Reformismus von innen
Eine Ausnahme stellt hier Oliver von Dobrowolski dar. In seinem Buch „Ich kämpfe für eine bessere Polizei“ zeigt der Autor unverblümt die Probleme der Polizei auf und bietet zugleich Lösungen für diese an. Weder der Problemaufriss noch die Lösungsansätze des Buches wären sonderlich interessant, wäre von Dobrowolski nicht selbst „Polizist aus tiefster Überzeugung und mit grosser Leidenschaft“ (S. 13). Zugleich ist er Verfechter linksliberaler Positionen: Als langjähriges Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen wurde von Dobrowolski zum ersten Vorsitzenden der Berufsvereinigung „PolizeiGrün" und gründete 2021 den Verein „Better Police“, der sich unter anderem für unabhängige Kontrolle der Polizeiarbeit einsetzt.Wegen seiner kritischen Äusserungen in der medialen Öffentlichkeit zu Themen wie Racial Profiling, Rechtsextremismus oder Sexismus in der Polizei ist Dobrowolski innerhalb der Institution zur Zielscheibe von Anfeindungen geworden. Dennoch rechnet er in seinem Buch nicht einfach mit der Polizei ab, sondern diskutiert die Probleme dieser „als beobachtender Polizist“ (S. 17) aus einer kritisch-konstruktiven Innenperspektive. Es ist gerade diese Perspektive, die sich als die grösste Stärke des Buches und zugleich als dessen grösste Schwäche offenbart.
Von Dobrowolskis Innenperspektive ist privat und politisch zugleich: Zum einen berichtet der Autor darüber, dass er aufgrund seines politischen Engagements aus zahlreichen polizeilichen Behörden rausgemobbt und hierdurch schliesslich Depressionen entwickelt habe.
Zum anderen bleibt er aber nicht bei sich stehen. Er spricht sich in seinem Buch für umfassende Reformen aus, die die Polizei wieder an ihren „eigentlichen Zweck“ erinnern sollen: „dass Mitarbeitende der Polizei in erster Linie den Auftrag haben, die Menschen in unserer Gesellschaft und deren Rechte zu schützen“ (S. 20). Gerade bei linksliberal gesinnten Leser*innen stellt sich hierdurch das beruhigende Gefühl ein, dass es glücklicherweise auch „von Dobrowolskis“ in der Polizei gibt. Man ist daher beinahe geneigt, zu glauben, was Stephan Anpalagan in der auf dem Buchrücken abgedruckten Rezension schreibt: „Wären nur mehr Polizisten wie Oliver von Dobrowolski, dann hätte Deutschland die beste Polizei der Welt.“
Der im Buch entstehende Eindruck, es bräuchte für eine Besserung der Polizei nur mehr progressiv denkende Polizist*innen wie von Dobrowolski, verweist jedoch auf die eigentliche Schwachstelle der Perspektive des Autors: Er verkennt den grundlegend ambivalenten Charakter der Polizei.
Freund und Helfer, nur für wen?
Laut den Polizeiforschern Benjamin Derin und Tobias Singelnstein besteht der ambivalente Charakter der Polizei darin, dass die diese zum einen gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag in Gefahrensituationen Hilfe leistet und Menschen schützt. Zum anderen ist die übergeordnete Hauptfunktion der Polizei aber die „Aufrechterhaltung der bestehenden sozialen Ordnung“ (Derin & Singelnstein 2022, S. 324) mit all ihren Ungleichheitsverhältnissen. Diese Zwiespältigkeit wohnt den beiden Forschern zufolge der „Organisation als Ganzes und damit auch dem Verhalten ihrer Angehörigen inne“ (ebd.).Diese Erkenntnis bleibt in von Dobrowolskis Buch leider aus. Er unterschlägt zwar nicht, dass die Polizei eine durchaus „machtvolle Institution“ (S. 80) ist, die einer unabhängigen Kontrolle bedürfe. Zugleich hält er aber sehr stark an dem Idealbild einer bürgernahen und helfenden Polizei fest. So schreibt er beispielsweise: „Polizist:in sein bedeutet, in einem helfenden Beruf zu arbeiten. Und damit ist nicht gemeint, sich in erster Linie zu helfen. Die Polizei ist für die Menschen da. Punkt. Danach kommt erst einmal lange nichts.“ (S. 226) Diesem Idealbild entsprechend muss sich für den Autor in der Polizei vor allem „in den Köpfen“ (S. 30) und in der Haltung der Polizist*innen etwas ändern, damit diese wirklich für alle Menschen da sind. Zu erreichen sei dies von Dobrowolski zufolge unter anderem durch Kommunikations- und Diversitytrainings oder Antirassismusseminare.
Wie Derin und Singelnstein (2022) betonen, sind Phänomene wie Diskriminierung, Rassismus oder Polizeigewalt allerdings selbst „Symptome der gesellschaftlichen Rolle der Polizei“ (S. 337). Durch einfache Reformen kann sich der zwiespältige Charakter der Polizei, sofern diese eine Institution bleibt, die die soziale Ordnung aufrechterhalten soll und hierfür Gewalt anwendet, also nicht auflösen. Das bedeutet auch, dass selbst eine Polizei, die nur aus aufmerksamen und kritischen Polizist:innen wie von Dobrowolski bestünde, diese nicht unbedingt zu einer grundlegend besseren machen würde.
Von Dobrowolskis Innenperspektive erscheint aber nicht nur aufgrund ihrer Beschönigung der gesellschaftlichen Rolle der Polizei problematisch, sondern auch angesichts der Frage, wie wertvoll eine Polizeikritik von innen grundsätzlich sein kann. Forscher:innen wie Derin und Singelnstein heben diesbezüglich hervor, dass Entscheidungen über die Aufgaben und Funktionen der Institution Polizei weniger in dieser selbst, sondern vor allem von der Gesellschaft, der die Polizei dienen muss, getroffen werden sollten. Obgleich es auf einer menschlichen Ebene durchaus bewundernswert ist, dass von Dobrowolski trotz allen Gegenwinds eine umfassende Kritik an der Polizei leistet, braucht es in einem Kampf für eine bessere Polizei in erster Linie nicht mehr von Dobrowolskis, sondern vor allem eine aktive Zivilgesellschaft, die diese beobachtet und – auch grundlegend – kritisiert.