Linke Betrugsgeschichten
In der Einleitung erläutert der Verfasser seine beiden Zentralbegriffe: Querfront und Betrug. Es ist natürlich so, dass dort wo Betrug konstatiert wird, „der Entzug des Vertrauens geboten“ ist. (S. 7) Die besagte „andere Querfront“ beschreibt Hanloser als „eine Spielart der Extremismustheorie“, mit welcher der „Antitotalitarismus nach dem Kalten Krieg“ in prekär-neoliberalisierten Verhältnissen wiederbelebt werde, die kühl kalkuliert „machtrealistischen Dispositiven“ folgt. (S. 9f.) Eben diese Querfront bestehe „aus Linkenhassern und im Zweifelsfall antisozialistischen Extremismusforschern, schuldbeladenen Maoisten und ewigen Antikommunistinnen, NATO-Apologetinnen, Atlantizisten und Amerikafreundinnen ohne Kenntnis des anderen Amerika“.Ein wichtiger Bestandteil sei auch, so hebt der Verfasser hervor, „die Glaubensgemeinschaft der vermeintlich Guten, die dadurch nicht antisemitisch sein will, indem sie den Antisemitismus begriffs- und schamlos anderen anhängt.“ Eben dieser antideutsch profilierten „anderen Querfront“ gehe es nach Hanloser zentral darum „eine an Kapitalismus- und Imperialismuskritik geschulte linke Kritik dieser Verhältnisse [zu] dämonisieren und [zu] delegitimieren.“ (S. 10)
Auf der Grundlage eines kaum glaublichen Lektürepensums entwirft der Verfasser in 28 zum Teil kurzweilig geschriebenen Kapiteln eine kritische Generationsbilanz von etwa 30 Jahren antideutscher Geschichte, Theorie, Praxis und Lebenswelt. Abwechslungsreich werden dabei die unterschiedlichsten Facetten des komplexen Phänomens beleuchtet. So gibt es Kapitel zur esoterisch anmutenden Verballhornung marxistischer Theorie durch einen Aufsatz von Moishe Postone Ende der 1970er Jahre, in der Auschwitz – in der Tradition des ziemlich deutschen Ableitungsmarxismus aus den 1970er Jahren – allen Ernstes als eine Art Fabrik zur Vernichtung des „Wertes“ aus einer ominösen Trennung zwischen „Abstraktheit und Konkretheit“, – tja, man gruselt sich hier etwas vor der Verwendung dieses Begriffs: abgeleitet wird.
Richtig ist hier die Feststellung von Hanloser, dass die dem Text von Postone zugrunde liegende Idee, „wonach aus der Warenstruktur des Kapitalismus sich der Antisemitismus erhebe und dieser irgendwie über ein Aufspaltung in ‚konkret' und ‚abstrakt' in Auschwitz kulminierte, […] aufgrund der ahistorischen und empirischen Beweisführung nicht überzeugen“ kann. (S. 115 - 124) Es finden sich aber auch spannende Beschreibungen von Musik und ihrer Rezeption durch vormalige Exponent*innen der maoistischen K-Gruppenszene, die „die aus dem Punk geborene Subversionsgeste ‚Deutschland muss sterben, damit wir leben können!' ins Identitäre [überführten]: Sag mir wo du stehst!“ Hanloser zeigt hier, dass die eigentümliche „Entdeckung der Feindposition“ gegen das, was durch die Frühantideutschen unter „Deutschland“ verstanden wurde, „nichts Spielerisch-Subversives“ (S. 28) mehr beinhaltete.
Egomanie und Staatsfetisch
In dem Buch finden sich im Geist historisch-politischer Aktualität verfasste und lebensweltlich orientierte Beschreibungen, Miniaturen und Nachrufe auf wichtige Protagonisten der Antideutschen, angefangen bei Wolfgang Pohrt, Eike Geisel, Justus Wertmüller, Jürgen Elsässer bis hin zu Joachim Bruhn. Wer genau wissen möchte, welche Wahrheit der zum neofaschistischen Demagogen gemauserte Gründer der Wochenzeitung Jungle World Jürgen Elsässer heute über die antideutsche Strömung der 1990er Jahren verrät, der muss zu diesem Buch greifen. Dabei merkt man insbesondere den längeren Passagen zu der Initiative Sozialistisches Forum und hier vor allem zu Joachim Bruhn deutlich an, dass der Verfasser selbst aus Freiburg kommt – dem „Wohnort-Trauma“, wie Robert Kurz aus der Lebkuchenstadt Nürnberg einmal bissig vermerkte.Leicht augenzwinkernd verweist der Verfasser in seinem Buch einmal darauf: „Man kennt oder kannte sich.“ (S. 55) Wohl wahr – und so etwas kann das Urteil zuweilen etwas freundlicher färben, als es in dieser Personalie geboten ist. Der vom Verfasser immer wieder mit durchaus sympathisierendem Unterton gezeichnete „einsame Intellektuelle“ Joachim Bruhn (S. 109) kann allerdings auch als die exemplarische Personifikation eines Staatsschutzlinken gelten, der gegen ihm missliebig erscheinende andere Linke auch mal „Polizei! Polizei!“ rief – möglicherweise auch deshalb, um gerade nicht mehr „einsam“ zu sein.
