Das bedeutet mehr als nur organisieren. Organizing ist ein Ansatz der US-Linken und -Liberalen. Die US-Bürgerrechtsbewegung, viele US-Gewerkschaften oder die 68er Bewegung in den USA wären ohne die Tradition des Organizing undenkbar. Von dieser Tradition war zunächst wenig nach Deutschland gedrungen. Lediglich eines der bekanntesten Bücher des Organizing-Papstes Saul Alinsky wurde in den 1980er Jahren ins Deutsche übersetzt. In den vergangenen Jahren änderte sich das. Mittlerweile findet Organizing bei linken Basisinitiativen, der IG Metall bis hin zu Stadtverwaltungen einigen Anklang. Gerade in Hinblick auf die Diskussionen um eine linke Klassenpolitik ist der Ansatz weiterführend.
Doch Organizing ist nicht gleich Organizing. Die verschiedenen Ansätze reichen von liberal bis linksradikal. Einer der bekanntesten Vertreter des Organizing ist Eric Mann. Mann hat eine beeindruckende Vita. Als Sohn jüdischer Eltern 1942 in New York geboren, wandte er sich früh der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu und wurde dort als Organizer aktiv. Seine weiteren Lebensschritte führten ihn 1968 in den SDS (students for a democratic society). Später war er in der Gewerkschaft und der Umweltbewegung aktiv. Mann führt heute eine Organizing-Organisation, die die Rechte lateinamerikanischer, Schwarzer und koreanischer Anwohner_innen und Beschäftigter in Los Angeles vertritt. Sein 2011 geschriebenes Handbuch „Playbook for Progressives“ zum transformativen Organizing ist schon jetzt ein kleiner Klassiker. Violetta Bock und Michael Heldt haben dieses Buch nun ehrenamtlich unter dem Titel „Transformatives Organizing – ein Handbuch“ übersetzt. Anders als der Titel erwarten lässt, ist das Handbuch kein dröges Nachschlagewerk. Das hat mit dem transformativen Organizing selbst zu tun.
Von Rosa Parks bis ÖPNV
Das transformative Organizing versucht, die abgehängten Teile der Gesellschaft zu organisieren – also genau die, die sich sonst oft am wenigsten für ihre Interessen einsetzen (können). Hierzulande würde man wohl von Nichtwähler_innen, „Bildungsfernen“ und Migrant_innen sprechen. Mann hat deshalb den Anspruch, dass sein Buch für alle lesbar ist. Statt schwer verdaulicher Methodenübungen versucht Mann, spannend und mit vielen Beispielen seine Überlegungen an die Leser_innen weiterzugeben. Die berühmte Rosa Parks, die sich weigerte, im Bus von den „weissen“ Plätzen aufzustehen, war Teil einer Organizingkampagne. Die Organizing-Organisation Bus Riders Union schaffte es, in wenigen Jahren die Stadt Los Angeles zu zwingen, hunderte Millionen in den Öffentlichen Nahverkehr zu investieren und gleichzeitig die Ticketpreise zu senken.Das Ziel des Organizings ist es, Menschen dazu zu bringen, ihre Interessen selbst zu vertreten. Das hört sich banal an und erinnert ein wenig an Bürgerinitiativen und Unterschriftenkampagnen. Nur ist es weitaus mehr. Es ist eine Methode, möglichst viele Menschen auf ein Ziel hin zu organisieren. Mann zeigt in seinem Buch erfolgreiche Beispiele, wie das gelingen kann. Einige seiner Methoden dürften politisch und zivilgesellschaftlich Aktiven bekannt vorkommen.
Allerdings gibt es in Deutschland eine Tradition, lediglich über Meinungen und Positionen und weniger über Praktiken zu streiten. Das Organizing lenkt den Blick aber gerade auf die praktischen Ansätze: Wie kann eine linke Klassenpolitik organisiert und nicht nur diskutiert werden?
Mann zeigt, wie eine kleine Gruppe in relativ kurzer Zeit grössere Reformprojekte anstossen kann und dabei viele Menschen politisch aktiviert. Sein Fokus liegt dabei auf den Fähigkeiten und Rollen, die eine Gruppe braucht, um erfolgreich zu organisieren: von geschickten Redner_innen, zur_m guten Fundraiser_in oder der guten Einbindung in die Gruppe. Das Buch schärft daher den Blick für die Anforderungen an gelingende politische Basisarbeit. Damit füllt es eine wichtige Lücke und ist gerade für neuere und ältere Basisaktive eine hervorragende Quelle. Durch seine erzählende Form ist es besser zu lesen als das jüngst erschienene Basishandbuch „Geheimnisse einer erfolgreichen Organizerin“ von Alexandra Bradbury, Mark Brenner und Jane Slaughter (das aber ebenso zu empfehlen und für den alltäglichen Gebrauch übersichtlicher ist).
Organizing: Neue Klassenpolitik praktisch gewendet
Die deutsche Ausgabe unterscheidet sich etwas von der amerikanischen. Die englischsprachige Originalausgabe beschränkt sich auf die Vorstellung der Methoden des transformativen Organizing. Da in Deutschland die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen weniger klar sind, stellt Mann der deutschen Ausgabe ein Vorwort und einige Bemerkungen voraus.Mann verortet das transformative Organizing in einer revolutionären Tradition und grenzt es vom liberalen und reformistischen Organizing ab. Er bezieht explizit Position gegen liberale Organizing-Ansätze à la Saul Alinsky. In Anlehnung an Alinsky hatten auch deutsche Stadtverwaltungen jüngst Organizingprojekte in Auftrag gegeben – etwa zur Stadtverschönerung. Ziel dieser Projekte ist es unter anderem, Trinker_innen und Obdachlose aus dem Strassenbild zu verdrängen und gezielt Stadtviertel aufzuwerten. Mann versucht, seinen methodischen Ansatz theoretisch einzuordnen und gegen liberale Aneignungsversuche abzusichern.
Anders ist sein relativ geharnischtes Vorwort nicht zu erklären. Mann stösst gezielt ins Wespennest hiesiger linker Debatten und bezieht klare Positionen zum Nahostkonflikt und der ziemlich homogenen Herkunft der Aktivist_innen – wahrscheinlich auch um unliebsame Leser_innen abzuschrecken. Für einen Überblick um die Kontroversen zwischen den verschiedenen Organizingansätzen ist Robert Maruschkes Buch zu „Community Organizing“ empfehlenswert.
So oder so ist die Übersetzung von Eric Mann's Buchs ein Glücksfall für die teils abgehobenen Debatten der deutschen Linken um die „richtige“ Klassenpolitik. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern sind viele linke Debatten und Organisationen kaum mit den alltäglichen Kämpfen der Menschen verbunden. Möge dieses Buch viele Leser_innen finden, die das ändern wollen.