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James C. Scott: Mühlen der Zivilisation

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James C. Scott: Mühlen der Zivilisation Zivilisation gegen den Strich bürsten

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Sachliteratur

In meinem gleichermassen abwechslungsreichen wie bescheidenem Leben als C-Klasse-Intellektueller habe ich aktuell unter anderem die Möglichkeit mit Studierenden über anarchistische Ethnologie nachzudenken. Darunter auch noch einmal James C. Scotts Die Mühlen der Zivilisation (2019).

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Datum 3. Oktober 2024
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Ich las das Buch schon fasziniert bei seinem Erscheinen und durch unsere Diskussionen wurde mir noch mal deutlich, dass es einen umfassenden und langfristigen Blick braucht, um das Schlamassel zu begreifen, in welchem sich die heutige Gesellschaftsform befindet.

Wie auch andere Forscher*innen zeigt Scott unter anderem auf, wie die Entstehung von Staaten mit dem Anbau von Getreide und der Versklavung verknüpft ist. Die domestizierende Unterwerfung gilt dabei gleichermassen Pflanzen, Tieren, Sklaven und weiblichen Personen. Häufig genug fand sie mit roher Gewalt statt und wurde von ihr aufrecht erhalten. Andererseits kann man sie nur gut beschreiben, wenn man sie als komplexen und widersprüchlichen Prozess versteht.

In diesem Zusammenhang ist etwa auch die zunehmende Arbeitsteilung zu kritisieren. Ein häufiges Argument gegen anarchistische Konzeptionen, besteht darin, dass diese keine komplexe, arbeitsteilige Gesellschaftsform ermöglichen würden. Hierbei sollte „Arbeitsteilung“ aber als Euphemismus verstanden werden: Zu fragen ist nämlich, wer die verschiedenen Tätigkeiten aufteilt und wem sie zugewiesen werden. Mit wenig Nachdenken wird man viele Beispiele finden, wo der Herrschaftscharakter dieser Aufteilung und Zuweisung offensichtlich wird.

Ohne an dieser Stelle auf die Details einzugehen, kann sicherlich angenommen werden, dass Scotts Ansatz, die Tiefengeschichte des Staates „gegen den Strich“ zu lesen, überspitzt ist und weiterer Unterfütterung bedarf. Zweifellos braucht es aber Gegendarstellungen zum Narrativ des Nationalstaates, welches diesen als Krönung politischer Organisationsformen anpreist, die Gewalt seiner Entstehung und Aufrechterhaltung verschleiert und überdies die Existenz anderer Gemeinwesen und Gruppen leugnet oder folkloristisch einhegt. Den vermeintlichen Errungenschaften der Zivilisation, wie Wohlstand, Sicherheit, Gesundheit, Produktivität und Musse, gilt es jedenfalls prinzipiell gegenüber skeptisch zu sein – all dies und vieles andere, liesse sich auch jenseits des kapitalistischen Nationalstaates realisieren.

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James C. Scott: Mühlen der Zivilisation. Suhrkamp Verlag 2019. 329 Seiten, ca. 40.00 SFr, ISBN 978-3518587294