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Julius H. Schoeps / Werner Tress (Hg.): Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933

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Julius H. Schoeps / Werner Tress (Hg.): Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933 Terror von oben – und von unten

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Sachliteratur

Der ausführliche Sammelband ermöglicht tiefe und erkenntnisreiche Einblicke, wie es den Nazis möglich war, systematisch oppositionelle Kräfte zu vernichten.

Bücherverbrennung in Deutschland, 1933.
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Bücherverbrennung in Deutschland, 1933. Foto: U.S. National Archives and Records Administration (PD)

Datum 9. Januar 2020
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Deutschland vor 87 Jahren: Von März bis Oktober 1933 strömen in verschiedenen Kontexten Massen - oder manchmal auch nur kleine Gruppen - auf die Strassen und Plätze, um dem „Spektakel“ der Bücherverbrennungen beizuwohnen. Vielleicht erinnerte sich damals schon die eine oder andere Person an Heinrich Heine, der bzgl. der Verbrennungen des Korans um 1500 in Granada anmerkte: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“

Zu diesem Kapitel deutscher Geschichte erschienen seit 1947 einige Arbeiten. Die Autoren gingen in diesen überwiegend der Frage auf den Grund, wer die Initiatoren der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen waren. Bis in die 1970er hielt sich dabei in der Regel die Annahme, sie seien eine „wohlüberlegte und sorgfältig organisierte Veranstaltung nationalsozialistischer Staatsraison“ (S. 9) oder ein Kalkül Goebbels gewesen. Aufgrund neuer Erkenntnisse gingen die Wissenschaftler vor allem ab 1983 von der Haupttäterschaft der Deutschen Studentenschaft (DSt) aus.

Neue Ergebnisse zu den Drahtziehern liefert der von den Historikern Julius H. Schoeps und Werner Tress herausgegebene monumentale Band „Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933“, der vor einigen Monaten beim Olms-Verlag erschien. Auf 848 Seiten berichten insgesamt 60 Autorinnen und Autoren über 94 nachgewiesene Autodafés in 62 Städten. Diesem ausführlichen Band wurde bisher nur wenig Beachtung geschenkt und er verdient daher eine Würdigung, denn neben den neuen Erkenntnissen liefern die Arbeiten einen exemplarischen Einblick in die Machtdurchsetzung der Nazis in den Städten und Provinzen zu Beginn ihrer Herrschaft in Deutschland.

Entscheidend bei der differenzierten Betrachtung ist es, nicht die berüchtigte Bücherverbrennung am 10. Mai auf dem Opernplatz in Berlin alleinig zu fokussieren, sondern die nicht-studentischen Aktionen davor und danach mit einzubeziehen. Dabei bietet die Einteilung der Aktionen in drei Phasen eine Hilfestellung, die vom Mitherausgeber Werner Tress vorgenommen wurde.

Die erste Phase

Die erste Phase umfasst jene Bücherverbrennungen, die sich vor dem 10. Mai abspielten und nicht Teil der studentischen „Aktion wider den undeutschen Geist“ waren.

Diese Bücherverbrennungen waren mehrheitlich nicht geplant, sondern spontane Begleiterscheinungen im Kontext des politischen Terrors der SA und der SS, der sich vorwiegend gegen SPD, KPD und Gewerkschaften richtete. So wie am 11. März Trupps der SA und der SS in Heidelberg das Gewerkschaftshaus stürmten und neben Symbolen und Akten auch Literatur verbrannten, spielten sich ähnliche Szenen in zwölf anderen Städten ab. Dies geschah im Falle Heidelbergs relativ geräuschlos, denn die zum Staat gewordene nationalsozialistische Bewegung wollte Souveränität ausstrahlen – für Recht und Ordnung sorgen. Geräuschvoller hingegen waren die Aktionen in Berlin, als im gleichen Monat die Künstlerkolonie und das Anti-Krieg-Museum regelrecht geplündert wurden. Zwar existierten in dieser Phase noch keine schwarzen Listen, es wurden also nicht gezielt bestimmte Werke verbrannt, aber der Feind war klar. So liess der örtliche NSDAP-Kreisleiter bei der Bücherverbrennung in Würzburg verlauten: „Wir wollen ausmisten mit dem jüdischen Geist, dem Geist des Eigennutzes, des Liberalismus und des Marxismus.“ (S. 776)

Neben derartigen SA- und SS-Aktionen organisierte zu diesem Zeitpunkt die Hitlerjugend (HJ) etwa eine Handvoll Bücherverbrennungen. Diese waren nicht Beiwerk zu Terroraktionen, sondern dienten schlicht dem Zweck, speziell Schulbibliotheken zu „säubern“. Dabei wurde jedoch bereits genauer selektiert – insbesondere hatte es die HJ auf die Schriften von Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) abgesehen. Doch diese Aktionen waren nur ein Vorläufer für die beispielslose Vernichtung zahlreicher Schriften.

