Anhand von elf Thesen formulieren und analysieren die Autorinnen die Dringlichkeit und das Potenzial einer solchen Bewegung, indem sie sich am gegenwärtigen Zustand der Frauenbewegung abarbeiten und eine Kapitalismusanalyse liefern, um anschliessend Anforderungen an den Feminismus für die 99% zu formulieren. Etwa bei den globalen Frauenstreiks erkennen sie bereits Teile einer solchen Bewegung. Diese werden zum Ausgangspunkt theoretischer Reflexionen genommen, um einen Feminismus für die 99% vorzuschlagen, der sowohl (geschlechts-)spezifische Ungerechtigkeits- und Ausbeutungserfahrungen als auch deren Verknüpfung mit dem Kapitalismus anprangert.
Ein Feminismus für die Vielen
Die Kämpfe stehen im direkten Gegensatz zum liberalen Feminismus, den die Autorinnen als Mainstream-Verständnis von Feminismus ausmachen. Dieser sei nicht an der wirklichen Befreiung von Frauen interessiert. Vielmehr helfe er nur privilegierten Frauen, die gläserne Decke zu durchstossen, um dann migrantische Frauen in schlecht bezahlte Jobs zu drängen – etwa durch Outsourcing. Diese Spielart von Feminismus weisen die Autorinnen strikt zurück und konzentrieren sich auf die Verwobenheit geschlechtsspezifischer Ungleichheit mit der kapitalistischen Ökonomie.Die zentrale These hierbei: Die Frauenbefreiung ist nicht ohne die Abschaffung des Kapitalismus zu erreichen. Gleichzeitig ist die kapitalistische Produktionsweise strukturell auf die geschlechtsbasierte Reproduktionsarbeit angewiesen, so dass sich die Abschaffung des Kapitalismus nicht ohne die Integration feministischer Perspektiven und Kämpfe realisieren lässt. Dabei gelingt es den Autorinnen auf theoretischer Ebene überzeugend darzulegen, dass sich verschiedene (antikapitalistische) Kämpfe mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Ökologie und Antirassismus für das gleiche Ziel verbinden und einsetzen können. Wer nach Anleitungen für die Praxis sucht, wird hier allerdings kaum fündig.
Frauenstreik als zentrale Protestform
Der Frauenstreik als Mittel des Protests nimmt einen zentralen Stellenwert ein. Gleich in der ersten These wird die jüngere Geschichte des Frauenstreiks global nachvollzogen und die daraus entstehende Macht von Frauen, „deren bezahlte und unbezahlte Arbeit die Welt in Gang hält“ (S. 17, kursiv i.O.) dargestellt. Der Frauenstreik gilt den Autorinnen als Ausdruck des ewigen Kampfes der Frauen für die Anerkennung ihrer Arbeit als Arbeit.Obwohl der Kapitalismus auf diese angewiesen ist, entlohne er sie nicht. Der Frauenstreik zeige auf, wie unverzichtbar die geschlechtsspezifisch verteilte Arbeit für den Kapitalismus ist und verbinde damit die Forderung nach der Anerkennung weiblicher Arbeit mit Kapitalismuskritik. Gerade an dieser Stelle des Buches jedoch fehlt das sonst so oft verwendete Beispiel aus der Praxis, um darzustellen und zu erklären, was die Unverzichtbarkeit der unbezahlten Frauenarbeit ausmacht und wodurch der Frauenstreik diese erkennbar werden lässt. So wird zwar deutlich, dass der Frauenstreik neue und erfolgreiche Formen des Protests entwickelt, eine Erklärung zur Verbindung von (unbezahlter) Frauenarbeit und Kapitalismus fehlt allerdings.
Der Frauenstreik ziele nicht nur auf unbezahlte Arbeit, sondern mache auch auf Verhältnisse aufmerksam, die reproduktiver Gerechtigkeit – also der egalitären Aufteilung von Sorge- und Reproduktionsarbeiten – entgegenstehen. Der „Frauenstreik-Feminismus“ (S. 18), dessen Schauplatz Gesundheitsversorgung, Rente und Wohnen umfasst, beansprucht feministisch, internationalistisch, ökologisch und antirassistisch zu sein. Damit stehen Bereiche und Dienstleistungen der gesellschaftlichen Reproduktion im Zentrum, die die Versorgung der Menschen und den Erhalt der sozialen Gemeinschaft sichern. In diesen Feldern machen die Autorinnen die aktuell militantesten und widerstandsstärksten Kämpfe aus.
Erweiterung des Klassenkampfes
Um den Feminismus für die 99% Realität werden zu lassen, werden jegliche Bündnisse mit dem liberalen, globalen Finanzwesen ebenso wie mit dem reaktionären Populismus konsequent abgelehnt. Der Fokus wird immer wieder auf die bestehende Klassengesellschaft zurückgeführt, deren Überwindung als klares Ziel formuliert wird. Als implizit angenommenes revolutionäres Subjekt wird die arbeitende Klasse markiert, deren Zusammensetzung sowohl Fabrikarbeiter*innen, Arbeiter*innen im Privathaushalt, in Büros, Krankenhäusern und im öffentlichen Dienst, als auch Erwerbslose und das „Prekariat“ umfasst.Damit erweitern die Autorinnen das Verständnis des Klassenkampfes, der nicht nur im Betrieb auf Löhne fokussiert, sondern auch Kämpfe um soziale Reproduktion und gegen Rassismus einbezieht. Arbeiterklasse meint somit nicht nur industrielle (männliche) Lohnarbeiter. Obwohl die Autorinnen betonen, dass unterschiedliche Unterdrückungsformen eigene Ausprägungen ausbilden und spezifisch wirken, wurzeln sie ihnen zufolge alle im selben kapitalistischen Gesellschaftssystem, das verstärkend wirkt. Ziel muss es darum sein, die bestehenden Kämpfe zusammenzubringen, um die durch den Kapitalismus erst erzeugten Spaltungen zu überwinden.
Um das zu erreichen, bedürfe es einer Leitperspektive, „die die Unterschiede zwischen uns weder nur zelebriert noch brutal zum Verschwinden bringt“ (S. 74) und damit den Gegensatz von Klassen- und Identitätspolitik überwinde. Die sich während des Lesens aufdrängende Frage – ob es sich beim Manifest bereits selbst um diese Leitperspektive handelt oder dieser Abschluss als Appell an uns verstanden werden soll, eine solche zu entwickeln – lassen die Autorinnen offen.
Insgesamt stellt das Buch wichtige Zusammenhänge dar und erklärt anschaulich und nachvollziehbar, warum Feminismus und Antikapitalismus untrennbar zusammengehören. Die Unterfütterung mit Beispielen aus der Praxis unterstützt die Analyse und zeigt gleichzeitig deren Machbarkeit auf. Auch wenn der Aufbau der Thesen teilweise unstrukturiert erscheint, geht das Manifest über allgemeine Phrasen der Notwendigkeit intersektionaler Kämpfe hinaus und zeigt klar auf, wie und dass die Verbindung von Feminismus und Antikapitalismus funktionieren kann. Der kämpferische Ton lässt ausserdem hoffen, dass ein Feminismus für die 99% keine Utopie bleiben muss.