Ein Leben für die kurdische Befreiungsbewegung
Während mich mit Eckes politischer Tradition weniger verbindet, ist es bei Çelebi umso mehr. Auch wenn er selber an der Gründung nicht beteiligt war, ist er einer der zentralen Figuren des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK – Yekîtiya Xwendekarên Kurdistan). Seit genau 30 Jahren setzt sich der Verband für kurdische Belange ein, organisiert Seminare, Delegationen und eine Literaturpreisveranstaltung, benannt nach Hüseyin Çelebi. Dieser starb im Oktober 1992 als Kämpfer der Freiheitsbewegung in Südkurdistan. Doch zuvor war der in Hamburg geborene Sohn eines kurdischen Vaters und einer türkischen Mutter in Deutschland aktiv.Zuerst in der der Sozialistischen deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), später in der kurdischen Bewegung. In der Redaktion des Kurdistan Reports schlug er sich Nächte um den Kopf, um über die Gräueltaten der Türkei zu berichten. Jahrzehnte später hatte ich – selbst im YXK aktiv – Gelegenheit, seinen in Nürnberg lebenden Vater Rıfat im Zuge der Preisverleihung kennenzulernen. Auf der Fahrt dorthin sass er zwischen uns; seine Augen strahlten Trauer und Stolz zugleich aus. Wie schön wäre es gewesen, wenn Hüseyin auch zwischen uns gesessen hätte.
Ein politischer Briefwechsel
Im Februar 1988 wurde Çelebi im Vorfeld des sogenannten Düsseldorfer Prozesses festgenommen. Insgesamt wurden 20 kurdische AktivistInnen inhaftiert. Ihnen sollte wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ der Prozess gemacht werden. In enger Abstimmung mit dem NATO-Partner Türkei begann die Bundesrepublik Deutschland so mit der Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung, die am 27. November 1993 im Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans kulminierten und seitdem eine Atmosphäre der Einschüchterung und Repression gegen alle KurdInnen in diesem Land schuf. Çelebi selbst sass zwei Jahre ein. Aus dieser Zeit stammt der Briefverkehr mit Christa Eckes, die insgesamt 15 Jahre in Haft war und 2012 viel zu früh an Leukämie gestorben ist.Aus Eckes Nachlass stammen die Briefe, die eindrückliche Einblicke in den Knastalltag politischer Gefangener und in die Schikanen der bundesrepublikanischen Behörden liefern. Man fühlt sich beim Lesen selbst wie im Gefängnis – umgeben von Mauern, Wachmannschaften und Gitterstäben. Und trotzdem ist eine gewisse Freiheit spürbar, wenn man die sich entwickelnde Freundschaft zwischen den beiden verfolgt. Sie zeigen ihre internationale Solidarität, wenn es um palästinensische, tamilische oder irische Revolutionäre geht, die ebenfalls in Gefangenschaft sind. Und sie geben Einblick in ihre Gefühlswelt.
Sie schreiben sich Gedichte und Liedtexte. Als Hüseyin nach Monaten der Isolation am 24. Oktober 1989 das erste Mal in dem für 8,5 Millionen D-Mark extra errichteten Gerichtssaal seine FreundInnen wiedertrifft, schreibt er: „Ich war sehnsuchtsschwanger und hatte einen Heisshunger auf meine Genossinnen und Genossen.“ (S. 155) Unter ihnen befanden sich auch so bekannte Figuren wie die PKK-Gründungsmitglieder Ali Haydar Kaytan und Duran Kalkan, die noch heute in den Bergen Kurdistans kämpfen.
Reich an Themen
Lehrreich ist, wie die beiden über den Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme 1986 diskutieren, der der PKK in die Schuhe geschoben wurde und ihr Verbot vorbereiten sollte. 2020 stellten Ermittler final fest, dass der Täter aller Wahrscheinlichkeit nach ein Rechter war, der mittlerweile verstorben ist. Der Vorwurf haftete der PKK jedoch lange an, auch wenn die Süddeutsche Zeitung bereits an Weihnachten 1988 schrieb, dass es sich beim Palme-Attentäter um einen schwedischen Einzelgänger handelte.Der Briefwechsel enthält mehr Stränge, als hier dargestellt werden können. Mal erklärt Çelebi, wie man das Kurdische vom Türkischen unterscheidet; mal geht es um das Ezidentum, von ihm als die „Ur-Kurden“ bezeichnet, und wie diese Religionsgemeinschaft verfolgt wird. Und immer wieder geht es um die politische Aktion des Hungerstreiks in der Türkei und Deutschland. Für Eckes stellt der Düsseldorfer Prozess
„ein pilotverfahren [dar], mit dem die kriminalisierung und verfolgung von revolutionären befreiungsbewegungen von hier aus auf einer neuen ebene eröffnet werden soll. als erstes gegen die kurdischen revolutionäre, dann gegen die palästinensischen und potentiell gegen jede bewegung, die einen brennpunkt des revolutionären kampfs gegen die imperialistische herrschaft darstellt.“ (S. 101)
Wie recht sie hatte.
Situation von Kurd:innen in Deutschland
Besonders erschreckend sind die Parallelen zur aktuellen Verfolgung von KurdInnen in der Bundesrepublik. Hüseyin berichtet von Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP, heute nur noch Schwaetzer), der damaligen Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Nur wenige Jahre nach dem faschistischen Militärputsch 1980 behauptete sie, es gebe in der Türkei keine systematische Folter. Das erinnert doch stark an die erst kürzlich öffentlich gewordene Position des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass „die Volksgruppe der Kurden in der Türkei keinen landesweiten staatlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt ist.“ Damit begründet der Staat derzeit den Abschiebebescheid zweier kurdisch-alevitischen AkademikerInnen, die in der Türkei zu jeweils mehr als sechs Jahren Haft verurteilt wurden.Das Buch sei LeserInnen in vielerlei Hinsicht empfohlen. Der Briefwechsel bietet persönliche Einblicke in die Freundschaft zweier politischer Gefangener und die Verfolgung von Menschen in der kurdischen Freiheitbewegung. Begleitet ist der Briefwechsel von einer Chronologie der 1980er Jahre, einer Zeittafel des Düsseldorfer Prozesses und vielen Bildern, was die bereits lang anhaltende Repression gegen KurdInnen veranschaulicht. Es kontextualisiert zudem den speziellen Briefwechsel und ordnet die Briefe in ihrer Bedeutung ein: Als zeithistorische Dokumente, die nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.