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Isaak N. Steinberg: Gewalt und Terror in der Revolution

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Isaak N. Steinberg: Gewalt und Terror in der Revolution Antidot gegen gegen linken Autoritarismus

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Sachliteratur

Isaaks N. Steinbergs fast 100 Jahre alte Schrift «Gewalt und Terror in der Revolution» ist auch heute noch mit Gewinn zu lesen, weil Steinbergs Auseinandersetzung mit der Linie der Bolschewiki eben nicht nur eine Kritik an altkommunistischen und neoleninistischen Gruppen ist.

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Datum 9. Dezember 2024
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„Den Namen Isaak Nahman Steinberg findet man auf der nur mühsam rekonstruierbaren, keineswegs aber kurzen Liste der vergessenen und weitgehend unbekannten Revolutionäre“, schreibt der Soziologe Hendrik Wallat in einer Publikation aus dem Jahr 2014, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung über den Vergessenen unter den Titel „Isaak Steinberg – Sozialrevolutionär und jüdischer Intellektueller“ herausgegeben hat.

Wallat hat mit seinen Forschungsarbeiten dafür gesorgt, dass Steinberg zumindest nicht mehr ganz so unbekannt ist. Jetzt gibt es die Gelegenheit eine zentrale Schrift von ihm wieder zu lesen. Unter dem Titel „Gewalt und Terror in der Revolution“ hat der Anares-Verlag Steinbergs Schrift von 1931 wieder in deutscher Sprache herausgegeben. Im Jahr 1974 gab es schon einmal eine deutschsprachige Auflage, die längst vergriffen war.Wenn der Verlag auf der Rückseite das Buch „als Neuauflage eines Schlüsselwerks zum Verständnis der sowjetisch-russischen Geschichte von der russischen Revolution bis in die Gegenwart“ bewirft, ist man als Leser*in angesichts solcher Superlative erstmal skeptisch. Aber dass Steinberg als „Vorläufer späterer bedeutender politikwissenschaftlicher Werke etwa von Hannah Arendt“ annonciert wird, ist das nicht zu hoch gegriffen.

Steinberg war einer der Autor*innen, die vor den autoritären Tendenzen im Sozialismus sehr früh warnte, ohne deswegen den Kapitalismus zu verteidigen. Dass unterscheidet Steinberg beispielsweise von Theoretikern wie Karl Kautsky, der schon 1919 das Buch „Bolschewismus und Terror“ herausgegeben wird. Doch bei ihm wird schnell erkennbar, dass er die Sozialdemokratie in einer Zeit verteidigte, als sie für zahlreiche Morde an aufständischen Arbeiter*innen den Jahren 1918-1923 in Deutschland verantwortlich ist. Steinberg hingegen war als führender Politiker der Linken Sozialrevolutionär*innen einer der Protagonist*innen auch der Oktoberrevolution.

An ihr waren eben nicht nur die Bolschewiki beteiligt, wie es die stalinistische Hagiographie später behauptete. Wenig bekannt, dass Anarchist*innen dafür sorgten, dass die Konstituante, ein mehrheitlich von bürgerlichen Parteien beherrschtes Parlament schliessen musste. Auch die linken Sozialrevolutionär*innen waren treibende Kräfte der Oktoberrevolution und bildeten gemeinsam mit dem Bolschewiki eine Koalitionsregierung. Isaak Steinberg war vom Dezember 1917 bis März 1918 Justizminister. In dem wenigen Monaten legte er Grundlagen für eine sozialistische Justizreform, die ein Abgleiten in Autoritarismus und Terror hätten verhindern können, wenn sie umgesetzt worden wäre.

