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Frauen, Steine, Erde (Hg.): Beiträge zur Feministischen Theorie und Praxis. Frauen Räume Architektur Umwelt

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Frauen, Steine, Erde (Hg.): Beiträge zur Feministischen Theorie und Praxis. Frauen Räume Architektur Umwelt Das Leben in der feministischen Stadt

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Sachliteratur

Architektinnen, Stadtplanerinnen und Soziologinnen formulierten vor fast 40 Jahren feministisch-materialistische Perspektiven auf Architektur und Stadtplanung, an die es sich zu erinnern lohnt.

«Schokofabrik» mit Hamam in Mariannenstrasse in Berlin-Kreuzberg, Frauenprojekt: ein feministisches Projekt (gegründet 1981), Berlin-Kreuzberg.
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«Schokofabrik» mit Hamam in Mariannenstrasse in Berlin-Kreuzberg, Frauenprojekt: ein feministisches Projekt (gegründet 1981), Berlin-Kreuzberg. Foto: Miriam Guterland (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 4. Mai 2019
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Die Zeitschrift beiträge zur feministischen theorie und praxis war eines der wichtigsten Publikationsorgane der westdeutschen autonomen Frauenbewegung und prägte deren Debatten zwischen 1978 und 2008. Die Ausgabe, um die es hier gehen soll, wurde von der Gruppe „Frauen, Steine, Erde“ redaktionell verantwortet, in der sich Architektinnen, Stadtplanerinnen und Stadtsoziologinnen als Reaktion auf die männliche Dominanz in ihren Berufsfeldern organisiert hatten. Die Feministinnen intervenierten in eine Auseinandersetzung der zweiten Frauenbewegung mit der gebauten Umwelt, die bereits Mitte der 1970er Jahre begonnen hatte. Dabei waren konkrete Wohnverhältnisse der Nachkriegsjahrzehnte, etwa die kleinbürgerliche Suburbanisierung, die Isolation in anonymen Hochhaussiedlungen oder Gewalt im öffentlichen Raum in den Fokus der Kritik geraten.

Feministische Gruppen fragten, inwiefern patriarchale Herrschaft in die gebaute Umwelt eingeschrieben ist und wie diese wiederum herrschende Geschlechterverhältnisse reproduzieren. Sie eigneten sich autonome (Frauen-)Räume an und formulierten utopische Gegenentwürfe zur bestehenden Planung. Ausserdem kritisierten sie Leerstellen progressiver Stadtpolitik, wie Kerstin Dörhöfer den Anspruch der Bewegung zusammenfasst:

„Ohne jedoch auch die patriarchalisch bestimmte Arbeitsteiligkeit als gesellschaftliche und ökonomische Determinante gerade der Wohnungsstrukturen zu analysieren, bleiben Konzepte für die Praxis, auch wenn sie politisch noch so radikal erscheinen – Verstaatlichung der Wohnungsversorgung, Planungsentscheidungen durch die Betroffenen – traditionellen Strukturen verhaftet.“ (S. 33)

Wohnen in der Männerstadt

Der letzte Teil des Heftes „Frauen entwerfen Stadtutopien“ zeigt beispielhaft, dass diese Auseinandersetzung mitnichten nur von professionellen Protagonistinnen geführt wurde. Vielmehr sollten mittels Workshops und Biografiearbeit die Bedürfnisse von Frauen sichtbar gemacht werden. Die Architektin Dörhöfer geht in ihrem Beitrag von ihrer eigenen Subjektivität sowie der Befragung von Frauen über ihr Wohnumfeld aus und überlegt, wie über Klassengrenzen hinweg Solidarität organisiert werden könnte. Sie entwickelt dafür die Figur der „Gesamtreproduktionsarbeiterin“ (ebd.).

Dabei wendet sie sich sowohl gegen die Idee, dass eine emanzipatorische Stadtplanung nur von professionellen Planerinnen durchgeführt werden könnte, als auch gegen die Vorstellung, diese liesse sich bereits unter den bestehenden Bedingungen von Kapitalismus und Patriarchat verwirklichen. Dörhöfer lenkt wie andere Autorinnen in der Zeitschrift den Blick darauf, wie ökonomische Konjunkturen, etwa die Frage der Erwerbstätigkeit von Frauen, die Art des Wohnens prägen. So beschreibt sie, dass in den 1950er Jahren die Konkurrenz durch Frauen auf dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden sollte, ihre Bedeutung für reproduktive Funktionen, wie das Gebären von Kindern, betont und durch Familienideologie (und -soziologie) begründet worden sei.

