suchbewegung, die hinter dem radikalen Gehalt ihrer eigenen Gedankengänge zurückbleiben. Immerhin könnte aus dem hier Geschilderten ebenfalls abgeleitet werden, Revolution sei das, was hier und heute zumindest einige Menschen praktisch tun, wenn sie solidarische Beziehungen knüpfen, Gemeinsames suchen und dieses auf geteilte Ziele hin ausrichten.
Begrüssenswert ist die Adaption anarchistischer Denkweisen, die augenscheinlich auch einen theoretischen Gewinn für die kommunistische Beziehungstheorie darstellen. Spannend wäre nun allerdings die Frage der konkreten Umsetzung von Adamczaks Gedankengängen. Dies aber betrifft weniger Aufgaben des Schreibens oder Lesens, sondern des Revolutionierens.