Wenn man von ein paar ärgerlichen Flüchtigkeitsfehlern absieht argumentiert Hanloser stets differenziert wie kenntnisreich durch die komplexe Materie. Es zeichnet seine immer wieder pointiert vorgetragenen Urteile über das antideutsche Phänomen aus, dass sie gerade nicht von einem akademischen Glückritter verfasst worden sind, der mit dem, was er überhaupt denken und schreiben darf, immer auch ein bisschen auf die nächste befristete Projektstelle schielen muss.
Die Lektüre dieses Buches gibt Aufschluss zu dem sympathischen Wunsch, dass es endlich an der Zeit sei, hinter den Antideutschen die Tür zu zumachen. Dadurch, dass die Darstellung die vielfältigen theoretischen, parastaatlichen wie lebensweltlich formatierten Quellen des Phänomens offenlegt, wird implizit gezeigt, dass hier nur der Wunsch Vater des Gedankens sein kann. Insofern muss die Frage, ob es sich bei diesem Buch um eine Art Grabstein für die Antideutschen handelt, nach der Lektüre und trotz des in der Grundfarbe grau gehaltenen Buchcovers klar verneint werden, – was wiederum für seine Qualität spricht.
„Die andere Querfront“ zeichnet unter den nach 1989 drückenden Bedingungen der Hegemonie des Neoliberalismus und des Neonationalismus einen wichtigen Aspekt des Zerstörungsprozesses eines Teils der ausserinstitutionellen Linken der BRD nach. Wie sich eben dieser Transformationsprozess durch die von intellektuellen Protagonist*innen der Antideutschen immer wieder in Anschlag gebrachten, irregulär wie irrational codierten Argumentationsarsenale genau vollzieht, kann in dem Buch en detail betrachtet werden.
Eine linke Erzählung Deutschlands
Das hätte man sich um die Jahreswende 1989/90 auch nicht träumen lassen, dass die nach dem Verschwinden der DDR aus einem berechtigen Unwillen über die grösser und mächtiger werdende Bundesrepublik entstandene Nie-wieder-Deutschland-Gegenbewegung, die Hanloser im vorderen Teil seines Buches mit einiger Sympathie skizziert, sich auf eine derart grauenhafte Weise transformieren würde. Die Abhandlung macht klar, wie sehr die Linke heute durch die Existenz des antideutschen Phänomens mit einer ethischen Bewegung konfrontiert ist, die nunmehr ein klar religiös aufgeladenes Gut-Böse-Schema verfolgt. Und vor diesem Hintergrund wird jede politische Dissidenz und Resistenz gegenüber der global gewordenen Barbarei des Kapitalismus auch mit manipulativ konfigurierten Begriffen wie dem eines „barbarischen Antikapitalismus“ dämonisiert und exorziert.Bei dem Buch von Hanloser handelt es sich um eine ausserordentlich beeindruckende Intellectual History über die vielfältig verästelte Geschichte der nach 68er-Linken. Und mehr noch: Es ist ein anregender Beitrag zu einer Geistesgeschichte in diesem Land, wie das Personenverzeichnis mit über 350 Einträgen implizit ausweist. Sollte es womöglich noch eine Zukunft für eine autonome Linke in diesem Land geben, so darf sie sich über die vielen instruktiven Stichworte, die ihr Hanloser in grandioser Weise durch sein Buch hindurch zuruft, glücklich schätzen. Denn sie können ihr dabei helfen, eine klare, gut begründete Distanz zu dem für jede Idee von Glück und Befreiung bedrohlich irrlichternden antideutschen Theorie- und Praxissystem einzunehmen.