Damals schloss ich mit dem Satz: „Die kurzen biografischen Auszüge von André Trocmé in dem Buch (…) machen Lust eine tatsächliche Biographie von ihm zu lesen.“ Obwohl ich nicht davon ausgehe, dass mein damals geäusserter Wunsch irgendetwas dazu beigetragen hat, veröffentlichte derselbe Verlag nun tatsächlich eine Biografie, und zwar nicht nur von André, sondern auch von dessen Frau, Magda Trocmé.
Die Trocmés und Le Chambon
Es gibt einige mehr oder weniger bekannte Beispiele von christlich motiviertem Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Was für Deutschland Dietrich Bonhoeffer (widerständischer evangelischer Theologe der Bekennenden Kirche – 1945 im KZ-Flossenbürg von den Nazis ermordet) und für Österreich Franz Jägerstätter (katholischer Kriegsdienstverweigerer – 1943 im Zuchthaus Brandenburg von den Nazis ermordet) sind, das ist für Frankreich wohl das Ehepaar Trocmé.Trotz vieler Unterschiede eint diese Personen zumindest, dass sie alle tief gläubige ChristInnen waren, die vor allem aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen gegen die Nazi-Barbarei Widerstand leisteten – und so zu Symbolen sowohl des antifaschistischen Widerstands als auch progressiven Christentums wurden. Die Trocmés überlebten ihr Engagement im Widerstand im Gegensatz zu Bonhoeffer und Jägerstätter glücklicherweise. Was taten sie aber, das sie so berühmt machte?
Als Nazi-Deutschland Teile von Frankreich besetzt hielt und im Rest Frankreichs das Vichy-Regime herrschte, entwickelte sich der französische Ort Le Chambon-sur-Lignon beziehungsweise die gesamte Region rund um das Dorf zu einem zentralen Gebiet des gewaltfreien, antifaschistischen Widerstands, an dem unter anderem die Trocmés – André war evangelischer Pfarrer in Le Chambon – federführend waren. Konkret wurden in der Region Tausende Jüdinnen und Juden, die verfolgt und von Haft, Deportation und Exekution bedroht waren, in der Region von der lokalen Bevölkerung systematisch vor den faschistischen Behörden versteckt.
Im Ort wurden ihnen gefälschte Papiere angefertigt und man begann damit, in einer Art christlich-antifaschistischer „Underground Railroad“ sie nicht nur zu verstecken, sondern auch über geheime Pfade in die sichere Schweiz zu schleusen („Underground Railroad“ bezeichnet eigentlich ein Netzwerk von amerikanischen AbolitionistInnen um das 18. Jahrhundert, die über geheime Routen und Verstecke afrikanische SklavInnen aus den Südstaaten befreiten, um sie in die sicheren Nordstaaten zu bringen).
Rund 3000 Jüdinnen und Juden wurde so von den Menschen um Le Chambon das Leben gerettet. Diese Aktivitäten gingen sogar unvermindert weiter, als es zu mehr und mehr Razzien kam, André mit einigen anderen im Dorf für eine Zeit lang inhaftiert wurde und Soldaten der Wehrmacht in dem als Luftkurort bekannten Le Chambon urlaubten – und direkt neben einem Gebäude untergebracht waren, das voll mit versteckten jüdischen Kindern war! Dieses erstaunliche und todesmutige Engagement erklärt auch, weshalb die Trocmés in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt werden (wobei sie selbst stets betonten, dass diese Ehrung der gesamten Region zuteil werden sollte, und nicht nur ihnen als Einzelpersonen).
Politische Dimension?
So bemerkenswert diese Geschichte ist, so muss für politisch interessierte LeserInnen erwähnt werden, dass „Von Liebe und Widerstand“ keineswegs eine politische Biografie der Trocmés ist. Wie wenig politisch der Zugang dieser Biografie tatsächlich ist, erkennt man nicht nur daran, dass erst nach rund zwei Dritteln des Buches langsam damit begonnen wird, das Thema des zivilen Ungehorsams und der Rettung von Verfolgten (wenig detailreich) zu erläutern. Der wenig politische Zugang lässt sich auch daran erkennen, dass man von der Politisierung der Trocmés – also wie und wann sie zu ihren religiös-politischen Überzeugungen kamen, die sie zu ihren mutigen Aktionen motivierte – quasi nichts erfährt.Man liest zwar, dass sie überzeugte PazifistInnen, AntifaschistInnen, AnhängerInnen Gandhis und André Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen war, der Weg zu dieser Politisierung bleibt jedoch bedauerlicherweise so gut wie unbehandelt. Gleiches kann auch von der regen politischen Tätigkeit der Trocmés in der Nachkriegszeit behauptet werden. Das Buch gibt zwar nicht vor, eine politische Biografie zu sein – was diese Kritik sicher abschwächt –, doch wenn man bedenkt, dass es eben dieser Aspekt im Leben von Magda und André Trocmé war, der sie berühmt werden liess, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Politische in diesem Buch doch etwas kurz gekommen ist.
Schreibstil
Ein weiterer Aspekt der Biografie, die sicher Geschmackssache ist und demnach auch störend wirken kann, ist der Schreibstil, den die Autorin Hanna Schott für ihre Biografie gewählt hat. Dieser erinnert über weite Strecken hinweg eher an einen Roman als an ein Sachbuch und ich war mir nach den ersten paar Kapiteln tatsächlich nicht sicher, ob es sich hier um einen Roman oder – wie von mir angenommen – um eine Biografie handelte. Um zu verdeutlichen, was gemeint ist, hier ein Beispiel, wie beschrieben wird, als die erste Jüdin, die sich auf der Flucht vor den Nazis befand, nach Le Chambon zum Pfarrhaus kam:„Es war ein kalter Winterabend. Magda schürte das Feuer im Ofen. Durch das Küchenfenster sah sie, dass neuer Schnee gefallen war. André war dort draussen unterwegs. Die Kinder lagen schon im Bett. Da schellte es an der Tür (…) Magda öffnete. Draussen, vom Licht, das aus der Tür auf die Strasse fiel, nur schwach beleuchtet, stand eine Frau, zitternd vor Kälte, viel zu leicht bekleidet für dieses Wetter. An den Füssen Sandalen, die im Schnee versanken.“ (S. 139)
Obwohl es im Klappentext des Buches als positiv hervorgehoben wird, dass Hanna Schott „so lebendig [erzählt], als wären wir dabei“, so kann das Ganze gefallen, muss es aber nicht. Für LeserInnen, die einen derartig blumig-romanhaften Erzählstil nicht erwartet haben, sondern schlicht eine sachlich-nüchtern verfasste Biografie dieser beiden Personen ohne opulente erzählerische Ausschmückungen gesucht haben, kann ein derartiger Schreibstil enttäuschend oder gar ärgerlich sein.