Die zweite Phase

Sowohl die Aktionen von SA und SS als auch der „Judenboykott“ um den 1. April wirkten inspirierend für die Deutschen Studentenschaft (DSt). Ihre „Aktion wider den undeutschen Geist“, in der die Ereignisse vom 10. Mai den Höhepunkt bildeten, sind in die zweite Phase einzuordnen.

Tress arbeitet im Kapitel zu Berlin – welches nicht nur wegen des fast 100-seitigen Umfangs das aufschlussreichste ist – zwei zentrale Motive für die vierwöchige Aktion heraus. Einerseits wollte die DSt einen Beitrag zur nationalsozialistischen Revolution leisten und somit ihre Handlungsfähigkeit beweisen, andererseits sich als loyale Kraft erweisen, um sich in das neue System einzugliedern. Die DSt befand sich nämlich in einer misslichen Lage: Seit 1927 war der Verband staatlich nicht anerkannt. Was während der Weimarer Republik einen Vorteil darstellte, da keine Rücksicht auf Loyalität gegenüber dem Staat genommen werden musste, wurde nun zum Problem. Ohne staatliche Anerkennung sah sich die seit 1931 NSDStB-Mehrheit der Gefahr ausgesetzt, von der bei den Asta-Wahlen 1932/33 stärker gewordenen Nazi-skeptischen Hochschulpolitischen Arbeitsgemeinschaft studentischer Verbände (Hopoag) dominiert zu werden.

Um als loyale Kraft einen Beitrag für den Nazi-Staat zu leisten – und weil die DSt nicht in der Lage war, eine solch aufwendige Aktion alleine zu bewerkstelligen – wurde nach Bündnispartnern gesucht. Die Suche blieb nicht lange erfolglos: Der Kampfbund für deutsche Kultur, die völkischen Schriftsteller, die Hitlerjugend, SA, Stahlhelm, das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung boten willig Hilfe an. Einen weiteren wichtigen Verbündeten fand die DSt jedoch im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Dieses zeigte sich sehr erfreut über die geplante Aktion, musste doch der „Judenboykott“ nach aussenpolitischem und somit wirtschaftlichem Druck eingestellt werden. In der „Aktion wider den undeutschen Geist“ sah das Ministerium nun die Möglichkeit, mit einer abgeschwächten Variante weiterhin systematisch die „Volksfeinde“ auszuschalten.

Zunächst wurden ab dem 13. April flächendeckend an allen Hochschulen und Universitäten die zwölf Thesen der Aktion verteilt (der Bezug zu den 95 Thesen Luther war dabei durchaus gewollt). Das Hauptaugenmerk lag dabei klar auf dem verhassten roten Berlin. Dort hangen über die Hälfte der Plakate – anders als an den meisten anderen Orten auch ausserhalb der Hochschulen.

Um den universitären Betrieb im Sinne der NS-Ideologie umzubauen, reichte diese Aktion nicht aus. Mit der ersten Massnahme des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurden am 13.04. – dem gleichen Tag des Beginns der Plakataktion – 16 Hochschullehrer beurlaubt. Etliche weitere Beurlaubungen folgten in zwei weiteren Schüben am 25. April und am 2. Mai. Bernhard Rust, kommissarischer preussischer Kultusminister, begründete die Boykottmassnahmen damit, sie seien nötig, um studentische Unruhen zu verhindern. Im Umkehrschluss bedeutete dies: Je mehr Druck von unten kam, desto legitimierter waren solche Anordnungen von oben. Wie sehr studentische Gruppen in diese Massnahmen verwickelt waren, belegen nicht nur die Schandpfähle, die zur Diffamierung einiger Professoren von den Studierenden selbst aufgestellt wurden, sondern auch gemeinsame Treffen von Studierendenführern und Ministerium.

Den Höhepunkt der studentischen „Aktion wider den undeutschen Geist“ stellte nach der Plakataktion und den Schüben des Professorenboykotts die Bücherverbrennungen um den 10. Mai dar. Dafür wurden von Experten (Ausschuss zur Neuordnung der Berliner Stadt- und Volksbüchereien) schwarze Listen angefertigt, die ein Tag vor den geplanten Autodafés zusammen mit den Feuersprüchen in einem Rundschreiben an die anderen Hochschulorte ausgegeben wurden.

Insgesamt brannten am 10. Mai an 22 Hochschulorten Bücher auf den Scheiterhaufen (wieder mit einem gewollten historischen Bezug: Die Bücherverbrennungen auf der Wartburg 1817). Bemerkenswert auch die Personen, die die Reden hielten. So sprach in Bonn der Germanist Hans Naumann, der nicht nur Anpassungsfähigkeit bewies, sondern sich in vorderster Riege platzierte und nun als Brandstifter fungierte. Der einflussreichste Redner sprach jedoch bei der Bücherverbrennung in Berlin: Joseph Goebbels. Lange hielt sich die Legende, er bzw. das ihm unterstehende Propaganda-Ministerium seien die Initiatoren der Aktionen gewesen. Dies war nicht der Fall – Goebbels gab dem Akt vielmehr Stimme und Gesicht und somit die historische Bedeutung (was durch von Goebbels beorderte Kameras und Mikrofone verstärkt wurde).