Der Bau von „Eigenheim- und Reihenhaussiedlungen“ in den Vorstädten waren deshalb zugleich eine Folge des Unwillens des Kapitals in Wohnungsbau zu investieren wie des Umgangs mit dem Arbeitsmarkt in der Nachkriegszeit. In ähnlicher Weise hätte Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre der Arbeitskräftemangel und die infolgedessen zunehmende Frauenerwerbstätigkeit ihren baulichen Ausdruck in mehrgeschossigen Grosssiedlungen gefunden. Dörhöfers Kritik gilt besonders der Tatsache, dass eine systematische Missachtung von Reproduktionsarbeit in Planungspraxis und Wissenschaft stattfindet. Ähnlich wie die „Lohn für Hausarbeit“-Kampagne zielten die Feministinnen hier darauf, die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit als Arbeit anzuerkennen.

Besonders plastisch beschreibt Dörhöfer, wie selbst dort, wo ihre akademischen Kolleg*innen die Stadt als Produkt kapitalistischer Entwicklung betrachteten, die Wohnungsnot zur Zeit der Industrialisierung bloss durch die „sprunghaft ansteigende[] Anzahl der Lohnarbeiter und kleinen Angestellten“ der nach „Berlin strömenden verarmten Bauern und Landarbeiter[]“ erklärt wurde (S.35). Dass Frauen hier nicht bloss sprachlich nicht vorkommen, sondern auch analytisch eine Leerstelle bleibt, verdeutlicht Dörhöfer durch ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn tatsächlich nur Männer in die Städte gezogen wären? Dörhöfer spekuliert, dass es in einer Männerstadt keine Wohnungen im eigentlichen Sinne gegeben hätte, sondern blosse Schlafstätten, und die Reproduktion in rationalisierter Weise durch Staat und Kapital geregelt worden wäre. Das heisst etwa, dass

„die Probleme der Ernährung durch Kantinen, der Hygiene durch Gemeinschaftsbäder, der Kleider- und Wäschepflege durch entsprechende Dienstleistungszentren gelöst“ worden wären.„Die notwendige Reproduktion der Arbeitskraft hätte gesellschaftlich andere Ausprägungen und baulich-räumlich andere Formen, andere Stadtstrukturen hervorgerufen.“ (S. 35f.)

Die feministisch-materialistische Analyse von Stadt macht deutlich, dass die Entstehung des kapitalistischen Wohnungsmarktes das Ergebnis der Trennung von Haus- und Fabrikarbeit in der Industrialisierung ist, die aber nur durch das (patriarchale) Geschlechterverhältnis erklärbar wird. Die Wohnung wurde zum Ort der privatisierten Reproduktion von Arbeitskraft und zugleich zur Erholungs- und Arbeitsstätte.

Die sexistische Funktion der kleinen Küche

Die historische Perspektive wird von zwei weiteren Beiträgen vertieft. Eva Schulzes Artikel „Trautes Heim, Glück Allein! Über die Domestizierung der Frau im Biedermeier“ beschäftigt sich eingehend mit dem Moment des Übergangs von der Ökonomie des „ganzen Hauses“ zum bürgerlichen Haushalt im Biedermeier. Dabei wird deutlich, wie die Entstehung der modernen bürgerlichen Familie und die Ideologie hausfräulicher Weiblichkeit mit einer neuen Form des Wohnens zusammenhängen: die Trennung der Funktionen des Öffentlichen/der Repräsentation (das Wohnzimmer), des Privaten/der Initimität (das Schlafzimmer) und des Arbeitens (Wirtschaftsräume für das Dienstpersonal und Küche). Ultimativ, so Schulze, liegt hier die Unsichtbarkeit der Arbeit von Frauen begründet, denn: „Überall in der Wohnung soll nur das fertige Produkt ihrer liebenden, unsichtbaren Hände sichtbar sein.“ (S. 73)

Ähnlich wie Schulze zeigt die Architektin Myra Warhaftig, wie diese Vorstellungen die Gestalt von Wohnungen im 20. Jahrhundert geprägt haben. Sie demonstriert anhand der DIN-Normen für den Sozialen Wohnungsbau, wie das Prinzip der bürgerlichen Kleinfamilienwohnung verallgemeinert wurde. Hier rückt also auch der Staat als Akteur, der Einfluss auf das erwünschte Familienleben seiner Subjekte nimmt, in den Blick. Warhaftigs Kritik gilt insbesondere der winzigen Küche, welche ein besonderes „Emanzipationshindernis“ für Frauen darstelle, da sie die Frau noch in der Wohnung selbst isoliere, geschlechtsspezifisches Rollenverhalten fortschreibe und die Doppelbelastung von berufstätigen Frauen verstärke. In ihren eigenen Entwürfen ist daher die Integration der Funktionen von Kochen und Essen zentral.