Steinberg schrieb knapp 12 Jahre später schon im Exil, wie er in als schon in der kurzen Zeit als Minister das Abgleiten der Oktoberrevolution in Willkür und Autoritarismus beobachtete. Nach einem Attentatsversuch auf Lenin Ende 1917 antwortete die bolschewistische Presse erstmals mit Drohungen gegen Vertreter*innen der gestürzten herrschenden Klassen und in einer Resolution drohte die Garnison der Peter-und-Paul-Festung in Petersburg den Gegnern mit den Septembermorden. Damit war die Mordserie der Jakobiner im September 1792 während der Französischen Revolution gemeint. Steinberg geht in seinen moralphilosophischen Überlegungen, die das Buch prägen, immer wieder auch diesen blutigen Umschlag der Französischen Revolution ein.

Doch Steinberg stellt sich auch immer wieder die Frage, warum er und seine Genoss*innen von den Linken Sozialrevolutionär*innen nicht stärker den Konflikt mit den Bolschewiki gesucht und sich gegen den revolutionären Terror gewandt haben. Steinberg gibt nachträglich eine plausible Erklärung: „“Die Bolschewiki? Aber ihnen galt ja diese Aufpeitschung der Leidenschaften als eine Waffe im Klassenkampf; sie suchten sie ja mit allen Mitteln zu entfesseln. Die Menschewiki und die rechten Sozialrevolutionäre? Diese waren damals eine Hauptstützen des Widerstands gegen die soziale Revolution. Ihre Tätigkeit war auf die Schwächung, auf die Demütigung, auf den Sturz der sozialistischen Macht gerichtet“, S.36) beschreibt Steinberg den gesellschaftlichen Kontext, der heute oft ausgeblendet wird.

Leider wird im Buch nicht erwähnt, warum Steinberg seinen Posten als Justizminister nach wenigen Monaten verlor. Es ging damals nicht um seine erst später so prägnant formulierte Kritik an den Bolschewiki, sondern um ein aussenpolitisches Thema, den Vertrag von Brest Litowsk, den das deutsche Regime Russland aufoktroyierte, nachdem die Räteregierung nach der Oktoberrevolution aus dem 1. Weltkrieg ausgeschieden ist. Die Soldaten aller kriegsführenden Länder wurden aufgefordert, ebenfalls die Waffen niederzulegen und nicht mehr weiterzukämpfen. Doch die Front hielt zunächst noch und der deutsche Imperialismus nutzte die Situation, um grosse Teile Russlands zu besetzten und sich das durch einen Diktatfrieden bestätigten zu lassen.

Das sorgte innerhalb des revolutionären Lagers in Russland für grossen Streit. Die Linken Sozialrevolutionäre wollten schliesslich mit der Tötung des deutschen Botschafters in Russland die Unterzeichnung des Vertrags verhindern. Als Reaktion darauf mussten alle Minister*innen der Sozialrevolutionär*innen, darunter Issak Steinberg die Regierung verlassen. Nach der Lektüre seines des Buches bleibt die unbeantwortete Frage, ob Steinberg und seine Genoss*innen, wenn sie länger im Amt geblieben wären, das Abgleiten in den stalinistischen Terror hätten verhindern können.

Steinbergs fast 100 Jahre alte Schrift ist auch heute noch mit Gewinn zu lesen, weil Steinbergs Auseinandersetzung mit der Linie der Bolschewiki eben nicht nur eine Kritik an altkommunistischen und neoleninistischen Gruppen ist. Auch anarchistische und insurrektionistische Gruppen sind nicht vor autoritären Massnahmen gefeit in Zonen und Gebieten, in denen sie die Macht haben, sie durchzusetzen. Dazu braucht es keinen Staat und keine Staatsapparate, auch temporäre besetzte Zonen und Häuser können sich schnell in autoritäre Orte verwandeln. Steinbergs Schrift kann so als Antidot gegen jeden Autoritarismus im Namen der Revolution gelesen werden.

Peter Nowak

Isaak N. Steinberg: Gewalt und Terror in der Revolution. Anares Verlag, 2024. 356 Seiten. ca. SFr. 28.00. ISBN: 978-3-935716-83-3.