Die studentischen Bücherverbrennungen vom 10. Mai, im Speziellen die in Berlin, blieben den Menschen im Gedächtnis und Jahrestage fallen oft auf dieses Datum. Wie es aber schon vor der „Aktion wider den undeutschen Geist“ eher spontan zum Verfemen von Büchern kam, geschah – teilweise inspiriert durch die studentische Aktion – dies auch in der Folge.

Die dritte Phase

Die dritte Phase erstreckt sich von Mai bis Oktober 1933. Am 19. Mai brannten auf behördliche Anordnung an mehreren Schulhöfen in der preussischen Rheinprovinz die Bücher. Neben dieser Aktion fand eine weitere mit landesweiter Koordinierung statt: Die Kampfwoche gegen Schmutz und Schund in Baden, ebenfalls Mitte Mai, wurde, inspiriert durch die studentische „Aktion wider den undeutschen Geist“, von der Hitlerjugend massgebend organisiert.

Die restlichen Aktionen wurden nach momentanem Kenntnisstand nicht ortsübergreifend und überwiegend nicht von studentischen Gruppen organisiert. Vielmehr gingen sie auf das Konto des Kampfbundes für deutsche Kultur, des Deutschen Handlungsgehilfen-Verbandes, einzelnen NSDAP-Ortsgruppen und der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO). Letztere in Teilen nationalbolschewistisch-orientierte Gruppierung versuchte vergebens sich auch im NS-Staat zu profilieren, verlor aber neben der ebenfalls 1933 gegründeten Deutschen Arbeiterfront (DAF) zunehmend an Einfluss.

Terror von oben – und von unten

Die ausführlichen Berichte über die bisher nachweisbaren Autodafés im vorliegenden Sammelband zeigen, dass bisherige Annahmen über die Initiatoren zu kurz greifen. Tatsächlich kann von einer Schlüsselrolle des Reichsministeriums für Propaganda und Volksaufklärung keine Rede sein – gleiches gilt für die alleinige Täterschaft der DSt. Denn die Bücherverbrennungen bedeuteten viel mehr als die Ausschaltung NS-kritischer Bildungselite: Es ging um die flächendeckende und systematische Vernichtung oppositioneller Kräfte. Durchführbar zum einen durch eine breite Massenbasis, die Inszenierung der Bücherverbrennungen selbst und dem symbolischen Kampf von Jung gegen Alt. Mit den „alten“ Werten wie Freiheit, Demokratie und Gleichheit wurde aufgeräumt, um Platz für das „tausendjährige Reich“ zu schaffen, das eine einheitlich geschlossene Volksgemeinschaft voraussetzte.

Zum anderen liefert der Sammelband exemplarisch Einsichten in die Art und Weise des deutschen Faschismus. Es zeigt sich, dass der Faschismus in seiner Aufstiegsphase von zwei entscheidenden Grundpfeilern gestützt wurde: einem aktionistischem und einem institutionalisierenden Part. Der bürokratische Terror stützt sich also – anders wie bonapartistische Militär-Diktaturen – auf eine breite Massenbasis. Besonders deutlich wurde dies während der „Aktion wider den undeutschen Geist“. NS-Studenten agierten vor Ort und konnten sich gleichzeitig auf die Hilfe entsprechender staatlicher Stellen verlassen. Diese wiederum begründeten ihre Ministerialerlasse mit genau dieser Bewegung der Massen – und legitimierten sie somit nachträglich oder im Voraus, je nach Situation. Deshalb konnte die Vernichtung oppositioneller Akteure überhaupt so erfolgreich sein, andernfalls wäre möglicherweise nur eine temporäre Unterwerfung möglich gewesen.

Neben den tiefen Einblicken in die Anfänge der Machtdurchsetzung des deutschen Faschismus ist „Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933“ aufgrund weiterer Vorzüge besonders empfehlenswert. Einerseits bietet jede Arbeit für sich tiefe Einblicke in die damaligen nationalsozialistischen Strukturen der jeweiligen Orte, benennt also die lokalen Täter und geht auf örtliche Charakteristika sowie auf die Opfer ein. Andererseits gründet die grosse Mehrheit der Arbeiten auf eine kenntnisreiche und umfassende Recherche, was den Sammelband zu dem Standardwerk für die Bücherverbrennungen in Deutschland erhebt.

Abschliessend sei noch darauf hingewiesen, dass der Olms-Verlag parallel zu „Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933“ die ersten zehn Bände der „Bibliothek Verbrannter Bücher“ herausgegeben hat.

Sebastian Friedrich
kritisch-lesen.de

Julius H. Schoeps / Werner Tress (Hg.): Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933. Sammelband. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2008. 848 Seiten. ca. 34.00 SFr., ISBN 978-3-487-13660-8

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