Feministische Stadtteilarbeit

Die Stadtsoziologin Ulla Terlinden kommt zu anderen Schlussfolgerungen. Ihre Kritik setzt bei der Trennung von Arbeiten und Wohnen in der funktionalistischen Stadt an, die Frauen in Stadtrandviertel drängt. Erschwerte Mobilität, vor allem für Frauen, die der Doppelbelastung von Lohn- und Reproduktionsarbeit nachgehen und fehlende Erholungsräume sind für sie zentrale Probleme. Solange die herrschenden Geschlechterverhältnisse fortbestehen, hält sie deshalb eine Perspektive „baulich-räumliche[r] Autonomie“ für Frauen für unerlässlich. Nicht kommunikative Küchen, sondern Raum, der Frauen befähigt, sich Haus- und Beziehungsarbeit zu entziehen. Neben individuellen Räumen für alle Familienmitglieder spricht sie sich deshalb für die Notwendigkeit von Frauentreffpunkten aus.

Terlindens Text ist ein Plädoyer für feministische Stadtteilarbeit, auch abseits der Zentren der Frauenbewegung, um die Selbstorganisation von Frauen zu unterstützen. Denn:

„Planung im Interesse von Frauen erfordert zunächst eine Veränderung in der Planungsmethodik im Sinne der Aufhebung des Unterschiedes zwischen Planungssubjekten und Planungsobjekten, also zwischen Planerinnen und Benutzerinnen.“ (S. 49)

Terlindens Gedanken zur Mitbestimmung in Planungsprozessen bewegen sich hier ausserdem im, für die zweite Frauenbewegung typischen, Spannungsfeld von Autonomie und Integration. Dem Ziel, in institutionelle Planungsprozesse hineinwirken zu wollen, steht ein Bewusstsein der Gefahr, zum Legitimationsinstrument der Herrschenden zu werden, gegenüber. Um sich einer Vereinnahmung zu entziehen, sollen diese Versuche immer wieder in/mit der autonomen Frauenbewegung reflektiert werden.

Wie wir zusammenleben wollen

Auch wenn man die beiträge als Reaktion auf ihre Zeit lesen muss, sind doch viele analytische Ansätze noch heute relevant. Perspektiven auf Stadt und Architektur, die Geschlecht und Reproduktion einbeziehen, bleiben eine wichtige Intervention. Aktuelle stadtpolitische Kämpfe thematisieren vor allem Gentrifizierung und Verdrängung, klagen die Profitinteressen der Immobilienwirtschaft oder die Verwertung von Wohnraum als Ware an.

Die feministischen Debatten erinnern daran, dass unsere Analysen, Forderungen und Kämpfe nicht nur die Frage des ob, sondern auch die des wie Wohnens auf die Tagesordnung setzen müssen. Schliesslich bedeutet etwa die Verdrängung aus den Stadtzentren oder der Austausch von Nahversorgungsinfrastruktur besonders für Frauen eine Verschlechterung der Lebensbedingungen.

Über ein anderes Wohnen nachzudenken kann auch heissen, einen utopischen Horizont aufzuspannen. Vorschläge, etwa für die Kollektivierung von Reproduktionsaufgaben und für eine Planung, die Bedürfnisse nach Individualität wie Gemeinschaft einbezieht, gibt es von Feministinnen bereits zuhauf. Wenn wir Entwürfe für ein Zusammenleben jenseits der Kleinfamilie verwirklichen und solidarische Beziehungsweisen ermöglichen wollen, müssen auch unsere Städte von morgen anders eingerichtet, und gebaut sein.

Leonie Karwath
kritisch-lesen.de

Frauen, Steine, Erde (Hg.): Beiträge zur Feministischen Theorie und Praxis. Frauen Räume Architektur Umwelt. Verlag Frauenoffensive, München 1980. 108 Seiten. ca. 7.00 SFr. ISBN 9783881040914

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.