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Unter Linken: Von einem, der aus Versehen konservativ wurde

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Jan Fleischhauer: Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde. Das Märchen vom bösen Gutmenschen

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Sachliteratur

Jan Fleischhauer kennt sich aus. Er weiss besser als jeder andere, wie sie ticken, diese Linken. Zumindest glaubt er das.

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Unter Linken: Von einem, der aus Versehen konservativ wurde. Foto: Коряков К.М. (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 22. September 2015
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In der Attitüde des blitzgescheiten Intellektuellen mit realistischem, aber nurmehr durch bedächtigen Sarkasmus zu ertragendem Blick auf diese düstere Welt hat der Journalist sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht. Er ist einer von vielen Vertretern der These, nach der Linke ihre moralisierende Meinung flächendeckend politisch durchgesetzt hätten und unser aller Gemeinwesen vor allem an zu viel Gerechtigkeitssinn kranken würde. Fleischhauer meint den Blick der sogenannten Gutmenschen, die die seiner Ansicht nach wahre, von Grund auf egoistische Natur des Menschen nicht wahrhaben wollen.

In seinem 2009 veröffentlichten Buch „Unter Linken“ polemisiert der sich mit seiner Meinung hoffnungslos in der Minderheit wähnende und wahrscheinlich gerade darum in seiner eitlen Branche so hoch dekorierte Fleischhauer gegen all jene, die als „Wanderprediger am Aussenrand der Gesellschaft“ (S. 330) unterwegs seien. Stets hätten sie den Feind im Auge, den er aus Sicht seiner imaginierten Pappkameraden-Linken beschreibt als „der Täter in seiner reinen Form, der öffentliche Gegner, den es namhaft zu machen gilt – als Frauenfeind, Ausländerfeind oder Schwulenfeind“ (S. 33). Immerzu, so Fleischhauer, betrachte sich die Linke dabei als „moralisch unanfechtbar“ (S. 26).

Charakterlich sei die Linke narzisstisch bis in die ungewaschenen Haarspitzen: „Sie möchte sich laufend bestärkt und bestätigt sehen, jetzt eben dafür, dass sie schon immer irgendwie gegen den Kapitalismus war“ (S. 338). Nun wäre Fleischhauer aber „fraglos mehr beeindruckt, wenn den Vorbehalten eine Analyse vorausgegangen wäre, eine Beschreibung der modernen Finanzprodukte und ihres systemgefährdenden Potentials“ (ebd.). Spätestens an dieser Stelle dürfte klar sein, dass der gute Mann keinesfalls Linke an sich meinen kann; denn selbst ihm müsste längst aufgefallen sein, dass es eine Fülle an radikal linken Kapitalismus- und Krisenanalysen gibt, die in ihrer Originalität und Plausibilität die Gedanken nahezu jedes bisherigen Wirtschaftsnobelpreisträgers locker überflügeln.

Abneigung gegen ein frühkindlich geprägtes Phantasma

Nein, Fleischhauer meint vor allem die neue Bürgerlichkeit der Grün-Alternativen. Das gibt er sogar an einer Stelle unumwunden zu: „Wenn ich von der Linken spreche, meine ich zunächst ein Milieu, das mir seit meiner Kindheit vertraut ist und das man als Links-Bürgertum bezeichnen kann“ (S. 18). Setzt man dies voraus, stehen sogar einige Sätze in seinem Buch, denen umstandslos zuzustimmen ist. Dazu gehört die Bemerkung, unter den Grün-Linken „gründen die meisten Vorbehalte auf Gefühl, nicht auf Überlegung“ (S. 338). Viel Wahres enthält auch seine Feststellung, dass es ihnen nicht ausreiche, in einer Auseinandersetzung nur Recht zu behalten: „Schon der Versuch der Konsensverletzung gilt als skandalisierungswürdiger Vorgang“ (S. 339). Fleischhauers ganz zu Beginn des Buches festgehaltene Beobachtung ist wiederum eine fast lückenlose Darstellung der zeitgenössischen Grün-Alternativen in Deutschland:

„Dieses Milieu ist bevölkert von einem bestimmten Typus, den man leicht an seinen Konsum- und Kulturgewohnheiten erkennen kann (auch wenn er sich selbst auf seinen Nonkonformismus viel zugutehält) und der sich durch ein ausgeprägtes Elitenbewusstsein auszeichnet, wobei Elite zu den Begriffen gehört, die für ihn so tabu sind wie Nation, Heimat oder Volk“ (S. 19).

Nun mag man denken: Was ist denn so schlimm an einer astreinen Persiflage auf das grün-alternative Milieu? Ganz einfach: Das, was Fleischhauer hier als links beschreibt, hat mit der wirklich antikapitalistisch gesinnten Linken überhaupt nichts zu tun. Nichtsdestoweniger war dieses Machwerk im Jahr 2009 das meistverkaufte politische Sachbuch in Deutschland. Und genau hier liegt das Problem: Durch die enorme Öffentlichkeit assoziieren viele Leute mit dem Inhalt des Buches alles Linke, also jedes nur denkbare kapitalismuskritische Ansinnen. Weitere PR erhielt der zwischen zwei Buchdeckel gepresste Schund durch Fleischhauers Arbeitgeber, das ehemals als linksliberales Nachrichtenmagazin bekannte heutige Sturmgeschütz des wirtschaftsliberalen Zeitgeistes namens Der Spiegel.

Fleischhauer ist dort nicht nur seit Jahren Redakteur, sondern darf online auch noch regelmässig seine Kolumne „Der schwarze Kanal“ absetzen, in der er seine Freudsche Abneigung gegen sein frühkindlich geprägtes Phantasma der „Linken“ weiter auf die Spitze treibt. Im bei RTL beheimateten Fernseh-Ableger des Hamburger Herrschaftsblättchens durfte der Autor sogar eine dokumentarische Verfilmung von „Unter Linken“ ausstrahlen lassen, die sich noch heute online ansehen lässt. Ein Klick reicht aus, und der stockkonservative Streifen geht los. Nach kaum mehr als zwei Minuten tritt hier der Protagonist himself ins Bild; ausgestattet mit einer randlos runden Brille, das Resthaupthaar reaktionärsgerecht mit reichlich Pomade straff nach hinten gekämmt, um die Geheimratsecken freizulegen und noch älter zu wirken als Ende vierzig.

Glaube an Gerechtigkeit als Frevel

In seinem weissen, an den Ärmeln machermässig hochgekrempelten Opi-Hemd schreitet er mit dem schelmischen Schmunzeln des schulmeisternden Strebers und dem verkrampften Gang einer die Prüderie propagierenden Popanz-Gestalt in den Vorgarten seiner als sozialdemokratische Mottenkisten-Madame dargestellte Mutter. Nach einem Drittel des Films trifft Fleischhauer den Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele – eigentlich einer der letzten ernst zu nehmenden Vertreter dieser Partei projektorientierter Bionade-Freelancer. In seinem Berliner Wahlkreis versuchte Ströbele vor einigen Jahren, mithilfe einer Bürgerinitiative die Eröffnung einer McDonalds-Filiale zu verhindern. Mit der lächerlichen Begründung, dass das dort verkaufte Essen für die Schüler der nahe gelegenen Berufsschule „nicht gesundheitsförderlich“ sei. Fleischhauer entlarvt Ströbele mit so einfachen Argumenten (unter anderem durch den Verweis auf die Frittenbude nebenan, gegen die Ströbele überhaupt nichts einzuwenden hat), dass der ganze Film schon wieder allzu billig rüberkommt. Viel anders ist es in seinem Buch aber auch nicht.

Um seine eingangs vorgenommene Einschränkung auf das „Links-Bürgertum“ abzuschwächen und so den allgemein gehaltenen Titel des Buches zu rechtfertigen, stellt er den aus seiner Sicht gemeinsamen Kern aller Linken heraus, der für ihn nur die Ausgeburt des abgrundtief Bösen sein kann: Der sozialdemokratische Gewerkschafter, der alte Kommunist, der junge Antifaschist und der Grün-Alternative seien geeint durch ihren Glauben, „einer besseren, gerechteren Sache zu dienen“ (S. 20). Potzblitz, welch Frevel! Eben darum, meint Fleischhauer, können Linke auch keinen Sinn für Humor entwickeln. Seine steile These weiss der Autor aber nur an Beispielen festzumachen, die seine eigene Menschenfeindlichkeit ostentativ zur Schau stellt.

So belustigt er sich etwa darüber, dass sein Sohn zum Kinderkarneval „ein Plastikgewehr dabeihatte“ (S. 319) und die Lehrerin ihm selbiges abnahm. Der „Israel-kritischen deutschen Linken“ (S. 211) bescheinigt er, sich die Palästinenser als „Ersatzopfer“ (S. 211) erkoren zu haben und statt ironischer Distanzierung nur antisemitische Hetze im Nahost-Konflikt zu betreiben. Als personelle Nachweise der angeblichen Humorlosigkeit aller Linken fallen ihm Dieter Hildebrandt, Claudia Roth und „Lichterketten, Fettecken, BAP, Birkenstock und Yoga-Zentren“ (S. 313) ein. Fleischhauer bezieht sich also auch an den Stellen, die über das grün-alternative Linksbürgertum von heute hinausgehen könnten, immerzu auf die westdeutsche Linke der 1960er- bis 1980er Jahre, die spätestens in den 1990er Jahren in der viel gerühmten „Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist.

Die Linke muss ihre Taktik auf Offensive umstellen

Im Grunde laufen seine geistigen Ergüsse damit ausschliesslich auf die Prämisse hinaus, Linke pauschal als verwöhnt-reiche „Wasser predigen, aber Wein trinken“-Trottel zu denunzieren. So hätten sie im Bildungssystem für eine „systematische Absenkung der Anforderungen“ (S. 115) gesorgt und den „Leistungsbegriff in Frage gestellt“ (ebd.), sich aber letztlich „noch nie sonderlich für das normale Volk interessiert“ (S. 186). Ausserdem liessen sich diese sturen Böcke demnach ihren „Kinderglauben an die moralische Überlegenheit des Kommunismus“ (S. 302) einfach nicht nehmen, hätten aber auch den kapitalistischen Staat und vor allem dessen Universitäten zu ihren eigenen „Selbstversorgungsinstitutionen“ (S. 137) umgebaut.

Fatal an all dem ist, dass so viele Menschen ihm diesen inhaltlichen Blödsinn ernsthaft abnehmen und die gesamtgesellschaftliche Denunziation alles irgendwie Linken in eine Richtung befördern, die sich im Angesicht der postdemokratischen Apathie und des daraus resultierenden europaweiten Rechtsrucks künftig noch gefährlich auswirken kann. Eines können die Linken also aus Büchern wie diesem lernen: Sie müssen ihre Taktik endlich von aggressiver Defensive auf kontrollierte Offensive umstellen.

Christian Baron
kritisch-lesen.de

Jan Fleischhauer: Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde. Rowohlt, Reinbek 2009. 352 Seiten. 19.90 SFr. ISBN: 978-3-499-62478-0

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